Didaktische Einführung zur Revolution 1918/19

Wie viel Anfang war möglich?

Dr. Michael Hoffmann (Kompetenzzentrum für geschichtliche Landeskunde)

 

1.Die Revolution 1918/19 im Bildungsplan Geschichte BW

Der baden-württembergische Bildungsplan Geschichte erkennt sowohl in der Sekundarstufe I als auch in der Sekundarstufe II der Revolution 1918/19 und den damit verbundenen Umbrüchen, den Hoffnungen und Chancen, aber auch den Herausforderungen und Problemen eine eigene Wertigkeit an. Während in Klasse 8 der demokratische Neuanfang in der Weimarer Republik erläutert werden soll, unter besonderer Berücksichtigung des institutionellen Charakters (Reichsverfassung) und der Belastungen, wird in Klasse 11 der Schwerpunkt auf den Charakter des Um- bzw. Durchbruchs der und zur parlamentarischen Demoratie gelegt, wobei Begriffe wie Novemberrevolution, Dolchstoßlegende, Systemwechsel und Elitenkontinuität verbindlich sind.

 

2. Didaktische Schwerpunktsetzung

Die Geschichte der Revolution von 1918/19 kann aus mindestens drei demokratiegerschichtlichen Perspektiven erzählt werden. Zum einen als Erfüllungsgeschichte, d.h. als weiterer wichtiger Meilenstein deutscher Partizipationstradition, der im deutschen Südwesten an die Verfassungen in Baden (1818) und Württemberg (1819), die Revolution 1848/49 und eine große liberale Bewegung über das 19.Jahrhundert hinweg anknüpfen kann. Zum anderen als Krisengeschichte, die vom Scheitern der Weimarer Republik her gedacht vor allem versucht, frühe Belastungsfaktoren und Startschwierigkeiten herauszuarbeiten.

Auf die Gefahr, die Demokratiegeschichte seit dem ausgehenden Mittelalter als lineare Erfolgsgeschichte zu charakterisieren, hat jüngst auch der Historiker Paul Nolte hingewiesen. In seinem historischen Längsschnitt hat er neben diese beiden Perspektive der „Demokratie als Erfüllungsgeschichte“ und als "Krisengeschichte" auch die der Demokratie als „Suchbewegung“ gestellt. Mit „Suchbewegung“ meint er in diesem Zusammenhang das Nebeneinander bzw. gar die Konkurrenz mehrerer Vorstellungen von politischer Partizipation, wie sie sich im Südwesten z.B. 1918/19 manifestierten, deren klares Ziel noch nicht eindeutig festlegbar war.  Nolte hat die Demokratie daher auch als „offen, historisch kontingent, extrem flüssig – und doch offenbar nicht beliebig“ bezeichnet, die sich in einem weiteren Sinne eher „stolpernd“ als zielgerichtet entwickelt habe.
(Paul Nolte: Was ist Demokratie? Geschichte und Gegenwart. München 2012, S. 17-19, das Zitat S. 23.)

Dies kann im Unterricht durch einen Sprung in die Zeit selbst hinein erreicht werden, wobei die verschiedenen Akteure, deren Vorstellungen und Handlungen offen, d.h. ohne Blick auf das Kommende, betrachtet und damit auch einen Horizont des Möglichen absteckt werden: Demokratie als Suchbewegung.

Wer hat die legitime Gewalt?

 

Provisorische Landesregierung in Württemberg 9.November 1918

Mitglieder im Landesausschuss der Arbeiterräte Württembergs, 1919

 

Dieser Zugriff kann den Schülerinnen und Schülern die grundsätzliche Offenheit von Geschichte nahe bringen und helfen, auch in Alternativen zu denken. Welches politische System konnte mehr Legitimität beanspruchen, die parlamentarische Republik oder die Räterepublik? Was wäre vielleicht passiert, wenn ein gemäßigtes Rätesystem institutionalisiert worden wäre und die alten Eliten ihren Einfluss nicht beinahe uneingeschränkt behalten hätten? Diese und andere Fragen erlauben schließlich auch ein differenziertes Urteil über den Zäsurcharakter dieser Revolution.

3. Regionalgeschichtliche Potenziale

Die wesentlichen Ereignisse der Umbruchsphase 1918/19 fanden auf Ebene des Reiches statt, in Berlin und in Weimar, insofern folgten die Entwicklungen in Baden und Württemberg hier der nationalen Politik. Gerade deshalb lassen sich auf der regionalen, teilweise auch kommunalen Ebene dieselben Prozesse besser konkretisieren und veranschaulichen. Zudem wird eine genauere Betrachtung der Zusammenhänge, Konstellationen und nicht zuletzt der Personen bzw. Gruppen, die unterschiedlich auf die Ereignisse einwirken, ermöglicht. Multikausalität und Multiperspektivität erfahren hier eine echte Verwirklichung.

Reichsebene und regionale Ebene weisen wichtige Paralellen auf: so fanden wesentliche Umsturzereignisse am 9./10.11.1918 statt, in Berlin gleichermaßen wie in Stuttgart und Karlsruhe, aber selbst auch in den kleineren Städten des Südwestens. Überall bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte, die mit ihren Sitzungen, den festgehaltenen Protokollen und der quasi amtlichen Kommunikation mit den Behörden eindeutig legitime Herrschaft beanspruchten. Sie bildeten Landesausschüsse, die in den folgenden zwei Monaten von einer zunehmenden Polarisierung zwischen einem sozialdemokratisch-parlamentarischen und einem spartakistischen Flügel geprägt waren. Die kommunistische Minderheit innerhalb der Rätebewegung fand sich zunehmend zu gewaltsamen Aktionen bereit, je näher die Parlamentarisierung des Reiches rückte.Im Stuttgart kam es zu Januaraufständen 1919, im Februar zu einer kurzen Räterepublik in Mannheim, im April zu einem Generalstreik in Stuttgart (Unterrichtsmaterial als pdf). Obwohl diese Ereignisse weit weniger Blutvergießen als die in Berlin oder München forderten, lässt sich auch an ihnen die latente Gefahr eines Bürgerkriegs, die oft instrumentalisierte Drohkulisse der russischen Revolution und die Spaltung der Arbeiterbewegung ablesen.

Der Revolutionsverlauf aufs Reichsebene lässt sich damit in gleiche Phasen einteilen wie in Baden und Württemberg:

 

Gleichwohl sollten die Schülerinnen und Schüler im Rückblick auch auf einige Unterschiede aufmerksam gemacht werden, die den Revolutionsverlauf in Baden und Württemberg vom Reich abhoben. Da ist zum einen  der deutlich sanftere Übergang von Monarchie zu Republik: Sowohl Großherzog Friedrich II.  von Baden wie auch König Wilhelm II. von Württemberg dankten erst Ende November, beide waren beliebt und genossen bis in die Reihen der MSPD hinein Ansehen. Die ersten Wahlen fanden hingegen früher als auf Reichsebene statt, in Baden am 5.1.1919, in Württemberg am 12.1.1919 , die legitimatorische Lücke war also deutlich kürzer als im Reich. Und schließlich waren in der Zeit des Übergangs Zentrum, Linksliberale und Nationalliberale in die provisorischen Regierungen Badens und Württembergs integriert, weshalb man von einer Einbindung der bürgerlichen Kräfte sprechen kann.

4. Umsetzung im Unterricht

4.1. Zwischen Rätediktatur und Demokratie: Die Landesauschüsse der Arbeiter und Soldatenräte

Die Reden, Stellungnahmen und Beschlüsse der Landesausschüsse spiegeln die unterschiedlichen Ziele, Mittel und Positionen innerhalb der Rätebewegung wider und veranschaulichen damit die oben beschriebene Suchbewegung. Akteure, Traditionen und Konflikte können so in ihrem Zusammenwirken erfasst werden.

Stand am Anfang noch ein unbestimmtes "Jetzt wollen wir auch einmal mitreden" (Soldatenrat Fischer 17.11.1918) , ohne sich von "monarchischer Reaktion" oder "bolschewistischem Terror" missbrauchen zu lassen, entstanden bald heftige Debatten darüber, ob die Lebensmittelversorgung oder auch die Kontrolle der Armee von den Institutionen allein oder nur bei gleichzeitiger Kontrolle durch Arbeiterräte erfolgen sollte. Als die Parlamentarisierung des Reiches und die Auflösung der Räte im Juni 1919 bereits weit fortgeschritten war, beklagte sich noch der Soldatenrat und gemäßigte SPD-Abgeordnete Hof aus Ulm über die verpasste Chance der Rätekontrolle: "Ein Ministerium aber, das mit feudalen Monokelträgern ebenso so reich gesegnet ist wie vor der Revolution, ist für die Einführung revolutionärer Neuheiten, wo es keine Vorrechte, sondern gleiche Rechte und Pflichten geben soll, nicht zu haben.(...) Die Klassenunterschiede werden hier durch einen Sozialdemokraten bestimmt, statt beseitigt. Aus Ihrem Reichswehrgesetz spricht der echte preußische Offiziersgeist und man hört daraus schon wieder das Säbelrasseln der unnahbaren Offizierskaste aus der Zeit Wilhelms des Letzten."

Die Quellentexte mit Arbeitsauftrag für eine Gruppenarbeit sind hier (pdf).

 4.2. Revolution auch bei uns?  Lokale Spurensuche

Die revolutionären Ereignisse schlugen sich in vielen Fällen auch auf kommunaler Ebene nieder: Arbeiterräte entstanden auch in kleinen Provinzstädten und sogar Dörfern, wobei diese in der Regel die Aufrechterhaltung von Ordnung, Sicherheit und Versorgung in Kooperation, manchmal auch in Konkurrenz, selten aber im Konflikt mit den Behörden suchten. Durch das Digitalisierungsprojekt des Landesarchivs hat man nun Zugriff auf viele Originaldokumente, die ebenfalls die Suchbewegung an der Basis illustrieren.

Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, mit einer Klasse Dokumente im kommunalen Archiv - nach vorheriger Absprache - zu untersuchen. Als für die Schülerinnen und Schüler lesbare Quellentypen stehen in der Regel zur Verfügung: Plakate aus der Revolutionszeit, die lokale Zeitung und ihre Berichterstattung auf lokaler und Reichsebene, oftmals maschinenschriftliche Schreiben des örtlichen Arbeiterrates, Protokolle des Gemeinderates, möglicherweise auch noch eine Fotosammlung. Die einzelnen Quellentypen können auf ihre Herkunft und Aussagekraft überprüft werden und somit nicht nur der Unterschied zwischen Darstellung und Quelle, sondern auch der zwischen absichtlicher und absichtlicher Überlieferung erkannt werden.

Die Volkswehrwache Karlsruhe-Rüppurr im Oktober 1919

 

Ein Besuch im Archiv könnte damit folgende Struktur haben:

Entwicklung einer gemeinsamen Fragestellung im Unterricht

Wie verliefen Kriegsende und Revolution 1918/19 bei uns in ...?
Hypothesen

Gruppenarbeitsphase vor Ort Gruppe Plakate, Gruppe Tageszeitung (wichtige Ereignisse 1918), Gruppe Tageszeitung (wichtige Ereignisse 1919), Gruppe Gemeinderatsprotokolle, Gruppe Protokolle und Briefe des Arbeiterrates, Gruppe Fotosammlung
Gemeinsame Auswertung vor Ort Quellengattung/Quellenwert
Ereignisse/Personen/Institutionen
Zeitraum
Ergebnisse/Erkenntnisse
Reflexion in der Schule Zeitstrahl oder Tabelle: Gegenüberstellung lokale Ebene/Reich

 

4.3. Ein Interview mit der Geschichte: Zeitzeugenberichte aus der Revolution 1918/19

Bei diesem Unterrichtsmodul befassen sich die Schülerinnen und Schüler kritisch mit Zeitzeugenberichten und Bewertungen maßgeblicher Politiker aus der Revolution 1918/19, die den Übergang von der Monarchie zu einem demokratischen Staatswesen bringen sollte. Sie erfahren dabei, dass sich in den letzten Wochen des Jahres 1918 die grundsätzliche Frage stellte, ob die Revolution zu einer parlamentarischen Demokratie westlicher Prägung oder zu einer Räteherrschaft sowjetischen Typs führen sollte, wie sie ein Jahr zuvor in Russland entstanden war. Sie können am landesgeschichtlichen Beispiel der Vorgänge während der Revolution in Württemberg erklären, warum sich im Unterschied zu Russland die Anhänger eines Rätesystems in Württemberg nicht durchsetzen konnten.

4.4. Heraus mit dem Frauenwahlrecht!  Genese und Umsetzung des Frauenwahlrechts 1919

Dass Frauen im Januar 1919 zum ersten Mal in der deutschen Geschichte wählen und gewählt werden durften, war einerseits auf eine bereits vor dem Krieg einsetzende Frauenrechtsbewegung, andererseits auf den umfassenden Einsatz von Frauen in traditionellen Männerberufen in der Kriegswirtschaft zurückzuführen. Das Wirken von Clara Zetkin, auf bereitet in einem Unterrichtsmodul, kann exemplarisch für diesem Kampf um Demokratie und Gleichberechtigung stehen.

In Baden und Württemberg haben Frauen ganz besonders in diesem neuen Rahmen gewirkt. Historiker führen die sehr hohe Wahlbeteiligung bei den Wahlen 1919 (Baden: 88,8%, Württemberg: 90,7%) besonders auf die Beteiligung von Frauen zurück, auch übetraf der Anteil der gewählten Frauen, 13 in Württemberg, 9 in Baden, den Reichsdurchschnitt.

In einer regionalen Betrachtung können außerdem auch noch Stimmen von Frauen und Männern dazu gehört werden, die die verschiedenen Perspektiven auf das Frauenwahlrecht zum Ausdruck bringen.

So verkündete die DDP-Abgeordnete Marianne Weber im badischen Landtag in Karlsruhe am 15.1.1919 selbstbewusst: "Wir Frauen können nur unserer hohen Freude und Befriedigung darüber Ausdruck geben, dass wir zu dieser Aufgabe mitberufen sind, und ich glaube, sagen zu dürfen, dass wir besser für sie vorbereitet sind, als vielleicht die meisten von Ihnen glauben."

Demgegenüber lautete die Einschätzung der katholischen Ipf- und Jagst-Zeitung bereits am 11.11.1918:

"Einige Punkte, wie das Frauenstimmrecht, klingen unseren Ohren noch etwas paradox; aber letzteres ist nicht gerade so, dass letzteres den Weltuntergang bedeuten würde."