Lateinische Bibliothek

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M. Tullius Cicero, De finibus bonorum et malorum 5, 24-26

Das gemeinsame Bestreben aller Lebenwesen nach Selbsterhalt: Die Oikeiosis

In diesem Abschnitt (§ 24-26) geht es um das Verhältnis der Lebewesen zu ihrer Umwelt. In der antiken Philosophie wird dies mit dem Begriff der Oikeiosis (gr. οἰκείωσις) gefasst, der in einer eigenen Abhandlung in diesem Portal dargestellt wird: Grundzüge des Begriffs der Oikeiosis. Dort findet man auch Verweise zu ähnlichen Texten im Lateinportal und didaktische Hinweise.

Für Schülerinnen und Schüler gibt es ein Arbeitsblatt: Mensch und Natur - Grundzüge der Oikeiosis mit Anregungen zur Vertiefung und Weiterarbeit.

Vorschläge für die Weiterarbeit (Recherche und Diskussion) stehen am Ende des Dokuments. Eine verwandte Thematik (Oikeiosis) behandelt De officiis 1, 11-13.


Orang Utan im Urwald von Indonesien

Fotografen: Peter Maier und Thomas Fuchs. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Fotografen.

Was verbindet Mensch und Tier? Welche Wünsche und Ziele hat dieser Orang Utan, der frei im Urwald von Indonesien lebt? Sind seine Wünsche und sein Blick auf die Welt unserem Blick ähnlich? Solche Fragen haben sich die Philosophen bereits in der Antike gestellt. Hierauf gehen die Anregungen zur Diskussion am Fuß der Seite ein.


 

Zur Grammatik: In diesem Text kommen relativ viele indirekte Fragesätze vor. Daher ist es sinnvoll, das Kapitel zu den indirekte Fragesätzen im Abschnitt Satzlehre und die Fragewörter im Grundwortschatz zu wiederholen.

Hinweis zur Benutzung der Übersetzungshilfen: Es gibt zwei Arten von Übersetzungshilfen.

  • Wenn Vokabelhilfen vorhanden sind, dann wird dies durch eine doppelte Unterstreichung angezeigt. Es ist kein Hyperlink vorhanden.
  • Wenn Grammatikhilfen angeboten werden, sind die kommentierten Satzteile sowohl unterstrichen als auch in roter Farbe gehalten. Hier kann man zwischen zwei Arten von Hilfe wählen: Entweder man fährt mit der Maus auf die rot gefärbten Wörter; dann erscheinen wie bei den Vokabelhilfen (vorangehender Aufzählungspunkt) kurze Erläuterungen zur Grammatik. Der Hyperlink führt zu weitergehenden Erläuterungen.

Der gleiche Text wird auch in der Tabellenform angeboten, bei der die Übersetzungshilfen in der rechten Spalte stehen. De finibus 5, 24 in Tabellenform.

 

Quelle: Verwendet wurde der Textauszug bei der Latin Library; er enthält aber Fehler und wurde daher verändert und korrigiert. Siehe auch diesen Textauszug bei PHI Latin Texts.

[5, 24]
Omne animal se ipsum diligit ac,

simul et ortum est,

id agit,

se ut conservet,

quod hic ei primus ad omnem vitam tuendam appetitus a natura datur,

se ut conservet atque ita sit affectum,

ut optime secundum naturam affectum esse possit.

Hanc initio institutionem confusam habet et incertam,

ut tantum modo se tueatur,

qualecumque sit,

sed

nec quid sit

nec quid possit

nec quid ipsius natura sit

intellegit.

Cum autem processit paulum et quatenus quicquid se attingat ad seque pertineat perspicere coepit,

tum sensim incipit progredi seseque agnoscere et intellegere,

quam ob causam habeat eum,

quem diximus,

animi appetitum,

coeptatque et ea,

quae naturae sentit apta,

appetere et propulsare contraria.

Ergo omni animali illud,

quod appetit,

positum est in eo,

quod naturae est accommodatum.

Ita finis bonorum existit secundum naturam vivere sic affectum,

ut optime is affici possit ad naturamque accommodatissime.

[25] Hinweis zur Übersetzung des folgenden Satzes: Sie können diesen langen Satz so unterteilen, dass Sie mit nihil enim est und mit sed extrema illa jeweils einen neuen Satz beginnen.

Quoniam autem sua cuiusque animantìs natura est,

necesse est finem quoque omnium hunc esse, ut natura expleatur -

nihil enim prohibet quaedam esse et inter se animalibus reliquis et cum bestiis homini communia,

quoniam omnium est natura communis -

sed extrema illa et summa,

quae quaerimus,

inter animalium genera distincta et dispertita sunt et sua cuique propria et ad id apta,

quod cuiusque natura desideret.

[26] Dieser Satz ist recht schwierig. Darum wird eine Übersetzung angeboten. Der erste Satz von § 5, 26 wurde leicht gekürzt. Den Originaltext findet man bei der Perseus-Bibliothek.

 

Quare cum dicimus omnibus animalibus extremum esse secundum naturam vivere,

non ita accipiendum est,

quasi dicamus unum esse omnium extremum,

sed ... commune animalium omnium secundum naturam vivere, sed naturas esse diversas,

ut aliud equo sit e natura, aliud bovi, aliud homini.

Übersetzung: Wenn wir daher sagen, dass für alle Lebewesen das höchste Ziel darin besteht, gemäß der Natur zu leben, dann soll man das nicht so verstehen, als ob wir sagen, alle hätten das gleiche höchste Ziel, sondern man kann sagen, dass es das Gemeinsame aller Lebewesen ist, gemäß der Natur zu leben, dass aber die Naturen unterschiedlich sind, so dass eine Sache dem Pferd von Natur aus zukommt, eine andere dem Rind, wieder eine andere dem Menschen.

Erläuterungen zum Satzbau:

cum dicimus: so genanntes cum modale (Satzbau)

sed: ergänze dici potest.

bōs, bŏvis (m. und f.): das Rind

 

Die Natur als Bewahrerin ihrer selbst

Et tamen in omnibus est summa communis,
et quidem non solum in animalibus, sed etiam in rebus omnibus iis,

quas natura alit, auget, tuetur.

In quibus videmus ea,

quae gignuntur e terra,

multa quodam modo efficere ipsa sibi per se,

quae ad vivendum crescendumque valeant,

ut [in] suo genere perveniant ad extremum;

ut iam liceat una comprehensione omnia complecti non dubitantemque dicere omnem naturam esse servatricem sui idque habere propositum quasi finem et extremum, se ut custodiat quam in optimo sui generis statu;

Übersetzung: daraus folgt, dass es erlaubt ist, alles in einem Begriff zusammenzufassen und ohne zu zögern zu sagen, dass die ganze Natur eine Bewahrerin ihrer selbst ist und dass sie gleichsam dieses letzte Ziel hat, dass sie sich in einem möglichst guten Zustand ihrer Art bewahrt.

ut necesse sit omnium rerum,

quae natura vigeant,

similem esse finem, non eundem.

Ex quo intellegi debet homini id esse in bonis ultimum, secundum naturam vivere,

quod ita interpretemur:

vivere ex hominis natura undique perfecta et nihil requirente.

 


 

Anregungen zur Diskussion

  1. Suchen Sie aus diesem Textauszug alle Wörter aus dem Sachfeld Anpassung (z. B. aptus, accomodare) heraus und fassen Sie Ihre Beobachtungen zusammen.
  2. Stellen Sie ferner die Aussagen über die Natur zusammen und untersuchen Sie dann, welche Bedeutung der Fähigkeit zur Anpassung zukommt.
  3. In einem Arbeitsblatt (Mensch und Natur - Grundzüge der Oikeiosis) ist von der Oikeiosis-Lehre die Rede. Stellen Sie aus dem Text alle Angaben zusammen, die das Bild dieser Lehre vervollständigen. Verwenden Sie auch die dort vorgeschlagenen Quellen.
  4. Zeichnen Sie ein Schaubild, das anzeigt, welche Einteilungen der Lebewesen in diesem Text beschrieben werden.
  5. Fassen Sie in eigenen Worten zusammen, worin nach der Auffasssung Ciceros das Wesen der menschlichen Natur besteht und worin die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zu den anderen Lebewesen liegen. Diskutieren Sie, welche dieser Thesen heute noch Bestand haben. Beziehen Sie dabei auch das mit ein, was Sie zu diesem Thema im Biologie-Unterricht gelernt haben.
  6. Prüfen Sie, ob die von Cicero (bzw. von seinen Quellen) dargestellten Mechanismen der Anpassung in der Natur eher zur Evolutionslehre passen, die Charles Darwin entwickelt hat, oder eher zur Lehre von Jean Baptiste de Lamarck. Verwenden Sie für diesen Vergleich entweder Ihr Biologie-Lehrbuch oder recherchieren Sie im Internet.

Tipps zum Weiterlesen

Bitte beachten Sie auch das Arbeitsblatt: Mensch und Natur - Grundzüge der Oikeiosis.