Französische Gesten im Unterricht

Was sind eigentlich Gesten?


Mon œil !

"Le geste" kann im Französischen unterschiedliche Bedeutungen haben.

  1. Es kann sich um notwendige "Gesten" der Schiedsrichter und der Taubstummen, solche, die Leben retten, für ein kühles Wohnzimmer oder nachhaltige Entwicklung sorgen sollen. Dabei handelt es sich also um zusammengehörende Handlungen, Verhaltensweisen, Akte, Taten.
  2. Weiterhin geht es um Ratgeber für Verkäufer und Verhandler, um nonverbale "gestuelle du corps pour adapter vos comportements, paraître plus convaincant, plus séduisant ou plus charismatique"..., wo Blickkontakt, Körperhaltung, die Art des Händedrucks usw. im Fokus stehen, also um Körpersprache allgemein.
  3. Auch im übertragenen Sinn gibt es Gesten (un geste d'amitié).
  4. Noch größere Verwirrung kann "la geste" / Heldenepos als Ergebnis von Internetrecherchen stiften.
  5. Koverbale Gesten begleiten und ergänzen das Sprechen, etwa um im Redefluss etwas hervorzuheben, mit dem Finger auf etwas zu zeigen (s. Interview mit M. Tellier, erste 20 Min.) oder neuerdings "Gänsefüßchen" mit den Fingern zu machen. Sie sind nicht an bestimmte Wörter oder Formulierungen gebunden und variieren stark je nach Individuum.
  6. Einige Gesten sind universell; so stehen weit aufgerissene Augen für "Überraschung". Nur scheinbar universell ist hingegen z.B. der nach oben gestreckte Daumen einer geschlossenen Faust. Er bedeutet in Frankreich sowohl "Zustimmung, Erfolg" als auch "Pause im Spiel", wenn ein Kind ein Spiel unterbrechen will: «?Pouce !?»; das Spiel geht weiter: «?Pouce cassé !?». In Südamerika oder in Westafrika entspricht er jedoch dem französischen "doigt d'honneur".
    Gesten oder Embleme, die (nur) in Frankreich gebräuchlich sind - das untere Augenlid leicht nach unten ziehen -, sind kodifizierte soziokulturelle Praktiken, die ererbt, erlernt und weitergegeben werden. An sie sind äquivalente sprachliche "Übersetzungen" gekoppelt - «?Mon œil !?» -, oft idiomatische Redewendungen, die jedoch nicht ausgesprochen werden müssen. Manche sind zwar mehrdeutig wie im Daumen-Beispiel, aber alle ersetzen Sprache. Sie sind dem Wandel unterworfen. In verschiedenen Teilen und Schichten der Bevölkerung gibt es unterschiedliche Gesten, sie werden auch sozial unterschiedlich bewertet, als unmarkiert oder vulgär z.B. Sie differieren auch individuell und regional, man denke nur an die Varianten der Begrüßungs-bise. Sie breiten sich unter Umständen auf allen Kontinenten aus. Solche für Frankreich charakteristische Gesten sind für den Unterricht die interessantesten.
    Wie stark solche Gesten in den übrigen französischsprachigen Ländern und Regionen verbreitet sind, entzieht sich leider der soziokulturellen Kompetenz des Autors dieser Zeilen…
    Viele weitere Beispiele und Klassifizierungen s. bei M. Billières.

Gesten als Unterrichtsthema

Warum haben Gesten einen legitimen Platz in der Didaktik?
Gesten erlauben einen emotionalen Zugang zum Erlernen der Fremdsprache, wecken Interesse und Motivation, machen den Unterricht lebendiger und spielerischer. Sie unterstützen und vereinfachen das Verständnis der Sprache und die Memorisierung. Grundsätzlichere Gedanken machen sich der Soziologe Louis Porcher und andere Autoren, von L. Vignes zusammengefasst: Unsere soziale Identität ist in unseren Körper eingeschrieben, und der sichtbare Körper ist in der Mediengesellschaft extrem wichtig für das Bild, das wir von uns abgeben. Gesten sind auf unterschiedliche Weise in die Kommunikation integriert. Deshalb ist es Aufgabe der Didaktik, diese sozialen Praktiken nicht punktuell als schmückendes, kurioses Beiwerk zu präsentieren, sondern kontinuierlich über ihr Verstehen die kommunikative und soziokulturelle Kompetenz zu fördern. Vergleiche mit den eigenen Gesten helfen bei der Vermeidung mitunter peinlicher oder den anderen abwertender Missverständnisse, beispielsweise auf Klasssenfahrten oder privaten Frankreichreisen. Mit solchen Vergleichen kann man für die Besonderheiten anderer Kulturen (und auch der eigenen!) sensibilisieren, Toleranz und Respekt vor ihnen fördern. Das hat erst recht bei multikulturell zusammengesetzten Klassen seine Berechtigung. Französische Gesten selbst zu imitieren und einzuüben, zusammen mit den sprachlichen Äquivalenten und der dazugehörigen Prosodie und Mimik, ist folgerichtig ebenfalls Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts. Allerdings: Vollständigkeit anzustreben wäre, bei ca. 200 (?) Gesten, illusorisch.

Anregungen für den Unterricht

"L'enseignant de langue est un grand gesticulateur" (M. Tellier), alle Lehrenden machen ihre eigenen Gesten; sie sollten sich zuerst diese ihre Gestik bewusst machen, um im zweiten Schritt in der Schule die französischen Gesten bewusst zeigen und verständlich machen zu können. Im Unterricht spielen dann Gruppenarbeit und spielerische Aneignung eine quasi kongeniale Rolle. Gesten können ohne weiteres auch in unteren Klassen auf diese Weise behandelt werden.
Vorschlag für eine grobe Strukturierung:

  1. Motivationsphase
  2. Präsentation von Grafiken ohne Text, Videos ohne Ton: mündliche Beschreibung der Gesten, Vermutungen über ihre Bedeutung und den sozialen Kontext.
    Danach Präsentation mit Text / Ton: Gesten und ihre Bedeutung notieren. Zuordnungsübungen.
  3. Partnerarbeit / Gruppenarbeit
    Weitere Gesten im Internet anschauen, in der Gruppe / Klasse präsentieren und erklären:
    • Imaginez d'être Français, puis présentez quelques gestes français à des Allemands et expliquez-les.
    • Gespräch, Rollenspiel, Sketch (s. Beispiele) mit einer / mehreren Gesten produzieren und vorführen, evtl. mit gegenseitiger Bewertung durch Schülerinnen und Schüler.
  4. Interkulturelles
    • Présentez et expliquez des gestes allemands à des Français.
    • Présentez et expliquez en français des gestes d'un autre pays.
  5. Reflexion über die Rolle von Gesten in der Kommunikation im In- und Ausland; v.a. in der Kursstufe.

Materialien im Internet

Lehrbücher gehen auf französische Gestik nur sporadisch ein. Bleibt also der Rückgriff auf das Internet. Dort finden sich z.T. didaktisierte Materialien, die sich direkt in den Unterricht integrieren lassen. Andere Grafiken und Videos eignen sich zur selbstständigen Erarbeitung durch Schülerinnen und Schüler. Das geschieht wohl besser mit von der Lehrkraft vorgegebenen Links, denn freie Internetsuche nach "gestes français / gestuelle française" wäre sehr zeitaufwändig, und es wäre nicht sicher, ob geeignete Materialien gefunden werden, auch wegen der oben erwähnten unterschiedlichen Bedeutungen von "geste" im Französischen.
Obwohl Mimik und Intonation die Gesten unweigerlich begleiten, wird diese Tatsache von den meisten Materialien nicht angesprochen bzw. nur implizit dargestellt. Fotografien und Grafiken können naturgemäß Intonation gar nicht und Mimik nur begrenzt wiedergeben, das gilt leider auch für die Materialien des LBS (s.u.). Dennoch sind sie für Aufgaben nützlich. Videos sind daher zumindest zur Einführung vorzuziehen. Im Folgenden sind einige Videos, Fotos, Grafiken, Unterrichtsmodule und Literaturhinweise aufgeführt. Ein Anspruch darauf, dass dies die besten Materialien sind, wird nicht erhoben.

Videos, Grafiken und Fotos

Unterrichtsmodule

Literatur