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Bildtransformationen

Fassen wir nun noch einmal zusammen, was wir bis jetzt vom Standpunkt der Quantentheorie über physikalische Systeme wissen.

Wir haben schon mehrfach betont, daß die Elemente der Quantentheorie, nämlich die hermiteschen Operatoren, die Observablen repräsentieren, und die Hilbertraumvektoren, die die Zustände des Systems repräsentieren, selbst nicht direkt beobachtbar sind. Mögliche Meßwerte von Observablen sind durch die Eigenwerte der sie repräsentierenden Observablen bestimmt. Bei einer Messung geht das System in einen zum Meßwert gehörigen Eigenzustand über. Der Zustand wird durch Messung eines vollständigen Satzes kommutierender Observablenoperatoren eindeutig festgelegt. Allen Observablen, zu dem dieser Zustand nicht Eigenzustand ist, kommt kein eindeutiger Wert zu, es können aber Erwartungswerte und die Wahrscheinlichkeit des Eintretens bestimmter ihrer Meßwerte gewonnen werden. Befindet sich das System im normierten Zustand $ \ket{\psi}$, so ist die Wahrscheinlichkeit, es in einem Zustand $ \ket{\psi'}$ zu finden durch $ \vert\braket{\psi'}{\psi}\vert^2$ gegeben, und wird eine Observable $ O$ durch den hermiteschen Operator $ \op{O}$ repräsentiert, so ist ihr Erwartungswert durch $ \erw{O}=\matrixe{\psi}{\op{O}}{\psi}$ gegeben.

All diese an realen Systemen durch Messung prinzipiell überhaupt erfaßbaren Größen ändern sich offenbar nicht, wenn wir eine unitäre Transformation $ \op{B}$ wie folgt auf Zustandskets und Observablen repräsentierende Operatoren wirken lassen:

$\displaystyle \ket{\psi'}=\op{B} \ket{\psi}, \; \op{O}'=\op{B} \op{O} \op{B}^{\dagger},$ (92)

denn dann gilt

$\displaystyle \braket{\phi'}{\psi}=\braket{\op{B} \phi}{\op{B} \psi}=\braket{\p...
...}\psi}{\op{B} \op{O}\op{B}^{\dagger}}{\op{B}\psi}=\matrixe{\psi}{\op{O}}{\psi}.$ (93)

Es ist auch klar, daß hermitesche Operatoren unter dieser unitären Transformation hermitesch bleiben und Kommutatoren sich kovariant transformieren:

$\displaystyle \comm{\op{O}_1'}{\op{O}_2'}=\op{B} \comm{\op{O}_1}{\op{O}_2} \op{B}^{\dagger}.$ (94)

Diese Rechnungen zeigen, daß $ \op{B}$ auch zeitabhängig sein darf. Im vorigen Abschnitt haben wir allerdings angenommen, daß die Operatoren zeitunabhängig und die Zustandskets zeitabhängig sind. Ist nun $ \op{B}$ zeitabhängig, ist dies für die gemäß (92) transformierten Objekte nicht mehr der Fall, während aber die physikalischen Aussagen der Theorie ungeändert bleiben.

Im folgenden wollen wir die Dynamik des Systems in einem beliebigen Bild formulieren, so daß wir kein spezielles, z.B. das Schrödingerbild, mehr benötigen. Gleichwohl machen wir vom Schrödingerbild zur Herleitung dieser Gleichungen Gebrauch. Seien also $ \ket{\psi}$ und $ \op{O}$ Zustandskets und Operatoren im Schrödingerbild und $ \ket{\psi'}$ und $ \op{O}'$ die gemäß (92) transformierten Objekte. Dann ergibt sich

$\displaystyle \frac{\d}{\d t} \ket{\psi',t}= \frac{\d \op{B}}{\d t} \ket{\psi,t}-\frac{\i}{\hbar} \op{B} \op{H} \ket{\psi,t},$ (95)

wobei wir von (88) Gebrauch gemacht haben. Setzen wir jetzt auf der rechten Seite die gemäß (92) transformierten Objekte ein, folgt

$\displaystyle \frac{\d}{\d t} \ket{\psi',t}=-\frac{\i}{\hbar} \op{Y} \ket{\psi'}$    mit $\displaystyle \op{Y}=\op{H}'+\i \hbar \frac{\d \op{B}}{\d t} \op{B}^{\dagger}.$ (96)

Dabei ist $ \op{H}'$ der Hamiltonoperator im neuen Bild.

Für die Observablen folgt die Bewegungsgleichung

$\displaystyle \frac{\d \op{O}'}{\d t}=\frac{1}{\i \hbar} \comm{\op{O}'}{\op{X}} + \partial_t^{\text{expl.}} \op{O}' \mbox{ mit } \op{X}=\op{H}'-\op{Y}.$ (97)

Dabei definieren wir

$\displaystyle \partial_t^{\text{expl}}\op{O}'=\op{B}\partial_t \op{O} \op{B}^{\dagger},$ (98)

wobei die Zeitabhängigkeit des Operators $ \op{O}$ im Schrödingerbild rein explizit ist. Die Fundamentaloperatoren $ \op{x}$ und $ \op{p}$, aus denen sich jeder Operator $ \op{O}$ aufbauen läßt, sind definitionsgemäß zeitunabhängig.

Die physikalisch relevanten dynamischen Aussagen der Quantentheorie hängen jetzt nur von $ \op{H}'$, während das Bild durch die willkürliche Festlegung eines der hermiteschen Operatoren $ \op{X}$ oder $ \op{Y}$ abhängt. Die beiden Operatoren sind durch $ \op{X}+\op{Y}=\op{H}'$ miteinander verknüpft.

Man kann leicht zeigen, daß umgekehrt die Annahme der Bewegungsgleichungen (96) und (97) auf eine bildunabhängige Dynamik der relevanten Größen führt. So gilt

$\displaystyle \frac{\d}{\d t} \erw{\op{O}'}_{\psi'}=\left(\frac{\d}{\d t} \bra{...
...{\d \op{O}'}{\d t} \ket{\psi'}+\bra{\psi}' \op{O}' \frac{\d}{\d t} \ket{\psi'}.$ (99)

Setzen wir nun (96) und (97) in diese Gleichungen ein, finden wir die bildunabhängige Gleichung

$\displaystyle \frac{\d}{\d t} \erw{\op{O}'}_{\psi'}=\erw{\dot{\op{O}}'}_{\psi'}$    mit $\displaystyle \dot{\op{O}}':=\frac{1}{\i \hbar} \comm{\op{O}'}{\op{H}'} + \partial_t^{\text{expl.}} \op{O}'.$ (100)

Dabei ist zu beachten, daß der Punkt über einem Operator nicht die mathematische Zeitableitung desselben bedeutet, sondern durch die Kommutatorrelation ergänzt durch die Ableitung aufgrund der expliziten Zeitabhängigkeit definiert ist. Dies ist die sog. physikalische Zeitableitung der Quantentheorie, die man als unter Bildtransformationen kovariante Zeitableitung betrachten kann. Man nennt (100) auch das Ehrenfestsche Theorem.



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