Brot und Krieg für die Welt – Carl Bosch (1874-1940) und die Folgen der „Lösung“ des Stickstoff-Problems zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Hintergrund

Bedeutung


Der Name Bosch wird heute in erster Linie mit dem 1886 von Robert Bosch gegründeten Stuttgarter Automobilzulieferer- und Elektrotechnik-Konzern assoziiert. Sein Neffe Carl Bosch (1874-1940) ist weniger populär, doch sind dessen Erfindungen bzw. die Folgen seines Wirkens noch weitaus bedeutsamer.

1898 prophezeite der britische Naturforscher Sir William Crookes eine weltweite Ernährungskrise, so es denn nicht gelänge, den wichtigen Pflanzennährstoff Stickstoff, der in der Natur nur in begrenzter, vorwiegend von Bakterien umgesetzter organisch gebundener Menge vorkommt, und der um 1900 (abgesehen von organischem Dünger) vornehmlich aus den endlichen Ressourcen von Guano und Chilesalpeter gewonnen wurde, aus dem unbegrenzt verfügbaren Luftstickstoff zu erhalten bzw. zu fixieren. Erste industrielle Verfahren zur Stickstoffgewinnung wie etwa die Trockendestillation von Kohle, das Lichtbogenverfahren oder das Kalkstickstoffverfahren erwiesen sich als zu energieaufwendig bzw. zu wenig effizient und waren auf die Dauer nicht praktikabel.

1909 gelang es jedoch Fritz Haber, Luftstickstoff und Wasserstoff bei hohen Temperaturen und unter hohem Druck mittels eines bestimmten Katalysators zu Ammoniak zu synthetisieren. Damit war das Düngerproblem – theoretisch – gelöst, denn aus Ammoniak können weitere, für Pflanzen verwertbare Stickstoffverbindungen hergestellt werden. Bei der praktischen Umsetzung des Laborversuchs von Haber in den großtechnischen Maßstab traten jedoch immense verfahrenstechnische Schwierigkeiten auf. Es ist das besondere Verdienst des 1931 dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichneten BASF-Chemikers und Ingenieurs Carl Bosch sowie seines engen Mitarbeiters Alwin Mittasch, diese Schwierigkeiten v. a. durch die Entwicklung eines doppelwandigen Hochdruckreaktors und eines kostengünstigen Katalysators überwunden zu haben. 1913 wurde im BASF-Werk Oppau die erste Produktionsanlage für Ammoniak eröffnet.

Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, führte die von England gegen die Mittelmächte verhängte Seeblockade zu einem drastischen Einbruch der deutschen Salpeterversorgung. Dies stellte nun aber nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für die deutsche Rüstungsindustrie ein großes Problem dar, da Salpeter nicht nur zu Düngemitteln verarbeitet werden kann, sondern auch einen wichtigen Grundstoff für die Munitionserzeugung bildet. Der Chef der AEG, Walther Rathenau, warnte bereits zu Beginn des Krieges eindringlich vor einer Munitionskrise und wurde daraufhin mit dem Aufbau der Kriegsrohstoffabteilung (KRA) im Preußischen Kriegsministerium betraut. Nachdem der als Bewegungskrieg geplante Feldzug bereits nach der ersten Schlacht an der Marne in einem mutmaßlich langwierigen Stellungskrieg erstarrte und eine Kapitulation des Deutschen Reiches infolge Munitionsmangels spätestens für das Frühjahr 1915 absehbar wurde, setzte Rathenau auf den staatlich subventionierten Bau von Salpeterfabriken. Als Sachverständiger gab Carl Bosch bei einer Konferenz im Kriegsministerium im September 1914 das Versprechen, innerhalb weniger Monate ein weiteres Verfahren entwickeln zu können, das die Weiterverarbeitung des hochdrucksynthetisch erzeugten Ammoniaks zu Salpetersäure bzw. Salpeter für die Sprengstoffindustrie ermöglichen sollte. Eine entsprechende Anlage konnte auch wirklich bereits im Februar 1915 ebenfalls in Oppau in Betrieb genommen werden.

Mit dem Übergang zum militärstrategischen Konzept der Materialschlachten, nach dem die Überlegenheit des Kriegsmaterials den Ausschlag geben sollte, wuchs der militärische Bedarf an Stickstoff – bei gleichzeitig notorischer Unterversorgung der Landwirtschaft – immer mehr an. Unter Vermittlung Fritz Habers stimmte Carl Bosch daher dem Ansinnen der Verantwortlichen im Kriegsministerium zum Aufbau einer zweiten Ammoniakfabrik im mitteldeutschen Leuna bei Merseburg zu. Ab Mai 1916 wurde hier mit beeindruckender Dynamik ein gigantischer Industriekomplex aus dem Boden gestampft und unter dem Eindruck des u. a. auf eine Verdopplung der Munitionsproduktion hinauslaufenden Hindenburg-Programms vom August 1916 mehrfach erweitert.

So gesehen wird man sagen können, dass der Erste Weltkrieg ohne das Haber-Bosch-Verfahren bzw. das von Bosch mitentwickelte Verfahren der Oxidation von Ammoniak zu Salpetersäure sicher kürzer gewesen wäre. Andererseits wären diese Verfahren ohne den Krieg wohl nicht so schnell zur großtechnischen Reife gelangt, die Profite der BASF, die in den 1920er Jahren nach der Umstellung ihrer Stickstoffanlagen auf Friedensproduktion zum weltweit größten Düngemittelproduzent aufstieg, deutlich geringer ausgefallen, und die nach dem Krieg gerade in Deutschland besonders drängende Lebensmittelversorgung bzw. die Ernährungslage der Weltbevölkerung nicht so bald gebessert worden.

Vor diesem Hintergrund muss Boschs wichtigste Lebensleistung – andere Aspekte wie sein Eintreten für den Erhalt der von Frankreich in Frage gestellten deutschen chemischen Industrie nach Kriegsende, seine Bedeutung für die Zusammenführung derselben zum später weltweit agierenden I.G. Farben-Konzern, sein Engagement für eine deutsch-französische Verständigung während der Weimarer Republik, seine Vorbehalte gegenüber dem NS-Regime und sein Eintreten für verfolgte jüdische Wissenschaftler sowie nicht zuletzt seine beachtlichen Leistungen als Entomologe und Hobby-Astronom bleiben hier weitgehend außer Acht – differenziert betrachtet werden. Dies gilt im Übrigen nicht nur in historischer Perspektive, sondern auch mit Blick auf die Gegenwart: Einerseits verdankt knapp die Hälfte der nach wie vor wachsenden Weltbevölkerung ihr Leben einer erst durch das Haber-Bosch-Verfahren ermöglichten Dünge- und Nahrungsmittelproduktion. Zum anderen hat der wegen des Wachstums der Weltbevölkerung zunehmende Eintrag industriell erzeugter und von Organismen nicht direkt verwertbarer Stickstoffverbindungen in Böden, Gewässer und die Luft für die Menschheit höchst gefährliche humanbiologische und umweltschädliche Konsequenzen, deren Dimension insbesondere in der aktuellen Debatte um den globalen Klimawandel noch immer stark unterschätzt wird.


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Karlsruhe -

 


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