Quoi de neuf - Nouvelles du bilingue - 1/2016

Jamais ne désespère.
Französische Kriegsgefangene 1940-45 im Lager "Elsterhorst" bei Hoyerswerda

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Studentenausweis
Quelle: Stadtmuseum Hoyerswerda

Auf den ersten Blick könnte man versucht sein anzunehmen, es handele sich um einen wenn gleich historischen, so doch relativ normalen Studentenausweis. Doch bereits die Bezeichnung der Bildungseinrichtung, "Université de Captivité" macht deutlich, dass es sich hier um eine besondere Universität gehandelt haben muss. Die Bezeichnung OFLAG IV-D verweist auf das Offiziersgefangenenlager, welches sich 1939-45 im damaligen Elsterhorst1, ca. 3 km von Hoyerswerda befand. Neben polnischen und sowjetischen Gefangenen, deren Lebensbedingungen katastrophal und menschenunwürdig gewesen sein müssen2, war das OFLAG IV-D seit der Kapitulation Frankreichs im Juni 1940 auch Unterbringungsort für mehrere Tausend französischer Offiziere und ihre Adjutanten. Wie reagierten sie, mitten im Inferno des Zweiten Weltkriegs angesichts einer ungewissen Zukunft - und auch angesichts der Tatsache, dass für Offiziere laut Genfer Konvention für Kriegsgefangene ein Arbeitsdienst nicht vorgesehen war? Sie sangen gemeinsam in Chören, organisierten kirchliche Messen, inszenierten Theaterstücke... und gründeten mit 3000 Studenten die 'Université d'Hoyerswerda', der der obige Ausweis zugeordnet werden kann. Sicher können Sie sich vorstellen, wie groß mein Erstaunen war, als ich vor wenigen Jahren von der Existenz dieses deutsch-französischen Erinnerungsortes ganz in der Nähe meiner Heimatstadt erfuhr - zumal die 'Université d'Hoyerswerda' angesichts der Studentenzahlen zeitweise zu den größten französischsprachigen Hochschulen gezählt werden konnte!

Warum aber blieb mir das Lager so lange unbekannt? Für die Mitarbeiter des Stadtmuseums war seine Existenz eine bekannte Tatsache, die allerdings zu DDR-Zeiten aus politischen Gründen nicht im Fokus ihrer Arbeit stehen konnte. In den 1990er Jahren begannen dann intensivere Nachforschungen, die 2007 in der Eröffnung einer kleinen Ausstellung in der - einzig erhaltenen - ehemaligen Lazarettbaracke führten. Insbesondere der Hoyerswerdaer Historikerin Elke Roschmann ist es zu verdanken, dass damit auch das Schicksal der französischen Kriegsgefangenen zunehmend bekannt wurde. Sie empfing mehrfach Gäste aus Frankreich: ehemalige Insassen bzw. deren Kinder hatten Kontakt zum Stadtmuseum aufgenommen und auch wichtiges Quellenmaterial zur Verfügung gestellt. Diese Dokumente sind auch gerade deshalb von unschätzbarer Bedeutung, weil sich auf dem ehemaligen Lagergelände nunmehr seit langem die Landesfeuerwehrschule Sachsen bzw. ein Segelflugplatz befindet - an dem ich als Kind regelmäßig vorbeifuhr, ohne etwas von dessen Vergangenheit zu erahnen.

Gedenktafel
Gedenktafel am Rande des heutigen Segelflugplatzes Nardt, historischer Ort des Lagers OFLAG IV-D.
Photo: Kristian Raum

Als Lehrer für Geschichte und Französisch an einem Dresdner Gymnasium unternahm ich 2014 gemeinsam mit meiner Kollegin Anne-Lise Dainat und Schülerinnen und Schülern einer 10. Klasse eine Exkursion nach Hoyerswerda3. In deren Rahmen fuhrenwir auch nach Nardt, wo uns Elke Roschmann einen sehr anschaulichen Einblick in die Lagergeschichte gab. Dies war für mich Motivation und Anlass, darüber nachzudenken, wie das Schicksal der französischen Kriegsgefangenen künftig verstärkt für den unterrichtlichen Kontext aufbereitet werden könnte. Gelegenheit dazu gab mir das Seminar "Jamais ne désespère. Französische Kriegsgefangene im Lager Elsterhorst 1940-45", welches ich im Sommersemester 2016, nun als Lehrer im Hochschuldienst, an der TU Dresden im Ergänzungsbereich für interessierte Studierende anbot. Ausgehend von weitgehend unerforschten Tagebuchaufzeichnungen, literarischen Texten und Bildern der Gefangenen verschafften sich die Studierenden einen Einblick in die Lebenswelt der französischen Gefangenen und analysierten, mit welchen Strategien die Gefangenen auf ihre Extremsituation reagierten. Die Teilnehmer*innen begannen, ausgewählte historische Dokumente ins Deutsche zu übertragen und reflektierten unter literatur-, kultur- und geschichtsdidaktischen Perspektiven Möglichkeiten ihres Einsatzes im Französisch- und Geschichtsunterricht. Das Seminar fand v.a. als Blockseminar statt und umfasste eine ganztägige Exkursion nach Nardt bzw. zum Stadtmuseum Hoyerswerda. Dort stellte uns Frau Roschmann eine ganze Reihe von Unterlagen zur Verfügung, die wir sichteten, transkribierten und im Hinblick auf ihre mögliche Nutzung im schulischen Kontext überprüften.

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Die Seminargruppe mit Frau Roschmann vor der ehemaligen Lazarettbaracke des OFLAG IV-D
Photo: Kristian Raum
Modell
Erläuterungen vor dem Modell des Lagers
Photo: Kristian Raum

Das Seminar fand seinen Abschluss in einem Projekttag für eine Schülergruppe Klasse 11 des Romain-Rolland-Gymnasiums, welche somit unseres Wissens nach die ersten Schüler*innen waren, die sich systematisch mit dem französischen Kriegsgefangenenlager befassten. In Gruppen setzten sie sich mit zuvor ausgewählten und aufbereiteten Materialien auseinander (siehe Beispiel) und versuchten auf diese Weise Aspekte des Lagerlebens zu erschließen. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage nach den Strategien der Soldaten, mit denen es ihnen gelang, Hoffnung zu bewahren und sich als Gemeinschaft zu formen. Diese fassten wir in einer großen Mindmap zusammen (siehe unten) und diskutierten anschließend, welche sozialen, literarischen, musischen bzw. künstlerischen Aspekte ggf. auch aktuelle Relevanz aufweisen.

Für mich war beeindruckend zu sehen, wie zunächst die Studierenden fasziniert vom Gegenstand waren und ihre Begeisterung während des Projekttags auf die Schüler*innen übertrugen. Im kommenden Semester soll es eine Fortsetzung des Seminars gemeinsam mit Matthias Kern geben.

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Die Kriegsgräbergedenkstätte Nardt
Photo: Kristian Raum
Modell
Recherchearbeiten im Stadtmuseum Hoyerswerda, unterstützt von Matthias Kern, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Französische Literatur- und Kulturwissenschaft der TU Dresden
Photo: Kristian Raum
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Projekttag am Romain-Rolland-Gymnasium im Juni 2016 mit Schülern Kl.11
Photo: Kristian Raum
Modell
Eines der Produkte des Projekttags: die Mindmap zu den Strategien des überlebens der Soldaten
Photo: Kristian Raum

Fußnoten

1: Das ans Lager angrenzende Dorf Nardt, welches slawischen Ursprungs ist, erhielt unter der NS-Herrschaft den Namen Elsterhorst. Nach dem Kriegsende bekam es seinen ursprünglichen Namen wieder zurück, das Lager firmiert weiter unter der zeitweiligen Bezeichnung Elsterhorst.

2: Es liegen bisher recht wenige Quellen vor, die Rückschlüsse auf die Situation dieser Gefangenengruppe zulassen. Sehr gut dokumentiert und museumspädagogisch aufbereitet ist hingegen die Erinnerung an die Heimatvertriebenen, für die das Lager 1945-1948 zum zwangsweisen Aufenthaltsort wurde, bevor sie anderenorts eine Bleibe zugewiesen bekamen. An ihr Schicksal - wie auch an das zahlreicher deutscher Soldaten - erinnert heute ein Gedenkort am Ortsrand von Nardt.

3: Ich berichtete davon in Quoi de neuf (2014): Heimat - Hoyerswerda - Hoytopia partout! Eine Exkursion in eine schrumpfende Stadt im Rahmen des bilingualen Geographie- und Geschichtsunterrichts Klasse 10 (Romain-Rolland-Gymnasium Dresden)


Kristian Raum, kristian.raum@tu-dresden.de, Zentrum für Lehrerbildung, Schul- und Berufsbildungsforschung (ZLSB)/Institut für Romanistik der TU Dresden

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