1514: Volksaufstand in Württemberg - Peter Gais und der "Arme Konrad"

Hintergrund

Zeittafel

Wasserprobe

B 2 Die "Wasserprobe" - Lithographie von Victor Schievert, 1907 (gemeinfrei)

Frühjahr 1514
Um den Haushalt zu sanieren, beschließt die herzogliche Regierung, eine Vermögenssteuer zu erheben, was aber am Widerspruch der Wohlhabenden scheitert. Darauf wird eine indirekte Steuer auf Grundnahrungsmittel eingeführt, die vor allem die arme Dorfbevölkerung trifft.

2. Mai
Der Beutelsbacher Tagelöhner Peter Gais besorgt sich die neuen, leichteren Gewichte, die der Herzog hatte einführen lassen, um die Verbrauchssteuer zu verschleiern. Mit einer Anhängerschar von Unzufriedenen zieht er an die Rems und wirft die neuen Gewichte ins Wasser. Diese Aktion wird an mehreren Stellen unter Jubel wiederholt.

4.Mai
Aufständische Bauern und Tagelöhner ziehen vor die Amtsstadt Schorndorf und demonstrieren gegen den "Bösen Pfennig". Herzog Ulrich sendet den Stuttgarter Vogt Hans Gaisberg nach Schorndorf mit der Aufforderung, die Aufständischen keinesfalls in die Stadt einzulassen. Diesem gelingt es mit Versprechungen, die Aufständischen zum Abzug zu bewegen.

Mitte Mai
Der Aufstand breitet sich bis Mitte Mai auf die Ämter Tübingen, Urach, Markgröningen, Weinsberg, Balingen und Brackenheim aus. Schließlich werden 32 von 43 württembergischen Ämtern [Kreise] davon erfasst. Angesichts der bedrohlichen Lage hebt der Herzog die Verbrauchssteuer auf, verspricht Straffreiheit für die Aufrührer und einen Landtag, auf dem auch die Beschwerden und Forderungen der einfachen Leute zur Sprache kommen sollen. Überall im Land werden nun Beschwerden und Forderungen für den Landtag formuliert. In einigen Ämtern bilden sich unter dem Namen 'Armer Konrad' Widerstandsgruppen gegen das herrschende Regime, die Gemeindeversammlungen durchführen und sich die Schlüssel zu den Stadttoren aushändigen lassen, um bei einem militärischen Einschreiten des Herzogs vorbereitet zu sein.

1.Juni
In einem Rundschreiben werden die Dörfer aufgefordert, ihre Beschwerden aufzuschreiben und dem jeweiligen Amtmann zu übergeben. Sie sollen auf dem Landtag vorgebracht werden.

7.-9. Juni
Auf dem Marbacher Städtetag treffen sich Vertreter von Leonberg, Markgröningen, Vaihingen, Bietigheim, Besigheim, Brackenheim, Güglingen, Großbottwar, Marbach, Backnang, Winnenden, Laufen, Hoheneck und Waiblingen und formulieren 41 Beschwerdepunkte, z.B. gegen Bestechlichkeit der herzoglichen Räte, gegen den Wildschaden, gegen eine Besetzung von Amtsstellen durch unfähige Leute und für einen Ausschluss der herzoglichen Amtleute aus dem Landtag.

16. Juni 1514
Zweite Städteversammlung in Stuttgart, an der Vertreter von 25 württembergischen Städten, darunter auch Stuttgart, Tübingen und Urach teilnehmen und die 41 Marbacher Artikel überarbeiten. Eine der Kernforderungen, die Teilnahme von Bauern als Vertreter der Amtsdörfer an den Landtagen, scheitert am Veto der Vertreter der Ehrbarkeit. Sie beanspruchen, weiterhin auch das Recht des "gemeinen Mannes" zu vertreten.

Ende Juni
Die "Ehrbarkeit", die bürgerliche Führungsschicht in den Amtsstädten des Herzogtums, einigt sich mit dem Herzog darauf, den eigentlichen Landtag in Tübingen durchzuführen und erst danach die in Stuttgart versammelten Vertreter der ländlichen Gemeinden ("Bauernlandtag") anzuhören. 53 Amtsstädte schicken jeweils zwei Abgeordnete zum eigentlichen Landtag in Tübingen.

8. Juli
Der Herzog einigt sich unter der Vermittlung von kaiserlichen Räten und Fürsten in wenigen Tagen mit den bürgerlichen Landständen darauf, dass die Untertanen die Schulden des Herzogs in Höhe von 920 000 Gulden übernehmen, dafür aber die Landstände das Recht erhalten, bei der Steuererhebung mitzuwirken und Steuern selbst einzuziehen. Außerdem erhalten sie Mitsprache in Fragen der Außenpolitik (Zustimmung zu Kriegen, keine Veräußerungen von Land und Leuten ohne ihre Zustimmung). Nach einer Übergangsfrist erhalten alle württembergischen Untertanen das Recht des 'freien Zugs' (Auswanderung) und das Recht auf ordentliche Prozesse vor Gericht. Ausdrücklich wird festgelegt, dass Aufruhr gegen die Staatsgewalt künftig mit schweren Strafen geahndet wird.
Ein 'Nebenabschied' befasst sich auch mit den Forderungen der Bauern, die in den folgenden Wochen auch teilweise erfüllt werden. Der Herzog fordert die Vertreter der Bauern in Stuttgart auf, nun, nachdem alles geregelt sei, nach Hause zu gehen, ihre weiteren Beschwerden dort auf dem Amtsweg einzureichen und mit allen württembergischen Untertanen auf den Tübinger Vertrag zu schwören.

Mitte Juli
Die Untertanen in den meisten Amtsbezirken huldigen dem Tübinger Vertrag bis auf die Ämter Weinsberg, Leonberg, Backnang, Schorndorf, Winnenden und Urach.
In Leonberg ziehen die vom Volk gewählten Vertreter auf den Engelberg und verschanzen sich dort. Sie wollen den Tübinger Vertrag erst anerkennen, wenn ihre schriftlich vorgebrachten Forderungen erfüllt seien. Der Herzog schickt Unterhändler und als diese nichts ausrichten können, besucht er selbst das Lager auf dem Engelberg. Erst als er zusagt, die hauptsächlichen Forderungen der Leonberger zu erfüllen, erklären diese sich bereit, den Vertrag zu akzeptieren.
Auch nach Schorndorf zieht der Herzog, um die Untertanen zur Huldigung zu bewegen, trifft dort aber auf heftigen Widerstand, wird persönlich angegangen und flieht nach Stuttgart. Die Widerstand Leistenden verschanzen sich, versehen mit Gewehren, Schlag- und Stichwaffen, auf dem Kappelberg bei Beutelsbach. Sie sagen sich von Herzog Ulrich und dem Landtag los und fordern: Die Bauern Württembergs sollen frei sein und keine Frondienste mehr leisten müssen. Die Herrschenden sollen enteignet und ihr Besitz verteilt werden. Herzog Ulrich soll verhaftet und vor ein Gericht gestellt werden.

Ende Juli
Der Herzog beauftragt nun den Landtag, über die Rebellen zu urteilen. Dieser entscheidet, dass alle Untertanen den Tübinger Vertrag akzeptieren müssten, da die Vertreter der Ämter auf dem Landtag ihm zugestimmt hätten und auch die Beschwerden der Dörfer und Städte im Nebenabschied geregelt seien.
Hilfstruppen benachbarter Fürsten beginnen im Herzogtum einzumarschieren. Das Landesaufgebot wird einberufen. Der Kappelberg wird belagert. Darauf verlassen die Anhänger des 'Armen Konrad' nach und nach den Kappelberg. Viele ihrer Anhänger fliehen, einige werden verhaftet, einige unterwerfen sich dem Urteil des Landtags und akzeptieren den Tübinger Vertrag.

August/September
Gestärkt durch die Einigung mit den bürgerlichen Landständen in Tübingen greift der Herzog nun hart durch. In Schorndorf, Stuttgart und Tübingen finden Schauprozesse und öffentliche Hinrichtungen statt. Ein Großteil der führenden Verschwörer flieht außer Landes, vor allem in die Schweiz.
Die herzogliche Regierung prüft im August und September die schriftlich vorgebrachten Beschwerden der Bauern und erfüllt sie zum Teil. Zum Beispiel werden korrupte Beamte abgesetzt und die Bauern dürfen Wildschweine, die auf ihre Felder eingedrungen sind, verjagen. Die Gemeinden erhalten entsprechende Freiheitsbriefe. In den folgenden Jahren steigen die Steuern deutlich an, die nun von einem Gremium der bürgerlichen Landstände eingezogen werden.

�Die Wasserprobe�

B 3  Die "Wasserprobe" von Peter Gais aus Weinstadt-Beutelsbach löste den Volksaufstand aus. Klanginstallation in der Ausstellung zum Armen Konrad im Alten Rathaus in Weinstadt-Beutelsbach 2014. Foto: Ulrich Maier


Bedeutung

Denkmal von Fritz Nuss

B 4 Vor dem Rathaus von Weinstadt-Beutelsbach erinnert das Denkmal von Fritz Nuss an Peter Gais, eine Führungspersönlichkeit des Volksaufstandes © Ulrich Maier

Der Volksaufstand in Württemberg im Jahre 1514 richtete sich zunächst gegen eine vom Herzog erhobene Verbrauchssteuer. Er nahm seinen Ausgang im Amt Schorndorf und breitete sich in wenigen Wochen auf fast alle Ämter des Herzogtums aus. Zwar nahm der Herzog die Steuer bald zurück, doch musste er, um den Aufstand beenden zu können, mit den Vertretern der Landschaft in einem Landtag zu Tübingen verhandeln und Partizipations- und Freiheitsrechte gewähren, die im Tübinger Vertrag fixiert wurden. Fast 300 Jahre lang war dieses Dokument ein Grundgesetz für Württemberg und bildete auch die Grundlage für die württembergische Verfassung von 1819.

Der Volksaufstand von 1514 gehört zu den Ereignissen, die über Jahrhunderte hinweg zu mehr Partizipation und schließlich zu unserem heutigen demokratischen Rechtsstaat führten.

Die "Südstaaten-Rebellen"?: Der Kampf um Partizipation im deutschen Südwesten vom Armen Konrad bis in die Gegenwart - ein Längsschnitt

 

 

- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Stuttgart -

letzte Änderung: 2016-03-02