Individuelles Fördern und individualisiertes / personalisiertes Lernen an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen

Ausbildungsvorbereitung dual (AVdual)/Berufsfachschule Pädagogische Erprobung (BFPE)

Niveaudifferenziertes Lernen im Übergangsbereich an beruflichen Schulen
Die Schulversuche "Pädagogische Weiterentwicklung der Bildungsgänge VAB, BEJ, ein- und zweijährige BFS (BFPE)" und "Ausbildungsvorbereitung dual (AVdual)"
Überblick
Ein erfolgversprechender Weg?

Seit Beginn des Schuljahres 2013/14 erprobt das Kultusministerium von Baden-Württemberg an über 60 Standorten Beruflicher Schulen ein pädagogisches Konzept, das sich stark an den Bedürfnissen gehirngerechten Lernens orientiert und gleichzeitig eine Möglichkeit darstellt, bei weiter sinkenden Schülerzahlen Bildungsabschlüsse vor Ort weiter vorzuhalten, ohne dass Kleinklassen entstehen. Da hier zur Gestaltung von Lernprozessen konsequent auf die individuellen Voraussetzungen eines Lernenden und die damit einhergehenden Bedürfnisse eingegangen wird, eignet sich das pädagogische Konzept grundsätzlich auch gut für die Umsetzung der Inklusion.

Neben den Schulversuchsbestimmungen entnehmen die am Schulversuch beteiligten Lehrkräfte Detailinformationen aus der die Schulversuchsbestimmung in pädagogischen Fragen ergänzenden FAQ-Liste

Nachfolgend ist das Konzept zum niveaudifferenzierten Lernen dargelegt. Zur vertiefenden Information steht eine Sammlung erklärender Dokumente und Mustervorlagen sowie die Kurzevaluation des ersten Erprobungsjahre zur Verfügung, die exemplarisch dem in den Schulversuchen unterlegten Unterstützungssystem entnommen sind.

Die am Landesinstitut für Schulentwicklung in allen Fächern erstellten und bereits veröffentlichten exemplarischen Lernmaterialien können hier heruntergeladen werden.

Ausgangslage
Baden-Württemberg verzeichnet in den letzten Jahren einen stetigen Rückgang von Schülerinnen und Schülern in dem Segment der beruflichen Schulen, das überwiegend von Jugendlichen mit und ohne Hauptschulabschluss nach Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht besucht wird. Die bisherigen Schülerzahlen in diesem Bereich erlaubten es, ein stark differenziertes Bildungsangebot an den beruflichen Schulen vorzuhalten, so dass die berufsvorbereitenden Bildungsgänge "Vorqualifizierungsjahr Arbeit und Beruf (VAB)" und das "Berufseinstiegsjahr (BEJ)" sowie die als erstes Ausbildungsjahr geführte "einjährige Berufsfachschule (1BFS)" und die zu einem höheren allgemein bildenden Schulabschluss führende "zweijährige zur Fachschulreife führende Berufsfachschule (2BFS)" ihren festen Zulauf hatten.
In diesen Bildungsgängen können die Schüler schulische Abschlüsse (Hauptschulabschluss und Mittlerer Bildungsabschluss in Form der Fachschulreife), sowie eine berufliche Grundqualifikationen erwerben bis hin zur beruflichen Grundbildung, die dem ersten Ausbildungsjahr der entsprechenden Berufe entspricht und ggf. auf eine weiterführende Ausbildung angerechnet werden kann.
Der demographische Wandel und die veränderten Schülerströme im Bereich der allgemein bildenden Schulen bedingen nun, dass dieses differenzierte Angebot mittel- und langfristig nicht wirtschaftlich in der Fläche gehalten werden kann. So hat die Schülerzahl in diesen Bildungsgängen seit dem Schuljahr 2005/06 von rund 60 000 auf rund 40 000 Schülerinnen und Schüler um rund ein Drittel abgenommen. Vor allem in ländlichen Raum besteht zunehmend die Gefahr, dass zur Vermeidung von Kleinklassen die wichtige Vielfalt des Bildungsangebots vor Ort reduziert werden müsste. Insbesondere mit Blick auf die Förderung leistungsschwächerer Jugendlicher beim Übergang zwischen Schule und Beruf ist der Erhalt eines wohnortnahen Bildungsangebots mit einer Mindestvielfalt an beruflichen Schwerpunkten jedoch unverzichtbar. Zudem entspricht in den Bildungsgängen des Übergangsbereiches das gewählte Bildungsziel nicht immer den kognitiven Voraussetzungen oder der aktuellen Lebenssituation der Jugendlichen und erzeugt so Schleifen in deren Bildungsbiografie.

Sowohl in der Koalitionsvereinbarung der Landesregierung, als auch in den Empfehlungen der Enquete-Kommission des Landtags "Fit fürs Leben in der Wissensgesellschaft - Berufliche Schulen Aus- und Weiterbildung" findet sich die oben beschriebene Thematik wieder. Das Kultusministerium hat es sich auch deshalb zur Aufgabe gemacht, für die berufsvorbereitenden Bildungsgänge eine zukunftsfähige Konzeption zu entwickeln. Aus dieser Bestrebung heraus wurde im Schuljahr 2013/14 der Schulversuch "Pädagogische Weiterentwicklung der Bildungsgänge VAB, BEJ, 1BFS und 2 BFS" - kurz "Berufsfachschule Pädagogische Erprobung (BFPE)" gestartet.
Dessen pädagogischer Ansatz wurde in das über die Umsetzung des Eckpunktepapiers des Ausbildungsbündnisses vorgesehene AVdual grundständig verankert, das seit dem Schuljahr 2014/15 in mittlerweile 10 Modellregionen umgesetzt wird.

Das pädagogische Konzept der AVdual/BFPE
Ziel ist es, die Schüler der o.g. Bildungsgänge in einer heterogenen Lerngruppe gemeinsam lernen zu lassen. Hierzu bedarf es eines stimmigen pädagogischen Konzeptes, damit Lernen in einem derart heterogenen Kontext nicht nur gelingen kann, sondern auch einen Mehrwert gegenüber den bisherigen Konzepten darstellt.
Damit ist nicht gemeint, dass die bisherigen didaktisch-methodischen Konzepte schlecht wären, vielmehr erscheint es erfolgversprechend durch das Eingehen auf die in jüngerer Zeit vorliegenden Ergebnisse der Hirnforschung und der Pädagogischen Forschung, die Gestaltung von Lernprozessen optimieren zu können.

Neben der in den jeweiligen Bildungsgängen vorgesehenen Verbesserung der Kompetenzen im allgemein bildenden Bereich und dem Aufbau von berufsbezogenen Kompetenzen legt die pädagogische Konzeption einen besonderen Bildungsschwerpunkt auf den Erwerb von überfachlichen Kompetenzen und elementaren Selbstlerntechniken. Dies ist wichtig, um niveaudifferenziertes Lernen zu ermöglichen und stellt einen wichtigen Ansatz zur grundlegenden Verbesserung der Ausbildungsreife der Jugendlichen dar.

In der AVdual/BFPE tritt selbstgesteuertes Lernen an die Stelle des traditionellen Unterrichts. Dieses Lernen ist geprägt von einer guten Mischung aus Input-, individuellen und kooperativen Lernphasen sowie einer engen Begleitung, Betreuung und Beratung durch die Lehrkräfte. Für das Unterstützungssystem wurde ein Rahmenkonzept entwickelt, das alle erforderlichen Handlungsfelder für niveaudifferenziertes Lernen berücksichtigt. Die Erprobungsschulen werden bei der Entwicklung eines eigenen pädagogischen Konzeptes intensiv begleitet. Im Rahmenkonzept werden die Lernprozesse über die DOC Lernagenda, Wochenpläne und das Arbeiten mit Kompetenzrastern in Lernlandschaften1 strukturiert. Diese sollen zum Nachdenken über das eigene Handeln anregen. Individuell gesteuert und dokumentiert werden sie mit Hilfe von Lernwegelisten (sog. Ich-Kann-Listen) und den dazugehörigen Lernmaterialien. Der zugrunde liegende methodisch-didaktisch Ansatz ist das "Selbstorganisierte und kooperative Lernen (SOL)"
Im Team begleiten und unterstützen die Lehrkräfte die Lernenden und ermöglichen einen systematischen Kompetenzaufbau, insbesondere hinsichtlich der Selbstlernkompetenz und der Kooperationsfähigkeit. Im persönlichen Lerntagebuch (Bestandteil der Lernagenda) halten die Schülerinnen und Schüler den Lernprozess regelmäßig in Form einer Selbstkontrolle fest. Jedem Schüler und jeder Schülerin wird eine Lehrkraft zur Begleitung und Beratung zugeordnet. DOC Lernberatungsgespräche zwischen dieser Lehrkraft und dem Jugendlichen finden i.d.R. alle zwei Wochen für ca. 15 bis 20 Minuten nach Vereinbarung statt. Lernberatungsgespräche reflektieren den Lernfortschritt und das Arbeitsverhalten aber auch Privates hat dort seinen Platz. Ergänzend finden drei Zielvereinbarungsgespräche statt, an denen zwei Lehrkräfte der Klasse (je eine Lehrkraft aus Theorie und Praxis = die für den Schüler zuständige Lehrkraft und eine weitere Lehrkraft), der Schüler sowie möglichst dessen Erziehungsberechtigte/r und ggf. die sozialpädagogische Fachkraft der Schule teilnehmen. In diesen Zielvereinbarungsgesprächen wird das von dem Schüler gewählte Bildungsziel reflektiert und ggf. ein besser zum Lern- und Leistungsstand der/des Jugendlichen passendes Bildungsziel vereinbart.

Weitere Besonderheiten der pädagogischen Konzeption sind:
  • Das Fach Handlungskompetenz. Es ersetzt das bisherige Fach Projektkompetenz oder Projektkompetenz mit Sozialkompetenz und ist integrativ in allen - auch den allgemein bildenden - Fächern verankert.
  • Im Rahmen der Leistungsfeststellungen weisen die Lehrkräfte für die zu bearbeitenden Aufgaben Niveaustufen aus, die sich in der Regel auf unterschiedliche Bildungsziele beziehen. Für jeden Schüler und jede Schülerin werden in der Regel - ausgerichtet auf zwei Bildungsziele - bei den Leistungsfeststellungen jeweils zwei Noten gebildet und parallel fortlaufend dokumentiert. Auf dieser Grundlage wird die maximale Durchlässigkeit zwischen den Bildungszielen der einzelnen Bildungsgänge erreicht.

Erste Erfahrungen und Rückmeldungen der Versuchsschulen
Die ersten Rückmeldungen der Versuchsschulen im Schulversuch BFPE zeigen, dass der beschrittene Weg in der Anfangsphase - bei aller Unterstützung von Seiten des Kultusministeriums - sehr arbeitsintensiv ist, aber schon nach relativ kurzer Zeit deutlich positive Signale von Seiten der Schüler und Lehrkräfte zu vernehmen sind. Die Auswertung der Kurzevaluation zum Verlauf des ersten Schuljahres kann beim Landesinstitut für Schulentwicklung angefordert werden.

Ausblick und Evaluation
Alles deutet darauf hin, dass bei weiterer Professionalisierung der Lehrkräfte im Umgang mit der veränderten Gestaltung der Lernzeit und weiterer Unterstützung, sowie Verbesserung der Rahmenbedingungen die Ziele der pädagogischen Weiterentwicklung erreicht werden können und damit insgesamt für alle am individuellen Lernprozess Beteiligte ein Mehrwert entsteht.
Seit Sommer 2015 untersucht die Universität Stuttgart durch eine wissenschaftliche Begleitung die Durchführung und die Effektivität der Schulversuche. Ein zentraler Teil der wissenschaftlichen Begleitung ist der Vergleich der Entwicklung schulischer Leistung und persönlicher Entwicklung von Lernenden im zeitlichen Verlauf, auch unter Berücksichtigung von Kontrollgruppen.
Parallel hierzu wird durch das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft im Rahmen der Evaluation der "Neugestaltung des Übergangs von der Schule in den Beruf in Baden-Württemberg" die Dualisierung der Ausbildungsvorbereitung (u.a. Praktikum in AVdual) untersucht.
Niveaudifferenziertes Lernmaterial mit Kompetenzrastern
Lernen individuell gestalten - Die Schulversuche AVdual und BFPE

Wo Lernen individualisiert gestaltet wird, greifen zahlreiche Prozesse auf den Ebenen des Lern- und Unterrichtsgeschehens ineinander. Es gilt, an die persönlichen Voraussetzungen, Interessen und Emotionen der Lernenden anzuknüpfen und ihre Selbststeuerung zu fördern. Erleben Lernende ihr eigenständiges Handeln als wirksam und fühlen sie sich gesehen, entsteht Motivation. In der Vorbereitung auf die Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt kommt den Lehrkräften und deren Teams insbesondere in Bezug auf den systematischen Kompetenzaufbau, die Gestaltung der Lernangebote und das Reflektieren der Lernprozesse eine veränderte Rolle zu. Der Film stellt anhand der Schulversuche Ausbildungsvorbereitung dual (AVdual) und Berufsfachschule Pädagogische Erprobung (BFPE) in sechs konkreten Situationen anschaulich dar, wie pädagogische Instrumente in einem Rahmenkonzept ineinander greifend das individualisierte Lernen ermöglichen können.
In einer zusammenfassenden Kommentierung ordnet Prof. Dr. Joachim Bauer (Universitätsklinikum Freiburg) die Sequenzen in Bezug auf die Motivation und die Selbststeuerung der Lernenden ein.

Playlist der Youtube-Filme

1. Struktur, Systematik, Selbstreflexion: Was die Lernagenda bringt» Ein Gespräch unter Beteiligten (10:51)film1
2. Mit überfachlichen Kompetenzen zur Selbststeuerung: Lernprozesse reflektieren (8:25)film2
3. Offene Lernzeit: …und ich entscheide selbst!» (5:25)film3
4. Teamsitzung: Lernen im Team begleiten (4:52)film4
5. Beziehung gestalten, Lernen begleiten: Das Lernberatungsgespräch (10:07)film5
6. Niveaudifferenziertes Lernen in Lernlandschaften: Ich weiß, dass ich etwas kann!» (10:46)film6
7. „Motivation entsteht, wenn ein junger Mensch sich gesehen fühlt.“ Filmkommentar Prof. Dr. Bauer (10:24)film7
8. „Individualisiertes Lernen funktioniert“ Interview mit Staatssekretärin Marion v. Wartenberg (6:32)film8



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Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de

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