Lateinische Bibliothek

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M. Tullius Cicero, De finibus bonorum et malorum: Über das höchste Gut und das schlimmste Übel

Cicero, De finibus 2, 80-82 (Auszüge): Kritik an der epikureischen Theorie der Freundschaft

Epikur und die Freundschaft, Teil 5, mit Übersetzung

Diesen Text können Sie auch ohne Übersetzung, aber mit Vokabelhilfen lesen.

Wenn Epikureer gute Freunde sein können, so zeigt das, dass sie ihre eigene Lehre nicht ernstnehmen. Cicero kritisiert hier die Aussagen des Epikureers in De finibus 1.66.

[80] Faceres tu quidem, Torquate, haec omnia; nihil enim arbitror esse magna laude dignum, quod te praetermissurum credam aut mortis aut doloris metu. Non quaeritur autem, quid naturae tuae consentaneum sit, sed quid disciplinae.

Ratio ista, quam defendis, praecepta, quae didicisti, quae probas, funditus evertunt amicitiam, quamvis eam Epicurus, ut facit, in caelum efferat laudibus.

Du würdest all dies freilich tun, Torquatus. Nichts Lobenswertes nämlich, meine ich, gibt es, dass du, so meine ich, aus Angst vor Tod oder Schmerz vermeiden würdest.

Es geht nicht darum, was zu deinem Wesen passt, sondern was zu deiner Lehre passt. Dieser Grundsatz da, den du verteidigst, und die Lehren, die du gelernt hast und billigst, stürzen die Freundschaft völlig um, wie sehr auch Epikur sie in der Tat mit seinem Lob in den Himmel hebt.

‚At coluit ipse amicitias.’

Quis, quaeso, illum negat et bonum virum et comem et humanum fuisse?

De ingenio eius in his disputationibus, non de moribus quaeritur.

Sit ista in Graecorum levitate perversitas, qui maledictis insectantur eos, a quibus de veritate dissentiunt.

Sed quamvis comis in amicis tuendis fuerit, tamen, si haec vera sunt—nihil enim affirmo—, non satis acutus fuit.

‚Aber er selbst hat doch Freundschaften gepflegt.

Wer, bitte, bestreitet denn, dass er ein guter, umgänglicher und menschlicher Mann war?

Nach seiner intellektuellen Leistung, nicht nach seinem Charakter wird in diesen Erörterungen gefragt. Es mag bei der Leichtfertigkeit der Griechen die Verkehrtheit geben, dass sie mit Verwünschungen diejenigen verfolgen, von denen sie sich in der Auffassung über die Wahrheit unterscheiden.

Aber wie umgänglich er auch gewesen sein mag, wenn es darum ging, die Freunde zu schützen, dennoch, auch wenn diese Berichte wahr sind - ich bestätige hier nämlich nichts - dann war er nicht scharfsinnig genug.

 

Antwort auf die zweite These der Epikureer zur Freundschaft: Freundschaft ist also doch auch ohne Lust möglich! Cicero kritisiert hier die epikureischen Argumente in in De finibus 1, 65. und in De finibus 1, 69.

[82] …Illa videamus, quae a te de amicitia dicta sunt.

E quibus unum mihi videbar ab ipso Epicuro dictum cognoscere, amicitiam a voluptate non posse divelli ob eamque rem colendam esse, quod, <quoniam> sine ea tuto et sine metu vivi non posset, ne iucunde quidem posset.

Satis est ad hoc responsum.

Attulisti aliud humanius horum recentiorum, numquam dictum ab ipso illo, quod sciam, primo utilitatis causa amicum expeti, cum autem usus accessisset, tum ipsum amari per se etiam omissa spe voluptatis.

Hoc etsi multimodis reprehendi potest, tamen accipio, quod dant.

Mihi enim satis est, ipsis non satis. nam aliquando posse recte fieri dicunt nulla expectata nec quaesita voluptate.

Ich will erwägen, was Du über die Freundschaft gesagt hast. Eins davon glaubte ich als einen Ausspruch Epikurs selbst zu erkennen, nämlich dass die Freundschaft von der Lust nicht getrennt werden könne, und dass man sie deshalb pflegen müsse, weil man, da man ohne Freunde weder sicher noch furchtlos leben kann, nicht einmal angenehm leben könne.

Darauf habe ich schon hinlänglich geantwortet.

Dagegen hast Du eine menschlichere Ansicht neuerer Epikureer erwähnt, die, so viel ich weiß, Epikur selbst nie ausgesprochen hat.

Danach suche man den Freund zunächst des Nutzens wegen, aber nach längerem Umgang liebe man ihn auch um seiner selbst willen, selbst wenn keine Lust davon erwartet werden könne.

Wenn man eine solche Ansicht zwar auf verschiedene Weise tadeln kann, nehme ich dennoch diese Darstellung an.

Denn mir genügt es, wenn auch nicht ihnen selbst. Sie sagen nämlich, man könne auch einmal richtig handeln, ohne dass dabei irgendeine Lust gesucht oder erwartet werde.

 

De finibus 2, 80-82: 222 Wörter

Weiter mit De finibus 2, 83 (Text mit Übersetzung).


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