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Das Schicksal der Christine Lehmann

Das Schicksal der Christine Lehmann soll an einem Einzelfall veranschaulichen, welche Folgen die nationalsozialistischen Maßnahmen für den Einzelnen hatten.

Christine L. wird am 18. Dezember 1920 in Duisburg geboren. Im Mai 1940 deportiert man ihre Eltern und ihre sechs Geschwister in das besetzte Polen. Sie lebt zu diesem Zeitpunkt bereits seit längerem mit Karl H. zusammen, der in der Naziterminologie als "deutschblütig" gilt. Die Eheschließung ist ihnen auf Grund der "Nürnberger Rassengesetze" untersagt worden.
Am 1. Januar 1939 kommt ihr erstes Kind Egon zur Welt. Ende 1941 werden Christine L. und Karl H. erstmals vorgeladen. Man eröffnet ihnen, dass das "Verhältnis" nicht mehr geduldet wird. Karl H. meldet daraufhin die gemeinsame Wohnung ab und zieht zu seinen Eltern, wo beide weiterhin heimlich zusammenleben. Am 17. Januar 1942 werden sie erneut vorgeladen und verpflichtet, ihre Verbindung aufzugeben. Christine L. muss eine Erklärung unterschreiben, in der es heißt: "Es ist mir neuerdings eröffnet worden, dass das eheähnliche Verhältnis nicht mehr geduldet wird und im Fortsetzungsfall die Einweisung meiner Person in ein Konzentrationslager nach sich ziehen wird."

Erklärung zur Auflösung der Ehe
Erklärung zur Auflösung der Ehe
Quelle: Landesarchiv NRW - Abteilung Rheinland - BR 1111 Nr. 44
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In der Folgezeit werden Christine L. und Karl H. kontinuierlich überwacht, vor allem nachdem Christine L. im März 1942 ein zweites Kind zur Welt bringt. So heißt es in einem Brief der "Stadtfürsorgerin" Jung an die "Abteilung Erb- und Rassenpflege" vom 28. November 1942: "Fräulein L., die Eheverbot hat, traf ich bei einem Hausbesuch Musfeldstraße 13 wohnend bei ihrem Bräutigam H. an. Sie kochte dort und hatte die Wohnung für zwei Personen und Kinder zum Schlafen eingerichtet. Das Geschäft (Eilbotenbetrieb) versah sie selbst. Bei einem zweiten Besuch waren die Verhältnisse ebenso." Am 20. Januar 1943 beantragt die Kriminalpolizei Duisburg in einem Schreiben an die Kriminalpolizeistelle Essen, die "polizeiliche Vorbeugungshaft" gegen Christine L. anzuordnen. Zur Begründung heißt es: "Nur so ist es möglich, die eheähnliche Gemeinschaft der benannten Personen zu unterbinden und die Reinerhaltung des deutschen Blutes zu gewährleisten." Als Vorwand für die geplante Deportation wird außerdem der Verstoß gegen Himmlers "Festschreibungserlass" angeführt, da sich Christine L. zur Geburt ihres zweiten Kindes zu auswärtigen Verwandten begeben hatte. Bereits am 26. Januar 1943 bestätigt die Kriminalpolizeistelle Essen die Anordnung der "polizeilichen Vorbeugungshaft" gegen die Duisburger Sintezza. Auch ihr "deutschblütiger Partner" sei "auf das Nachdrücklichste zu verwarnen und ihm bei erneutem Verstoß ebenfalls polizeiliche Maßnahmen anzudrohen".

Anordnung der politischen Vorbeugungshaft
Anordnung der politischen Vorbeugungshaft
Quelle: Landesarchiv NRW - Abteilung Rheinland - BR 1111 Nr. 44
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Um der Deportation zu entgehen, taucht Christine L. kurz darauf unter, worauf man den Briefverkehr von Karl H. systematisch überwacht. Anfang April 1943 wird sie entdeckt und im politischen Gefängnis in Duisburg inhaftiert, "um einer nochmaligen Flucht vorzubeugen", wie es in einem Schreiben an die Kriminalpolizeistelle Essen vom 7. April 1943 heißt. Am 9. Juli 1943 genehmigt das Reichskriminalpolizeiamt die "Anordnung der polizeilichen Vorbeugungshaft". Christine L. sei "mit dem nächsten Sammeltransport in das Konzentrationslager Auschwitz" zu überführen. Drei Wochen später, am 29. Juli 1943, deportiert man Christine L. nach Auschwitz, wo sie am 28. März 1944 den unmenschlichen Lebensbedingungen erliegt.

Deportation nach Auschwitz
Deportation nach Auschwitz
Quelle: Landesarchiv NRW - Abteilung Rheinland - BR 1111 Nr. 44
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Besonders tragisch ist das Schicksal ihrer beiden Kinder. Der fünfjährige Egon sowie der erst zweijährige Robert werden "auf Grund des Befehls des Reichsführers SS vom 16.12.1942" am 7. März 1944 ebenfalls nach Auschwitz deportiert. Vergebens versucht die Mutter von Karl H. nach der Ermordung von Christine L. in einem Schreiben an die Lagerleitung vom 28. April 1944 die Freilassung ihrer beiden Enkelkinder zu erreichen. Der zuständige Beamten notiert: "Ich bitte, die Witwe H. mündlich zu verständigen, dass Einweisungen von zigeunerischen Personen in das Zigeunerlager Auschwitz auf Grund des Befehls des Reichsführers SS und Reichsministers des Innern erfolgten. Eine Zuführung der Zigeunerkinder Egon und Robert L. aus dem Zigeunerlager zur Mutter des deutschblütigen Erzeugers wird vom Reichskriminalpolizeiamt abgelehnt. Entlassungen von zigeunerischen Personen aus dem Zigeunerlager Auschwitz erfolgen grundsätzlich nicht." Robert wird am 27. Juni 1944 in Auschwitz ermordet. Das weitere Schicksal seines Bruders Egon ist unbekannt; mit großer Wahrscheinlichkeit ist auch er dem nationalsozialistischen Völkermord zum Opfer gefallen.

Deportation der Kinder nach Auschwitz
Deportation der Kinder nach Auschwitz
Quelle: Landesarchiv NRW - Abteilung Rheinland - BR 1111 Nr. 44
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Todesnachricht von Christine Lehmann
Todesnachricht von Christine Lehmann
Quelle: Landesarchiv NRW - Abteilung Rheinland - BR 1111 Nr. 44

Bitte der Großmutter um Rückgabe der Enkel Egon und Robert
Bitte der Großmutter um Rückgabe der Enkel Egon und Robert
Quelle: Landesarchiv NRW - Abteilung Rheinland - BR 1111 Nr. 44
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