Hintergrundinformationen

Rexingen - Geschichte der Landjuden am Neckarknie bei Horb

1.1 Bedeutung

Die Gegend um das Neckarknie bei Horb war über Jahrhunderte ein Zentrum des schwäbischen Landjudentums. Sechs Friedhöfe erinnern in der Großen Kreisstadt Horb am Neckar an die jüdische Vergangenheit. Der älteste Judenfriedhof wurde zur Mitte des 16. Jahrhunderts in Mühringen angelegt und diente lange Zeit als Begräbnisort für die Nachbargemeinden, zu denen auch Rexingen gehörte, dessen jüdischer Friedhof einmal der drittgrößte in Württemberg war und zu den am besten erhaltenen jüdischen Friedhöfen Süddeutschlands zählt.

Aufgrund der zahlreichen jüdischen Viehhändler hatte sich Rexingen nach der Gründung des Deutschen Reiches als „Viehbörse Süddeutschlands“ zu einem der wirtschaftlich erfolgreichsten Dörfer im Königreich Württemberg entwickelt. Hier machten die jüdischen Einwohner rund ein Drittel der Bevölkerung aus, das im Unterschied zu den hoffnungslos überalterten anderen Landjudengemeinden eine ungewöhnlich günstige Altersstruktur vorwies. In diesem Ort gab es eine der lebendigsten und größten jüdischen Landgemeinden, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts am wenigsten von der Landflucht betroffen war.

Trotz des Bevölkerungsrückgangs blieb Rexingen aufgrund der Bodenständigkeit seiner Juden bis in die dreißiger Jahre die größte Landjudengemeinde in Südwestdeutschland. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten entwickelte sich das Dorf bei zunehmender Diskriminierung zu einem Mittelpunkt jüdischen Lebens in Württemberg. Rexingen galt am Abend der Weimarer Republik für die NSDAP nach eigenem Bekunden bis zur Machtübernahme Hitlers als „uneinnehmbare Festung“. Die Ergebnisse aller Reichstags- und Landtagswahlen belegen, dass die NSDAP im Deutschen Reich nie eine Chance erhalten hätte, die Macht zu ergreifen, wenn überall so wie in Rexingen gewählt worden wäre.

Infolge der zunehmenden Repressionen des nationalsozialistischen Regimes entschloss sich ein Teil der jüdischen Rexinger zur gemeinsamen Auswanderung nach Palästina. An keinem anderen Ort Deutschlands glückte während der Nazizeit einer ganzen Gruppe von Juden die Flucht ins damalige britische Mandatsgebiet, wo mit Shavei Zion eine landwirtschaftliche Mustersiedlung gegründet wurde, die als schwäbische Form des Kibbuz später viele Nachahmer in Israel fand.

1.2 Geschichte

Dorfansicht von Rexingen

B 2  Der Maler Sebastian Hermann fertigte diese Dorfansicht von Rexingen um das Jahr 1810. Von der Schlossanlage der Johanniter sind heute nur noch Teile der Schloss- und Kirchhofmauer, der Schandturm und das hohe, ehemalige Vogteihaus erhalten. © Ortschaftsverwaltung Rexingen

1290
Der „Ritterliche Orden St. Johannis vom Spital zu Jerusalem“ übernahm nach Erwerb des Fronhofes, des Patronats, der Zehntrechte, der Vogtei und des Gerichts die alleinige Ortsherrschaft über das Dorf Rexingen.
1299
Unter dem Komtur Gottfried von Klingenfels wurde das Johanniterschloss erbaut. In der Folgezeit wurde die Kommende Rexingen und die größere Kommende Hemmendorf bei Rottenburg an einen Komtur verliehen, so dass in Rexingen nur noch ein Statthalter eingesetzt wurde. Die Johanniterkommende Rexingen-Hemmendorf hat mehr als 500 Jahre lang die Geschichte des Dorfes Rexingens bestimmt.

Hoheitszeichen des Johanniterordens

B 3  Das Hoheitszeichen des Johanniterordens, ein achtwinkliges Kreuz, findet sich im Rexinger Ortswappen. © Wikipedia

20.12.1348
In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts lebten die Juden am oberen Neckar in den zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb gelegen Städten. Fast alle diese jüdischen Gemeinden fielen den blutigen Pogromen während der Pestjahre 1348/49 zum Opfer. Zu den Orten der Judenverfolgung zählte auch die hohenbergische Stadt Horb, wo im Gewann „Judengrub“ alle Juden in einer Doline verbrannt worden waren.

Darstellung der „Judengrub“.

B 4  In einem Besitzverzeichnis des Horber Spitals zum Heiligen Geist aus dem Jahr 1759 findet sich eine Darstellung der „Judengrub“. © Kultur- und Museumsverein Horb a. N. e. V.

1516
Im 15. Jahrhundert führte die judenfeindliche Politik der Landesfürsten zur Vertreibung aus den Städten. Den Juden am oberen Neckar blieb ein Bleiberecht sowohl im Herzogtum Württemberg als auch in der vorderösterreichischen Grafschaft Hohenberg verwehrt, so dass ihnen nur noch die Dörfer oder wirtschaftlich unbedeutende Kleinstädte offenstanden, die sich im Besitz der Reichsritterschaft oder der Ritterorden befanden. Eine hohenbergische Judenordnung erwähnt für Rexingen einen Mann namens Lazarus.

1616
Ein Schreiben des kaiserlichen Hofgerichts zu Rottweil nennt einen Jud Maier aus Rexingen.

um 1650
Als Folge der verheerenden Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges griffen im 17. und 18. Jahrhundert einige reichsritterschaftliche und geistliche Herrschaften den merkantilistischen Gedanken der Peuplierungspolitik auf und begannen, in ihren Dörfern neue Untertanen aufzunehmen, um ihre finanzielle Lage zu verbessern, zumal der barocke Lebensstil erhebliche Geldmittel erforderte. Mitte des 17. Jahrhunderts ließ auch der Johanniterorden in seinen Niederlassungen die Ansiedlung von Juden zu. Die Namen Pollak, Pressburger und Lemberger verweisen auf Juden, die aus dem polnisch-slowakischen Raum nach den Chmielnicki- Massakern und den Pogromen im Schwedisch-Polnischen Krieg geflohen waren, während die Namen Zürndorfer und Bamberger auf den fränkischen Raum hinweisen. Die aufgenommenen Juden mussten dem Johanniterorden Schutzgelder, Abgaben bei Geburt, Verheiratung und Tod sowie Martinigänse entrichten. Der Ritterorden gestattete den in Rexingen ansässig gewordenen Juden den Handel mit Vieh, Leder und Hausierwaren: Auch Güterhandel durften sie betreiben, doch mussten die Juden die Grundstücke innerhalb von 8 Tagen verkaufen, weil sonst der Orden sie an sich zog. Die ersten Schutzjuden der Johanniter fanden eine Unterkunft im herrschaftlichen Vogteihaus, das direkt neben dem Schloss lag.

nsicht des einstigen Johanniterschlosses

B 5  Ansicht des einstigen Johanniterschlosses mit ehemaliger Johanneskirche, Vogteihaus und Schandturm um 1810. © Ortschaftsverwaltung Rexingen


1710
Bau der ersten Synagoge, zu der eine Mikwe gehörte, die mit Quellwasser gespeist wurde.

1752
Die Synagoge wurde baulich erweitert. Zur Mitte des 18. Jahrhunderts war während der Amtszeit des Komturs und Reichsgrafen Willibald Fugger von Kirchberg und Weißenhorn die Aufnahme von Juden in Rexingen auf 18 Familien begrenzt. Diese Beschränkung wurde aber dann von der Ordensverwaltung im Großpriorat Heitersheim (Baden) aufgehoben und die Zahl der jüdischen Familien stieg bis zum Jahr 1800 auf 49 an, so dass Rexingen am Ende der Johanniterherrschaft zu den größten Judendörfern in Südwestdeutschland zählte.

Das frühere jüdische Gemeindehaus

B 6  Das frühere jüdische Gemeindehaus, in dem auch die Mikwe mit einem Teil der alten Synagoge aufgegangen war, fiel 1977 dem Ausbau der Freudenstädter Straße zum Opfer. © Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Rexingen

1805
Der Franzosenkaiser Napoleon erzwang im Frieden von Pressburg die Aufhebung der Ordensgüter; der Besitz und die Rechte der Johanniterkommende Rexingen-Hemmendorf fielen König Friedrich I. von Württemberg zu.

1824
Gründung der israelitischen Volksschule

1837/38
Neubau der Synagoge. Die alte Synagoge diente als Gemeindehaus mit Wohnung und behielt die Mikwe.

Die neue Rexinger Synagog

B 7  Die neue Rexinger Synagoge bot Platz für annährend 600 Personen und galt unstreitig als schönste Synagoge im Rabbinatsbezirk Mühringen. © Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Rexingen

1841
Vergrößerung des 1818 erbauten Schul- und Rathauses, in dem die israelitische Volksschule ein Klassenzimmer und der israelitische Lehrer eine Wohnung erhielt.

Schüler der israelitischen Volksschule Rexingen mit ihrem Lehrer Aron Ascher um 1894

B 8  Schüler der israelitischen Volksschule Rexingen mit ihrem Lehrer Aron Ascher um 1894.
© Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Rexingen


1854
Die jüdische Gemeinde erreichte mit 427 von insgesamt 1132 Einwohnern den höchsten Bevölkerungsanteil in der Geschichte Rexingens – das entsprach einem Anteil von 37,7 %.

um 1900
Blütezeit der jüdischen Gemeinde. Rexingen galt als „die Viehbörse Süddeutschlands“.

Der Rexinger Viehhändler und Landwirt Max Pressburger

B 9  Der Rexinger Viehhändler und Landwirt Max Pressburger um 1920. © Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Rexingen

1914 - 1918
Im Ersten Weltkrieg wurden von der Judengemeinde 105 Mann eingezogen. Für die 15 gefallenen Soldaten errichtete die jüdische Gemeinde auf dem Judenfriedhof ein Kriegerdenkmal.

Ehrenmal

B 10  Rechts das auf dem Judenfriedhof errichtete Ehrenmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten und links das Grabmal des Fliegerleutnants Josef Zürndorfer (gest. 1915). © Joachim Lipp

1919 - 1932
Die allgemeine Wirtschaftslage sowie Missernten in der Landwirtschaft ließen Ende der Zwanziger Jahre den Viehhandel auf einen Tiefstand sinken. Die Söhne der Rexinger Viehhändler wanderten verstärkt in die Städte ab. Trotzdem blieb Rexingen eine der größten Landjudengemeinden in Südwestdeutschland.

1933
Die Ausgrenzung der Juden aus der Rexinger Dorfgemeinschaft setzte im Zuge der Gleichschaltung mit dem Ausschluss aus den örtlichen Vereinen ein. Beim „Deutschen Tag in Rexingen“ wurde eines der ersten nationalsozialistischen Denkmäler in Württemberg eingeweiht.

Das nationalsozialistische Denkmal

B 11  Das nationalsozialistische Denkmal mit dem eineinhalb Meter hohen Hakenkreuz wurde auf einer Anhöhe über dem Rexinger Unterdorf erstellt. © Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Rexingen

1934 - 1938
Mit der Erfahrung zunehmender Diskriminierung blühte das jüdische Gemeinde- und Vereinsleben, zu dem eine zionistische Ortsgruppe zählte, auf und Rexingen wurde ein Mittelpunkt jüdischen Lebens in Württemberg. Von der Einwohnerschaft der Nachbarorte wurde Rexingen zunehmend als „Judennest“ diffamiert. Die Ortsbauernführer riefen zum Boykott der Rexinger Viehhändler auf, die schließlich mit dem Entzug der Gewerbescheine ihre Betriebe einstellen mussten. Aufgrund der stetig zunehmenden Bedrückung entschloss sich ein Teil der jüdischen Einwohner zur gemeinsamen Auswanderung nach Palästina, wo sie im April 1938 mit Shavei Zion unter schwierigsten Bedingungen eine landwirtschaftliche Mustersiedlung aufbauten.

Werbeprospekt

B 12  Mit diesem Werbeprospekt warb der Jüdische Nationalfonds nach der Gründung von Shavei Zion für weiteren Landkauf in Palästina. © Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Rexingen

09.11.1938 - 1942
In der Reichspogromnacht wurde die Inneneinrichtung der Rexinger Synagoge zerstört und in Brand gesteckt. Eine aus den Trümmern gerettete beschädigte Thorarolle fand den Weg nach Shavei Zion, wo sie in der Gedenkstätte für die ermordeten Rexinger Juden aufbewahrt wird. Viele Rexinger Juden verkauften ihr Hab und Gut unter Wert, um das notwendige Geld für die Auswanderung aufzutreiben, die nach Einführung des Judensterns nur noch wenigen gelang. Nach verordneter Auflösung der jüdischen Religionsgemeinschaft wurden Juden aus der weiteren und näheren Umgebung nach Rexingen zwangsumgesiedelt. Über 120 Juden, die von Rexingen aus nach dem Osten deportiert wurden, fanden den Tod. Als Einzige überlebte die Rexingerin Hedwig Schwarz die Shoa.

Innenansicht der Rexinger Synagoge um 1930

B 13  Innenansicht der Rexinger Synagoge um 1930. © www.alemannia-judaica.de

1945
Kurz vor der Besetzung Rexingens durch französische Soldaten entfernten einige Einwohner das Hakenkreuz auf dem Denkmal.

1947
Die Gemeinde Rexingen errichte auf dem Judenfriedhof ein Mahnmal zum Gedenken an die Opfer der Judenverfolgung.

Mahnmal zum Gedenken an die Opfer der Judenverfolgung

B 14  Mahnmal zum Gedenken an die Opfer der Judenverfolgung 1933 – 1945 auf dem Rexinger Judenfriedhof. Links daneben das Grab von Hedwig Schwarz, die als Einzige die Shoa überlebt hatte. © Joachim Lipp

1965
Erster Besucher aus Rexingen in Shavei Zion war Heinrich Lang, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde.

1969
Eine Gruppe aus Shavei Zion machte mit dem Bürgermeister Hans Bloch einen Besuch in Rexingen und wurde dort vom Rexinger Bürgermeister Gebhard Gekle empfangen.

1972
Der Rexinger Gemeinderat Herbert Kläger brachte bei einem Besuch als Gastgeschenk einen Chanukka-Leuchter nach Shavei Zion.

1983
Der ehrenamtliche Ortsarchivar Adolf Sayer begann mit der Aufarbeitung der Rexinger Geschichte.

1985
Eine Gruppe von Jugendlichen aus Rexingen reiste mit dem Rundfunkorchester des Südwestfunks nach Israel und stattete dabei einen Besuch in Shavei Zion ab.

1988
Dr. Hans Hörner, Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt Horb a. N., zu der Rexingen seit der 1971 erfolgten Eingemeindung als Teilort zählt, nahm eine Einladung zur 50-Jahr-Feier in Shavei Zion an.

1995
Unter dem neu gewählten Oberbürgermeister Michael Theurer wurden die Kontakte nach Shavei Zion intensiviert.

1997
Das Stadtarchiv Horb veröffentlichte eine Dokumentation des Rexinger Judenfriedhofs. Es erfolgte die Gründung des Träger- und Fördervereins Synagoge Rexingen, der sich die Aufgabe gestellt hat, die jüdische Geschichte des früheren Rabbinats Mühringen/Horb zu dokumentieren, die Verbindung zu ehemaligen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern des Rabbinats und deren Nachkommen zu pflegen und den Dialog zwischen den Religionen und Kulturen zu unterstützen.

2004
Mit Hermann Gideon und Thea Lemberger starben in Shavei Zion die beiden letzten Rexinger aus dem Kreis der Gründer.

2008
Zum 70. Jahrestag der Gründung von Shavei Zion wurde in Rexingen eine Ausstellung veranstaltet, deren Exponate nach mehreren Stationen ihren Platz in Shavei Zion finden sollen.

Im letzten Grab des Rexinger Judenfriedhofs ruht der 1961 verstorbene Hermann Lemberger

B B 15  Im letzten Grab des Rexinger Judenfriedhofs ruht der 1961 verstorbene Hermann Lemberger, Schwiegervater von Josef Eberle alias Sebastian Blau. © Joachim Lipp

1.3 Anlage

Blick auf Rexingen

B 16  Blick auf Rexingen © Joachim Lipp

Der Teilort Rexingen liegt rund 4 km von von der Großen Kreisstadt Horb a. N. entfernt in einem steil ansteigenden Seitental des oberen Neckars. Alle Gedenkstationen liegen im Rexinger Unterdorf. Vom ehemaligen Johanniterschloss haben sich der Schandturm, das Vogteigebäude sowie Reste der Schloss- und Kirchhofmauer erhalten, die an die über 500jährigen Ortsherrschaft dieses Ritterordens erinnern. Der Rundgang zu den einzelnen Stationen beginnt am Schandturm bei der Einmündung der Freudenstädter Straße in die Johanniterstraße.

Station 1: Schandturm
Station 2: Synagoge
Station 3: Jüdische Wohnhäuser in der Freudenstädter Straße
Station 4: Volksschulgebäude
Station 5: Haus Nr. 29 in der Kirchstraße
Station 6: Denkmal
Station 7: Buche vor dem Judenfriedhof
Station 8: Judenfriedhof

Wenn man auf den Aufstieg zum Denkmal verzichten möchte, kann man die Station 6 auch auf dem Synagogenvorplatz abhandeln, vom dem aus das Denkmal gut zu sehen ist. Die Aussichtsplattform erreicht man von der Kapfstraße aus über den Kreuzweg, der rechter Hand vor dem letzten Haus den Hang hoch führt.

 

- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Karlsruhe -