Auswanderung aus Baden nach Amerika:Mittel staatlicher Struktur- und Sozialpolitik nach 1848 am Beispiel des Dorfes Freudental bei Allensbach

1.1 Bedeutung

Das Beispiel des Dorfes Freudental, im 19. Jahrhundert die ärmste Gemeinde des Seekreises, vielleicht des ganzen Großherzogtums Baden, zeigt, wie im fortgeschrittenen Merkantilismus des späten 18. Jahrhunderts eine stark verschuldete adelige Gutsherrschaft aufgrund ihres Waldreichtums aus spekulativem Interesse aufgekauft und durch Binnenkolonisation mit dem Ziel, die benötigten Arbeitskräfte zu erhalten, zum Dorf ausgebaut wurde, aber auch, wie dessen Bewohner infolge von Misswirtschaft des Besitzers, durch Verschuldung und mangels ausreichenden Grundeigentums zunehmend verarmten und häufig vom Bettel über Land lebten.

Nach der Verschärfung der Situation durch die Agrarkrise mit ihrem Höhepunkt 1847/48 und der Beteiligung zahlreicher Freudentaler an der Revolution 1848/49 beabsichtigte die badisch-großherzogliche Verwaltung durch Förderung der Auswanderung sich sozialer Problemfälle und ihrer durch Gemeinde und Staat aufzubringenden Unterstützung zu entledigen, gemäß der Zielsetzung in einer Denkschrift des badischen Innenministeriums von 1849. Die verarmte Gemeinde Freudental sollte schließlich aufgelöst und dem benachbarten Langenrain eingegliedert werden. Die verarmte Gemeinde Freudental sollte schließlich aufgelöst und dem benachbarten Langenrain eingegliedert werden. Diese Politik des "outsourcing" sozialer Probleme wurde auch in anderen deutschen Ländern wie Württemberg und Hessen praktiziert. In den Hafenstädten der Zielländer, die sich der häufig mittellos ankommenden Einwanderer annehmen mussten, stieß sie denn auch zunehmend auf Kritik.

Zwischen 1849 und 1854 wurden in Baden für Auswanderungsförderung Zuschüsse von 1.600.000 Gulden an über 60.000 Auswanderer ausgegeben.

Angesichts der damals rasch wachsenden Bevölkerung bedeutete die Auswanderung, die noch zu Anfang des Jahrhunderts in der Regel verboten war, bis die Bundesakte von 1815 die Auswanderungsfreiheit garantierte, auch keinen Verlust an Arbeitskräften mehr.

Seit der Agrarkrise 1847/48 mit Missernten, Kartoffelfäule und Hungersnot kam es neben einer verstärkten Binnenwanderung zu einem sprunghaften Anstieg der Auswanderungen, bis 1855 in einem Umfang von 1,1 Millionen, meist aus unteren Schichten und im Familienverband, vor allem aus dem südwestdeutschen Raum, insbesondere Baden mit Hauptziel USA. Nach ihrem Höhepunkt 1854 schwächte sich die Auswanderungswelle wieder ab.

Bei der Auseinandersetzung mit diesem Beispiel ergeben sich hinsichtlich der Auswanderungsmotive mit ihren push-Faktoren (Bevölkerungswachstum, Entwertung der Arbeitskraft, mangelnde Erwerbsgrundlagen, Auflösung der herkömmlichen ständischen und familiären Struktur, Armut und Not) sowie pull-Faktoren (Hoffnung auf eine gesicherte Existenz im Zielland mit großen Ressourcen, höherer Kenntnisstand bezüglich der Zielgebiete, religiöse und politische Freiheit), der politischen Reglementierung von Aus- und Einwanderung sowie der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen zahlreiche Bezüge zur gegenwärtigen Migrationsproblematik in den Herkunfts- und Zielländern, die zu deren vertieftem Verständnis beitragen können.

- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Freiburg -