Vom Ländle ins Heilige Land – Spätmittelalterliche Reiseberichte aus Baden und Schwaben

Hintergrund

Bedeutung


 

Das Phänomen des Reisens im Mittelalter hat in den vergangenen Jahrzehnten in der Geschichtsforschung einen enormen Boom erlebt. Neben grundlegenden Darstellungen, bei denen insbesondere die Historiker Ohler und Reichert als Autoren zu nennen sind, sind viele Detailstudien erschienen, die sich mit bestimmten Aspekten der Reise beschäftigen. Reisen im Mittelalter waren dabei oft auf einzelne Berufs- und Personengruppen beschränkt. Dies gilt insbesondere für Reisen, die zum Zwecke der Mission, des Krieges oder des Handels unternommen wurden.

Ganz anders verhält es sich jedoch mit Pilgerreisen, die den Menschen im Mittelalter unabhängig von Alter, Geschlecht oder sozialer Zugehörigkeit möglich waren. Dies liegt auch an den vielfältigen Ausprägungen einer solchen Pilgerfahrt: Sie konnte mit einem lokalen Ziel nur wenige Tage dauern, mit einem Ziel von überregionaler Bedeutung jedoch auch auf mehrere Monate oder Jahre ausgedehnt werden. Solche fernen Ziele waren im Mittelalter die drei „peregrinationes maiores“ Rom, Santiago de Compostela und Jerusalem. Alle drei Orte verfügen über eine besondere spirituelle Bedeutung, die sie bis heute als Pilgerziel für Christen weltweit attraktiv macht.

 

B 6 Türkisches Schiff

 

Während die ersten beiden Pilgerstätten auf dem Landweg erreicht werden konnten, erschwerten die politischen Machtverhältnisse im östlichen Mittelmeerraum die Reise nach Jerusalem vor allem ab dem Hochmittelalter. Da Jerusalem nur mit dem Schiff erreichbar war, war eine solche Pilgerreise mit enormen Kosten verbunden, die – so vergleichen mittelalterliche Autoren – für den Bau eines Einfamilienhauses ausreichen würden. Daher kann bei den Pilgerfahrten nach Jerusalem, die im 15. Jahrhundert etwa 150 bis 500 Menschen im Jahr von Venedig aus unternahmen, nicht von einem „Massenphänomen“ gesprochen werden. Anders als beispielsweise bei Santiago de Compostela liegt uns jedoch für Jerusalem eine Vielzahl an Pilgerberichten vor, was das Pilgerziel für die historische Forschung besonders interessant macht.

Anhand der vielen Berichte lassen sich mehrere Motive erkennen, die die spätmittelalterlichen Pilger zum Aufbruch nach Jerusalem bewogen haben. Aus religiöser Sicht sind dabei zwei Aspekte zu nennen: Zum einen war mit der Fahrt ins Heilige Land und dem Besuch der Heiligen Stätten ein umfassender Ablass, d.h. der Erlass der zeitlichen Sündenstrafen vor Gott, verbunden. Zentrale Orte, die dabei aufgesucht wurden, waren die Grabeskirche, die Via Dolorosa und der Ölberg in Jerusalem und außerhalb Bethlehem und der Jordan. Zum anderen war Jerusalem in der christlichen Darstellung der „Nabel der Welt“, was zahlreiche Bild- und Textquellen belegen. Der Besuch dieses Ortes, der von Laien oft mit dem himmlischen Jerusalem gleichgesetzt wurde, erschien daher besonders reizvoll.

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B 14 Londoner Psalterkarte

 

Allerdings spielten gerade für Adlige und Ritter auch andere Motive eine Rolle: In der Forschung werden diese oft als „Abenteuerlust“ oder Suche nach einer Herausforderung beschrieben. Verbunden mit dieser Möglichkeit, sich angesichts von Gefahren auf dem Meer und im muslimischen „Feindesland“ ritterlich zu bewähren, war die Gelegenheit, in der Grabeskirche zum Ritter vom Heiligen Grab geschlagen zu werden. Im Gegensatz zu diesen Gefahren steht die Tatsache, dass eine Jerusalemfahrt im Spätmittelalter ähnlich einer modernen Pauschalreise organisiert war, d.h. ein venezianischer Reeder kümmerte sich gegen Bezahlung um das Schiff und die Verpflegung für die Überfahrt, die Verhandlungen mit den muslimischen Behörden im Heiligen Land sowie Dolmetscher, Reiseleitung und Unterkunft vor Ort.

Zudem ist die Neugier als Reisemotiv nicht zu unterschätzen. Dies wird beispielsweise bei Felix Fabri, einem Dominikanermönch aus Ulm, deutlich, der heute als populärster Pilgerautor des Mittelalters gilt und dessen Werk in der historischen Forschung ausführlich analysiert wurde. Fabri reiste zwei Mal ins Heilige Land und berichtet darüber in mehreren Texten sowohl in lateinischer als auch in deutscher Sprache. Sein umfangreiches lateinisches Evagatorium beschränkt sich nicht allein auf eine Auflistung der Reiseroute und Pilgerstätten, sondern enthält zahlreiche geografische und ethnografische Exkurse. Neben dem Evagatorium verfasste Fabri unter anderem die „Sionspilgern“, eine Pilgerfahrt im Geiste in deutscher Sprache. Die Berichte von Konrad Grünenberg und Paulus Waltherus hingegen sind weit weniger verbreitet. So liegen von Grünenberg zwei deutsche Handschriften vor, von denen die aus St. Peter jüngst neu ediert und kommentiert wurde. Von Paulus Waltherus‘ lateinischem Bericht ist lediglich eine Handschrift erhalten, deren 1892 erschienene Edition nur einen Teil des Werkes umfasst.

 

B 12 Darstellung der Sarazenen

 

Wie die meisten Autoren berichten auch die drei aus Baden-Württemberg stammenden Reisenden nicht nur von religiösen Stätten, sondern schildern auch die Begegnung mit den Einheimischen. Abgesehen von wenigen persönlichen Kontakten, die als gelungen bezeichnet werden können, herrscht dabei eine sehr negative Darstellung der Muslime vor. Die Gründe hierfür sind vielfältig: So spielt neben der Kürze des Aufenthalts, der oft nur wenige Tage oder Wochen betrug, die sprachliche Barriere eine große Rolle. Auch Vorurteile, zum Beispiel hinsichtlich einer ausschweifenden Lebensführung, und Stereotype prägen das Bild der meisten Palästinareisenden.

Außerdem war das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen durch zahlreiche Auseinandersetzungen, insbesondere während der Kreuzzüge, enorm belastet. Erlebnisse vor Ort wie Flüche und tätliche Angriffe, zum Beispiel mit Steinen, verstärkten das negative Bild der Reisenden von den Muslimen. Dies bezog sich vor allem auf deren Lebenswandel und religiöse Gewohnheiten, die als „Ketzerei“ abgewertet werden. Waltherus und vor allem Fabri greifen diese negativen Aspekte als Geistliche immer wieder auf, während Grünenberg als Ritter zwischen Abneigung und neugierigem Interesse steht und für einige Bräuche der Muslime teils sogar bewundernde Worte findet.


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Freiburg -


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