Hintergrundinformationen

Geschichte der Juden in Karlsruhe

1. Bedeutung

Schon wenige Jahre nach der Gründung von Karlsruhe zogen Juden in die werdende Stadt. 1733 stellten sie rund 12% der Bevölkerung. Wenn auch hernach der prozentuale Anteil der Juden an der Einwohnerschaft kontinuierlich absank, so spielte die Karlsruher jüdische Gemeinde, die zweitgrößte Badens, bis in die Zeit des Nationalsozialismus durchgängig eine wichtige Rolle in der Geschichte der Stadt. Die Karlsruher Juden nahmen in ihrer Gesamtheit einen sozialen Aufstieg und leisteten einen bedeutenden, aber dennoch oft übersehenen Beitrag als Mitgestalter der heraufziehenden bürgerlichen Gesellschaft, der modernen Wirtschaft, moderner urbaner Kultur und des modernen politischen Systems. Die z. T. über mehrere Generationen in der Stadt ansässigen Juden bildeten keine exotische, fremdartige Minderheit, sondern waren tief in der badischen und deutschen Kultur verwurzelt.
Zu unterstreichen ist auch, dass die Karlsruher Juden vor 1933 nie einen monolithischen Block bildeten - es gab nicht "die Juden", sondern eine arrivierte Oberschicht, einen Mittelstand und arme Juden, Juden, deren Familien schon seit zwei Jahrhunderten in Karlsruhe wohnten, und erst kürzlich zugewanderte Land- und Ostjuden, nationalliberale Monarchisten und Sozialdemokraten, Orthodoxe und Liberale, "deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens" und Zionisten.
Seit 1933 wurde die jüdische Gemeinde Karlsruhe systematisch zerschlagen, und mehr als 1.000 Karlsruher Jüdinnen und Juden kamen unter der Herrschaft des Nationalsozialismus gewaltsam ums Leben. Dies darf nie vergessen werden und daran muss immer wieder erinnert werden. Allerdings darf dies nicht dazu führen, Juden ausschließlich als Opfer von Gewalt und Unterdrückung, als passive Objekte der Geschichte zu betrachten.
Zu betonen ist schließlich, dass die Geschichte der Juden in Karlsruhe nicht mit der NS-Zeit aufhörte. Denn schon im Dezember 1945 wurde die jüdische Gemeinde Karlsruhe neu gegründet, 1971 eine architektonisch bemerkenswerte neue Synagoge eingeweiht, und seit den frühen 90er Jahren verzeichnete die neue jüdische Gemeinde durch Zuzug aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion ein starkes Wachstum.
Das vorliegende Modul will einladen, allgemeine Geschichte am Beispiel lokaler jüdischer Geschichte zu thematisieren, und einen Beitrag dazu leisten, die interessante, facettenreiche, keineswegs sich nur auf Verfolgung, Mord und Grauen beschränkende Geschichte der Juden in Karlsruhe vorzustellen.


2. Geschichte

Zeittafel

1349
In Zusammenhang mit der großen europäischen Pestwelle kommt es nach Auskunft des Deutzer Memorbuchs auch in Durlach zu Judenverfolgungen.

1547
Aufnahme von zwei jüdischen Familien in Durlach durch Markgraf Ernst I.

1670
Jüdische Einwohner sind in Mühlburg, ab 1677 auch in Grötzingen nachweisbar.

1715/1722
Privilegienbriefe, die der "Peuplierung" und Förderung Karlsruhes dienen sollen, bewegen auch Juden dazu, sich in der Stadt niederzulassen.

1723
Anlage des jüdischen Friedhofs am Mendelsohnplatz (1826 geschlossen)

1733
282 Juden leben in Karlsruhe; die Juden stellen damit 12% der Bevölkerung.

1750-1769
Der hoch angesehen Nathanael Weil wirkt als Rabbiner in Karlsruhe und als Oberlandrabbiner beider badischer. Markgrafschaften.

1752
Karlsruher Judenordnung, die im Kern bis 1809 gültig bleibt.

1755
Druck des Korban Nathanael, des Hauptwerks Nathanael Weils

1806
Einweihung der von Friedrich Weinbrenner entworfenen jüdischen Synagoge in der Kronenstraße in Anwesenheit von Markgraf Karl Friedrich

1.H. 19. Jh.
Begüterte Karlsruher Juden wie der Hoffaktor Elkan Reutlinger, der Bankier und Unternehmer David Seligmann (der spätere Freiherr von Eichthal) sowie die Bankiers Salomon von Haber und Löw Homburger sind wichtige Kreditgeber des badischen Staats, der Stadt Karlsruhe und der sich herausbildenden badischen Industrie.

1809
Die jüdische Religionsgemeinschaft wird im Großherzogtum Baden als "konstitutionsmäßig angenommenen Religionstheil" anerkannt. Der neu geschaffene Oberrat der Israeliten Badens hat seinen Sitz in Karlsruhe.

1815
724 Juden leben in Karlsruhe (4,9% der Bevölkerung).

1818
Die badische Verfassung erteilt Juden zwar das aktive Wahlrecht zur 2. Kammer der badischen Landstände, verweigert ihnen jedoch den Zugang zu Staatsämtern und das passive Wahlrecht.

1819
"Hep-Hep"-Unruhen in Karlsruhe

1826
Anlage eines neuen Friedhofs an der heutigen östlichen Kriegsstraße

1843
Ausschreitungen gegen das Haus des jüdischen Bankiers Moritz v. Haber

1849
Die Juden erhalten das passive Wahlrecht zu den badischen Landständen.

1851
Gemäß der revidierten badischen Gemeindeordnung können Juden auch zu Bürgermeistern und Gemeinderäten gewählt werden.

1861
Der jüdische Anwalt Rudolf Kusel aus Karlsruhe wird als erster Jude in die 2. badische Kammer gewählt.

1862
"Gesetz, die bürgerliche Gleichstellung der Israeliten betreffend": Die badischen Juden erhalten die endgültige rechtliche und politische Gleichberechtigung.

1868-1893
Der Karlsruher Jude Moritz Ellstätter wirkt als Präsident des badischen Finanzministeriums und als badischer Finanzminister. Ellstätter bleibt der einzige bekennende Jude, der im Kaiserreich ein Ministeramt bekleidet.

1869
Abspaltung der jüdischen orthodoxen Gemeinde von der liberalen Karlsruher Mehrheitsgemeinde

1871
Brand der Weinbrenner-Synagoge. In Karlsruhe leben 1329 Juden (3,6% der Bevölkerung).

1875
Einweihung der neuen von Josef Durm errichteten Synagoge in der Kronenstraße in Anwesenheit des großherzoglichen Paares

1876
Anlage von zwei jüdischen Begräbnisplätzen auf dem neuen Karlsruher Hauptfriedhof

1881
Einweihung der Synagoge der orthodoxen Gemeinde in der Karl-Friedrich-Straße

1910
3.058 Juden leben in Karlsruhe (2,3%der Bevölkerung).

1912-14
Bau der Warenhäuser Knopf und Tietz in Karlsruhe

1914-18
589 badische Juden fallen im Krieg, darunter 57 Karlsruher und ein Durlacher Jude.

1918/19
Ludwig Marum und Ludwig Haas Mitglieder der Badischen Vorläufigen Volksregierung

1933
3.358 Juden leben in Karlsruhe (einschließlich Durlachs, Grötzingens und Neureuts); dies entspricht 2,0% der Bevölkerung.

1933-40
Auswanderung von 2.159 Karlsruher Juden

1.4.1933
Boykott jüdischer Geschäfte, Kanzleien und Praxen in Karlsruhe

7.4.1933
Das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" führt zur Entfernung der Juden aus öffentlichen Ämtern.

29.3.1934
Ermordung Ludwig Marums im Konzentrationslager Kislau (siehe Unterrichtsmodul)

9.11.1938
In der Reichspogromnacht wird die orthodoxe jüdische Synagoge in der Karl-Friedrich-Straße niedergebrannt, die Synagoge in der Kronenstraße durch Brand beschädigt und anschließend auf Kosten der jüdischen Gemeinde abgerissen. 400-500 Karlsruher Juden werden verhaftet und zumeist ins Konzentrationslager Dachau eingeliefert.

Jan. 1939
Alle jüdischen Banken, Warenhäuser und Geschäfte sind "arisiert".

Mai 1939
Noch 1347 Juden leben in Karlsruhe.

22.10.1940
Deportation der badischen Juden nach Gurs (siehe Unterrichtsmodul)

1942
Beginn des Transports von (meist in Südfrankreich internierten) Karlsruher Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager des Ostens

Juni 1945
In Karlsruhe leben ca. 60 Juden.

7.12.1945
Neugründung der "Jüdischen Kultusgemeinde für Karlsruhe und Umgebung"

1951
Gründung der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Karlsruhe

1961-1988
Werner Nachmann Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Karlsruhes

1968-1971
Bau der neuen jüdischen Synagoge in der Knielinger Allee

1983
Die jüdische Gemeinde Karlsruhe, die mit der Pforzheimer Gemeinde eine Einheit bildet, hat 350 Mitglieder

1988
Einladung ehemaliger jüdischer Karlsruher Bürger durch die Stadt Karlsruhe; es erscheint Josef Werners Buch: "Hakenkreuz und Judenstern: das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich"

ab 1990
Zuwanderung von Juden aus der UdSSR bzw. deren Nachfolgestaaten

18.1.2010
Staatsvertrag zwischen dem Land Baden-Württemberg und den Israelitischen Religionsgemeinschaften Baden und Württemberg, der den Schutz der Glaubensausübung und der jüdischen Feiertage, den Rechtsanspruch auf schulischen Religionsunterricht und Seelsorge garantiert sowie das jüdische Gemeindeleben finanziell absichert

2011
Die Karlsruher jüdische Gemeinde umfasst über 900 Mitglieder

 

Juden im Karlsruher Raum vor 1715

Vor der Gründung Karlsruhes lässt sich die Ansiedlung von Juden auf dem Boden des heutigen Stadtgebiets für Durlach, Grötzingen und Mühlburg nachweisen. Nach Auskunft des Deutzer Memorbuchs kam es in Zusammenhang mit der großen europäischen Pestepidemie 1349 in Durlach zur Verfolgung von Juden. Zwischen 1547 und 1557 waren in Durlach wieder mindestens zwei jüdische Familien ansässig, danach kam es dort während des Dreißigjährigen Krieges vorübergehend und dann seit den 70er Jahren des 17. Jahrhunderts dauerhaft zur Ansiedlung von Juden. Als Folge der Zerstörung Durlachs im Jahr 1689 erleichterte die markgräfliche Herrschaft die Niederlassung von Juden in Durlach, so dass bis 1714 deren Anteil an der Bevölkerung auf 3% anstieg. Nach der Gründung Karlsruhes zogen die meisten der etwa 100 Durlacher Juden in die neue Residenzstadt.
Im Durlach benachbarten Grötzingen waren ab 1677 Juden wohnhaft, ebenso in Mühlburg zum Zeitpunkt der Stadterhebung durch Markgraf Friedrich VI. im Jahr 1670.

 

Die Karlsruher jüdischen Gemeinde zwischen 1715 und 1809

Am 17.6.1715 legte Markgraf Carl Wilhelm von Baden-Durlach den Grundstein für den Bau des Schlossturms und damit für die Residenz "Carols-Ruhe". Weiter wurde von ihm am 24.9.1715 ein Gnadenbrief erlassen, der die "Peuplierung" Karlsruhes zum Ziel hatte und Zuwanderern günstige Bedingungen für eine Existenzgründung in Karlsruhe (unter anderem Religionsfreiheit, kostenlose Zuteilung eines Grundstückes, befristete Befreiung von Steuern und Erteilung von Handelsprivilegien) bot. Dieses Ansiedlungsprivileg von 1715 enthielt zwar keine ausdrückliche Bestimmung über die Aufnahme von Juden, doch wurden diese zu den gleichen Bedingungen wie christliche Ansiedler aufgenommen. Auch der Privilegienbrief für die Stadt Karlsruhe aus dem Jahr 1722 bot den Juden Ansiedlungsbedingungen, die weit günstiger als in vielen anderen Orten des Reiches waren, wenn auch jüdische Neubürger nun ein mehr als doppelt so hohes Mindestvermögen (500 statt 200 Gulden) nachweisen mussten als neu Hinzuziehende christlichen Glaubens.
Von daher kann nicht verwundern, dass die jüdische Bevölkerung Karlsruhe relativ rasch anwuchs: Lebten 1720 71 Juden in der Stadt, so waren es 1733 bereits 282 (darunter bereits die Familien Ettlinger, Homburger, Meyer-Model, Reutlinger und Willstätter). Die Juden stellten damals 12% der Bevölkerung - ein Wert, der zukünftig unerreicht blieb. Der Großteil dieser jüdischen Zuwanderer stammte aus der Markgrafschaft Baden-Durlach, der Markgrafschaft Baden-Baden, dem Hochstift Speyer, der Kurpfalz und der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie im Allgemeinen als Händler und Krämer. Da es unter Umgehung der geltenden Bestimmungen aber auch zum Zuzug von mittellosen Juden kam, verfolgte die markgräfliche Regierung seit 1730 eine restriktivere Aufnahmepolitik. Diese fand auch in der Karlsruher Judenordnung vom 16.10.1752 ihren Niederschlag, die die Vermögensuntergrenze für jüdische Neubürger auf 1.500-2.000 Gulden heraufsetzte und jedes jüdische Familienoberhaupt zur Zahlung eines jährlichen Schutzgeldes verpflichtete. Infolgedessen stagnierte die Zuwanderung von Juden nach Karlsruhe, und 1764 lebten lediglich drei Juden mehr als im Jahr 1733 in der badischen Residenz. Erst ab 1770 wuchs die Zahl der Karlsruher Juden wieder deutlich an, wobei jedoch gleichzeitig der prozentuale Anteil der Juden an der Karlsruher Gesamtbevölkerung zurückging. So wohnten 1815 zwar 724 Juden in Karlsruhe, doch stellten diese nur noch 4,9% der Gesamtbevölkerung. Gleichwohl bildete die jüdische Gemeinde Karlsruhes hinter der Mannheims die größte der badischen Judengemeinden, und der Anteil der Juden an der Karlsruher Einwohnerschaft lag weiterhin deutlich über dem badischen Durchschnitt von 1,5%.
Die Karlsruher jüdische Gemeinde war nicht nur eine der größten, sondern auch eine der reichsten in Baden. Hierbei ist jedoch differenzierend anzumerken, dass innerhalb der Karlsruher Judenschaft ein starkes soziales Gefälle bestand. So konzentrierte sich 1799 das Gesamtvermögen der Juden bei sechs vor allem im Handel und im Geldgeschäft tätigen Familien (Elkan Emanuel Reutlinger, Hayum Levi, Salomon Models Witwe, Isaac Jakob Ettlinger, Salomon Haber, Jakob Hirsch Pforzheimer), während auf der anderen Seite mehr als ein Drittel der Karlsruher Juden fast mittellos war.
Was ihre Berufsstruktur betrifft, nahm die jüdische Gemeinde innerhalb der Karlsruher Gesamtbevölkerung während des gesamtem 18. Jahrhunderts eine Sonderstellung ein. Da Juden die Ausübung eines Handwerks mit Ausnahme des Metzgergewerbes untersagt war, gab es kaum jüdische Handwerker, wohl aber - unterhalb der schmalen Schicht der Hofagenten und Großkaufleute - zahlreiche Juden, die im Waren-, Vieh- und Kleinhandel tätig waren. Besondere Erwähnung verdient die Existenz einer jüdischen Druckerei, der seit 1719 bestehenden Heldschen Druckerei, die 1755 den Korban Nathanael, den bedeutenden Talmudkommentar des Karlsruher Rabbiners Nathanael Weil, veröffentlichte.

Oberlandrabbiner Nathanael Weil

Oberlandrabbiner Nathanael Weil (1687-1769).
© wikipedia

Als Rabbiner der jüdischen Gemeinde Karlsruhes wirkte zwischen 1718 und 1749 Nathan Uri Kahn, dem der schon erwähnte Nathanael Weil (1750-1769), Tia Weil (1770-1805) und Ascher Löw (1809-1837) folgten. Zuständig war der Rabbiner für die religiöse Unterweisung, die Leitung des Gottesdienstes, den Kontakt mit den großherzoglichen Behörden und den Erhalt des Gemeindefriedens, wozu er im Judengericht gemeinsam mit dem Judenschultheißen auch richterliche Funktionen zu übernehmen hatte. Hervorzuheben ist hierbei, dass der Karlsruher Rabbiner zugleich als badischer Oberlandrabbiner der Markgrafschaften Baden-Durlach und Baden-Baden fungierte.
Der von der Karlsruher Gemeinde gewählte Judenschultheiß - erster Inhaber dieses Amtes war der Hoffaktor Salomon Meyer (1724-1774) - hatte über die Einhaltung der Gemeindeordnung und die Eintracht der Gemeinde zu wachen, stand dem Judengericht vor, war für die Gemeindefinanzen sowie die soziale Fürsorge verantwortlich und nahm die Aufsicht über die jüdischen Metzger, das Schlachthaus, die jüdischen Lehrer, das Spital und alle Gemeindegebäude wahr. Unterstützend standen ihm die Vorsteher der jüdischen Gemeinde zur Seite, bis sie 1801 eine gleichberechtigte Stellung neben dem Judenschultheißen gewannen. Seit 1804 wurde das Amt des Judenschultheißen nicht mehr besetzt, bis dann schließlich das Edikt über die Juden vollkommen neue Organisationsstrukturen für die Juden in Baden schuf.
Die erste Karlsruher Synagoge errichtete die jüdische Gemeinde auf einem schon vor 1725 erworbenen Grundstück in der Kronenstraße. 1798/1806 wurde das Gebäude, das sich wohl kaum von den eingeschossigen Mansarddachhäusern seiner Umgebung unterschied, von einer von Friedrich Weinbrenner entworfenen Synagoge abgelöst. Dieser erste Weinbrenner-Großbau zählte mit seiner monumentalen Fassade, die mit ihren Pylonen an die Torbauten ägyptischer Tempel erinnerte, zu den Hauptsehenswürdigkeiten der jungen Stadt. Auch als Weinbrenner Im Jahr 1815 Goethe persönlich durch Karlsruhe führte, vergaß er nicht, ihm sein Frühwerk zu zeigen.

Die 1806 geweihte Synagoge in der Karlsruher Kronenstraße, Baumodell von Heinz Vogel, 1988.

Die 1806 geweihte Synagoge in der Karlsruher Kronenstraße, Baumodell von Heinz Vogel, 1988.
© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Neben der Synagoge verfügte die jüdische Gemeinde Karlsruhes über eine ganze Reihe weiterer wichtiger Einrichtungen, so über eine Mikwe, ein Bettelhaus (1726-1738 vor dem Mühlburger Tor, ab 1747 vor dem Rüppurrer Tor, 1808 auf dem Lohfeld, der heutigen Kapellenstraße, belegt), ein Schächthaus, ein Hospital in der Rüppurrer Straße (erbaut 1833/34)) sowie einen Begräbnisplatz. Dieser wurde 1723 auf dem späteren Mendelsohnplatz angelegt und bis 1826, als zwischen der heutigen Kriegs- und Kapellenstraße ein neuer (noch heute existierender) Friedhof geschaffen wurde, genutzt.

Alter jüdischer Friedhof in der östlichen Karlsruher Kriegsstraße.

Alter jüdischer Friedhof in der östlichen Karlsruher Kriegsstraße. Hoher Grabstein für Mina Reutlinger, geb. Löb (1822-1895), kleiner Grabstein links für Therese Freiberger.
© Alemannia-Judaica

Seit 1774 existierte auch eine jüdische Lese-, Schreib- und Rechenschule, die rasch einen guten Ruf gewann und 1798 von 23 Jungen und 17 Mädchen besucht wurde. Daneben erfolgte religiöse Unterweisung durch Privatlehrer und kleinere Privatschulen. 1814 beschloss dann der Oberrat der Israeliten Badens, eine Schule für Religion in Karlsruhe zu errichten, aus der 1822 die Israelitische Religions- und Elementarschule, die bis 1864 bestand, hervorging.
Das Zusammenleben von Christen und Juden im 18. Jahrhundert scheint weitgehend frei von ernsthaften Problemen und Streitfällen gewesen zu sein, allerdings ist belegt, dass 1773 die Feier des Jom-Kippur-Fests in der Synagoge durch eine aus Christen bestehende Menschenmenge gestört wurde.

 

Die Karlsruher jüdische Gemeinde in den Jahrzehnten der badischen Judenemanzipation (1809-1862)

Die jüdische Gemeinde Karlsruhe wuchs zwischen 1815 und 1861 von 724 auf 1.080 Köpfe an, wobei der Anteil der Juden an der Karlsruher Bevölkerung im gleichen Zeitraum von 4,9% auf 4,0% zurückging. Die Karlsruher jüdische Gemeinde war hierbei ab 1827 gemeinsam mit den Gemeinden Durlach, Ettlingen, Graben, Grötzingen, Königsbach, Liedolsheim, Malsch, Pforzheim und Weingarten dem neu geschaffenen Bezirksrabbinat Karlsruhe zugeordnet. Diese Regelung bestand bis 1885, danach gehörte die jüdische Gemeinde zusammen mit der Pforzheims zum Stadtrabbinat Karlsruhe.
Entscheidend geprägt waren die beiden ersten Drittel des 19 Jahrhunderts vom Prozess der Judenemanzipation, der mit einem tiefgreifenden Berufsumschichtungsprozess einherging. Seit dem ersten großherzoglichen Konstitutionsedikt vom 14.5.1807 war die jüdische Religion in Baden "konstitutionsmäßig geduldet", und das am 4.6.1808 erschienene sechste Konstitutionsedikt setzte in seinem Artikel 19 die badischen Juden den Christen "in den staatsbürgerlichen Verhältnissen" gleich. Ein weiteres Edikt Großherzogs Karl Friedrich von Baden vom 13.1.1809 erkannte die jüdische Religionsgemeinschaft schließlich als "konstitutionsmäßig angenommenen Religionstheil" an und wies ihr eine eigene kirchliche Landesorganisation zu. An ihrer Spitze stand der neunköpfige Oberrat, der in Karlsruhe ansässig war und dem generell der Karlsruher Rabbiner angehörte. Die eigene jüdische Gerichtsbarkeit und die bisher für Juden geltenden Heiratsbeschränkungen wurden aufgehoben, und der bürgerlichen Gleichstellung der Juden diente die Vorschrift, erbliche Familiennamen anzunehmen. Was den Schulbesuch betraf, sollten jüdische Kinder bis zum Aufbau eigener jüdischer Volksschulen die christlichen Schulen besuchen, die Erteilung des Religionsunterrichts sollte aber weiterhin in der Verantwortung der jüdischen Gemeinden liegen. Für den Besuch weiterführender Schulen wie auch bei der wissenschaftlichen Weiterbildung galten für Juden zukünftig die gleichen Gesetze wie für Nichtjuden. Das Edikt von 1809 verfolgte gegenüber den Juden auch ein Erziehungsprogramm. Es bestimmte nämlich, dass Juden, soweit sie sich nicht "höhern Studien" widmeten, zukünftig nach Abschluss der Schulzeit "irgend einer ordentlichen Lebens- und Berufsart im Staat, im Landbau oder in Gewerben aller Art" nachgehen sollten. Juden, die noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hatten, hätten - so betonte das Edikt - keine Aussicht auf eine Erteilung des Bürgerrechts, wenn sie dem "Nothhandel" nachgingen, dem die Viehmaklerei, der Hausierer- und Trödlerhandel sowie der Leihhandel (die pfandweise Vergabe von Kleinkrediten) zugerechnet wurden.

Schluss-Seiten des großherzoglichen Edikts über die Juden vom 13.1.1809

Schluss-Seiten des großherzoglichen Edikts über die Juden vom 13.1.1809.
© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Die badische Judenschaft stellte in den folgenden Jahren in erheblichem Umfang Geld zur Verfügung, um die erwünschte Ausbildung von Juden in Handwerksberufen zu ermöglichen. Auch wurden jüdische Vereine gegründet, die sich zum Ziel gesetzt hatten, einen Beitrag zur Änderung der traditionellen Berufsstruktur zu leisten (z. B. der "Verein zur Förderung des Ackerbaus unter den Israeliten" oder der "Verein der jüdischen Gewerbetreibenden").
In Karlsruhe vollzog sich als Folge der geschilderten Entwicklung schon bis 1832 eine starke berufliche Umschichtung der jüdischen Bevölkerung. So waren 1832 von 92 Juden, die im Handel tätig waren, nur noch 28 im Nothandel - zumeist als Trödler - engagiert, während die breite Mehrheit (44 Warenhändler, 5 Bankiers, 5 Eisenhändler, 5 Lederhändler, 5 Spezereihändler) dem "reellen Handel" zuzuordnen waren. 57 Juden arbeiteten als Meister (37), Gesellen (11) oder Lehrlinge (9) im Handwerk, 16 in akademischen Berufen (2 Advokaten, 3 Ärzte, 1 Zahnarzt, 2 Rabbiner, 1 Professor, 3 Lehrer, 1 Bergwerker, 2 Rechtspraktikanten, 1 Theologe) und 4 weitere Juden studierten
Unter den am meisten begüterten Karlsruher Juden der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts können der Hoffaktor Elkan Reutlinger (1769-1818), der Bankier und Unternehmer David Seligmann (der spätere Freiherr von Eichthal, 1775-1850, nobilitiert 1814) sowie die Bankiers Salomon von Haber (1764-1839; nobilitiert 1829) und Löw Homburger (1767-1843) genannt werden.

Porträt des badischen Hofagenten und Hofbankiers Salomon v. Haber

Porträt des badischen Hofagenten und Hofbankiers Salomon v. Haber (1764-1831).
© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

David Seligmann gründete im 1806 säkularisierten Kloster St. Blasien eine Spinnmaschinen- und Gewehrfabrik, Salomon von Haber beteiligte sich zusammen mit dem jüdischen Bankhaus Jakob Kusel (ebenfalls Karlsruhe) führend an der Gründung und Finanzierung der drei großen badischen Fabriken, der Zuckerfabrik Waghäusel, der Keßlerschen Maschinenfabrik Karlsruhe und der Spinnerei und Weberei Ettlingen, und Löw Homburger legte den Grundstein für das spätere Karlsruher Bankhaus Veit L. Homburger. Sie alle spielten damit eine bedeutsame Rolle für die Industrialisierung Badens, stellten aber zugleich - wie schon Elkan Reutlinger - dem badischen Staat und der Stadt Karlsruhe erhebliche Summen zur Verfügung. Welch bedeutende Stellung die genannten jüdischen Geschäftsleute im Karlsruher Wirtschaftsleben spielten, spiegelt sich nicht zuletzt darin, dass Kusel, Seligmann und Homburger 1813 als Gründungsmitglieder der "Handelsstube", der Vorläuferin der Karlsruher Handelskammer, auftraten. In der 1862 gegründeten Handelskammer spielten Juden dagegen keine besondere Rolle mehr und waren in deren Führungsgremium unterrepräsentiert.
Erkennbar war bei den Juden auch das Streben nach akademischer Bildung. Da ihnen bis 1862 eine Karriere im Staatsdienst unmöglich war, bedeutete dies eine Hinwendung zum Rechtsanwalts- und Arztberuf. So waren beispielsweise 1862 5 von 7 Karlsruher Rechtsanwälten Juden. Die Mehrzahl der Karlsruher Juden betätigte sich jedoch, wie die obige Statistik bereits verdeutlichte, im Einzelhandel. Besonders stark waren Juden im Textil-, Eisen- und Lederhandel vertreten, wo 1862 75% bzw. jeweils 50% der Geschäfte in jüdischem Besitz standen. Im Bereich des Handwerks waren Juden dagegen in vielen Bereichen überhaupt nicht oder nur gering vertreten; eine bedeutsame Ausnahme bildeten freilich die jüdischen Metzger, die 1862 21% der Karlsruher Metzgergeschäfte betrieben.
Unterhalb der jüdischen Ober- und Mittelschicht bildeten Trödler, Hausangestellte und Gehilfen ein jüdisches Unterschichtenmilieu.
Trotz der geschilderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformationsprozesse innerhalb des Judentums ließ die Gleichbehandlung und staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden noch recht lange auf sich warten. Zunächst waren die Juden, die die gleichen Steuern entrichteten wie andere badische Bürger auch, im Großherzogtum bis 1872 durch die Unterstützung der jüdischen Armen, Kranken, Alten und Waisen in besonderer Weise belastet. So musste z. B. das badische Ministerium 1856 einen jahrzehntelangen Streit zwischen dem Karlsruher Synagogenrat und der Stadt Karlsruhe um die finanzielle Unterstützung der jüdischen Ortsarmen schlichten. Erst 1872 bezog ein Landesgesetz die Juden in vollem Umfang in das damals bestehende System der Armenunterstützung ein. Gleichwohl spielten in der Tradition der Salomon Meyerschen Stiftung (1770) stehende, für wohltätige Zwecke bestimmte jüdische Donationen, wie z.B. die Löb Elias Willstättersche Stiftung (1848), die Seckel Levische Stifung (1851), die Bernhard Hoebersche Stiftung (1855), die Schlesingersche Stifung (1856), die Joseph Lerchsche Stifung (1858) oder jüdische karitativ tätige Vereine wie der Männer-Kranken-Verein (1803), der Verein israelitischer Frauen in Karlsruhe zur Unterstützung israelitischer kranker Frauen und Wöchnerinnen (1833), der Holzunterstützungsverein (1837) oder der Brotunterstützungsverein (1855), weiterhin eine wichtige Rolle.
Vergleichbare Benachteiligungen der Juden wie im sozialen Bereich herrschten zunächst auch im Schulwesen. Nachdem 1822 in Karlsruhe die private "Israelitische Religions- und Elementarschule" errichtet worden war, mussten Eltern und die jüdische Gemeinde sowohl die Zahlung der Lehrergehälter als auch das Schulgeld für Schüler armer Eltern in vollem Umfang bestreiten - und dies, obwohl die Schule 1827 zur öffentlichen Schule der jüdischen Gemeinde erklärt worden war. Erst ab 1835 erhielt sie staatliche und kommunale Zuschüsse.
Viel gravierender als die beiden erwähnten Punkte war aber, dass die badische Verfassung von 1818 Juden von Zivil- und Militärämtern ausschloss und den Juden das passive Wahlrecht für die zweite Kammer der badischen Landstände vorenthielt. Auf kommunaler Ebene war zwar 1821 von der badischen Regierung provisorisch verordnet worden, dass Juden, auch wenn sie nur Schutzbürger waren, für die Gemeindeausschüsse wählbar seien, doch fiel die immer wieder hinaus geschobene Gemeindereform von 1831 sehr zuungunsten der Juden aus. Die neue Gemeindeordnung hob für Christen den Status der Schutzbürgerschaft auf und machte damit insgesamt 80.000 Schutzbürger zu Vollbürgern, nahm die jüdischen Schutzbürger jedoch von dieser Regelung aus. Auch wurde jüdischen Vollbürgern die Wählbarkeit zum Bürgermeister und in den Gemeinderat verweigert. Nicht zuletzt wurde die Regelung bestätigt, dass Juden sich in Gemeinden, in den bisher keine Juden ansässig gewesen waren, nur mit Billigung dieser Gemeinden niederlassen durften. Selbst die Übersiedlung in bereits von Juden bewohnte Gemeinden gestaltete sich schwierig, da hierzu eine besondere Genehmigung der Regierungsbehörden notwendig war.
Die Revolution von 1848/49 brachte den Juden endlich die volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung auf Landesebene (Gesetz vom 17.2.1849), doch blieb das Gemeindewahlrecht unverändert. Allerdings wurden in Mannheim mit Elias Eller und in Karlsruhe mit Veit Ettlinger im August bzw. Dezember 1848 erstmals Juden in badische Gemeinderäte gewählt. In der revidierten Gemeindeordnung von 1851 entfiel dann endlich die Bestimmung, dass nur Bürger christlicher Religion Bürgermeister und Gemeinderäte werden konnten. Nach der Regierungsübernahme durch Großherzog Friedrich erhielten dann in Karlsruhe wie auch in Mannheim und Heidelberg nahezu alle Juden das Gemeindebürgerrecht, und Juden wurden immer häufiger in Gemeindeämter gewählt. 1859 saßen in Karlsruhe insgesamt mindestens 7 Juden im engern und großen Bürgerausschuss, und 1861 wurde mit dem im Wahlkreis Karlsruhe I kandidierenden Rudolf Kusel erstmals ein Jude in die Zweite Kammer der badischen Landstände gewählt. Andererseits gab es auch noch mehrere Städte, so z. B. Konstanz, Freiburg oder Baden-Baden, die den Juden die Annahme als Gemeindebürger verweigerten. Erst mit dem "Gesetz, die bürgerliche Gleichstellung der Israeliten betreffend" vom 15.10.1862 erhielten dann alle badischen Juden die endgültige rechtliche und politische Gleichberechtigung. Nicht übersehen werden darf jedoch, dass der in dem Gesetz von 1862 gipfelnde Emanzipationsprozess immer wieder durch antijudaistische Ausschreitungen gestört wurde. Am 27.8.1819 kam es abends in Karlsruhe zu Hep-Hep-Unruhen, die nur durch den Einsatz von Kavallerie beendet werden konnten, 1830 wurden am jüdischen Neujahrstag Juden, die die Karlsruher Synagoge verließen, belästigt, und am 5.9.1843 war das Haus des jüdischen Bankiers Moritz v. Haber in der Langen Straße, der heutigen Kaiserstraße, in Zusammenhang mit dem "Haber-Skandal" Ziel gewaltsamer Ausschreitungen und wurde ausgeplündert. Die Judenemanzipation bedeutete somit keineswegs eine allgemeine Akzeptanz der Juden durch die christliche Mehrheitsgesellschaft. Am ehesten integriert scheinen in erster Linie die Angehörigen der schmalen jüdischen Oberschicht gewesen zu sein. Als Beleg hierfür kann angeführt werden, dass Elkan Reutlinger, David Seligmann, Jakob Kusel und Salomon Haber der Karlsruher Lesegesellschaft "Museum" angehörten, die als der vornehmste Verein des Großherzogtums galt, und Haber und Kusel Gründungsmitglieder des Karlsruher Kunstvereins (1818) waren. Insgesamt blieb die Zahl der jüdischen Mitglieder in beiden Vereinen aber gering.

 

Kaiserreich und 1. Weltkrieg

Während des Kaiserreichs ging der Anteil der Juden an der Karlsruher Bevölkerung weiter zurück (zwischen 1871 und 1910 von 3,6% auf 2,3%), obwohl die absolute Zahl der Karlsruher Juden von 1.329 auf 3.058 nochmals deutlich anwuchs. Der Rückgang des Anteils der Karlsruher Einwohner mit jüdischem Glauben an der Gesamtbevölkerung während dieser Zeit lässt sich mit einer vergleichsweise geringeren Geburtenrate, mit Konversionen (zumeist zum Protestantismus) und mit dem Abschluss von Mischehen (zwischen 1899 und 1913 handelte es sich bei 15% der Ehen, die von Juden geschlossen wurden, um Mischehen). Umgekehrt kann das festgestellte starke zahlenmäßige Wachstum der jüdischen Bevölkerung nur mit dem Zuzug von Juden aus ländlichen Gemeinden und Kleinstädten Badens in Großstädte erklärt werden. So lebten 1895 30,6% und 1910 sogar schon 41,6% der badischen Juden in Mannheim, Karlsruhe und Freiburg.
In Karlsruhe selbst stellte sich im Jahr 1890 die Wohnsituation so dar, dass zwei Drittel der Karlsruher Juden in nur 10% der Karlsruher Straßen wohnten, namentlich in der Kaiser-, Zähringer-, Kronen-, Adler- und Kriegsstraße, am Zirkel, in der Herren-, Waldhorn- und Durlacher Straße, am Schlossplatz sowie in der Spitalstraße. Hierbei bewohnten ca. 15% der Juden bessere Wohnviertel, während umgekehrt knapp die Hälfte in den einfachen oder selbst unterdurchschnittlichen Ansprüchen genügenden Quartieren südlich der Kaiserstraße und östlich des Marktplatzes ihre Wohnung genommen hatten. 1905 leben von 2.850 Karlsruher Juden 2.090 in der inneren Ost- (1.280 Personen; 45,3% der Juden; 7,6% Bevölkerungsanteil) und in der inneren Weststadt (810 Personen; 28,7% der Juden; 4,1% Bevölkerungsanteil), weitere Wohnschwerpunkte bildeten die äußere Oststadt (175 Personen; 6,2% der Juden; 1,1% Bevölkerungsanteil), die Südstadt (149 Personen; 5,3% der Juden; 0,6% Bevölkerungsanteil) und der alte Hardtwaldstadtteil (140 Personen; 5,0% der Juden; 4,6% Bevölkerungsanteil). Insgesamt wohnten nun mehr Juden denn je in gutbürgerlichen oder als reich geltenden Stadtvierteln.
In wirtschaftlicher Hinsicht waren die beruflichen Hauptbetätigungsfelder der jüdischen Beschäftigten ganz eindeutig der Handel (1895: 64,6% der Beschäftigten), Industrie und Bauwesen (1895: 22,4% der Beschäftigten) und der Bereich freie Berufe, öffentlicher und kirchlicher Dienst (1895 12,9% der Beschäftigten). Sehr auffällig ist hierbei, dass innerhalb der Gruppe der jüdischen Beschäftigten die Selbstständigen in hohem Maße über- und die Arbeiter und Angestellten unterrepräsentiert waren. So waren im Jahr 1895 50,4% der Juden selbstständig, 32,6% Arbeiter und 17,1% Angestellte, während in der Gruppe der nichtjüdischen Beschäftigten 22,1% selbstständig, 50,4% Arbeiter und 23,6% Angestellte waren.
Die jüdischen Bankiers dominierten das Karlsruher Bankgeschäft nicht mehr wie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, doch waren immerhin im Jahr 1867 5 von 13 und im Jahr 1890 11 von 23 der Karlsruher Banken im Besitz von jüdischen Bürgern. Als die mit Abstand bedeutendsten jüdischen Karlsruher Bankhäuser wären Veit L. Homburger (gegr. 1854) und Straus & Co. (gegr. 1870) zu nennen. So wirkte das Bankhaus Homburger bei der Umwandlung der Badischen Maschinenfabrik Durlach (1885) und der Brauerei Moninger (1888) in AGs mit und war auch an der Gründung der Karlsruher Elektrizitätsgesellschaft (1901) beteiligt.

Planzeichnung des Bankhauses Veit L. Homburger, 1899.

Planzeichnung des Bankhauses Veit L. Homburger, 1899.
© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Industriebetriebe mit jüdischen Besitzern gab es in Karlsruhe relativ wenige (z. B. Malzfabrik Wimpfheimer, Möbelfabrik Reutlinger & Co., die Lederfabriken R. und W. Ellstätter, die Alttextilverwertungsfirma Vogel & Schnurmann und die Zellstofffabrik Vogel & Bernheimer/Maxau). Nach wie vor sehr stark engagierten sich Juden hingegen im Leder-, Eisen- und Textilhandel: Hier waren im Jahr 1890 etwas über 70%, 50% und 40% der Einzelhändler Juden. In der Textilbranche hatten sich aus Einzelhandels- inzwischen vereinzelt Großhandelsgeschäfte entwickelt. Zu nennen wären die Unternehmungen Dreyfuß & Siegel und Leipheimer & Mende, die sich mit dem begehrten Hoflieferanten-Titel schmücken durften, und das Konfektions- und Großhandelsgeschäft Karl Model. Aus dem 1881 eröffneten Textilgeschäft von Moritz Knopf in der Kaiserstraße 147 entwickelt sich in wenigen Jahren ein Warenhaus bzw. eine Warenhausgruppe ("Geschwister Knopf und Hermann Schmoller & Cie.") mit Filialen in Mannheim, Pforzheim, Bruchsal und Rastatt. Auch die Firma Hermann Tietz eröffnete 1888 und 1892 in der Karlsruher Kaiserstraße zwei Warenhäuser, die 1901 in einem Standort an der Ecke Kaiserstr./Ritterstr. zusammengezogen wurden. Die Warenhauskonzerne Knopf und Tietz errichteten 1912/14 bzw. 1912/13 repräsentativ gestaltete Neubauten in der Kaiserstr. 147 (Architekt: Wilhelm H. Kreis; heute Karstadt) und in der Kaiserstr. 92 (Architekten Robert Curjel und Karl Moser; heute Neubau mit Breuninger, dm und Karstadt-Sport).

Warenhaus Geschwister Knopf in Karlsruhe, 1914

Warenhaus Geschwister Knopf in Karlsruhe, 1914.
© Stadtarchiv Karlsruhe; StAK 8/PBS oXIVE 191

Sehr stark präsentiert waren Juden auch unter den freien Berufen. Das Wirken des jüdischen Architekten Robert Curjel veränderte seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert das Karlsruher Stadtbild in nicht unwesentlicher Weise. Curjel entwarf zusammen mit seinem Partner Karl Moser neben dem Warenhaus Tietz die Christuskirche (1897-1900), das Bankhaus Veit L. Homburger (1901), die Lutherkirche (1907), das Gebäude des Evangelischen Oberkirchenrats (1907-10), das Konzerthaus und die Stadthalle (1915).

Badische Landesgewerbebank und rechts davon das Warenhaus Tietz, um 1926.

Badische Landesgewerbebank und rechts davon das Warenhaus Tietz, um 1926.
© Stadtarchiv Karlsruhe; StAK 8/PBS oXIIIb 798

Von den Karlsruher Rechtsanwälten waren 1890 43% und unter den Allgemeinmedizinern 15% jüdischer Herkunft. Unter den staatlichen Beamten hingegen waren Juden aufgrund der zurückhaltenden staatlichen Einstellungspolitik schwächer vertreten: Sie stellten zwar 9,5% der Richter und etwa 7% der Lehrer an den höheren Schulen, doch unter den nach 1879 eingestellten Staatsanwälten fand sich überhaupt kein Jude. Vereinzelt fanden sich dagegen Juden in den Reihen der badischen Spitzenbeamten. Hier wären der badische Finanzminister Moritz Ellstätter (1868-1893; Ellstätter war der einzige nicht getaufte jüdischer Minister des Kaiserreichs) und die im Innenministerium beschäftigten Sekretäre Albert Gutmann (ab 1865) und David Mayer (ab 1879) zu nennen.

Rechtsanwalt und Minister Moritz Ellstätter (1827-1905)

Rechtsanwalt und Minister Moritz Ellstätter (1827-1905).
© Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandearchiv Karlsruhe; GLA J-AC-E Nr. 44

Das jüdische Kleinbürgertum war im Allgemeinen im Kleinhandel, im Handwerk oder als Angestellte tätig, die Unterschichten arbeiteten als Trödler, Hausangestellte, Gehilfen und Industriearbeiter.

Die jüdische Gemeinde in Karlsruhe hatte unmittelbar vor der Gründung des Kaiserreichs eine dauerhafte Spaltung erfahren. 1869 traten die orthodoxen Juden aus der liberal geprägten Karlsruher Gemeinde (damaliger Rabbiner war Benjamin Willstätter) aus, nachdem sich diese mehrheitlich für einen Synagogenneubau und eine Gottesdienstreform ausgesprochen hatte. Der Synagogenneubau wurde allerdings erst realisiert, nachdem die Karlsruher Synagoge in der Nach vom 29. auf den 30.5.1871 einem Brandunglück zum Opfer gefallen war. Die liberale Gemeinde entschloss sich zu einem Neubau nach Plänen des renommierten badischen Architekten und späteren badischen Oberbaudirektors Josef Durm. Die Fassade der neuen Synagoge war stilistisch von romanischen Formen und der Neorenaissance geprägt und erinnerte durch ihre Fassadenverkleidung mit Lagen von dunklem und hellem Sandstein an den Dom von Siena; im Inneren wiesen die in die Nähe des Toraschreins in der Ostapsis gerückte Bima, eine Orgel und die Predigtkanzel die Gemeinde als liberal aus. Eingeweiht wurde die neue Synagoge am 12.5.1875 in der Kronenstraße in Anwesenheit von Großherzog Friedrich I. und Großherzogin Luise.

Die jüdische Synagoge in der Kronenstraße;

Die jüdische Synagoge in der Kronenstraße; Fotografie aus dem Jahr 1896. Die Fotografie war Bestandteil einer Huldigungsgabe der badischen Landessynagoge anlässlich des 70. Geburtstages von Großherzog Friedrich I.
© Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandearchiv Karlsruhe; GLA 69 Baden, Sammlung 1995, F I Nr. 230,10

Die orthodoxe Austrittsgemeinde, die aus rund 23 Familien bestehende "Israelitische Religionsgesellschaft", hielt ihren Gottesdienst und ihren Schulunterricht zunächst in Privathäusern ab, bis sie den Bau einer eigenen Synagoge in der Karl-Friedrich-Straße verwirklichen konnte. Das von Gustav Ziegler im Stil der Neorenaissance konzipierte Gotteshaus wurde am 28.11.1881 geweiht, ihm zugeordnet waren eine Rabbiner-Wohnung und eine Religionsschule.
Aufgrund der Spaltung der Karlsruher jüdischen Gemeinde entstanden auch auf dem neuen städtischen Hauptfriedhof an der heutigen Haid-und-Neu-Straße je ein jüdisches Begräbnisfeld für die orthodoxe und die liberale Gemeinde (1876).

Orthodoxe Synagoge in der Karl-Friedrich-Straße, um 1900.

Orthodoxe Synagoge in der Karl-Friedrich-Straße, um 1900.
© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Bemerkenswert war im Kaiserreich die Rolle, die Juden in Karlsruhe im Bereich der universitären Bildung spielten An der Technischen Hochschule Karlsruhe wirkten damals bedeutende Gelehrte jüdischer Abstammung: der Kunsthistoriker Marc Rosenberg (1883-1911), der Physiker Heinrich Hertz (1885-1889), die Chemiker Paul Friedländer (1888-1895), Fritz Haber (1894-1911) sowie Georg Bredig (ab1911) und der Mediziner Edgar v. Gierke (ab 1909). In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass der in Karlsruhe geborene, allerdings dort nie lehrende Chemiker Richard Willstätter 1915 für seine Untersuchungen der Farbstoffe im Pflanzenreich den Nobelpreis erhielt. Nicht vergessen werden darf schließlich Anna Ettlinger (1841-1934), die auf privater Basis als erste Frau in Karlsruhe öffentliche Vorträge zu literaturwissenschaftlichen, aber auch musikalischen Themen hielt und engagiert für die Emanzipation der Frau und den Zugang der Mädchen zu Gymnasien und Universitäten eintrat.
Was die Studenten betrifft, so belief sich unter den deutschen Studenten der Technischen Hochschule der Anteil der jüdischen Studenten im Kaiserreich durchschnittlich auf 2%, womit Juden an der Fridericiana zahlenmäßig überrepräsentiert waren. Auch unter den Studentinnen, die sich ab 1899 an der Karlsruher Universität immatrikulierten, fanden sich von Anfang an Jüdinnen, darunter die Karlsruherin Irene Rosenberg, die im Jahr 1915 als erste Studentin der Fridericiana promoviert wurde (Fakultät für Chemie). Dies korrespondiert damit, dass Kinder und Jugendliche jüdischer Abstammung an den höheren Karlsruher Schulen sehr stark vertreten waren: Am Großherzogliches Gymnasium stellten sie 1898/99 7,3%, am Realgymnasium 1898/99 gleichfalls 7,3% und an der Höheren Mädchenschule 1898/99 sogar 12,0% der Schüler. Die Tochter des orthodoxen Karlsruher Rabbiners, Rahel Goitein, legte schließlich 1899 in der kleinen Gymnasialabteilung der Karlsruher Höheren Mädchenschule als eine der ersten Frauen in Deutschland das Abitur ab und schrieb sich 1900 als erste Studentin bei der medizinischen Fakultät Heidelberg ein.

Am politischen Leben partizipierten Karlsruher Juden seit 1862 sehr aktiv. 1875 waren ein Stadtrat und drei Stadtverordnete jüdischer Abstammung, 1890 dann ein Stadtrat und vier Stadtverordnete. Die kommunalen Volksvertreter israelitischen Glaubens entstammten meist alteingesessenen Karlsruher jüdischen Familien, wie z. B. den Ettlinger, Kusel, Homburger, Seeligmann, Weill und Ellstädter. Auch nach 1890 blieben Juden trotz des anwachsenden Antisemitismus in den kommunalen politischen Gremien sehr gut repräsentiert: Sie stellten durchgängig drei von 22 Stadträten und zwischen 3,4 - 5,9% der Mitglieder des Bürgerausschusses. In die Zweite Kammer der badischen Landstände wurden in Karlsruher Wahlkreisen ebenfalls Juden gewählt: 1871 Jakob Gutmann (Nationalliberale Partei), 1901 Robert Goldschmit (Nationalliberale Partei) und 1914 Ludwig Marum (SPD).

Fritz Homburger (1850-1920) - Bankier, Vorsitzender des Synagogenrats

Fritz Homburger (1850-1920) - Bankier, Vorsitzender des Synagogenrats, Mitglied des Oberrats der Israeliten und Karlsruher Stadtrat (1850-1920).
© Stadtarchiv Karlsruhe; StAK 8/PBS oIII 319

Obwohl die Karlsruher Ortsgruppe der antisemitischen Deutschsozialen Partei (gegr. 1891) während der gesamten 90er Jahre kaum Erfolge hatte (1898 1,6% der Wählerstimmen in Karlsruhe), bildete sich 1893 in der Stadt die den Antisemiten offensiv begegnende "Vereinigung badischer Israeliten". Diese schloss sich 1908 als Landesverband Baden dem "Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" an. Ebenfalls als Reaktion auf den anwachsenden Antisemitismus auf Reichsebene lassen sich die nach 1900 zu beobachtenden Aktivitäten von Zionisten in Karlsruhe interpretieren, die zwischen 1903 und 1906 eine Ortsgruppe der "Zionistischen Vereinigung für Deutschland" gründeten. Mitglieder waren meist jüngere Menschen mit ostjüdischen Wurzeln.

eldgebetbuch für die jüdischen Mannschaften des Heeres

Feldgebetbuch für die jüdischen Mannschaften des Heeres, 1914
© Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandearchiv Karlsruhe; GLA 456 F 42 Nr. 292

Der Beginn des Ersten Weltkriegs schien im Deutschen Reich zunächst jeden Antisemitismus zu ersticken, doch es kamen bald wieder antijüdische Ressentiments auf: Juden wurden als "Drückeberger" und "Kriegsgewinnler" denunziert. Ein Ergebnis dieser Stimmung war die die vom Preußischen Kriegsministerium angeordnete "Judenzählung" des Jahres 1916, gegen die am 15.11.1916 der in Karlsruhe ansässige Oberrat der Israeliten Badens in deutlichen Worten Protest erhob. Auch traten im Oktober 1918 in Karlsruhe die beiden jüdischen Rechtsanwälte Fritz Strauß und Max Homburger demonstrativ aus der Nationalliberalen Partei aus, nachdem sich der Vorsitzende des örtlichen Jungliberalen Vereins am 7.10.1918 öffentlich in judenfeindlicher Weise geäußert hatte.
Die Statistiken sprechen eindeutig gegen den gegenüber Juden erhobenen Vorwurf der "Drückebergerei". Zwischen 1914 und 1918 dienten 4.758 badische Juden in der Armee, von denen 589 - darunter 57 Karlsruher und ein Durlacher - im Kampf fielen.

 

Weimarer Republik

Der Weimarer Republik wurde von Juden im Allgemeinen bejaht, und zahlreiche Juden beteiligten sich aktiv an der demokratischen Neuordnung Deutschlands. Schon unmittelbar nach der Novemberrevolution waren an der Badischen Vorläufigen Volksregierung zwei Karlsruher Juden, Ludwig Marum (SPD) und Ludwig Haas (Fortschrittliche Volkspartei bzw. DDP), beteiligt. Marum fungierte 1918/19 als badischer Justiz-, Haas als Innenminister. Auch in der Viererkommission zur Ausarbeitung einer neuen badischen Landesverfassung wirkte mit dem Karlsruher Anwalt und Stadtrat Friedrich Weill ein jüdischer Bürger mit.

Die Vorläufige Badische Volksregierung 1918

Die Vorläufige Badische Volksregierung 1918. 3. v. links, stehend: Ludwig Marum, 2. v. rechts, sitzend: Ludwig Haas.
© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Nach der Novemberrevolution gehörte Ludwig Marum bis 1928 dem Badischen Landtag als SPD-Fraktionsvorsitzender und ab 1928 dem Reichstag an. Weitere aus Karlsruhe stammende jüdische Landtagsabgeordnete waren Leo Kullmann (SPD, 1921-1925) und Leopold Neumann (1932/33, DDP).
Im Karlsruher Stadtrat und in der Karlsruher Stadtverordnetenversammlung saßen zwischen 1919 und 1933 insgesamt sieben Juden - es handelte sich durchweg um Abgeordnete der DDP und der SPD -, darunter wiederum Ludwig Marum (1919-21).
Mit dem Engagement von Juden für die Republik verstärkte sich aber umgekehrt der Antisemitismus, da die republikfeindlichen Kräfte von Rechts die Juden in Verbindung mit dem Weimarer "System" brachten. Kaum ein Jahr nach Novemberrevolution protestierte der Studentenverband der TH Karlsruhe in einem Schreiben vom 6.11.1919 gegen die Berufung weiterer "semitischer Dozenten" und seit November 1919 bestand ein Büro des "Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes" in Karlsruhe, so dass sich Nathan Stein, der Präsident des Oberrats der Israeliten Badens, genötigt sah, die wachsende antisemitische Strömung am 31.5.1920 zum Thema seiner Eröffnungsrede vor der jüdischen Landessynode zu machen. Am 6. und 7. Juli 1920 kam es Karlsruhe zu gewaltsamen Protestkundgebungen gegen die steigenden Lebensmittelpreise, die eine antijüdische Ausrichtung erkennen ließen und die jüdischen Kaufhäuser Knopf und Tietz als Anlaufpunkt hatten. Im Juni 1922 wurde dann in Karlsruhe eine NSDAP-Ortsgruppe gegründet, die allerdings noch im selben Jahr zusammen mit dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund auf der Basis des Republikschutzgesetzes verboten wurde und bis 1925 verboten blieb. 1926 wurde die Gedenktafel für die jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkriegs in der Eingangshalle der Karlsruher Synagoge mit Teer beschmiert, um die Namen der Gefallenen unlesbar zu machen. Mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise begann schließlich der Aufstieg der NSDAP, die in Karlsruhe bei den Reichs- und Landtagswahlen im Vergleich zum gesamtbadischen Ergebnis überdurchschnittlich gut abschnitt. So holte die NSDAP bereits bei der Landtagswahl 1929 in Karlsruhe 11,2% der Stimmen (Gesamtbaden: 7,0%), und bei der Reichstagswahl am 31.7.1932 40,26% (Baden 36,9%). Auch stellte die NSDAP im Karlsruher Stadtrat und in der Stadtverordnetenversammlung seit 1930 jeweils die stärkste Fraktion.
Die zahlenmäßige Entwicklung des jüdischen Bevölkerungsanteils in Karlsruhe verlief während der Weimarer Republik etwas anders als im Kaiserreich: Die absolute Zahl der Karlsruher Juden stieg bis 1925 zwar weiter an (von 1910 3.058 auf 3.386 Personen), doch blieb ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung zunächst konstant. Zwischen 1925 und 1933 ging der Bevölkerungsanteil der Juden wie schon im Kaiserreich weiter zurück (auf 2,0%), aber erstmals fiel nun auch absolut die Zahl der jüdischen Bürger Karlsruhe ab, und zwar bis 1933 auf einen Stand von 3.119 Köpfen. Schon das zahlenmäßige Anwachsen der jüdischen Gemeinde bis 1925 war nur noch der Zuwanderung von Ostjuden geschuldet gewesen, und 1933 stammten 18% der in Karlsruhe lebenden Juden aus Ost- (v. a. Polen) und Südosteuropa. Die wichtigsten Ursachen für das Absinken der jüdischen Bevölkerungszahl waren im Wesentlichen die gleichen wie im Kaiserreich: sinkende Geburtenziffern und der Abschluss von Mischehen.
In wirtschaftlicher Hinsicht waren im Jahr 1933 51,6% der Karlsruher jüdischen Erwerbsbevölkerung selbständig, 36,6% arbeiteten als Angestellte, 5% als mithelfende Familienangehörige, 4% als Arbeiter, 1,4% als Beamte und 1,3% als Hausangestellte. Besonders stark waren Juden nach wie vor bei den freien Berufen repräsentiert, stellten sie doch 40,5% der Rechtsanwälte, 26,3% der Ärzte und 17,7% der Zahnärzte. Weiter waren 13% der Selbständigen im Einzelhandel Juden, wobei es im Metall-, Vieh-, Textil-, Leder- und Möbelhandel weit höhere Anteile gab (51%, 46%, 34%, 23% und 21% der Erwerbstätigen). Unterrepräsentiert waren Juden dagegen im Handwerk (mit Ausnahme der Schneidereien), wo sie nur 1,8% der Beschäftigten stellten. Als besonders bekannte jüdische Betriebe galten in der Weimarer Zeit die vier Privatbanken Veit L. Homburger, Straus & Co., Ignaz Ellern und Baer & Elend, die Warenhäuser Knopf und Tietz, die Zellstofffabrik Vogel & Bernheimer in Knielingen-Maxau/Ettlingen, die Metallhandlung L. J. Ettlinger, die Herrenkleiderfabrik Blicker & Co. und die Möbelfabrik Reutlinger & Co.

Blick in die Geschäftsräume der Karlsruher Metallhandlung L. J. Ettlinger.

Blick in die Geschäftsräume der Karlsruher Metallhandlung L. J. Ettlinger.
© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Hinsichtlich der Distribution der jüdischen Bevölkerung auf das Stadtgebiet lässt sich in der Weimarer Zeit eine ausgeglichenere Verteilung auf die Gesamtstadt konstatieren. Allerdings bildeten die weiterhin die innere Ost- und Weststadt mit 1932 26,2% und 20,1% der jüdischen Haushalte einen Wohnschwerpunkt.
Der Landessynagoge hatte die Weimarer Republik die Freiheit gebracht, ihre Angelegenheiten frei und selbständig im Rahmen der bestehenden Gesetze zu ordnen. Für die jüdischen Frauen erbrachte die Weimarer Zeit nicht nur das politische Wahlrecht, sondern auch das aktive und passive Wahlrecht zur Landessynode (1923) und auf der Gemeindeebene (1927/30).
Die jüdische Gemeinde Karlsruhe blieb weiterhin gespalten, die Orthodoxen konnten 1922 gegen das Votum des Oberrats sogar ihre Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts erreichen. Der größeren liberal-konservativen Gemeinde gehörten 1925 2.558 Menschen an. In ihren Gemeindegremien Synagogenrat und Gemeindeausschuss dominierten die Liberalen, und selbst gemeinsam konnten Konservative und Zionisten bis 1933 keine Mehrheiten erringen. Vorsitzender des Synagogenrates war der Bankier Fritz Homburger (1918-1920), dann der Kinderarzt Theodor Homburger (1921-1935). Sehr hohes Ansehen als Gemeinderabbiner gewann Dr. Hugo Schiff (1925-1939). Die orthodoxe Gemeinde umfasste 1922 700 Menschen, darunter viele ostjüdische (und damit zumeist sozial schlechter gestellte) Mitglieder. Auch dort wirkte langjährig ein und derselbe Rabbiner: Dr. Abraham Michalski (1923-1939). Überwunden wurde die Spaltung der jüdischen Gemeinde nur in einigen Wohlfahrts- und kulturellen Organisationen oder im jüdischen Kindergarten der orthodoxen Gemeinde. Neben den beiden Gemeinden existierten noch eine Reihe religiöser Vereinigungen ostjüdischer Prägung mit eigenen Betsälen. Und daneben gab es auch die Karlsruher Juden, die keiner der beiden Synagogen angehörten (1933: 161 Personen) und meist in Ehe mit einem christlichen Partner lebten. Insgesamt bildeten somit die Karlsruher Juden auch in der Weimarer Zeit alles andere als eine homogene Gruppe.
Sehr rege war das jüdische Vereinsleben in Karlsruhe, das an Traditionen aus der Kaiserzeit anknüpfen konnte. Die Mehrzahl der jüdischen Vereine waren nicht einer bestimmten religiösen Richtung zuzuordnen. Im Vordergrund stand die jeweilige sozial-karitative (z. B. Israelitischer Frauenverein, Israelitischer Brotunterstützungsverein, Israelitische Kinderkrankenkasse, Israelitischer Männerkrankenverein), politische (z. B. Central-Verein deutscher Bürger jüdischen Glaubens, Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, Verein zur Abwehr des Antisemitismus), kulturelle (Verein für jüdische Geschichte und Literatur, Lehrhaus Chaim Nachmann Bialik, B’nai B’rith) oder sportliche Aufgabe (z. B. Turnclub TCK 03, Sportklub Ha-Koach). Darüber hinaus gab es eine Reihe von Jugendorganisationen (z. B. die Ortsgruppen des Landesverbands der neutralen jüdischen Jugendvereine Baden, des Deutsch-jüdischen Wanderbunds, des Wanderbunds Blau-Weiß und von Chinuch Neorim).

 

Nationalsozialismus

Im Juni 1933 lebten in Karlsruhe (einschließlich Durlachs, Grötzingens und Neureuts) 3.197 religiös orientierte Juden, hinzu kamen noch 161 Juden, die nicht religiös gebunden waren. Etwa ein Drittel dieses jüdischen Bevölkerungsanteils von 2% kam in Zusammenhang mit der NS-Judenverfolgung ums Leben, und die beiden jüdischen Gemeinden wurden vollkommen zerschlagen. Den entscheidenden Schritt vollzog das NS-Regime hierbei durch die Deportation der meisten Karlsruher Juden in das Lager Gurs im Jahr 1940.
Nach dem heutigen Stand der Forschung wurden 1.039 Karlsruher Juden ermordet, gingen in Gurs oder den Lagern der SS zugrunde oder wählten angesichts der Verfolgung den Freitod. 2.159 Karlsruher Juden emigrierten zwischen 1933 und 1940, allerdings bedeutete die Emigration nicht in allen Fällen die Rettung, da große Teile Europas während des Zweiten Weltkriegs unter deutsche Kontrolle gerieten.
Die antijüdischen Maßnahmen der Nationalsozialisten setzten bald nach der Reichstagswahl vom 5.3.1933 ein. Am 10.3.1933 wurde der prominente jüdische Reichstagsabgeordnete Ludwig Marum in "Schutzhaft" genommen und am 16.5.1933 mit sechs weiteren prominenten Sozialdemokraten in einer demütigenden Schaufahrt vom Gefängnis in der Karlsruher Riefstahlstraße über das Polizeipräsidium Karlsruhe ins Konzentrationslager Kislau überführt. Dort wurde Marum am 29.3.1934 ermordet.

Schaufahrt

Als demütigende Schaufahrt gestaltete Überführung von sieben sozialdemokratischen "Schutzhäftlingen", darunter der ehemalige Staatsminister Adam Remmele und der SPD-Reichstagsabgeordnete Ludwig Marum, vom Karlsruher Gefängnis in der Riefstahlstraße ins Konzentrationslager Kislau, 16.5.1933.
© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Gegen jüdische Geschäfte kam es erstmals am 13.3.1933 zu Aktionen in der Kaiserstraße. Diesen folgte dann am 1.4.1933 der auf Reichsebene organisierte Boykott-Tag. In Karlsruhe wurden jüdische Geschäfte, Kanzleien und Praxen wurden durch Plakate und Schmierereien gekennzeichnet, SA-Posten zogen vor jüdischen Geschäften der Innenstadt auf, und am späten Nachmittag des Boykotttages nahmen 25.000 Karlsruher an einer gegen das "Weltjudentum" und "antideutsche Greuelpropaganda" gerichteten Massenkundgebung auf dem Marktplatz teil.

Boykottaufruf der NSDAP, Kreis Karlsruhe

Boykottaufruf der NSDAP, Kreis Karlsruhe, zum 1.4.1933.
© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Keine Woche später zog das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7.4.1933 die Entlassung bzw. die zwangsweise Pensionierung der meisten der im Staatsdienst beschäftigten Juden nach sich, so z. B. des Oberregierungsrats am Badischen Kultus- und Unterrichtsministeriums Siegfried Weissmann, des Direktors der Badischen Landesbibliothek Ferdinand Rieser, der Leiterin der Staatlichen Kunsthalle Luise Fischel, des Senatspräsidenten am Oberlandesgericht Otto Levis, des Landgerichtsdirektors Franz Heinsheimer, des Direktors des Kinderkrankenhauses Franz Lust, des Chefs der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik Ludwig Kander sowie der TH-Professoren Nathan Stein (seit 1922 Vorsitzender des Oberrats der Israeliten Badens), Georg Bredig, Emil Probst und Stefan Goldschmidt. Am Badischen Landestheater verlor im April 1933 der Generalmusikdirektor Josef Krips als Folge des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums seinen Posten, nachdem dort schon am 15.3.1933 der Intendant Hans Waag und der Kapellmeister Rudolf Schwarz wegen ihrer jüdischen Abstammung hatten gehen müssen. An Karlsruher Schulen - beispielsweise am Humanistischen Gymnasium, am Goethe- und Humboldt-Realgymnasium, an der Kant- und Helmholtz-Oberrealschule und an der Lessingschule - wurden gleichfalls jüdische Beamte vom Dienst entfernt.
In Anlehnung an die Bestimmung des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" verloren bald auch jüdische Rechtsanwälte und Ärzte die Zulassung zu den Gerichten bzw. zu den Krankenkassen, was den in Karlsruhe beliebten Arzt Julius Katzenstein am 15.Juli 1933 in den Selbstmord trieb. Ebenfalls zur gleichen Zeit wurde für "nichtarische" Studenten und Schüler mit dem "Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen" vom 25.4.1933 Höchstquoten bei Schuleintritten und Neueinschreibungen eingeführt, deren für Juden negative Auswirkungen etwa für die TH Karlsruhe oder das Humboldt-Realgymnasium dokumentiert sind.
Die Karlsruher Juden begannen angesichts dieser Maßnahmen an Emigration zu denken, allerdings blieb 1933 die Fluchtquote mit knapp 4% im Vergleich mit der auf Reichsebene (7,5%) relativ gering. Ziel der insgesamt 165 Emigranten, die 1933 Karlsruhe mit dem Ausland als Ziel verließen, war in den allermeisten Fällen Palästina (54) oder Frankreich (50), erst mit großem Abstand folgten die USA (9), die Niederlande (9) und die Schweiz (7).
Der auf den deutschen Juden lastende Druck ließ die verschiedenen Strömungen innerhalb des Judentums zusammenrücken. Bei der badischen Synodewahl des Jahres 1935 wurde eine Einheitsliste der Liberalen, Konservativen und Zionisten aufgestellt, Vorsitzender des Oberrats wurde erneut der seit 1920 amtierende Vorsitzende Nathan Stein. Auch in Karlsruhe rückten die liberal-konservative Hauptgemeinde und die orthodoxe Gemeinde zusammen. Zugleich leiteten die jüdischen Lehr- und Bildungseinrichtungen eine Rückbesinnung auf geschichtliche und religiöse Fundamente des Judentums ein und bereiteten auf die Emigration vor. Hierfür stehen das vom Rabbiner der Mehrheitsgemeinde initiierte Lehrhaus Bialik in der Kronenstr. 62, der Ausbau der Jüdischen Gemeindebibliothek in der Herrenstr. 14 zur zentralen Bibliothek der Juden in Baden und die Aktivitäten des Jüdischen Kulturbundes. Starken Zulauf erhielten seit 1933 die jüdische Jugendgruppen und Sportvereine (TCK 03, Ha-Koach), da Juden die Mitgliedschaft in anderen Jugendverbänden und Vereinen nicht mehr möglich war. Sie wurden zu einem "Hort der Selbstbehauptung" (Josef Werner) und hatten nun häufig eine zionistische Ausrichtung.
Die 1935 gegründete Jüdische Winterhilfe und zahlreiche Karlsruher karitative Vereine, die in der Ortsgruppe des Landesverbandes für jüdische Wohlfahrtspflege zusammengefasst waren, sollten den durch die antijüdischen Maßnahmen des NS-Regimes bzw. die durch die antijüdische Stimmung bewirkten sozialen Probleme abmildern. Beispielsweise beherbergte das Gebäude des Landesverbandes für jüdische Wohlfahrtspflege in der Kronenstr. 15 die so genannte "Mittelstandsküche", an deren Finanzierung sich beide jüdische Gemeinden finanziell beteiligten. Die jüdische Hauptgemeinde konnte 1936/37 in der Kronenstr. 62 und in der Karlsruher Sophienstr. 9 sogar noch zwei kleinere jüdische Altersheime eröffnen, die bis zur Deportation der Karlsruher Juden nach Gurs Bestand hatten.
1935 erreichte die antijüdische Politik des Dritten Reiches mit dem Erlass der "Nürnberger Gesetze" einen weiteren Höhepunkt. Vorangetrieben wurde die judenfeindliche Politik aber keineswegs nur von der Führungsspitze des Regimes. So untersagte - und dies noch vor den Nürnberger Gesetzen - der Karlsruher Bürgermeister Friedrich Jäger Juden am 24.7.1935 den Besuch sämtlicher städtischer Badenanstalten. Auf Landesebene erfolgte ab dem 1.10.1935 die polizeiliche Erfassung der in Baden und damit auch der in Karlsruhe lebenden Juden. In Karlsruhe wurde zudem ab 1938 eine zweite, mit Passbildern versehene Kartei angelegt, die die Phase der radikalen Verfolgung der Juden vorbereitete.
Das Olympiajahr 1936 gilt gemeinhin als Jahr, in dem die NS-Judenpolitik vorübergehend abflaute. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass die Karlsruher Juden sich auch in diesem Jahr antijüdischen Maßnahmen und Vorkommnissen ausgesetzt sahen. Am 25.3.1936 wurde Juden reichsweit die Eigenschaft als "Gemeindebürger" und damit das Gemeindewahlrecht entzogen. Die jüdischen Volksschüler hatten ab dem 9.9.1936 die "Jüdische Schulabteilung der Karlsruher Volksschulen" zu besuchen, die in der Lidellschule, einer Sonderschule in der Markgrafenstraße, untergebracht war. Der "Jüdischen Schulabteilung" standen in der Lidellschule nur vier Klassenräume und vier hauptamtliche Lehrkräfte zur Verfügung, so dass die anfangs 212 Schülerinnen und Schüler zeitlich versetzt unterrichtet werden mussten. Angeboten wurden die Fächer Deutsch, Hebräisch, Englisch, Religion, Geschichte, Geographie, Mathematik, Physik, Zeichnen, Singen und Sport. Die jüdischen Schüler an Karlsruher Oberschulen konnten den Besuch ihrer bisherigen Schule zunächst noch fortsetzen, bis schließlich am 15.11.1938 jüdischen Schülern generell der Besuch "deutscher Schulen" verboten wurde. Weiter brachte das Jahr 1936 den fränkischen Gauleiter Julius Streicher nach Karlsruhe, der am 16.10. vor 15.000 Menschen in der Karlsruher Markhalle sprach und sich dort unter jubelndem Beifall in dezidiert antisemitischer Weise äußerte. Hingegen hatte sich Hitler während seiner Ansprache im Karlsruher Hochschulstadion am 13.3.1936 aus taktischen Gründen aller antisemitischen Äußerungen enthalten.
Einen vorläufigen Gipfel der Radikalisierung erreicht die NS-Judenpolitik 1938. Zunächst verloren die Israelitische Religionsgemeinschaft Badens und die israelitischen Gemeinden im März 1938 ihre Stellung als Körperschaften des öffentlichen Rechts und wurden in rechtsfähige Vereine umgewandelt. Zwischen dem 20. und dem 23.4.1938 kam es in der Karlsruher Innenstadt zu einem wilden Boykott jüdischer Geschäfte. Weiter wurde auf der Basis einer Verordnung vom 26.4.1938 das Vermögen der Karlsruher Juden und wie auch von "Ariern", die mit Juden verheiratet waren, erfasst. Registriert wurden insgesamt Vermögensbestandteile im Wert von rund 60 Mio. RM. Am 22.7.1938 erfolgte dann die Einführung der mit einem "J" gekennzeichneten Kennkarten und Reisepässe und am 17.8.1938 die Verpflichtung, dass Juden (bis auf die Träger genau spezifizierter Vornamen) die Vornamen "Israel" bzw. "Sara" anzunehmen hätten.
Zwang und Gewalt in massiver Form trafen dann zunächst die in Karlsruhe lebenden Juden polnischer Staatsangehörigkeit. Insgesamt wurden am 27./28.10.1938 42 jüdische Männer aus Karlsruhe, die zumeist seit längerer Zeit in Karlsruhe lebten, an die polnische Grenze abgeschoben. Meist im Frühjahr 1939 folgten ihnen ihre Angehörigen gezwungenermaßen nach. Mit der Reichspogromnacht am 9.11.1938 ging das Regime dann mit offener Gewalt gegen alle in Deutschland lebenden Juden vor. In Karlsruhe wurden noch vor 22 Uhr beide Synagogen angezündet. Die Synagoge in der Kronenstraße wurde hierbei nur in relativ geringem Maße beschädigt, da die Karlsruher Feuerwehr die im Inneren der Synagoge angefachten Brandnester rechzeitig löschen konnte. Hingegen brannte die Synagoge der orthodoxen Gemeinde, die mit Hilfe einer großen Menge von Benzin angesteckt worden war, vollkommen aus. Beide Synagogen, auch die wenig beschädigte Synagoge in der Kronenstraße, mussten im Januar 1939 unter Aufsicht des städtischen Hochbauamtes auf Kosten der jüdischen Gemeinden abgetragen werden.

Inneres der orthodoxen Synagoge in der Karl-Friedrich-Straße nach der Reichspogromnacht am 9.11.1938.

Inneres der orthodoxen Synagoge in der Karl-Friedrich-Straße nach der Reichspogromnacht am 9.11.1938.
© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Verwüstet wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. November auch die Räume der Jüdischen Gemeindeverwaltung in der Herrenstr. 14, das in jüdischem Besitz befindliche Hotel "Nassauer Hof" in der Kriegsstr. 88, jüdische Geschäfte und Banken (z. B. das Bankhaus Veit L. Homburger) und zahlreiche Privatwohnungen jüdischer Bürger. 400-500 Karlsruher Juden wurden verhaftet. Die Verhafteten wurden meist zu Fuß, in PKWs, Lieferwagen oder LKWs in das Polizeipräsidium Ecke Karl-Friedrich-/Hebelstraße verbracht. Vor dem Polizeipräsidium erwartete sie eine Ansammlung von mehreren hundert teils schaulustigen, teils aggressiv-gewaltbereiten Personen. Bevor die Verhafteten das Polizeipräsidium erreichen konnten, wurden sie aus der Menge heraus beschimpft, bespuckt und misshandelt. Zwei Festgenommene überlebten die Verhaftungsaktion nicht: Der bereits im Hotel "Nassauer Hof" schwer misshandelte Kaufmann Leopold Friedmann erlag einem Herzschlag während des Marsches zum Gefängnis in der Riefstahlstraße, und der Sägewerksbesitzer Philipp Fuchs beging unmittelbar vor der Verhaftung durch ein SS-Kommando in seiner Wohnung in der Wendtstraße Selbstmord. In der Nacht vom 10. auf den 11.11.1938 wurden die verhafteten Karlsruher Juden ins Konzentrationslager Dachau transportiert, wo sie sich mit den dort herrschenden grausamen Haftbedingungen konfrontiert sahen. Noch im November 1938 kam im Lager der Karlsruher Hautarzt Leopold Liebmann unter ungeklärten Umständen ums Leben, und der Durlacher Fabrikant Max Falk wurde auf dem SS-Schießplatz Prittlbach bei Dachau erschossen. Die letzten Karlsruher Juden, die während Reichspogromnacht verhaftet worden waren, kehrten Ende Januar 1939 nach Karlsruhe zurück.
Gekennzeichnet war das Jahr 1938 auch durch eine Intensivierung des Bestrebens, die Juden aus dem Berufs- und Geschäftsleben zu verdrängen. Am 25.7. und am 27.9.1938 wurden Berufsverbote für jüdische Ärzte und Rechtsanwälte ausgesprochen. Lediglich 2 bis 3 Anwälte durften in Karlsruhe als "Rechtskonsulenten" für jüdische Klienten tätig sein und ganz ähnlich konnten von den ehemals 47 jüdischen Ärzten nur 3 unter dem Titel des "Krankenbehandlers" für jüdische Patienten weiter praktizieren. Der ehemalige Direktor des Karlsruher Kinderkrankenhauses, Professor Dr. Franz Lust, der jetzt auch seine Privatpraxis verlor, beging am 22.3.1939 Selbstmord. Zahlreiche jüdische Geschäftsinhaber gaben bereits vor der Zwangs"arisierung" im Gefolge der Reichspogromnacht auf und verkauften ihre Betriebe. So wurden schon 1933 das Kaufhaus Tietz, 1936 das Modehaus Landauer, 1937 das Herrenbekleidungsgeschäft Hahn, das Baugeräte- und Baumaschinen-Unternehmen Prölsdörfer sowie das Wäsche-, Betten- und Handarbeitengeschäft Paul Burchard und 1938, aber noch vor dem 9.11., das Eisenhandelsunternehmen L. J: Ettlinger, das Teppichgeschäft Carl Kaufmann, das Bankhaus Straus & Co. und das Warenhaus Knopf "arisiert".

Zeitungsanzeige

Zeitungsanzeige anlässlich der "Arisierung" des jüdischen Warenhauses Geschwister Knopf im "Führer", 22.9.1938.
© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Auf diese Weise existierte Ende September 1938 nur noch 92 jüdische Gewerbebetriebe, bei denen es sich mit Ausnahme der Möbelfabrik Reutlinger um Kleinbetriebe handelte. Mit der Reichspogromnacht, der "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" vom 12.11.1938 und der "Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens" vom 3.12.1938 kam dann das endgültige Aus auch für diese Unternehmungen. Auch die bekannten jüdischen Banken Baer & Elend, Ignaz Ellern und Veit L. Homburger traten nun zwangsweise in Liquidation. "Der Führer", das zentrale Presseorgan der NSDAP im Gau Baden, vermeldete in seiner Neujahrsausgabe vom 1.1.1939: "Wenn wir im neuen Jahr durch die Straßen unserer schönen Gauhauptstadt wandern, so können wir feststellen, dass es nunmehr keine jüdischen Geschäfte mehr gibt". Neben Geschäften und Banken wurde auch eine Vielzahl von betrieblichen und privaten Grundstücken "arisiert". Als einer der Hauptkäufer trat die Stadt Karlsruhe auf, die Grundstücke im Wert von insgesamt 5.242.700 RM aufkaufte.
Auch die jüdische Schulabteilung in der Lidellschule konnte sich nach der Reichspogromnacht nicht mehr lange halten. Nachdem der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Rust mit Erlass vom 17.12.1938 die Unterrichtung "deutscher und jüdischer Schüler im gleichen Gebäude" untersagt hatte, wurde die jüdische Schule in der Markgrafenstraße aufgelöst. Möglich war jetzt nur noch ein provisorischer Unterricht im gemeindeeigenen Gebäude Kronenstr. 15 und im rückwärtigen Gebäude der Gemeindeverwaltung in der Herrenstr. 14.
Mit Zunahme des auf den Juden lastenden Drucks stiegen die Auswanderungszahlen nun stark an. Während zwischen 1933 und Ende 1937 insgesamt 748 Karlsruher Juden emigriert waren, so verließen allein 1938 496 und 1939 508 Personen Karlsruhe und Deutschland. 1940 gelang nur noch 133 Personen die Auswanderung; 274 weitere Juden verließen Karlsruhe zu einem unbekannten Zeitpunkt. Insgesamt gingen 39% der Karlsruher Emigranten in die USA, die aber erst seit 1937 das Hauptziel der Emigration wurden, 21,6% nach Palästina (bis 1936 Hauptziel der Emigration), 10,1% nach Großbritannien, 7,5% nach Frankreich, 3,3% nach Argentinien, 3,0% in die Schweiz und 2,6 % in die Niederlande (sonstige Länder: 12,9%). Besondere Erwähnung dient die Einwanderungspolitik Großbritanniens, das nach dem Novemberpogrom in relativ großzügiger Weise seine Grenzen für jüdische Flüchtlinge öffnete. Vor allem starteten Anfang Dezember 1938 die so genannten "England-" oder "Kindertransporte" (auch Refugee Children Movement), der 60-80 jüdische Kinder aus Karlsruhe ihr Leben verdankten.
Unterstützung beim Verlassen von Deutschland erfuhren Juden im Allgemeinen durch die Jewish Agency und den Hilfsverein der deutschen Juden bzw. (ab 1935) den Hilfsverein der Juden in Deutschland, die Beratungsbüros in Karlsruhe unterhielten. Weiter wurde in Karlsruhe Anfang 1937 eine "Amtlich anerkannte öffentliche gemeinnützige Auswanderer-Beratungsstelle" eingerichtet, die für ganz Nordbaden zuständig war und für die Behörden Erhebungen über die Auswanderungsabsichten und –ziele von Juden vornahm. Der Vorbereitung der Auswanderung vor allem junger Menschen nach Palästina dienten landwirtschaftliche und handwerkliche Ausbildungszentren. Landwirtschaftliche Kurse wurden beispielsweise im Rahmen der Hachschara-Bewegung (Hachschara=Vorbeitung) schon 1934 in Diersburg bei Offenburg oder - ab 1937 - auf dem Lehrgut Sennfeld bei Buchen angeboten, eine "Anlernwerkstätte für jüdische Schreiner und Schlosser" wurde 1936 in Mannheim gegründet. Die Auswanderung von Kindern und Jugendlichen aus Nazi-Deutschland nach Palästina - unabhängig von ihren Eltern - betrieb die von Henriette Szold organisierte Kinder- bzw. Jugend-Alijah. Zum Beispielt reisten im September 1936 von Karlsruhe aus 680 Menschen, zumeist von der Jugend-Alijah vorbereitete Jugendliche, nach Palästina aus.
Am 17.5.1939 lebten in Karlsruhe noch insgesamt 1.347 Juden, die 0,73% der Gesamtbevölkerung bildeten. Die Mehrheit der Karlsruher Juden war damit emigriert und die noch in Karlsruhe ausharrende jüdische Bevölkerung stark überaltert (1939 war mehr als die Hälfte der Karlsruher Juden über 50 Jahre alt). Auffällig war auch ein mit der Alterstruktur der jüdischen Bevölkerung in Zusammenhang stehender starker Frauenüberschuss von 799:548.
Trotz der schweren Übergriffe des Jahres 1938 versuchte sich diese stark verkleinerte und in ihrer sozialen Zusammensetzung stark veränderte jüdische Gemeinde neu zu organisieren. Die Gottesdienste der liberalen Gemeinde fanden nun im "Nassauer Hof" oder im Konferenzsaal der Gemeindeverwaltung in der Herrenstraße statt. Die orthodoxen Juden trafen sich in der Wohnung des Rabbiners Michalski im Vorderhaus der Karl-Friedrich-Str. 16 zu improvisierten Gottesdiensten und hielten sogar den jüdischen Kindergarten in Gang. Ebenso konnte der Schulbetrieb unter den oben geschilderten problematischen Bedingungen weiterlaufen, litt aber zusätzlich durch die jetzt stark spürbare Abwanderung von Lehrkräften und Schülern.
Einen schweren Verlust stellte auch die Emigration des Vorstehers der liberalen Gemeinde, Siegfried Weissmanns, in die USA im Mai 1939 dar; sein Nachfolger wurde der Rechtsanwalt Hugo Stein.
Gleichzeitig erfuhren die jüdischen Verbände und Vereinigungen unter dem Druck des NS-Staates eine massive Umstrukturierung. Am 4.7.1939 wurde die "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" (Präsident: Leo Baeck) gebildet, der auch die Israelitische Religionsgemeinschaft Badens als Dachverband der örtlichen jüdischen Gemeinden und die Karlsruher orthodoxe Israelitische Religionsgesellschaft im November 1939 beizutreten hatten. Damit verlor der Oberrat der Israeliten seine Funktion als verwaltungsmäßige Spitze der Israelitischen Religionsgemeinschaft Badens und wurde durch die "Bezirksstelle Baden der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland", die nur noch im Untertitel den Namen "Oberrat der Israeliten" führen durfte, ersetzt.
Ebenfalls aufgelöst wurden die jüdischen karitativen Organisationen wie der Jüdische Frauenverein, der Männerkrankenverein, der Israelitische Frauenwohltätigkeitsverein und der Ortsverband Karlsruhe des Israelitischen Wohlfahrtsbundes, deren Aufgaben auf die zentrale Gemeindeeinrichtung "Wohlfahrtsstelle der Israelitischen Gemeinde Karlsruhe" übertragen wurde. Diese war freilich für die jüdische Bevölkerung von großer Bedeutung, da Juden seit dem 19.11.1938 aus dem allgemeinen Sozialsystem ausgeschlossen waren.
Die Terrorisierung der jüdischen Bevölkerung fand 1939 auf vielfältige Weise ihre Fortsetzung. Seit dem "Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden" vom 30.4.1939 verfolgte die Stadtverwaltung Karlsruhe zunehmend das Ziel, jüdische Familien in so genannten "Judenhäusern" zu konzentrieren. Ebenso war die Stadt bestrebt, den Zuzug auswärtiger Juden nach Karlsruhe zu verhindern, und genehmigte seit Sommer 1939 Mietverträge mit auswärtigen Juden nicht mehr. Mit Kriegsbeginn verschlechterte sich die Lage der Karlsruher Juden nochmals deutlich, so durch ein nächtliches Ausgangsverbot, die Beschlagnahmung der Rundfunkgeräte, die Verweigerung der "Reichskleiderkarte", die Zuweisung zu bestimmten Lebensmittelgeschäften, Arbeitseinsätze, Kündigung der Fernsprechanschlüsse, das Verbot des Besuchs des Stadtgartens oder das Gebot des Karlsruher Oberbürgermeisters, sich in Straßenbahnen auf der vorderen Plattform aufhalten zu müssen.
Der Herbst 1940 brachte dann die Zerschlagung der Karlsruher jüdischen Gemeinden. Der badische Gauleiter und Reichsstatthalter Robert Wagner und der saarpfälzische Gauleiter Josef Bürckel ließen die badischen, pfälzischen und saarländischen Juden, insgesamt 6.504 Menschen, am 22. Oktober 1940 in das Lager Gurs im unbesetzten Frankreich deportieren. Das Lager Gurs war ursprünglich ein Lager zur Internierung von Angehörigen der Armee der spanischen Republik; darüber, dass es nun zum Ort der Deportation für deutsche Juden werden sollte, wurde die Vichy-Regierung im Vorab nicht informiert. Aus Karlsruhe wurden zunächst 905 Personen verschleppt, einige Wochen später folgten 40 weitere Karlsruher Juden. Ein ganz erheblicher Anteil unter den aus Karlsruhe Deportierten zählte bereits zu den Alten: 25,9% von ihnen waren älter als 65 Jahre, und unter dieser Gruppe waren wiederum 24 Personen, die bereits das 80. Lebensjahr überschritten hatten. Das Vermögen der Deportierten wurde vom "Generalbevollmächtigten für das jüdische Vermögen in Baden" (mit Sitz in der Karlsruher Sophienstraße) beschlagnahmt, mitgenommen werden durften von Erwachsenen max. 50 kg Gepäck und 100 RM. Als Sammelplatz für die zu deportierenden Karlsruher Juden wurde der ehemalige "Fürstenbahnhof" des Karlsruher Hauptbahnhofs bestimmt. Von dort aus setzte sich abends ein langer Personenzug Richtung Frankreich in Bewegung, der am 25.10.1940 die Bahnstation Oloron-Ste. Marie bei Gurs erreichte. In Karlsruhe verblieben lediglich ca. 130 Juden: Bei ihnen handelte es sich um Juden, die zufällig am Tag der Deportation nicht in Karlsruhe anwesend waren, Kranke und Juden, die in "Mischehen" lebten.
Das Lager Gurs war von Stacheldrahtsicherungen umgeben; innerhalb des "Camp" befanden sich 13 so genannte Ilots, die ihrerseits nochmals mit Stacheldraht umzogen waren. Zu jedem Ilot gehörten wiederum 25-27 Baracken. Diese hatten eine Abmessung von 5x25 Metern und dienten der Unterbringung von bis zu 60 Menschen. Hierbei wurden die Frauen und Kinder von den Männern separiert. Insgesamt war das Camp de Gurs im November 1940 von mehr als 12.000 Personen belegt, darunter Spanienkämpfer, französische politische Häftlinge, deutsche Emigranten und eben die 1940 aus Deutschland deportierten Juden.

Blick auf das Lager Gurs, um 1940.

Blick auf das Lager Gurs, um 1940.
© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Hunger, Kälte, Nässe, katastrophale hygienische Verhältnisse, Krankheiten sowie die enorme psychische Belastung schwächten und peinigten die die aus Baden, der Pfalz und dem Saargebiet Deportierten, so dass in den ersten drei Monaten über 600 von ihnen verstarben (darunter auch 79 der Karlsruher Juden). Erst im Jahr 1941 verbesserte sich die Lage etwas durch das Eingreifen von jüdischen und christlichen Hilfskomitees und -organisationen wie der OSE (Oeuvre de secours aux enfants), den amerikanischen Quäkern, dem Schweizer Kinderhilfswerk und dem Internationalen Roten Kreuz. Auch wurden in Gurs Internierte zum Teil in anderen Lagern untergebracht, so in Masseube, Récébédou, Noe, Nexon, Le Vernet, Rivesaltes und Le Milles. Über Hilfsorganisationen konnte auch eine gewisse Zahl von älteren Menschen in Heimen unterkommen, während die OSE Kinder aus den Internierungslagern in Kinderheimen oder Familien unterbrachte bzw. ihnen die Flucht, z.B. in die USA oder in die Schweiz, ermöglichte.
Von den 945 Karlsruher Deportierten gelang 167 noch von Gurs aus die Auswanderung (in 133 Fällen in die USA). Hierbei erwarb sich Karl Eisemann, seit Oktober 1940 Vorsitzender der Bezirksstelle Baden der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, bei der Beschaffung der notwendigen Papiere größte Verdienste, bis ihm diese Möglichkeit im Februar 1941 durch das Reichssicherheitshauptamt genommen wurde. 48 weitere Karlsruher Juden überlebten die Naziherrschaft in Altersheimen oder Krankenhäusern und 130 unter ihnen, auch Kinder und Jugendliche, tauchten erfolgreich in den Untergrund ab oder flüchteten in die Schweiz oder nach Spanien. 210 von ihnen starben dagegen in Frankreich, davon wiederum 136 in Gurs. 390 Personen wurden schließlich ab dem 5.8.1942 in die Konzentrationslager des Ostens, zumeist nach Auschwitz, deportiert.
Nach der Gurs-Aktion im Jahr 1940 lebten in Karlsruhe noch ca. 130 Juden. Genaue Zahlen liegen für den 1.2.1941 vor, als in Karlsruhe noch 105 Juden lebten, darunter 73 in Mischehen. Die Existenz wurde diesen Juden durch die Behörden immer schwerer gemacht. Ihnen wurde am 10.9.1939 das Betreten von Luftschutzräumen untersagt, ab dem 19.9.1941 musste der Judenstern getragen werden, ab dem gleichen Zeitpunkt war es Juden nur noch in Ausnahmefällen gestattet, die Wohngemeinde zu verlassen, im Oktober 1941 wurden die üblichen sozialen Leistungen sowie Lohnzuschläge für jüdische Arbeitnehmer abgebaut, und am 17.11.1941 waren von jüdischen Haushalten Schreibmaschinen, Fahrräder, Fotoapparate und Ferngläser abzugeben. Am 13.1.1942 mussten Juden Winterkleidung und Skier abliefern, ab dem 1.5.1942 durften sie bis auf wenige Ausnahmen innerhalb der Wohngemeinde keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen, die Haltung von Haustieren war ihnen ab dem 14.5.1942 verboten, und am 18.9.1942 kürzten die Behörden Juden die Lebensmittelzuteilung und kennzeichneten deren Lebensmittelkarten mit einem "J".
Am 24.4.1942 wurden erstmals badische Juden nach Osten abtransportiert, darunter 11 Karlsruher. Über Stuttgart ging der Transport in das Durchgangsghetto Izbica im Distrikt Lublin im "Generalgouvernement". Von dort aus wurden diese Menschen nach wenigen Wochen nach Sobibor, Majdanek oder Belzec verschleppt und dort ermordet. Am 22.8.1942 folgte ein weiterer Transport von badischen Juden nach Theresienstadt, darunter diesmal 14 Karlsruher. Auch von ihnen überlebte niemand, die meisten starben in Theresienstadt und Auschwitz. Einem dritten Transport am 29.9.1942, diesmal direkt nach Auschwitz, entzog sich die einzige in Karlsruhe betroffene Person, Regina Spanier, durch Selbstmord. Am 1.3.1943 startete der nächste Transport von Karlsruhe nach Auschwitz an. Ihm mussten sich diesmal 6 Karlsruher Juden anschließen, darunter der ehemalige Fußball-Nationalspieler Julius Hirsch.

Der Karlsruher Fußballklub KFV wurde 1910 mit den jüdischen Spielern Julius Hirsch

Der Karlsruher Fußballklub KFV wurde 1910 mit den jüdischen Spielern Julius Hirsch (untere Reihe, zweiter von rechts) und Gottfried Fuchs (untere Reihe, erster von links) deutscher Meister.
© wikipedia

Schließlich erfolgte am 10. oder 11.1.1944 ein kleiner Transport von Karlsruhe nach Auschwitz, dem zwei Karlsruher Juden zugewiesen worden waren.
Vom besetzten Frankreich aus erfolgten seit März 1942 Deportationen in die Vernichtungslager. Im Juli und August 1942 befanden sich in den Deportationszügen auch erstmals Karlsruher Juden. Diese waren während einer Großrazzia in Paris am 16./17.7.1942 festgenommen worden worden. Im unbesetzten Frankreich gingen am 5. und 7.8.1942 erste Transporte nach Auschwitz ab, wovon auch zahlreiche Karlsruher Juden betroffen waren. Die zentrale Zwischenstation bildete das Sammellager Drancy bei Paris, von wo aus allein am 10. und am 12.8.1942 109 bzw. 73 Karlsruher nach Auschwitz deportiert wurden. Auch in den Lagern Rivesaltes, Masseube, Récébédou, Noé und Vernet begannen nun die Todestransporte, so dass nun in zeitlich dichten Abständen von Drancy aus Züge in Richtung Auschwitz fuhren. So wurden schon am 14., 17., 19., 26. und 28.8.1942 wieder aus Karlsruhe stammende Juden nach Auschwitz verschleppt. Letztmals wurde am 31.7.1944 ein Karlsruher Jude, Hermann Hagenauer, von Drancy nach Auschwitz deportiert.
Am 14.2.1945 kam es letztmals von Karlsruhe aus zur Deportation badischer Juden. Betroffen waren 30 in "Mischehe" lebende Juden und "Mischlinge ersten Grades", darunter insgesamt 17 Karlsruher. Die Jüngsten innerhalb der Karlsruher Gruppe waren die Kinder von Julius Hirsch, Esther und Heinold Hirsch. Bestimmungsziel des Transportes war Theresienstadt. Dank der Befreiung des Lagers am 5.5.1945 konnten alle Deportierten, die aus Karlsruhe stammten, überleben und kehrten am 16.6.1945 unter Führung von Leopold Ransenberg in die Fächerstadt zurück. Entrinnen konnten diesem letzten Transport der in einer Mischehe lebende Karl Eisemann wie auch die Geschwister Rudi und Renate Kahn. Sie hielten sich in einer Gartenhütte am Turmberg versteckt und wurden bis zur Befreiung durch die Alliierten durch die Familie des Oberlandgerichtsrats Caemerer und Bewohnern des Lamprechts- und Rittnerhofes verpflegt.

 

Nachkriegszeit und Bundesrepublik

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg lebten in Karlsruhe nicht mehr als etwa 60 Juden. Dennoch kam es schon am 7.12.1945 zur Gründung der "Jüdischen Kultusgemeinde für Karlsruhe und Umgebung" im Gasthaus " Zum weißen Berg" in der Waldstraße. Ihr erster Vorsitzender wurde der Theresienstadt-Überlebende Leopold Ransenberg, als Beisitzer wählte man Otto Nachmann, den späteren Vorsitzenden des Oberrats der Israeliten Badens, in den Vorstand. Der Betsaal dieser kleinen jüdischen Gemeinde befand sich in einem Gebäudeteil im Hinterhof der Liegenschaft Herrenstr. 14, wo vor 1940 der Synagogenrat der alten jüdischen Gemeinde getagt hatte. Der Betsaal in der Herrenstraße wurde 1951 erneuert und am 26.7.1951 zur Synagoge geweiht.

Betsaal der jüdischen Gemeinde in der Herrenstr. 14

Betsaal der jüdischen Gemeinde in der Herrenstr. 14, BNN 27.7.1951.
© Stadtarchiv Karlsruhe, StAK 8/BA Schlesiger B2 16/1

Vorsitzender des Oberrats der Israeliten (Nord-)Badens wurde 1946 der Karlsruher Otto Nachmann. Seinen Sitz bezog der Oberrat der in der US-Zone gelegenen badischen Landesteile 1947 in dem Haus Kriegsstr. 154, in dem bis 1940 der Oberrat residiert hatte. Das Gebäude stand damals im Besitz der "National", Allgemeine Versicherungs-AG Lübeck, doch gelang es dem Oberrat seinen Besitz zurückzuerwerben. Otto Nachmann blieb auch nach der Vereinigung des nord- und des südbadischen Oberrats (1953) Oberratsvorsitzender und stand bis1961 an der Spitze des Leitungsgremiums der badischen Juden.
Eine wichtige Aufgabe des ersten Nachkriegsoberrats bestand darin, bei unzähligen Suchanfragen unterstützend zu wirken und sich für die Rückerstattung jüdischer Gemeindeimmobilien, darunter die Synagogengrundstücke und Friedhöfe, einzusetzen. Hier leisteten jüdische Rechtsanwälte, die aus der Emigration zurückkehrten, wertvolle Hilfe. Für den Bereich um Karlsruhe wäre in diesem Zusammenhang vor allem Alfred Wachsmann aus Baden-Baden zu nennen. Ein ganz besonderes Anliegen stellte für den Oberratsvorsitzenden Otto Nachmann die würdige Gestaltung des Deportationsfriedhofs Gurs dar. Er fand hierbei die Unterstützung des Karlsruher Oberbürgermeister Günther Klotz (1952-1970), doch konnten die umfassenden Instandsetzungsarbeiten in Gurs erst nach dem Tod Otto Nachmanns abgeschlossen werden. Am 26.3.1963 wurde der Deportationsfriedhof Gurs in Anwesenheit von Repräsentanten des Judentums, staatlicher Behörden Frankreichs und zahlreicher badischer Städte und Landkreise eingeweiht. Aus Karlsruhe waren zu diesem Ereignis beispielsweise der neue Vorsteher der jüdischen Gemeinde und neue Oberratsvorsitzende Werner Nachmann sowie Oberbürgermeister Günther Klotz angereist.
Die jüdische Gemeinde Karlsruhes wies Mitte der 50er Jahre ca. 160 Mitglieder auf, die vorwiegend aus aus Polen stammenden Juden bestand. Die damals in Karlsruhe wohnenden Juden lebten geistig oft "auf gepackten Koffern", doch war gleichwohl ein sich intensivierendes Gemeindeleben zu registrieren. Herta Nachmann, Frau von Otto Nachmann, baute in Karlsruhe eine jüdische Frauengruppe auf, die anderen jüdischen Gemeinden zum Vorbild diente, der Sportverein Ha-Koach wurde wiederbegründet, eine Beerdigungsbruderschaft ins Leben gerufen, und es wurde seit den 60er Jahren der Bau eines neuen Gemeindezentrums ins Auge gefasst. Schließlich wurde zwischen 1968 und 1971 auf einem etwas abgelegenen Waldgrundstück in der Knielinger Allee eine neue Synagoge nach Plänen der Architekten Hermann Backhaus und Harro Wolf Brosinsky errichtet und am 4.7.1971 geweiht. Die Errichtung der Karlsruher Synagoge bedeutete den ersten Neubau einer Synagoge in Baden-Württemberg seit der NS-Zeit; architektonisch besonders bemerkenswert ist, dass die Synagoge einen sechseckigen Grundriss und die Dachkonstruktion die Form eines Davidsterns aufweist.
Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Karlsruhe Werner Nachmann hatte zwischen 1961 und 1988 nicht nur auf das Karlsruher Gemeindeleben immensen Einfluss, sondern nahm als Vorsitzender des Oberrats der Israeliten in Baden sowie als Mitglied (ab 1962) und Vorsitzender des Zentralrats der Juden (ab 1969) auch innerhalb des deutschen Judentums eine sehr bedeutsame Stellung ein. Sehr gut in der deutschen Politik vernetzt, konnte Nachmann die Einrichtung der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg (1979/82) und 1980 die Regelung bisher ungelöster Wiedergutmachungsfragen als Erfolg auf seine Fahnen schreiben. Nach seinem Tod stellte sich allerdings heraus, dass in der Ära Nachmann hohe Zinseinkünfte aus Wiedergutmachungsgeldern unter ungeklärten Umständen versickert waren. Auch intensive Nachforschungen unter dem neuen Zentralratsvorsitzenden Heinz Galinski führten zu keiner vollkommenen Aufklärung der Angelegenheit.
Die deutsche Nachkriegsgesellschaft bemühte sich in verschiedener Weise um eine Annäherung an die badischen und Karlsruher Juden, um "Versöhnung". Von Landesseite wurde sowohl dem Oberrat als auch den Lokalgemeinden wieder die Körperschaftsrechte verliehen, von Seiten der katholischen Kirche erfolgte 1965 eine Distanzierung zur judenfeindlichen Theologie der Vorkriegszeit, und die Landessynode der evangelischen Landeskirche in Baden rang sich - allerdings erst 1984 - zu einem Schuldeingeständnis durch. In Karlsruhe gründeten Karlsruher Bürger sowie Vertreter der Gewerkschaften, der politischen Parteien sowie der Kirchen 1951 die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, mit der eine der ersten deutschen Gesellschaften für den christlich-jüdischen Dialog in Deutschland ins Leben gerufen wurde. Die Stadt Karlsruhe setzte sich zeitverzögert mit dem furchtbaren Unrecht auseinander, das den jüdischen Mitbürgern angetan worden war. 1961 versuchte die Kommune über Zeitungsannoncen, Kontakt zu ehemaligen Karlsruher jüdischen Bürgern aufzunehmen, 1963 erfolgte die Anbringung einer Gedenktafel an der Stelle der ehemaligen Synagoge in der Kronenstraße, und 1988 wurden mehrere Hundert ehemalige jüdische Bürger auf städtische Initiative zum gemeinsamen Gedenken an die Pogromnacht nach Karlsruhe eingeladen. Im selben Jahr erschien, herausgegeben von der Stadt Karlsruhe, Josef Werners Standardwerk zur Verfolgung der Karlsruher Juden während der NS-Zeit "Hakenkreuz und Judenstern", und es wurde in kommunalen Auftrag eine Gedenkliste für die während der NS-Zeit ermordeten oder zu Tode gekommenen Karlsruher Juden erstellt. Diese Gedenkliste wurde zur Ausgangsbasis des vom Stadtarchiv Karlsruhe betreuten Gedenkbuchs für die Karlsruher Juden, dessen Datenbank seit 2006 online abrufbar ist. Weiter wurde am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Januar 2001 ein Gedenkstein auf dem Karlsruher Hauptfriedhof enthüllt, in den die Namen der bis dahin bekannten und aus Karlsruhe stammenden jüdischen Opfer der NS-Zeit eingraviert sind.

Gedenkstein

Gedenkstein für die während der NS-Zeit ermordeten und zu Tode gekommenen Juden auf dem Karlsruher Hauptfriedhof.
© Stadtarchiv Karlsruhe; StAK 8/PBS oXIVb 961

Seit 2005 wurden schließlich in Karlsruhe die von dem Bildhauer Gunter Demnig angefertigten "Stolpersteine" für ermordete Juden verlegt.
In den beiden letzten Jahrzehnten hat sich die jüdische Gemeinde Karlsruhe sowohl zahlenmäßig als auch in ihrer Zusammensetzung erheblich verändert. Zunächst erhöhte sich durch Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion die Zahl der Juden in Deutschland seit 1990 in markanter Weise. Wiesen die deutschen jüdischen Gemeinden 1989 ca. 26.000 Mitglieder auf, so gehörten ihnen heute ca. 105.000 Menschen an. In Baden wuchs die Zahl der Juden von rund 1.200 (1988) auf ca. 5.000 (2008) an. In diesem Kontext machten sich jüdische Gemeinden selbständig oder wurden neu gegründet, so in Konstanz (1988), Baden-Baden (1992), Pforzheim (1994, zuvor Karlsruhe zugeordnet), Emmendingen (1995), Lörrach (1995) und Rottweil (2002). Die orthodox orientierte Karlsruher jüdische Gemeinde umfasst im Jahr 2011 über 900 Mitglieder (1983: 350 Mitglieder, einschließlich der Gemeinde Pforzheim), wobei etwa vier Fünftel der Mitglieder aus der ehemaligen UdSSR stammen. Die Gemeinde bietet ihren Mitgliedern eine ganze Reihe von Angeboten, so gibt es eine Bibliothek, eine Jobbörse, das Jugendzentrum Re’ut und einen Seniorentreff. Weiter findet regelmäßig Religionsunterricht für Kinder und Erwachsene statt. Eine eigene Zeitung informiert über Neuigkeiten und Termine, wie die Auftritte des Chores, der jiddische, israelische und russische Lieder im Repertoire hat. Auch gibt es Kurse für israelische Tänze und nicht zuletzt den jüdischen Sportverein Makkabi Karlsruhe.



3. Anlage

Das Modul bietet einen detailliert beschriebenen Stadtrundgang ( AB 2 und AB 3 ) zur jüdischen Geschichte im Bereich der Karlsruher Innenstadt.

 

- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Karlsruhe -