Der Baader-Meinhof-Prozess von Stuttgart Stammheim im Staatsarchiv Ludwigsburg

Hintergrundinformationen

1.1 Bedeutung

Das Logo der RAF: Ein Roter Stern und eine Maschinenpistole

B 2 Das Logo der RAF: Ein Roter Stern und eine Maschinenpistole
© Wikipedia gemeinfrei

Der Baader-Meinhof-Prozess in Stuttgart Stammheim ist ein zentrales Ereignis in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. In diesem Prozess wurden Fragen aufgeworfen nach dem Selbstverständnis des Staates, gegen den die Angeklagten ihren Krieg führten, nach den Wirkungen des Vietnamkrieges auf die Gesellschaft der Bundesrepublik, nach der Studentenbewegung mit ihrer Kritik am amerikanischen Imperialismus und der kapitalistischen Gesellschaft und nach den Prinzipien des Rechtsstaates, die hier gefährdet schienen und doch verteidigt werden sollten.

Der Streit um die angemessene Bezeichnung der Terrororganisation spiegelt die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der 70ger Jahre. „Rote Armee Fraktion“ nannten die Terroristen ihre Vereinigung selbst, um die Nähe zur Roten Armee Chinas und zu Mao Zedong deutlich zu machen und den politischen Charakter hervorzuheben. Den Begriff „Baader-Meinhof-Gruppe“ verwendeten eher die Sympathisanten zu Beginn der 70er Jahre, wobei die Kriminalität der Aktionen verschleiert wurde. Dem stellte die Boulevardpresse den Begriff „Baader-Meinhof-Bande“ gegenüber. Das Bundesinnenministerium bezeichnete die Organisation der „politisch motivierten Gewalttäter“ dagegen als „kriminelle Baader-Meinhof-Vereinigung“.

Zahlreiche Bezüge lassen sich zur Geschichte des Landes Baden-Württemberg herstellen. So stammen viele Opfer und auch führende RAF-Mitglieder aus Orten in Baden-Württemberg. In der JVA Stuttgart-Stammheim fand der Prozess gegen die Gründer der RAF,: Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin, statt. Hier saßen sie während des Prozesses in Haft und verübten nach dem Scheitern ihrer Befreiung Selbstmord. Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe sind in Stuttgart beigesetzt. Eine ihrer verheerendsten Terror-Aktionen war der Heidelberger Anschlag, der im Zentrum des Moduls steht. Die Vorgänge in der JVA Stuttgart-Stammheim und während des Prozesses in Stuttgart-Stammheim hatten auch Auswirkungen auf die Landespolitik. Nach den Selbstmorden von Stammheim trat beispielsweise der bereits durch die Abhöraffäre in der JVA Stuttgart-Stammheim angeschlagene Justizminister Traugott Bender zurück.

Das Thema RAF ist in den Medien präsent, insbesondere durch den Kinofilm „Der Baader-Meinhof-Komplex“. Es stößt bei Schülerinnen und Schülern auf großes Interesse. Filmische Interpretationen des Geschehens mit Quellentexten aus dem Archiv zu kontrastieren, bietet dem historisch-politischen Unterrichts viele Möglichkeiten und kann einer Mythen-Bildung um die RAF entgegenwirken.

In ihren Erklärungen betonte die RAF den politischen Charakter ihres Handelns als bewaffneten Kampf gegen die Bundesrepublik Deutschland. Sie beriefen sich auf ein Widerstandsrecht gegen die amerikanische Kriegführung in Vietnam und gegen die Bundesrepublik Deutschland, von deren Boden aus Einsätze in Vietnam vorbereitet und durchgeführt wurden. Allerdings bestanden die Aktionen der RAF in der Anfangsphase, als es um ihren Aufbau ging, aus Straftaten wie Autodiebstahl, Banküberfällen und Waffenbeschaffung. Die Anschläge der „Mai-Offensive“ 1972 auf Einrichtungen der US-Armee in Frankfurt und Heidelberg, auf den Springer-Verlag in Hamburg, auf Polizeigebäude in München und Augsburg konzentrierten sich auf weniger als zwei Wochen und forderten 4 Menschenleben und 41 Verletzte. Nach der Verhaftung der Führungsgruppe um Andreas Baader ging es bei den folgenden Geiselnahmen und Morden vornehmlich um die Freipressung der verhafteten Genossen.

Der Prozess wurde als reiner Strafprozess geführt. Und doch trug der Prozess unverkennbar politische Züge Die Strategie der Angeklagten und der Verteidigung, dem Verfahren einen politischen Charakter zu geben und den Staat selbst anzuklagen, zeigte Wirkung. Manche Schritte der Politik und des Gerichts (z.B. die Abhöraffäre oder unzulässige Kontakte zwischen Gerichtsinstanzen) vergrößerten die wachsende Skepsis. So standen der Rechtsstaat als solcher, aber auch das gesamte politische System der Bundesrepublik Deutschland während des Prozesses in Stuttgart-Stammheim auf dem Prüfstand.

Aus der Haft heraus setzte die Terrorgruppe ihren Kampf gegen den Staat fort. In der Öffentlichkeit sollte der Eindruck entstehen, der Staat gehe mit Mitteln der „Isolationsfolter“ gegen die Angeklagten vor. Zahlreiche Quellen belegen das Gegenteil, zeigen vielfältige Sonderkonditionen, die den Gefangenen gewährt wurden, Privatbibliotheken, Radio, Plattenspieler in den Zellen oder gemeinsamen „Umschluss“ im Flur vor den Zellen. Die Behauptung, sie litten unter der Isolationshaft, die zu ihrem Tod führen müsste, wurde gezielt zum Aufbau einer Sympathisantengruppe und zur Rekrutierung neuer Mitglieder eingesetzt.

Die Gefangenen bauten im Gefängnis ein detailliertes Kommunikationsnetz auf, tauschten Rundschreiben aus, entwickelten einen eigenen Code, um ihre Botschaften zu verschlüsseln, wenn diese einmal abgefangen werden sollten. Selbst Verteidiger wurden in dieses System einbezogen und beteiligten sich am Kassiberschmuggel. So gelangten z.B. auch die Pistolen in die Zellen, mit denen Baader und Raspe dann Selbstmord verübten.
Auch die Hungerstreikaktionen wurden als Mittel des Kampfes gesehen, von den Führungsleuten angeordnet oder wieder abgesagt. Schließlich wurde auch der Selbstmord von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe nach dem gescheiterten Befreiungsversuch von Mogadischu als Mittel des Kampfes inszeniert. Die Überlebende Irmgard Möller verbreitete die These, dass die Gefangenen vom „Staats-Schutz“ ermordet worden seien: „Sie wollten uns tot. Ich war und bin überzeugt, dass es eine Geheimdienstaktion war.“ (Aussage vor dem Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags). Dass der Geheimdienst ohne Wissen der Gefängnisleitung und des Gerichts spezielle Zugangswege zu den Zellen angelegt hatte, beförderte die Wirkung dieser These.

In ihren Schriften (Die rote Armee aufbauen, Das Konzept Stadtguerilla u.a.m.) versuchte die RAF das Bild einer Partisanengruppe zu erwecken, die auf der Seite der Befreiungsbewegungen der Dritten Welt nach dem Vorbild Kubas und des heroischen Guerillakämpfers Che Guevara gegen den US-Imperialismus und konkret gegen die Bundesrepublik Deutschland als dessen Verbündeten kämpft. Im Prozess von Stuttgart-Stammheim sollte dieses Bild verdeutlicht werden, etwa wenn die Angeklagten sich auf das Widerstandsrecht im Grundgesetz beriefen, das ihre Straftaten als revolutionären Freiheitskampf rechtfertigen sollte. Das Gericht ließ solche Versuche nicht zu.

Das Unterrichtsmodul stellt die Gewalt des Terrors am Beispiel des Heidelberger Anschlags in den Mittelpunkt, bei dem drei US-Soldaten auf grausame Weise ums Leben kamen. Es zeigt beispielhaft an ausgewählten Gerichtsakten des Stammheimprozesses, wie die kriminellen Aktionen gerichtlich verfolgt und verhandelt wurden und stellt Bezüge her zwischen der Studentenbewegung und der Entstehung und Entwicklung des RAF-Terrors. Es hat auch zum Ziel, dass sich Schülerinnen und Schüler der Kursstufe kritisch mit den Versuchen der RAF, ihrer Sympathisanten und ihrer Verteidiger vor Gericht auseinandersetzen, die Terroraktionen als Freiheitskampf erscheinen zu lassen.


1.2 Geschichte

RAF-Anschlag auf das Hauptquartier der US-Armee in Heidelberg

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Beim RAF-Anschlag auf das Hauptquartier der US-Armee in Heidelberg gab es drei Tote und 5 Verletzte.
(© Generallandesarchiv Karlsruhe, 334 Nr. 5 Bild 24)

Übersicht der Ereignisse bis zum Selbstmord der RAF-Gefangenen in Stuttgart-Stammheim

2. April 1968
Gudrun Ensslin und Andreas Baader legen Brandbomben in Frankfurter Kaufhäusern, um gewaltsam gegen die Napalmbombardements der USA in Vietnam zu demonstrieren.

11. April 1968
Ein Rechtsextremist feuert auf dem Kurfürstendamm in Berlin drei Kugeln auf den Studentenführer Rudi Dutschke ab, der das Attentat nur knapp überlebt. Am Abend des Mordanschlags demonstrieren über 1000 Demonstranten vor dem Springer-Verlagshaus in der Kochstraße (heute Rudi-Dutschke-Straße), darunter auch die Journalistin Ulrike Meinhof, die ihr Auto für eine Barrikade zur Verfügung stellt.

3.April 1968
Gudrun Ensslin und Andreas Baader werden verhaftet.

31.Oktober 1968
Gudrun Ensslin und Andreas Baader werden zu drei Jahren Haft verurteilt.

13. Juni 1969
Beide werden bis zur Entscheidung über eine Revision des Urteils aus der Haft entlassen.

November 1969
Nach der Ablehnung der Revision tauchen Gudrun Ensslin und Andreas Baader in Frankreich, später in Italien unter.

Januar 1970
Beide kehren nach Berlin zurück.

4.April 1970
Andreas Baader wird verhaftet.

14. Mai 1970
Bei der Befreiungsaktion von Andreas Baader wird ein Justizbeamter lebensgefährlich verletzt. Die Tatbeteiligten, die Journalistin Ulrike Meinhof und der Berliner APO-Anwalt Horst Mahler, schließen sich der Gruppe an.
Da die Gruppe danach in den Untergrund geht und in einer Erklärung vom 5. Juni 1970 zum Aufbau der RAF aufruft, gilt dieses Datum als Beginn der RAF.

Juni bis August 1970
Die Gruppe um Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Gudrun Ensslin wird in einem Palästinenserlager militärisch ausgebildet.

29.September 1970
Die Terroristen überfallen zeitgleich drei Banken und erbeuten über 200 000 DM.

15. Januar 1971
Bei zwei weiteren Banküberfällen erbeuten die Terroristen 110 000 DM.

15. Juli 1971
Bei einer Großfahndung wird das RAF-Mitglied Petra Schelm erschossen, Werner Hoppe, ebenfalls RAF-Mitglied, wird verhaftet.

22. Oktober 1971
Der Polizist Norbert Schmid wird bei der Verhaftung von Margrit Schiller (RAF) erschossen.

3. Dezember 1971
Bei einer Großfahndung in Berlin wird Georg von Rauch (RAF) erschossen.

22. Dezember 1971
Bei einem Banküberfall wird ein Polizist erschossen. Die Terroristen erbeuten 135 000 DM.

21.Februar 1972
Bei einem weiteren Banküberfall werden 285 000 DM erbeutet.

11. Mai 1972
Beim Bombenanschlag auf das V. US-Korps in Frankfurt am Main gibt es einen Toten und 13 Verletzte.

12. Mai 1972
Beim Bombenanschlag auf die Polizeidirektion Augsburg werden fünf Menschen verletzt. Gleichzeitig wird vor dem Landeskriminalamt München eine Bombe gezündet.

19. Mai 1972
Beim Bombenanschlag auf das Gebäude des Axel-Springer-Verlags gibt es 17 Verletzte.

24. Mai 1972
Der Bombenanschlag auf das Europahauptquartier der US-Armee in Heidelberg fordert drei Tote und fünf Verletzte.

1. Juni 1972
Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe werden in Frankfurt verhaftet.

7.Juni 1972
Verhaftung von Gudrun Ensslin

15. Juni 1972
Verhaftung von Ulrike Meinhof, weitere Verhaftungen von RAF-Mitgliedern folgen.

17. Januar bis 12. Februar 1973
1. Hungerstreik der RAF-Gefangenen

8. Mai bis 29.Juni 1973
2. Hungerstreik

27. August 1974 bis 2. Februar 1975
3. Hungerstreik

9. November 1974
Holger Meins stirbt an den Folgen des Hungerstreiks.

10. November 1974
Der Berliner Richter Günter von Drenkmann wird erschossen.

1. Januar 1975
Die „Lex RAF“ tritt in Kraft. Der Bundestag hatte im Vorfeld des Prozesses mehrere Gesetze verabschiedet, welche die Rechte der Anwälte neu definierten. Danach können Verteidiger wegen des Verdachts der Konspiration mit den Angeklagten vom Verfahren ausgeschlossen werden. Dies betraf die Rechtsanwälte Kurt Groenewold, Klaus Croissant und Hans-Christian Ströbele. Ihnen wurde Kassiberschmuggel (Kassiber: heimlich übermitteltes Schreiben eines Häftlings im oder aus dem Gefängnis) vorgeworfen.
Wenn die Angeklagten durch Hungerstreik ihre Verhandlungsunfähigkeit bewusst herbeigeführt haben, kann nach dem neuen Gesetz der Prozess in ihrer Abwesenheit fortgeführt werden.

Februar 1975
Entführung des Berliner Politikers Peter Lorenz, Spitzenkandidat der CDU für die Wahl zum Regierenden Bürgermeister von Berlin von der „Bewegung 2. Juni“. Lorenz wird gegen Freilassung einiger Verhafteter der „Bewegung 2. Juni“ freigelassen. Die Freigepressten werden in den Jemen ausgeflogen. Die RAF plant eine ähnliche Befreiungsaktion.

25. April 1975
Terroristen der RAF besetzen als „Kommando Holger Meins“ die deutsche Botschaft in Stockholm. Als die Behörden die Forderung nach Freilassung der RAF-Gefangenen ablehnen, sprengen die Terroristen das Gebäude. Drei Menschen kommen ums Leben, mehrere werden verletzt.

21. Mai 1975
Beginn des Prozesses gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl-Raspe in Stuttgart-Stammheim. Die Akten umfassen 50 000 Seiten, die Anklageschrift 354 Seiten. Den Angeklagten werden vier Morde, mehr als 50 Fälle von Mordversuch, Bankraub und Bombenanschläge vorgeworfen, unter anderem die Sprengstoffanschläge im Mai 1972 auf US-Einrichtungen in Heidelberg und Frankfurt.

23. Juni 1975
Verhaftung des ehemaligen Wahlverteidigers Claus Croissant wegen Unterstützung der RAF.

9. Mai 1976
Selbstmord von Ulrike Meinhof

10. Januar 1977
Entbindung des Bundesrichters Albert Mayer von seinem Amt. Ihm wird vorgeworfen, vertrauliche Unterlagen aus dem Prozess an Journalisten weitergegeben zu haben.

13. Januar 1977
Es wird bekannt, dass sich der Vorsitzende Richter Theodor Prinzing mit Mitgliedern des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs besprochen hat, der für eine mögliche Berufungsverhandlung zuständig wäre. Aus Besorgnis der Befangenheit muss Theodor Prinzing eine Woche später als Vorsitzender Richter zurücktreten. Sein Nachfolger wird Eberhard Foth.

17. März 1977
Es wird bekannt, dass in Stammheim Gespräche zwischen den Angeklagten und ihren Verteidigern abgehört wurden.

29. März bis 30.April 1977
4. Hungerstreik

7. April 1977
Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback

28. April 1977
Urteilsverkündung und Ende des Prozesses in Stuttgart-Stammheim. Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe werden zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt.

30. Juli 1977
Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto

9.August bis 5. September 1977
5. Hungerstreik

5. September 1977
Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer, um die RAF-Häftlinge freizupressen.

13. Oktober 1977
Entführung der Lufthansamaschine „Landshut“ durch palästinensische Terroristen, um die RAF-Gefangenen freizupressen.

16. Oktober 1977
Der Pilot der Lufthansamaschine wird erschossen.

18. Oktober 1977
Die Einsatztruppe GSG 9 stürmt die Lufthansamaschine und befreit die Geiseln.
Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe begehen Selbstmord. Einen Tag später wird Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer von seinen Entführern erschossen.

24. Oktober 1977
Manfred Rommel, Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, stimmt dem Wunsch des Vaters von Gudrun Ensslin und der Mutter von Andreas Baader zu, die beiden in einem Gemeinschaftsgrab beizusetzen. Er rechtfertigt diese Entscheidung vor den vielen Protesten in der Öffentlichkeit mit den Worten: „Irgendwo muss jede Feindschaft enden. Und für mich endet sie in diesem Fall beim Tod.“ Auch Jan-Carl Raspe wird in dem Gemeinschaftsgrab auf dem Stuttgarter Dornhaldenfriedhof beigesetzt.

Gemeinschaftsgrab von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe

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Gemeinschaftsgrab von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe auf dem Dornhaldenfriedhof in Stuttgart
© Wikipedia, gemeinfrei


1.3 Anlage

JVA Stuttgart-Stammheim

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In der JVA Stuttgart-Stammheim fand der Baader-Meinhof-Prozess statt. Im 7. Stock des Mittelbaus waren die Angeklagten inhaftiert.
© Manecke, gemeinfrei

Die JVA Stuttgart-Stammheim, Schauplatz des Baader-Meinhof-Prozesses
Die „Festung Stammheim“ (Die Zeit, 21.5.1975) wurde zum Symbol für die Auseinandersetzung des Staates mit der RAF. Im 7. Stock von Bau 1 saßen die Angeklagten in ihren Zellen und wurden von hier aus in den Gerichtssaal des „Mehrzweckgebäudes“ geführt. Was sich im 7. Stock abspielte, beflügelte die Phantasie der Presse wie aller, die das Prozessgeschehen damals verfolgten, ebenso wie die zahlreichen literarischen und filmischen Auseinandersetzungen mit der Geschichte der RAF.

Ende der 1930er Jahre hatte das Land Württemberg Grundstücke der örtlichen Landwirte erworben, um auf diesem Areal ein Zuchthaus zu errichten, wozu es aber wegen des Zweiten Weltkriegs nicht kam. 1952 entstand auf dem Gelände ein staatliches Durchgangslager für Flüchtlinge aus der Sowjetischen Besatzungszone. Unmittelbar neben dem Durchgangslager wurde zwischen 1959 und 1963 die JVA Stuttgart-Stammheim gebaut. Die ehemaligen Gebäude des Durchgangslagers wurden größtenteils als Dienstwohnungen der Landesbediensteten der JVA verwendet.

Im achtstöckigen Mittelbau der JVA Stuttgart-Stammheim, dem Bau Eins, wurden 1972 die führenden Vertreter der ersten RAF-Generation inhaftiert und später im siebten Stock zusammengelegt. Die Haftbedingungen waren großzügig. Baaders Zelle Nr. 719 beispielsweise hatte 21,3 Quadratmeter. Der Blick hinaus ging auf Wiesen und den Kornwestheimer Verladebahnhof. Auf Fotographien von Baaders Zelle fallen viele Regale für ca. 900 Bücher auf und eine umfangreiche Schallplattensammlung.

Auf dem Flur vor den Zellen konnten sich die Gefangenen täglich zur „Umschlusszeit“ treffen. Eine isolierende Einzelhaft gab es nicht. Horst Bubeck, Strafvollzugsbeamter im 7. Stock der JVA Stammheim:
„Die Terroristen hatten fast täglich Besuch – entweder Anwalts- oder Privatbesuch. Bei den anderen Gefangenen ging um 22.00 Uhr der Strom, also auch das Licht aus. Die Terroristen dagegen durften da oben die ganze Nacht das Licht brennen lassen und konnten fernsehen und so. Es war überhaupt kein Vergleich."

Im siebten Stock konnten sie nach seinen Aussagen bis zu acht Stunden täglich außerhalb ihrer Zellen miteinander sprechen. Dabei sei es häufig zur Provokationen der anwesenden Strafvollzugsbeamten gekommen. Beispielsweise hätte sich einmal Gudrun Ensslin beklagt, das Licht wäre zu hell. Horst Bubeck: „Sie hat gesagt, man soll da zwei oder drei von den Neonlichtern ausschalten. Ich habe ihr dann gesagt: 'Dann setzen Sie sich fünf Meter weiter vor, da ist eine Stelle, wo kein Licht ist. Wir schalten da jetzt nicht aus oder um.' Und da hat sie einen Besen, der in der Ecke stand, genommen, den Neonstab runtergeschlagen und gesagt: 'So machen wir das Licht aus'."

Speziell für den Baader-Meinhof-Prozess wurde in unmittelbarer Nachbarschaft zur Vollzugsanstalt ein ursprünglich geplantes Werkstattgebäude in ein Hochsicherheitsprozessgebäude umgebaut, in dem die RAF Prozesse stattfinden sollten. Aus Sicherheitsgründen wollte man die Angeklagten nicht quer durch Stuttgart zum Gebäude des Oberlandesgerichts fahren. Das für 12 Millionen DM (ca. 6,1 Millionen @) umgebaute Gerichtsgebäude war gepanzert, hatte keine Fenster und wurde von einem Stahlnetz überspannt. Prozessbesucher und akkreditierte Journalisten wurden peinlich genau durchsucht. Journalisten berichten, dass sie sich mit gespreizten Beinen in einer engen Durchsuchungszelle mit den Händen an die Wand gelehnt ausstrecken mussten und abgetastet wurden. Schuhe und Strümpfe mussten ebenfalls ausgezogen werden. Journalisten durften nur einen Schreibblock und einen Kugelschreiber mit in das Gerichtsgebäude nehmen. Telefongespräche von Journalisten wurden abgehört. Zeitweise gab es auch in den Wohngebieten von Stuttgart-Stammheim regelmäßige Kontrollen.

Auch der Gefängnistrakt war mit vielen Vorkehrungen gesichert. Nach dem Selbstmord der Gefangenen stellte sich heraus, dass der Geheimdienst auf Anweisung des Bundeskanzleramts Zugänge zu den Zellen eingerichtet hatte, von denen selbst die Gerichtsbeamten nichts wussten. Sie wurden verwendet, um die Gefangenen systematisch abzuhören. Dass dabei auch Gespräche zwischen Verteidigern und ihren Mandanten abgehört wurden, führte zu der Stammheimer Abhöraffäre, die weitere Zweifel am Prozessgeschehen beförderten.

 

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