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Ein kommunikationstheoretisches Modell für den Kalten Krieg

Vor diesem Hintergrund können die Krisen der Jahre 1948 bis 1962 neu bewertet werden. Sie waren keine Vorboten eines größeren Krieges, sondern bewusst begrenzte Aushandlungsprozesse. In allen Fällen ging es darum, dass unterschiedliche Ansprüche aufeinander trafen. 1948 suchte Stalin eine Entscheidung über den Status von Berlin, aber er wollte keinen Krieg mit Amerika über den Status der ehemaligen Reichshauptstadt. Die Truman-Administration verstand diese Absicht Stalins sehr genau. Die USA stellten den sowjetischen Ansprüchen eigene entgegen. Auf dieser Basis erreichten beide Seiten einen Kompromiss. Fünf Jahre später nutzte Präsident Eisenhower den Aufstand in Ost-Berlin nicht zur Schwächung des sowjetischen Einflusses in Osteuropa, weil er wusste, dass dies ein Kriegsgrund sein könnte. 1958 konnte er das Ultimatum Chruschtschows verstreichen lassen, weil er davon ausging, dass die UdSSR keinen Krieg über Berlin beginnen würde. Die Kubakrise von 1961/62 war in ihrem Kern ebenfalls ein Aushandlungskonflikt zwischen Washington und Moskau. Die atomare Aufrüstung Kubas fiel strategisch kaum ins Gewicht. Es gab keinen Hinweis darauf, dass ein nuklear aufgerüstetes Kuba Teil sowjetischer Erstschlagpläne gewesen war. Es ging der UdSSR darum, dass das seit 1959 sozialistische Kuba nicht wieder in den Einflussbereich der USA fiel. Eine Aktion wie die Invasion in der Schweinebucht dürfe sich nicht wiederholen. Kennedy versuchte im April 1961 das Unmögliche: die kubanische Revolution ohne amerikanisches Blutvergießen rückgängig zu machen. Als der Angriff der Exilkubaner scheiterte, scheute der Präsident vor einer Intervention amerikanischer Truppen zurück. Die Sowjets schlossen aus Kennedys fehlgeschlagener Initiative 1961 auf einen schwachen Präsidenten. Im Herbst 1962 machte Kennedy deutlich, dass er die kubanische Revolution zwar nicht länger offen herausfordern wolle, dass er eine strategische Aufrüstung jedoch nicht hinnehmen konnte. Chruschtschow akzeptierte das im Austausch für einen Abzug amerikanischer Raketen aus der Türkei.[...]

Abtransport kubanischer Raketen im Oktober 1962
Abtransport kubanischer Raketen im Oktober 1962
Foto: Wikimedia Commons Quelle

Seit Ende der siebziger Jahre nahmen die Spannungen zwischen den Großmächten wieder zu. Das war insofern bemerkenswert, da es nur wenige bedeutende und konkrete Konfliktpunkte zwischen ihnen gab. Die bestehenden Kontroversen in Afghanistan, Angola und Somalia waren unbedeutend im Vergleich zu den Konflikten, die in den fünfziger Jahren hatten beigelegt werden können. Der Westen hatte darüber hinaus kein genuines Interesse an diesen Gebieten; die Kritik der USA an der sowjetischen Politik in Afrika übertönte nicht zuletzt die Tatsache, dass Washingtons Politik in weiten Teilen des Kontinents nicht wegen kommunistischer Subversion, sondern wegen der Unterstützung des Apartheidregimes in Südafrika unbeliebt war.
Es ging den USA bei der Verschärfung des Kalten Krieges seit Ende der siebziger Jahre nicht um die Lösung konkreter Probleme, sondern um eine Neuausrichtung der Politik. Die Entspannungsphase hatte den USA zwar erlaubt, sich aus Vietnam zurückzuziehen. In der Folgezeit jedoch wurde die Detentepolitik für den schmachvollen Abzug aus Indochina verantwortlich gemacht. In den USA sollte ein neuer außenpolitischer nationaler Konsens auf antikommunistischer Grundlage geschaffen werden. Die Sowjetunion hat dies nie verstanden. Protokolle der Beratungen im Politbüro im Jahre 1979 zeigen, dass die Sowjets die Intervention in Afghanistan als defensiven Akt verstanden, um ein weiteres Vordringen des politischen Islam zu verhindern. Moskau ging davon aus, dass Washington dies auch so sehen würde. Umso überraschter waren die Sowjets, als Präsident Carter von der größten Bedrohung des Weltfriedens seit dem Zweiten Weltkrieg sprach. Warum tat er das? Welche Ziele verbanden die USA mit einer solch vermeintlich überzogenen Rhetorik?
Vor dem Hintergrund einer antisowjetischen Stimmung in den USA wurde Ronald Reagan 1980 zum Präsidenten gewählt. Er setzte die sowjetkritische Politik seines Vorgängers fort und rüstete die USA auf. Sein erklärtes Ziel war ein Sieg über den Kommunismus. War ein Krieg Teil der Strategie des Sieges über den Kommunismus? Aus Sicht der UdSSR kehrten die USA in den ersten Jahren der Reagan-Administration der Vorstellung den Rücken, dass ein Krieg um jeden Preis verhindert werden musste. Überdeutlich vernahm der Kreml eine akademische und politische Debatte über das Übel des Kommunismus und die Führbarkeit von begrenzten nuklearen Kriegen.[...]

Sowjetische Karikatur aus der Satirezeitschrift
Sowjetische Karikatur aus der Satirezeitschrift "Krokodil" (1983)
Übersetzung

Die Jahre der Reagan-Administration werden heute allgemein als achtjähriger Vorlauf für das Ende des Kalten Krieges betrachtet. Diese Sichtweise ist retrospektiv nicht von der Hand zu weisen, sie darf jedoch nicht so verstanden werden, dass der Präsident von Anbeginn an über eine kohärente Sowjetpolitik mit dem Ziel der Überwindung des Kalten Krieges verfügt hat. Selbst Anhänger Reagans wie der Publizist Norman Podhoretz gestehen freimütig ein, dass Reagan selbst nicht wusste, welche konkreten strategischen Ziele er der UdSSR gegenüber verfolgen sollte. Es führt kein direkter und von langer Hand geplanter Weg von der Proklamation des �Reichs des Bösen» im Frühjahr 1983 über die Aufstellung von Pershing II-Raketen im Herbst des gleichen Jahres bis zur Unterzeichnung des INF-Vertrages fünf Jahre später.
Die Betonung des Jahres 1983 eröffnet eine neue Perspektive auf die Frage, was den Kalten Krieg �gefährlich» gemacht hat. Auffällig ist, dass zentrale Auseinandersetzungen wie die Berlin-Blockade und die Kuba-Krise friedlich beigelegt werden konnten, während periphere Konflikte wie in Korea und Vietnam zu Kriegen geführt haben. Bei zentralen Konflikten kam es beiden Seiten darauf an, mögliche Gegenreaktionen zu antizipieren und zu entschärfen; in peripheren Konflikten wie Korea, Vietnam und Afghanistan waren die Großmächte hingegen bereit, zum Mittel der Gewalt zu greifen, weil sie die mögliche Reaktion der Gegenseite falsch einschätzten bzw. durch Äußerungen fehlgeleitet wurden.
Die Gefahr des Jahres 1983 war nicht die des geplanten (amerikanischen oder sowjetischen) Militärschlages, sondern des Missverständnisses. [...]
Es erscheint völlig undenkbar, dass in einer offenen Gesellschaft wie den USA unbemerkt von der Öffentlichkeit ein atomarer Großangriff auf die UdSSR vorbereitet werden konnte. Das bedeutet jedoch nicht, dass Politiker in Staaten mit einer anderen politischen Kultur einen solchen Schritt nicht befürchtet haben mögen. Reagan hatte seine Politik gegenüber der UdSSR bereits vor dem Amtsantritt Michail Gorbatschows geändert. Der US-Präsident war als Folge der Krise von 1983 davon überzeugt, dass Konfrontationen mit der UdSSR verhindert werden mussten. Gleichzeitig war er zuversichtlich, dass der Trend der siebziger Jahre hin zu territorialen und politischen Gewinnen der Sowjetunion in seiner Amtszeit gebrochen worden war. Die UdSSR würde früher oder später unter dem Gewicht eigener Widersprüche zusammenbrechen. 1983 war das gefährliche Jahr des Kalten Krieges, weil die USA bereits davon ausgingen, den Ost-West-Konflikt auf Grund wirtschaftlicher und technologischer Überlegenheit gewonnen zu haben, während die UdSSR noch nicht so weit war, die eigene Niederlage einzugestehen.

Reagan, Bush und Gorbatschow in New York (1988)
Reagan, Bush und Gorbatschow in New York (1988)
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