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Das Schicksal der Überlebenden

Beraubt und ausgeplündert, mit nicht mehr als 10 RM in der Tasche, so strandeten die meisten jüdischen Emigranten in ihrer neuen Heimat. Wer zudem erst kurz vor Kriegsausbruch das Deutsche Reich verließ, dem stahl das NS-Regime in der Regel auch noch das Umzugsgut, sodass den Flüchtlingen von all ihren Habseligkeiten oft nur das wenige blieb, was sie in einem Koffer als Handgepäck hatten mitnehmen können. Freilich relativiert sich das Schicksal der Emigranten, denkt man an Auschwitz und die Ermordung Hunderttausender in den Vernichtungslagern. Vielleicht weil der Holocaust mit seinem Grauen alles andere überschattet, ist bis heute in Deutschland wenig bekannt über das Leben jüdischer Flüchtlinge. Vielmehr glaubten nach 1945 viele Deutsche, die Ausgewanderten hätten in der Emigration einfach an ihr altes Leben anknüpfen können, und nicht wenige Ariseure waren im Rückerstattungsverfahren fest davon überzeugt, den emigrierten jüdischen Verkäufern ginge es deutlich besser als ihnen selbst im zerstörten Nachkriegsdeutschland. Dem war jedoch nicht so. Denn die Flucht aus Deutschland war für die meisten Juden ein radikaler Bruch, in der Regel verbunden mit einem massiven finanziellen und sozialen Abstieg.

Eines der größten Probleme für die Neuankömmlinge im Exil war die Sprache. Denn fehlende Sprachkenntnisse machten es oft unmöglich, Arbeit zu finden. Neben der Sprachbarriere erschwerten auch fehlende Abschlüsse und Zertifikate den Emigranten den beruflichen Einstieg. Tatsächlich hatten, weil ihre Studienabschlüsse und Zeugnisse nicht anerkannt wurden, gerade Emigranten, die einst in hochqualifizierten Berufen gearbeitet hatten, als Geschäftsführer oder Juristen, in der Regel keine Chance, jemals wieder in ihrem Berufsfeld unterzukommen.
Tatsächlich mussten die meisten jüdischen Emigranten dankbar für jeden Job sein, auch wenn er noch so schlecht bezahlt und oder mit harter körperlicher Arbeit verbunden war. Erschwerend zu den meist niedrigen Einkünften kam, dass mit der Emigration auch alle Ansprüche auf Sozialleistungen wie Rentenzahlungen verloren waren, und es in Staaten wie den USA kein Sozialsystem gab, das die Emigranten hätte auffangen können. Also mussten nicht wenige, auch wenn sie alt und krank waren, weiter arbeiten.
Das Leben in der Emigration war für die meisten in materieller Hinsicht in keiner Weise vergleichbar mit den Verhältnissen, in denen sie einst in Deutschland gelebt hatten. Besonders tief fielen dabei diejenigen, die in Deutschland „gemachte Leute" gewesen waren, Menschen, die bei der Emigration in ihren Fünfzigern oder Sechzigern standen, die etwas aufgebaut und erreicht hatten im Leben, die eigene Fabriken oder Geschäfte besessen hatten. Vor allem sie waren, bis ab Ende der 1940er Jahre die ersten Nachzahlungen nach Vergleichen in Restitutionsverfahren und die Wiedergutmachungsleistungen zu fließen begannen, nicht selten auf die Unterstützung von bereits länger im Ausland lebenden Verwandten oder Freunden angewiesen. Auch die eigenen Kinder, die jünger waren und die sich daher in der Emigration oft leichter taten, mussten den Eltern oft finanziell unter die Arme greifen.

Was jenseits dieser materiellen Dimensionen die Emigration psychisch und emotional bedeutete, ist kaum fassbar. Denn schon der Verlust der Heimat war für viele ein tiefer Riss in der eigenen Biographie, zumal das Leben in einem fremden Land mit einer fremden Sprache und fremden Gepflogenheiten ja mitnichten aus freien Stücken gewählt, sondern erzwungen war.
Ganz besonders hart hatte es die Emigranten getroffen, die zunächst in Europa geblieben waren und nach Frankreich, in die Niederlande oder die Tschechoslowakei emigriert waren. Denn mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mussten sie ein zweites Mal vor den Deutschen fliehen. Tief und oft nie mehr zu kitten war der Riss im Leben schließlich für jüdische Flüchtlinge, die in Staaten außerhalb des westlichen Kulturkreises emigrierten, nach Asien oder Afrika, und dort vieles Gewohnte hinter sich lassen mussten.


Zitiert nach: Christiane Fritsche, Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt - Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim, Ubstadt-Weiher 2013, S. 551-554 (mit Auslassungen).


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