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Die Dynamik

Wir wollen zunächst die dynamische Beschreibung eines Quantensystems in einer speziellen Form, dem sog. Schrödingerbild gewinnen. Dies erhalten wir durch unmittelbare Identifikation der Operatoren und Zuständen mit den entsprechenden Elementen in der Ortsdarstellung. Die Wellenfunktion ist zeitabhängig, während die Observablen durch zeitunabhängige Differentialoperatoren beschrieben werden. Daher sind die Eigenfunktionen der Observablen selber zeitunabhängig. Identifizieren wir also, wie oben gezeigt, über die verallgemeinerten Eigenzustände des Ortsoperators die Wellenfunktionen mit Kets im Hilbertraum vermöge

$\displaystyle \ket{\psi,t}=\int \d^3 \vec{x} \ket{\vec{x}}\braket{\vec{x}}{\psi}= \int \d^3 \vec{x} \ket{\vec{x}} \psi(t,\vec{x}),$ (78)

ist also der Zustandsket eine Funktion der Zeit. Wir haben oben weiter gesehen, daß aufgrund der Hermitezität des Hamiltonoperators die Zeitentwicklung in der Ortsdarstellung durch eine unitäre Transformation der Wellenfunktion gegeben ist. Entsprechend verallgemeinert sich diese Beobachtung auf die darstellungsunabhängigen Zustandskets. Es gibt also für jedes $ t>t_0$ eine unitäre Transformation $ \op{U}(t,t_0)$, so daß

$\displaystyle \ket{\psi,t}=\op{U}(t,t_0) \ket{\psi,t_0}$ (79)

ist. Es muß natürlich insbesondere $ \op{U}(t_0,t_0)=\op{1}$ gelten. Wie bestimmt sich aber die zeitliche Entwicklung von $ \op{U}$? Dazu betrachten wir die Unitaritätsbedingung

$\displaystyle \op{U} \op{U}^{\dagger} = \op{1} \Rightarrow (\partial_t \op{U}) \op{U}^{\dagger}+ \op{U} (\partial_t\op{U}^{\dagger} )=0.$ (80)

Die letzte Beziehung bedeutet aber, daß der durch

$\displaystyle \op{H}=\i \hbar (\partial_t \op{U}) \op{U}^{\dagger}$ (81)

definierte Operator hermitesch ist. Es gibt also einen hermiteschen Operator $ \op{H}$, der die Gleichung

$\displaystyle \i \hbar \partial_t \op{U}=\op{H} \op{U}$ (82)

erfüllt. Wir zeigen weiter, daß dabei $ \op{H}$ lokal in der Zeit ist, d.h. $ \op{H}$ hängt höchstens von $ t$, nicht aber von $ t_0$ ab. Dazu bemerken wir, daß der Zeitentwicklungsoperator $ \op{U}$ die Bedingung

$\displaystyle \op{U}(t_0,t)=\op{U}(t_0,t_1) \op{U}(t_1,t)$ (83)

erfüllen muß. Leitet man dies nach $ t$ ab und benutzt (82), folgt sofort, daß auch

$\displaystyle \op{H}=\i \hbar \op{U}^{\dagger}(t,t_1) \partial_t \op{U}(t,t_1)$ (84)

gilt.

Es ist klar, daß wir auch umgekehrt $ \op{H}(t)$ vorgeben können, und durch Lösen der Anfangswertgleichung

$\displaystyle \hbar \partial_t \op{U}(t,t_0) = -\i \op{H}(t) \op{U}(t,t_0), \; \op{U}(t_0,t_0)=\op{1}$ (85)

einen Zeitentwicklungsoperator gewinnen können, der alle Eigenschaften erfüllt, die wir oben für einen Zeitentwicklungsoperator verlangt haben.

Ein Vergleich mit der Ortsdarstellung für den Fall des freien Teilchens zeigt, daß es sich bei $ \op{H}$ um den Hamiltonoperator handelt, der die Energie des Teilchens repräsentiert.

Die genaue Form des Hamiltonoperators für ein gegebenes Systems ist natürlich durch physikalische Prinzipien zu gewinnen und kann nicht mathematisch hergeleitet werden. Als sehr tragfähig haben sich in der gesamten modernen Physik die Symmetrieprinzipien erwiesen, aus denen heraus man Wechselwirkungen postulieren kann. Dabei spielt das Noethertheorem eine wesentliche Rolle, daß jeder unabhängigen Symmetrieoperation (das sind in der Quantentheorie im wesentlichen die unitären Transformationen), die den Hamiltonoperator invariant läßt, ein Erhaltungssatz entspricht. Durch die empirische Beobachtung von Erhaltungsgrößen lassen sich nun aber umgekehrt auch die Symmetrieprinzipien gewinnen, die zur Aufstellung des Hamiltonoperators benutzt werden können. Wir können hier nicht näher auf diese fundamentalen Zusammenhänge eingehen, das soll einem nächsten Teil der Quantenmechanik-FAQ vorbehalten bleiben. Es sei aber betont, daß letztlich nur der Vergleich mit Beobachtungen im Experiment die Richtigkeit eines Ansatzes für den Hamiltonoperator entscheiden kann. Wir werden dann auch sehen, daß z.B. in der Atomphysik überraschend einfache Prinzipien zu brauchbaren Beschreibungen führen, während die scheinbar so ähnliche Sachlage in der Kernphysik sich als äußerst kompliziert erweist und sowohl theoretisch wie experimentell aufwendige Untersuchungen notwendig sind um auch nur halbwegs brauchbare Hamiltonoperatoren aufstellen zu können.

Nehmen wir nun an, der Hamiltonoperator sei zeitunabhängig. In dem bis jetzt ausschließlich benutzten Schrödingerbild heißt das, daß er eine Funktion der fundamentalen Operatoren $ \vec{\op{x}}$ und $ \vec{\op{p}}$ und nicht der Zeit ist. Dann ist die Lösung der Anfangswertaufgabe (85) formal sehr einfach. Wir können dann nämlich für einen Augenblick die Gleichung als eine für komplexwertige Funktionen ansehen, denn es treten keine Probleme mit irgendwelchen Operatorordnungen auf. Dann ist die formale Lösung durch

$\displaystyle \op{U}(t,t_0)=\exp \left [-\frac{\i}{\hbar} (t-t_0)\op{H} \right]$ (86)

gegeben. Daß dies tatsächlich die Lösung ist, weist man sehr leicht durch Ableiten dieser Gleichung nach. Dabei ist entscheidend, daß in diesem Fall $ \op{U}$ mit $ \op{H}$ für jedes $ t$ vertauscht. Wäre $ \op{H}$ nicht zeitunabhängig, wäre dies nicht mehr unbedingt der Fall und die Lösung des Problems weitaus verwickelter. Wir wollen in dieser einleitenden Betrachtung nicht näher darauf eingehen.

Wichtiger ist noch die Frage nach den stationären Zuständen. Dies war ja einer der Ausgangspunkte für die Entwicklung der Quantentheorie, nämlich die Lösung des Problems, wie es stabile Atome geben kann, was klassisch ja nicht mit den Rutherfordschen Beobachtungen bzgl. der um den Kern ,,kreisenden`` Elektronen vereinbar ist (vgl. Abschnitt 1). Für die Quantentheorie stellt das deshalb kein Problem dar, weil wir nach Zuständen suchen können, die sich zeitlich nicht ändern. Beobachtbar sind aber Zustände direkt nicht, nur die Meßwerte von Observablen (Eigenwerte der dazugehörigen Operatoren) am Einzelsystem bzw. deren Erwartungswerte und Wahrscheinlichkeiten für eine große Zahl von gleich präparierten Systemen (Ensembles). Das bedeutet aber, daß zwei Zustände $ \ket{\psi}$ und $ \ket{\psi'}$, die sich nur durch einen ,,Phasenfaktor``, also durch Multiplikation mit einer komplexe Zahl vom Betrag $ 1$, unterscheiden, die gleiche physikalische Situation beschreiben und im Sinne der Quantentheorie als der gleiche Zustand angesehen werden müssen. Damit ist $ \ket{\psi,t}$ ein stationärer Zustand, wenn für jeden Zeitpunkt $ t$ eine reelle Zahl $ \alpha(t)$ existiert, so daß

$\displaystyle \ket{\psi,t}_{\text{stat.}}=\exp[-\i \alpha(t)] \ket{\psi,t_0}_{\text{stat}}$ (87)

gilt.

Andererseits folgt aus (79) zusammen mit (85) die Bewegungsgleichung für die Zustände

$\displaystyle \i \hbar \partial_t \ket{\psi,t}=\op{H} \ket{\psi,t}$ (88)

und folglich für einen stationären Zustand

$\displaystyle \hbar \dot \alpha(t) \ket{\psi,t}_{\text{stat}}=\op{H}(t) \ket{\psi,t}_{\text{stat}}.$ (89)

Das bedeutet aber, daß $ \ket{\psi,t}_{\text{stat}}$ zu jedem Zeitpunkt ein Eigenvektor des Hamiltonoperators $ \op{H}(t)$ zum Eigenwert $ \hbar \dot{\alpha}(t)$ sein muß. Es ist also notwendig

$\displaystyle \op{H}(t) \ket{\psi,t_0}_{\text{stat}}=E(t) \ket{\psi,t_0}_{\text{stat}} \text{ mit } E(t)=\hbar \dot{\alpha}(t).$ (90)

Falls $ \op{H}$ zeitunabhängig ist, ist auch $ E(t)$ zeitunabhängig, und es gilt

$\displaystyle \ket{\psi,t}_{\text{stat}}=\exp\left[-\frac{i}{\hbar} E(t-t_0) \right] \ket{\psi,t_0}_{\text{stat}},$ (91)

was natürlich auch direkt aus unserer Lösung (86) der Zeitentwicklungsgleichung für diesen Spezialfall folgt.

Wir können also festhalten: Stationäre Zustände eines Systems sind genau die Eigenzustände des Hamiltonoperators. Wegen ihrer Wichtigkeit nennt man die Eigenwertgleichung des Hamiltonoperators in der Ortsdarstellung auch zeitunabhängige Schrödingergleichung.



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