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Birgit Rückert: Zwischen Repräsentation und Askese

Zwar dem Armutsideal verpflichtet, stellt sich das ehemalige Zisterzienserkloster Salem heute als imposante schlossähnliche Residenz dar. Wie kommt es dazu?

Das Kloster besaß wohl bereits eine recht imposante romanische Kirche; denn zu den ältesten Überresten Salems zählen die mächtigen Dachziegel von der ersten Klosterkirche, die im gotischen Neubau zum Teil wiederverwendet wurden. Diese ältesten, zum Teil beschrifteten Ziegel sind heute im Münster ausgestellt. Bereits in den ersten Jahrzehnten nach der Gründung gelang es dem Kloster durch weitere Stiftungen, aber auch durch Erwerb von Grund und Boden seine Wirtschaftsflächen gewaltig auszudehnen. Zum Klosterbesitz gehörten landwirtschaftliche Güter nicht nur rund um das Klosterareal bis an den Bodensee, sondern auch in weiter entfernten Regionen - im Hegau, im Schwarzwald, in Oberschwaben und auf der Schwäbischen Alb. Eine wirtschaftliche Blütezeit erlebte das Kloster unter Abt Eberhard I. von Rohrdorf (1191-1240), der dem Kloster fast fünfzig Jahre vorstand. Das wirtschaftliche Wachstum der Abtei und die Ausdehnung seines Besitzes wurden dadurch begünstigt, dass der Orden im 13. Jahrhundert längst die strengen Vorgaben zur Eigenwirtschaft gelockert und den Lebensverhältnissen angepasst hatte; Grunderwerb war nun erlaubt. So konnte das Kloster seinen Landbesitz arrondieren, weitere Grundstücke kaufen und sogar in den Städten Besitz erwerben. Um 1250 bewirtschaftete das Kloster 22 Grangien (landwirtschaftliche Großhöfe), die Produkte verkaufte man in den Städten in eigenen Pfleghöfen, den sogenannten Salmansweiler Höfen. Neben Land- und Viehwirtschaft war vor allem der Weinbau Erwerbsgrundlage. Zum nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg trug aber auch der Salzhandel bei, den das Kloster seit Eberhards Zeiten erfolgreich betrieb. 1201 hatte der Salzburger Erzbischof den Salemern eine Salzpfanne bzw. einen Salzstock bei Hallein geschenkt.

Der Salemer Pfleghof in Esslingen
Der Salemer Pfleghof in Esslingen
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Blüte im Mittelalter
Sichtbarer Ausdruck von Salems Erfolgsgeschichte im Mittelalter ist das gotische Münster, das Abt Ulrich II. von Seelfingen (1282-1311) initiierte. Unter Abt Ulrich erreichte das Kloster nicht nur eine wirtschaftliche und spirituelle Blüte, sondern auch die höchste Mitgliederzahl; nach Quellenberichten bewirtschafteten 310 Mönche und Konversen den Klosterbesitz, was den Neubau der Mönchskirche im gotischen Stil erforderte: In jeder Hinsicht hatte man nun höhere Ansprüche. Zwar erlitt Salem auch Rückschläge und Notsituationen wie z. B. in den Bauernkriegen und im Dreißigjährigen Krieg. Doch die über die Jahrhunderte immer wieder bestätigte Reichsunmittelbarkeit Salems, verbunden mit durch Kaiser und Papst gewährten Privilegien sowie schließlich die Gründung einer "Oberdeutschen Kongregation" des Zisterzienserordens (1619), der Salem vorstand, veranlassten die Äbte zu repräsentativen Um- und Neubauten. Unter Abt Thomas I. Wunn (1614-1647) erfolgten umfangreiche Baumaßnahmen mit dem kompletten Neubau des Konventsgebäudes und zahlreicher Wirtschaftseinrichtungen (wie z. B. dem heute noch genutzten großen Weinkeller im Oberen Langbau).

Als in einer kalten Märznacht 1697 ein explodierender Ofen einen Großbrand auslöste, lieferte besonders die nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Kriegs erfolgte prächtige Ausstattung mit Stuckaturen und Ölgemälden den Flammen Nahrung, wie Augenzeugen berichten. Von der hohen künstlerischen Qualität der Ausstattung zeugen, abgesehen von Spolien, einige wenige Objekte, die vom Brand verschont geblieben sind, wie zum Beispiel der Marienaltar von Bernhard Strigel (1460-1528). Der Konvent entschloss sich augenblicklich zum Abriss der Brandruine und zum vollständigen Neubau der Konvents- und Abteigebäude.

Repräsentationslust im Barock
Die Äbte Emanuel Sulger (1680-1698) und Stephan I. Jung (1698-1725) ließen durch den Vorarlberger Baumeister Franz Beer zwei baugleiche Vierflügelanlagen als Konventsgebäude und Prälatur, verbunden durch einen Mittelbau, errichten. Dass die repräsentative barocke Umgestaltung die gesamte Klosteranlage (und die Landschaft darüber hinaus!) mit einschloss, zeigen eindrucksvoll ideale Ansichten des 18. Jahrhunderts mit symmetrisch angelegten Hof- und Gartenanlagen, neu gestalteten Wirtschaftsgebäuden und repräsentativen Ställen sowie dem Neubau der Bruderschaftskirche mit einer gewaltigen Kuppel (der allerdings nie ausgeführt wurde).
Barocke Repräsentationslust und Prestigedenken hatten sich nun endgültig im Zisterzienserkloster durchgesetzt. Auch die nachfolgenden Äbte Konstantin Miller (1725-1745), Stephan II. Enroth (1745-1746), der den Neubau der Wallfahrtskirche Birnau initiierte, sowie Anselm II. Schwab (1746-1778) verfolgten den weiteren repräsentativen Ausbau Salems. Obwohl man versuchte, im Erscheinungsbild dem Anspruch und der Bedeutung Salems als Reichsabtei, als Landesherrschaft sowie als Wirtschaftsmacht gerecht zu werden, so hat man keineswegs zisterziensische Tugenden vernachlässigt; dazu zählen effizientes Wirtschaften sowie Innovationen, vor allem im landwirtschaftlichen Bereich, wie z. B. die Einrichtung einer Obst- und Gehölzbaumschule, die Einführung von Stecklingen „exotischer" Obstsorten aus dem Ausland oder ein ausgeklügeltes Be- und Entwässerungssystem im Salemertal. Aber auch soziales Engagement wie die Gründung der "Ordentlichen Waisenkassa" (1746), des Armenhauses Wespach (1784) oder der Bau einer öffentlichen Schule (um 1790) betrachteten die Mönche als ihre Aufgabe.
War die repräsentative Erscheinung nach außen in den Augen der Äbte und ihrer Zeitgenossen sicher erforderlich, so unzweifelhaft bestanden die Äbte auf Einhaltung der Ordensregeln nach innen. So hat Anselm längst gelockerte Regeln im Konvent wieder verschärft und trotz üppiger Bewirtung hochgestellter Gäste hielten die Äbte persönlich die strengen Fastenvorschriften ein. Durch diese vielfältigen Maßnahmen der Äbte erlebte Salem im 18. Jahrhundert eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte. Ihnen verdankt man nicht nur das heutige bauliche Ensemble mit seinen Kunstschätzen, sondern sie prägen die gesamte Region bis auf den heutigen Tag.


"Salemer Klosterbrand" von Andreas Brugger (1737-1812)
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Vom Kloster zum Schloss
Kurz vor der Säkularisation wurde Salem noch umfassend im klassizistischen Stil umgestaltet, sogar einige neue Bauwerke errichtet. Doch im Herbst 1802 ging das klösterliche Leben dem Ende zu. Am 4. Dezember 1802 übernahm die Markgrafschaft Baden Salem in ihren Besitz. Der Konvent, der zunächst weiterbestanden hatte, löste sich schließlich aufgrund unüberbrückbarer Differenzen mit der weltlichen Domänenverwaltung am 23. November 1804 endgültig auf, die Mönche gaben ihr monastisches Leben auf und wurden in markgräfliche Dienste übernommen oder sie verließen, abgefunden mit Pensionen, Salem.
Nach Auflösung des Klosters hat man in Salem zu jeder Zeit versucht, die Gebäude und Räume angemessen zu nutzen. Dabei blieb der Charakter des Klosterensembles weitgehend erhalten. Das prächtig ausgestattete und bis heute kaum veränderte Sommerrefektorium der Mönche wird seit dem 19. Jahrhundert als Betsaal der evangelischen Kirchengemeinde genutzt. Das Münster ist seit 1808 Pfarrkirche der katholischen Kirchengemeinde Salem. In der Landwirtschaft knüpfte man an die klösterliche Tradition an: Unter den Markgrafen wurde die Land- und Forstwirtschaft, der Wein- und Obstbau nicht nur fortgeführt, sondern modernisiert und die Erträge ausgebaut. Und man besann sich auf eine weitere klösterliche Tradition, nämlich die Bildung und Erziehung. Prinz Max von Baden veranlasste 1906 die Einrichtung einer Gewerbe- und Haushaltsschule, 1919 einer landwirtschaftlichen Winterschule. 1920 schließlich gründete er zusammen mit Kurt Hahn ein Internat für Jungen und Mädchen, die renommierte Schule Schloss Salem, die heute große Teile der Anlage nützt.


(Zitiert nach Birgit Rückert: Zwischen Repräsentation und Askese, in: Bodensee-Magazin Spezial "Kirchen, Klöster & Konzil", Konstanz: Labhard Medien 2012, S. 38-41)


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