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"Ein neuer Leidensweg": Carl Herzberg und die Restitution seines Geschäfts

Versteckt auf dem Wäschespeicher ihrer ehemaligen Waschfrau Frieda Müller überlebte die Familie Herzberg die letzten Kriegstage. Denn Carl Herzberg war, um seiner Deportation nach Theresienstadt zu entgehen, im Februar 1945 mit seiner arischen Frau Lina und den Töchtern Doris und Ilse untergetaucht. Zuerst hatte Traudel Hammer, die übrigens dafür in den 1970er Jahren das Bundesverdienstkreuz erhielt, die Familie versteckt. Doch als die 16-jährige Doris krank wurde und ihr Husten ihre Familie und Traudel Hammer zu verraten drohte, schlichen sich Herzbergs eines Nachts von der Mannheimer Schönau-Siedlung nach Ziegelhausen zu Frieda Müller und verbargen sich dort bis zum Einmarsch der Amerikaner Ende März 1945 in einer Kammer auf dem Wäschespeicher.
Als Herzbergs nach der Befreiung nach Mannheim zurückkehrten, fanden sie ihre Wohnung in P 6, 3 geplündert und ausgebrannt vor. Offenbar hatte die Gestapo, unmittelbar nachdem die Familie untergetaucht war, die Wohnung versiegeln lassen; was genau anschließend mit dem Mobiliar passiert war, ist unklar, fest steht nur: Herzbergs hatten nach Kriegsende nichts mehr. Daher bemühte sich Carl Herzberg ab April 1945 nach Kräften, sein 1937 arisiertes Geschäft wiederzubekommen. Denn einst hatte Herzberg einen gut gehenden Textilladen am Meßplatz in der Neckarstadt besessen. Das Geschäft hatte er 1921 eröffnet, nach einem bis dahin höchst erfolgreichen Berufsleben, schließlich hatte der ursprünglich aus Danzig stammende Herzberg nach einer kaufmännischen Lehre im pommerschen Lauenburg u. a. im Warenhaus Schmoller als Rayonchef die Parfümerie-Abteilung geleitet und war in Bern und Antwerpen in großen Warenhäusern tätig gewesen. Den Sprung in die Selbstständigkeit sollte Herzberg nicht bereuen, denn im Laden am Meßplatz und einer wenig später eröffneten Dependance in der Schimperstraße beschäftigte er zeitweise über 20 Mitarbeiter und erzielte einen jährlichen Umsatz von 500.000 RM.
Nach der "Machtergreifung" brach der Absatz freilich drastisch ein, denn immer weniger arische Kunden trauten sich noch, bei Herzberg zu kaufen. Schließlich standen vor dem Laden immer häufiger Posten, die die Käufer fotografierten und sie zum Teil bis nach Hause verfolgten. Angesichts dieser Schikanen war Herzberg gezwungen, den Laden Ende 1937 für 103.110 RM zu verkaufen. Herzberg hingegen war fortan arbeitslos. Zwar blieb er im Herbst 1940 dank seiner Mischehe von der Deportation verschont, doch konnte ihn auch seine arische Ehefrau nicht vor den alltäglichen Demütigungen schützen, denen er als Jude und ab 1941 als „Sternträger" ausgesetzt war. So war Herzberg als Zwangsarbeiter bei der Mannheimer Bürstenfabrik Bing eingesetzt und musste dort für einen Wochenlohn von 20 RM schuften. 1944 schloss ihn, der im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft und dafür das Ehrenkreuz für Frontkämpfer erhalten hatte, die Wehrmacht offiziell aus.

Carl Herzberg als Soldat im Ersten Weltkrieg
Carl Herzberg als Soldat im Ersten Weltkrieg
Quelle: Stadtarchiv Mannheim MA-ISG 8233x5302 Pixel

Anders als seine Wohnung fand Carl Herzberg nun, im Frühjahr 1945, den Laden am Meßplatz unversehrt vor, als „einzigstes [sic] Textilhaus in Mannheim", wie er selbst betonte. Für ihn lag daher nichts näher, als das Geschäft so schnell wie möglich wieder zu übernehmen, um so ein Auskommen für sich und seine Familie zu haben. Noch im April 1945 stellte Herzberg daher bei der Gewerbepolizei Mannheim einen Antrag auf Wiedererlangung des Ladens. Freilich konnte man ihm dort nicht weiterhelfen, sondern ließ ihn lediglich wissen, seinem Ersuchen könne „zur Zeit nicht näher getreten werden, da die Rechtsverhältnisse zwischen Ihnen und der Fa. Aretz noch der Klärung bedürfen". Ganz so schnell, wie Herzberg es sich vorgestellt hatte, klappte es also nicht mit der Rückerstattung des Geschäfts. Immerhin hatte er ab September 1945 eine Stelle bei der Mannheimer Stadtverwaltung, im Januar 1946 wechselte Herzberg zur Emil Köster AG und war dort als zweiter Geschäftsführer „massgeblich an dem Aufbau der Mannheimer Zweigniederlassung beteiligt".
Unterdessen schien Herzberg seine Pläne bezüglich des Ladens am Meßplatz aufgegeben zu haben und bemühte sich stattdessen ab Anfang 1946 um seine Emigration. Offenbar um die Zukunft seiner Kinder zu sichern, wenn die Familie im Ausland lebte, schloss Herzberg im Februar 1946 einen Vertrag mit Aretz. Damit verpflichtete sich dieser, Herzbergs Kindern Alex, Ilse und Doris Versorgungsbezüge in Höhe von einem Prozent aus dem Umsatz des Betriebs zu zahlen, maximal jedoch 500.000 RM pro Jahr und mindestens 150 RM pro Monat. Herzberg selbst versicherte, mit dieser Regelung seien „alle Ansprüche" gegen Aretz „in vollem Umfang befriedigt".
Nachdem die Militärregierung diesen Vertrag nicht genehmigt hatte und sich Herzbergs Auswanderungspläne ohnehin zerschlugen, unternahm er nach Inkrafttreten des Restitutionsgesetzes einen zweiten Anlauf, um sein Geschäft zurückzuerhalten, und gab, voller Zuversicht, seine Stellung bei der Emil Köster AG im August 1948 auf. Im Sommer 1948 war Herzberg übergangsweise Treuhänder in seinem ehemaligen Betrieb. Unterdessen war Ludwig Aretz grundsätzlich zu einer Rückgabe bereit. Bereits im August 1948 schlug er vor, den Betrieb noch vor Abschluss des Rückerstattungsverfahrens zum 1.10.1948 an Herzberg zu übergeben. Dieser sollte bis zu einer endgültigen Entscheidung eine Sicherheit in Höhe von 30.000 DM hinterlegen, eine Summe, die in etwa dem damaligen Geschäftsvermögen entsprach, die Herzberg jedoch nicht aufbringen konnte. Damit wurde nichts aus Aretz' Angebot, und auch die Rückerstattung selbst scheiterte letztlich. Beide Seiten konnten nämlich keine Einigung erzielen, wie Herzberg den 1937 gewährten Kaufpreis zurückzahlen sollte. Denn während Herzberg selbst lediglich bereit war, den im Verhältnis 10:1 umgestellten Kaufpreis zurückzuvergüten, also 10.311 DM zu zahlen, forderte Aretz zunächst eine Rückzahlung zum Kurs von 1:1, mithin 103.110 DM, und später 20.000 bis 25.000 DM. Eine Einigung wurde weder bei direkten Verhandlungen zwischen Herzberg, Aretz und ihren Anwälten im Herbst 1948 gefunden noch bei einem gemeinsamen Termin bei Schlichter Runge im Februar 1949. Nachdem der Schlichter und die Anwälte beider Seiten Carl Herzberg davon überzeugt hatten, dass sich angesichts dieser verhärteten Fronten eine Herausgabe des Geschäfts noch Monate, wenn nicht gar Jahre hinziehen würde, unterzeichnete Herzberg am 30.3.1949 schließlich einen Vergleich mit Aretz und akzeptierte eine Nachzahlung von 20.000 DM sowie eine monatliche Rente in Höhe von 400 DM. Damit waren alle Ansprüche abgegolten, und Aretz konnte den Laden behalten. Ende April 1949 entließ die Property Control das Geschäft aus der Vermögenskontrolle.
Derweil gab es über das Ergebnis des Restitutionsverfahrens geteilte Meinungen. Runge war davon überzeugt, es sei „mit der fairste Vergleich gewesen [...], den er während seiner Praxis als Schlichter protokolliert" habe. Herzberg hingegen war nach Abschluss des Verfahrens desillusioniert und unzufrieden. Denn in seinen Augen hätte, „wenn irgend ein Wille der Wiedergutmachung bei den Behörden nach 1945 vorhanden gewesen wäre", er sofort nach Kriegsende die Möglichkeit haben müssen, das Geschäft wieder zu übernehmen. Er, der nur knapp der Deportation entgangen war und im Dritten Reich seinen gesamten Besitz verloren hatte, der Zwangsarbeit und Demütigungen hatte ertragen müssen, konnte und wollte nicht begreifen, warum man ihm nun nicht einfach seinen Laden zurückgab — aus Herzbergs Perspektive eine nur allzu verständliche Sichtweise. Angesichts solcher Erwartungen konnte die Restitution für ihn nur in einer Enttäuschung enden, und tatsächlich empfand Herzberg das Verfahren, trotz der vergleichsweise fairen Einigung und des kooperativen Auftretens von Aretz, als „ein[en] neue[n] Leidensweg".


Zitiert nach: Christiane Fritsche, Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt - Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim, Ubstadt-Weiher 2013, S. 609-14 (mit Auslassungen).


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