Historisch fragwürdige Straßennamen in Freiburg - beibehalten, ändern oder ... ?

Hintergrund

Zeittafel


Ende des 18. Jahrhunderts
Beginn der Benennung von Straßen nach Personen - die Einführung des Namens 'Kaiserstraße' in Freiburg nach einem Besuch von Kaiser Joseph II. lässt sich in diesem Kontext sehen.

1810
Ein Verzeichnis listet, anders als sein Vorgänger von 1806, die Freiburger "Stadtgassen" auf. Unter diesen ist die "Nußmannsgasse", offenbar die heutige "Nußmannstraße", die nach der "alten Freiburger Patrizierfamilie Nußbaum [sic]" benannt ist.

2. Oktober 1927
An seinem 80. Geburtstag wird, unter anderem auf Anregung des 'Alldeutschen Verbandes', die Geleitstraße nach Paul von Hindenburg umbenannt, der seit zwei Jahren Reichspräsident ist. 

Hindenburgstraße

B 2: Die Hindenburgstraße war eine der zwölf Straßen, deren Umbenennung die 'Kommission zur Überprüfung der Freiburger Straßennamen' 2016 vorgeschlagen hat. Im Oktober 2020 wurde sie in Otto-Wels-Straße umbenannt.

 
27. März 1933
Der seit März 1925 nach Friedrich Ebert benannte Platz am Holzmarkt wird zum Hindenburgplatz umbenannt (vgl. B5). Bis zum 11. September 1944 werden von der nationalsozialistischen Stadtverwaltung insgesamt 144 Freiburger Straßen neu benannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhält der Platz wieder den Namen Holzmarkt. Nach Ebert wird 1948 der bisherige Hohenzollernplatz umbenannt. 

 

B3: Die Freiburger Zeitung berichtet am 28. März 1933 in ihrem Zweiten Abendblatt in einer kleinen Notiz von der Umbenennung des Friedrich-Ebert-Platzes und erwähnt ferner die Absicht, eine noch nicht bestimmte Straße nach Horst Wessel zu benennen.

B 3: Die Freiburger Zeitung berichtet am 28. März 1933 in ihrem Zweiten Abendblatt in einer kleinen Notiz von der Umbenennung des Friedrich-Ebert-Platzes und erwähnt ferner die Absicht, eine noch nicht bestimmte Straße nach Horst Wessel zu benennen.

 
4. April 1933
Freiburg erhält eine Adolf-Hitler-Straße. Zunächst handelt es sich dabei nur um ein kurzes Stück des heutigen Leopoldrings zwischen Siegesdenkmal und Stadtgarten. 

 B4:  Die Freiburger Zeitung berichtet am 5. April 1933 auf Seite 3 ihrer Morgenausgabe von der Umbenennung eines kurzen, am Siegesdenkmal nach Osten abzweigenden Teilstücks der Kaiserstraße "zu Ehren des Herrn Reichskanzlers". Parallel dazu werden eine Horst-Wessel-Straße und eine Schlageter-Straße neu benannt.

 B 4:  Die Freiburger Zeitung berichtet am 5. April 1933 auf Seite 3 ihrer Morgenausgabe von der Umbenennung eines kurzen, am Siegesdenkmal nach Osten abzweigenden Teilstücks der Kaiserstraße "zu Ehren des Herrn Reichskanzlers". Parallel dazu werden eine Horst-Wessel-Straße und eine Schlageter-Straße neu benannt.
Dabei bleibt es bis 1936/37: Erst im Einwohnerbuch für 1937 wird für die Adolf-Hitler-Straße ein Verlauf von der Oken- bis zur Holbeinstraße angegeben. Die Adolf-Hitler-Straße umfasst also nunmehr die Straßen, die heute als Habsburger-, Kaiser-Joseph- und Günterstalstraße bekannt sind. Die Schlageter-Straße wird um das bis dahin nach Hitler benannte Straßenstück zwischen Siegesdenkmal und Stadtgarten verlängert.

 

 

Ausschnitt aus dem Stadtplan des Freiburger Vermessungsamts von 1937

B 5: Ausschnitt aus dem Stadtplan des Freiburger Vermessungsamts von 1937. Die zentrale Nord-Süd-Achse durch die Innenstadt ist seit Kurzem nach Hitler benannt. In der Bildmitte ist der seit März 1933 so bezeichnete Hindenburgplatz zu sehen.


1938
Im Einwohnerbuch der Stadt Freiburg ist der Name des Augenarztes Karl Axenfeld (1867-1930) verschwunden, der als Namensgeber für eine geplante, aber noch unbebaute Straße vorgesehen war. Axenfelds in Russland geborener Großvater war vom jüdischen zum protestantischen Glauben konvertiert. 

uszüge aus den Freiburger Einwohnerbüchern von 1937 (links) und 1938.
 

B 6: Auszüge aus den Freiburger Einwohnerbüchern von 1937 (links) und 1938. Nicht nur Friedrich Ebert gilt nach 1933 nicht mehr als geeigneter Namenspatron einer Freiburger Straße: Die noch 1937 geplante Axenfeldstraße ist 1938 aus dem Einwohnerbuch verschwunden, aller Wahrscheinlichkeit nach aufgrund von Axenfelds jüdischer Abstammung. Die Idee, eine Straße nach Axenfeld zu benennen, der einen Lehrstuhl an der Freiburger Universität innehatte und auch internationales Renommee genoß, wird nach dem Krieg offenbar nicht mehr aufgegriffen.

 
April / Mai 1945
In Absprache mit den französischen Militärbehörden lässt die Stadtverwaltung belastete Straßenschilder entfernen. Insgesamt werden 22 Freiburger Straßen umbenannt, zu denen neben der Adolf-Hitler-Straße auch die Ludendorff-Straße, die Memelstraße und der Platz Danziger Freiheit (vor der Johanneskirche) zählen.

13. Mai 1946
Eine Direktive des Alliierten Kontrollrats verfügt - unter anderem - die Beseitigung von Straßenschildern, "die darauf abzielen,  die deutsche militärische Tradition zu bewahren und lebendig zu erhalten, den Militarismus wachzurufen oder die Erinnerung an die nationalsozialistische Partei aufrechtzuerhalten, oder ihrem Wesen nach in der Verherrlichung von kriegerischen Ereignissen bestehen". Möglicherweise aufgrund dieser Direktive ist der 1934 vorgesehene Name 'Scharnhorststraße' heute nicht unter den Freiburger Straßennamen vertreten.

1947
Das amtliche Einwohnerbuch listet 29 Straßen auf, die nach dem Krieg neue Namen erhalten haben. Darunter ist zwar der Hindenburgplatz, nicht aber die Hindenburgstraße.

 

Auflistung der unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg umbenannten Freiburger Straßen

B 7: Auflistung der unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg umbenannten Freiburger Straßen. Offenbar sind nicht alle Umbenennungen politisch bedingt: Die Prinz-Eugen-Straße etwa wird nur verlegt, während die Bahnhofstraße und die Rathausgasse ohne erkennbaren Grund verschwinden. Bismarck feiert 1956 in Gestalt der Bismarckallee ein Comeback, zu Lasten des nach dem Krieg zunächst verwendeten Namens Vaubanstraße.

 1984
Die SPD-Gemeinderatsfraktion beantragt die Umbenennung der Straßen im sogenannten 'Heldenviertel', die 1934 nach 'Helden' des Ersten Weltkriegs bzw. nationalen Schriftstellern und den Schlachten bei Langemark und am Skagerrak benannt worden waren. Der Antrag findet keine Mehrheit, doch wird an der Ecke Merzhauser- / Admiral-Spee-Straße eine Tafel angebracht, die die Geschichte des Viertels skizziert.

 

Die Mitte der Achtzigerjahre angebrachte und heute (2018) nicht mehr vorhandene Tafel zur Geschichte des 'Heldenviertels'

B 8: Die Mitte der Achtzigerjahre angebrachte und heute (2018) nicht mehr vorhandene Tafel zur Geschichte des 'Heldenviertels'. Unter den toten 'Helden', nach denen hier 1934 Straßen benannt wurden, ist auch der General Max von Gallwitz, der im Ersten Weltkrieg unter anderem während der äußerst verlustreichen Schlacht von Verdun Befehlshaber war. Von 1920 bis 1924 saß Gallwitz für die DNVP im Reichstag, 1931 nahm er an der Gründungsversammlung der antidemokratischen Harzburger Front teil. Der 1915 zum Freiburger Ehrenbürger ernannte Gallwitz ist an prominenter Stelle auf dem Hauptfriedhof der Stadt begraben. Als Mahner für "Frieden und Völkerverständigung" ist Gallwitz angesichts seiner Vita schwerlich geeignet.

 Sommer 1996
Eine anonyme Gruppe verteilt einen offenen Brief "an die BewohnerInnen des 'Freiburger Heldenviertels'", in dem sie die Geschichte des Viertels und die dort verwendeten Straßennamen erläutert. Die 1984 aufgestellte Tafel (vgl. B 8) wird in diesem Brief kritisiert, da sie, erstens, die darauf erwähnten Toten zu Unrecht als "Opfer" der Nationalsozialisten darstelle, da sie, zweitens, nicht unterscheide "zwischen Tätern und Opfern" des Ersten Weltkrieges, da, drittens, die Präsentation von "Kriegstreiber[n]" als "Mahner für Frieden und Völkerverständigung" paradox sei, und da sie, viertens, Zusammenhänge zwischen den beiden Weltkriegen ignoriere.
 

'Heldenviertel': Gallwitz- und Skagerrakstraße (R. Sammet 2017)
 

B 9: Gallwitz- und Skagerrakstraße im sogenannten 'Heldenviertel' in der Wiehre. Erstere gehört zu den Straßen, deren Namen die 'Kommission zur Überprüfung der Freiburger Straßennamen' 2016 zur Änderung vorschlug. Letztere soll ihren Namen behalten, der an die größte Seeschlacht des Ersten Weltkriegs erinnert.

 
8. November 2012
Der Freiburger Gemeinderat beschließt, alle rund 1360 Namen der Freiburger Straßen und Plätze von einer 'Kommission zur Überprüfung der Freiburger Straßennamen' wissenschaftlich beurteilen zu lassen.

19. April 2013
Die Kommission, der vier Historiker, eine Soziologin, eine Politologin und zwei VertreterInnen von Freiburger Archiven angehören, nimmt ihre Arbeit auf. Bis März 2016 tagt die Kommission achtzehnmal.

18. März 2016
Die Kommission legt ihren Abschlussbericht vor, der die Umbenennung von zwölf Straßen vorsieht:
- Alban-Stolz-Straße (seit Oktober 2020: Denzlinger Straße)
- Eckerstraße (seit Mai 2018: Ernst-Zermelo-Straße)
- Gallwitzstraße (seit November 2018: Matthias-Erzberger-Straße)
- Hegarstraße (seit Mai 2018: Hilde-Mangold-Straße)
- Hindenburgstraße (seit Oktober 2020: Otto-Wels-Straße)
- Julius-Brecht-Straße (seit Juli 2019: Martha-Walz-Birrer-Straße)
- Lexerstraße (seit Mai 2018: Wilhelm-von-Moellendorff-Straße)
- Ludwig-Aschoff-Platz (seit Oktober 2020: Heinrich-Rosenberg-Platz)
- Ludwig-Heilmeyer-Weg (seit Mai 2018: George-de-Hevesy-Weg)
- Martin-Heidegger-Weg (seit Oktober 2020: Oberer Harbuckweg)
- Rennerstraße (seit November 2018: Grete-Borgmann-Straße)
- Sepp-Allgeier-Straße (seit Oktober 2020: Else-Wagner-Straße)
15 weitere Straßen mit fragwürdigen Namen sollen ihren Namen behalten, aber ein Ergänzungschild mit Erläuterungen zu ihrem Namensgeber erhalten.

Mai 2018
Die ersten neuen Straßenschilder für die fünf bereits umbenannten Freiburger Straßen werden angebracht. Darunter befindet sich, wie von der Kommission vorgeschlagen, ein Zusatzschild mit einer Erklärung zum alten Namen der Straße und den Gründen für die Umbenennung.

 

 Ernst-Zermelo-Straße

B 10: Die im Mai 2018 neu benannte Ernst-Zermelo-Straße mit dem Zusatzschild zum ehemaligen Namensgeber Alexander Ecker, das ausschließlich auf die problematische Seite von Ecker eingeht.
Die Kommission hatte vorgeschlagen, die Straße nach dem Mediziner Adolf Kußmaul zu benennen, der - wie Theodor Axenfeld - zu Beginn der Dreißigerjahre als Namensgeber einer Straße nahe der Uniklinik vorgesehen war. Offenbar hatte die Kommission übersehen, dass es seit Mitte der Sechzigerjahre eine Kußmaulstraße in Freiburg gibt.

 
2020
Die Umbenennung der zwölf von der Kommission vorgeschlagenen Straßen ist abgeschlossen.


 - Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Freiburg -


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