Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte

Die Organisation des Gerichtshofs

Der gemäß der geänderten Konvention von 1994 errichtete neue Europäische Gerichtshof für Menschenrechte besteht aus so vielen Richtern wie der Europarat Mitglieder hat (derzeit 47). Zahlenmäßige Beschränkungen bezüglich der Staatsangehörigkeit gibt es dabei nicht. Die Richter werden durch die Parlamentarische Versammlung des Europarates für sechs Jahre gewählt, wobei die Hälfte der Richter alle drei Jahre neu gewählt wird.

Die Richter gehören dem Gerichtshof als Einzelpersonen an und sind nicht Vertreter der einzelnen Staaten. Sie sind unabhängig und überparteilich und üben ihr Amt als Vollzeitrichter aus. Ihre Amtszeit endet mit Vollendung des 70. Lebensjahrs.

Das Plenum des Gerichtshofs wählt seinen Präsidenten, zwei Vizepräsidenten und zwei weitere Präsidenten der Sektionen für drei Jahre.

Der Gerichtshof ist in vier Sektionen eingeteilt, deren für drei Jahre bestehende Besetzung geographisch und hinsichtlich der Repräsentation der Geschlechter ausgewogen ist und den verschiedenen Rechtssystemen der Mitgliedstaaten Rechnung trägt. Den Vorsitz je einer Sektion führen die Vizepräsidenten des Gerichtshofs, den jeweiligen der beiden anderen die zwei vom Gerichtshof gewählten Sektionspräsidenten.

Innerhalb jeder Sektion werden für zwölf Monate Ausschüsse mit drei Richtern gebildet. Diese Ausschüsse sondern diejenigen Fälle aus, die das Gericht nicht zur Behandlung annimmt. Diese Aufgabe hatte bis zur Reform die Kommission wahrgenommen.

Innerhalb jeder Sektion werden nach dem Rotationsprinzip Kammern mit sieben Mitgliedern gebildet, wobei der Sektionspräsident und der für den als Partei beteiligten Mitgliedstaat gewählte Richter in jedem Fall der Kammer angehören. Ist letzterer nicht Mitglied der Sektion, sitzt er von Amts wegen in der Kammer. Die Mitglieder der Sektion, die nicht Vollmitglieder der Kammer sind, sind Ersatzmitglieder.

Die Große Kammer besteht aus siebzehn Richtern. Der Präsident und die Vizepräsidenten des Gerichtshofes sowie die Sektionspräsidenten sitzen dort von Amts wegen.

Das Verfahren vor dem Gerichtshof

Allgemeines

Jeder Mitgliedstaat oder jede Einzelperson, die behauptet, Opfer einer Verletzung der Konvention zum Schutz der Menschenrechte zu sein, kann direkt eine Beschwerde beim Gerichtshof in Straßburg einlegen, weil eines seiner durch die Konvention garantierten Rechte durch einen Mitgliedsstaat verletzt worden sei (Staatenbeschwerde bzw. Individualbeschwerde). Ein Beschwerdeformular und ein Merkblatt kann von der Kanzlei des Gerichtshofs angefordert werden.

Jedes Verfahren vor dem neuen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte schließt andere Verfahren aus und ist öffentlich. Die Öffentlichkeit kann von der Kammer bzw. der großen Kammer in besonders gelagerten Fällen ausgeschlossen werden. Die bei dem Kanzler von den Parteien eingereichten Schriftstücke sind der Öffentlichkeit zugänglich.

Individualbeschwerdeführer können selbst eine Beschwerde einreichen, Vertretung durch einen Anwalt ist erst erforderlich, wenn es zur Verhandlung kommt. Beschwerdeführer, die nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, können Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen.

Die offiziellen Sprachen des Gerichtshofs sind Englisch und Französisch. Beschwerden können in einer der Amtssprachen der Vertragschließenden Staaten eingereicht werden. Sobald die Beschwerde für zulässig erklärt worden ist, muss jedoch eine der offiziellen Gerichtssprachen verwendet werden, es sei denn, der Präsident der Kammer oder der Großen Kammer lässt den weiteren Gebrauch der Sprache des Beschwerdeführers zu.

Das Zulässigkeitsverfahren

Jede Individualbeschwerde wird einer Sektion zugeteilt und von einem Berichterstatter, den der Präsident ernennt, überprüft. Der Berichterstatter entscheidet, ob der Fall von einem Komitee aus drei Mitgliedern behandelt oder direkt einer Kammer überwiesen wird.

Ein Komitee kann einstimmig ohne weitere Überprüfung entscheiden, ob eine Beschwerde zulässig ist oder ob eine Beschwerde aus dem Register gestrichen werden kann.

Die Beschwerde muss die folgenden Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllen:

- alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe müssen ausgeschöpft sein,
- der genannte Beschwerdeführer muss die Beschwerde dem Menschenrechtsgerichthof innerhalb von sechs Monaten nach der innerstaatlichen gerichtlichen Entscheidung vorlegen,
- die Beschwerde muss die Verletzung eines durch die Menschenrechtskonvention garantierten Recht vorweisen,
- der Beschwerdeführer muss ein “Opfer” sein,
- Beschwerdeführer dürfen den Inhalt einer früheren Beschwerde nicht wiederholen.

Staatenbeschwerden werden sofort von einer Kammer geprüft.

Wenn das Komitee eine Individualbeschwerde nicht für unzulässig erklärt hat, wird diese von einer Kammer geprüft. Diese Kammern bestimmen sowohl die Zulässigkeit als sie auch über die Verletzung des Rechts urteilen (Begründetheit der Beschwerde).

Die Kammern können in besonderen Fällen in jedem Stadium des Verfahrens den Fall an die Große Kammer verweisen. Eine Partei kann das jedoch innerhalb eines Monats, nachdem die Absicht der Verweisung bekannt gegeben wurde, ablehnen.

Das Begründetheitsverfahren

Begründetheitsverfahren wird die eigentliche Verhandlung genannt, in der über die Begründetheit der Beschwerde entschieden wird.

Sobald die Kammer die Beschwerde zugelassen hat, kann sie die Parteien auffordern, weiteres Beweismaterial und schriftliche Ausführungen, einschließlich des Antrags auf eine gerechte Entschädigung des Beschwerdeführers vorzulegen und an einer öffentlichen Verhandlung über die Begründetheit des Falles teilzunehmen.

Während des Begründetheitsverfahrens können Verhandlungen im Hinblick auf eine gütliche Einigung durch Vermittlung des Kanzlers geführt werden. Diese Verhandlungen sind vertraulich.

Urteile

Die Kammern entscheiden per Mehrheitsbeschluss.

Innerhalb von drei Monaten nach dem Urteil der Kammer kann in besonderes Fällen jede Partei die Verweisung des Falles an die Große Kammer beantragen. Die Entscheidung über einen solchen Antrag liegt bei einem Ausschuss von fünf Richtern der Großen Kammer.

Eine Kammerentscheidung wird endgültig, wenn die Dreimonatsfrist abgelaufen ist. Sie kann bereits früher endgültig werden, wenn die Parteien erklären, dass sie nicht die Absicht haben, eine Verweisung zu beantragen oder wenn der Ausschuss die Verweisung an die Große Kammer abgelehnt hat.

Wenn der Ausschuss den Antrag annimmt, fällt die Große Kammer eine Entscheidung in Form eines Urteils. Die Große Kammer entscheidet per Mehrheitsbeschluss und ihre Urteile sind endgültig.

Alle endgültigen Entscheidungen des Gerichtshofs sind bindend für die Mitgliedstaaten, gegen die die Beschwerde gerichtet war.

Das Ministerkomitee des Europarates ist für die Überwachung der Umsetzung der Urteile verantwortlich. Seine Aufgabe ist es sicherzustellen, dass die Staaten, die eine Konventionsverletzung begangen haben, die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die bestimmten oder allgemeinen Verpflichtungen aus dem Urteil zu erfüllen.