Laden eines Kondensators über einen Widerstand.
Eine ähnliche Seite zum gleichen Thema findet man hier Laden eines Kondensators
Neben dem Grundprinzip stand dort die Idee einer Iterationsrechnung
im Vordergrund.
Diesen Zugang über die Modellbildung wird man immer dann
wählen (müssen), wenn den Schülerinnen und Schülern die
mathematische Basis der Exponentialfunktion (noch) fehlt.
Auf dieser Seite soll dargestellt werden, wie man mit Hilfe der
Differentialgleichung 1. Ordnung vorgehen kann. Hierbei wird die Exponentialfunktion als
Lösungsfunktion benutzt.
1.) Das Schaltbild.
Zunächst ist der Schalter geöffnet und der Kondensator ungeladen
(Q = 0). Wird der Schalter geschlossen, kann sich der Kondensator C über den Widerstand R aufladen. Dabei gelangen Elektronen auf die untere Platte. Von der oberen Platte können Elektronen zur Quelle fließen, so dass sich die obere Platte positiv auflädt. Je mehr Ladung Q auf die Platten gelangt, desto größer wird auch die Spannung Uc an den Kondensatorplatten, denn es gilt Q = C * Uc. |
Beachte:
die Proportionalität zwischen Ladung Q und Spannung am
Kondensator Uc ist noch lange kein Nachweis dafür, dass auch der
Ladevorgang linear verläuft, also dass nach
doppelter Zeit auch doppelt so viel Ladung auf den Platten ist!
Der Ladevorgang erfolgt nämlich nicht linear,
wie wir weiter unten noch sehen werden.
2.) Das Ersatzschaltbild.
Wir können das Schaltbild von oben noch etwas umbauen, um besser zu verstehen, was im Stromkreis passiert.
Zunächst verschieben wir die Quelle in den unteren Zweig. Ihre
Spannung Uq ist konstant. Als nächstes wird der Kondensator ebenfalls in den unteren Zweig verschoben. Die Spannung Uc an seinen Platten ist veränderlich und zur Ladungsmenge auf den Kondensatorplatten Q proportional (s.o.). Die beiden "Quellen" wirken gegeneinander wie zwei "falsch" gepolte Batterien. Sie bilden zusammen die Gesamtspannung Uges. Weil sich Uc ändert, ist Uges ebenfalls veränderlich. |
3.) Die Theorie der Kondensatorladung und die Differentialgleichung.
3.1.) Die Gesamtspannung Uges.
Die Kondensatorladung Q und die zugehörige Spannung Uc ist beim Ladevorgang zeitabhängig. Wir schreiben daher Q(t) bzw. Uc(t) anstelle von Q und Uc.
Für den Zusammenhang zwischen der Ladung Q(t) auf dem Kondensator und der
Spannung Uc(t) gilt:
Die Gesamtspannung Uges (blau) setzt sich - wie oben gezeigt - aus
der konstanten Quellenspannung Uq (schwarz) und der
veränderlichen Kondensatorspannung Uc (rot) zusammen. Für
Uc wird der Ausdruck (1) eingesetzt. Das Minuszeichen
berücksichtigt, dass die Kondensatorspannung der Spannung der Quelle
entgegenwirkt.
3.2.) Wie groß ist die Ladestromstärke?
Du erinnerst dich sicher an den Physikunterricht der Mittelstufe:
" Die Stromstärke ist die Menge der Ladung, die in einer Sekunde
an einer bestimmten Stelle durch den Stromkreis fließt." Es gilt also: I = Q / t. |
Wir müssen aber zwei Dinge unbedingt beachten :
|
Die folgende Tabelle verdeutlicht diese Analogie:
Mechanik: | Elektrizitätslehre: |
konstante Geschwindigkeit: |
konstanter Strom (konstante Elektronengeschwindigkeit): |
Momentangeschwindigkeit v(t): |
Momentanstromstärke I(t): |
Der Punkt über der Funktion s(t) steht für die erste Ableitung nach der Zeit. (Physiker schreiben bei einer Ableitung nach einer Ortskoordinate einen Strich, bei der Ableitung nach der Zeit einen Punkt).
Teilt man (2) von oben durch R, so erhält man
ebenfalls die Stromstärke:
Setzen wir dies mit (3) gleich, dann ergibt sich die
Differentialgleichung (DGL) 1. Ordnung:
Aus der Mathematik kennen wir die Form einer DGL 1. Ordnung. Die DGL einer Wachstumsfunktion hat z.B. die Form
Die DGL oben sieht ähnlich aus, links steht eine Ableitung, rechts die Funktion selbst.
4.) Die Lösung der Differentialgleichung.
4.1.) Erste Orientierung.
Bevor wir eine Lösungsfunktion für die
Differentialgleichung suchen, sollten wir uns noch die Bedeutung der einzelnen
Faktoren klar machen und überlegen, wie sie ganz am Anfang des Vorgangs
(t = 0 s) und nach unendlich langer Zeit sind.
Links vom Gleichheitszeichen steht die Stromstärke, also
sozusagen die Zuflussrate der Ladungen in den Kondensator.
Gäbe es den Kondensator im Stromkreis nicht, dann wäre die
Stromstärke immer Uq / R, das ist der erste Summand.
Der zweite Summand berücksichtigt das Aufladen des Kondensators.
t = 0 s :
|
t -> ∞ :
|
4.2.) Die richtige Lösungsfunktion.
Die Lösungsfunktion unserer Differentialgleichung ist eine
Exponentialfunktion.
Sehr viel müssen wir hier über sie gar nicht wissen, das ist aber
wichtig:
Leitet man eine Exponentialfunktion ab, so reproduziert sie sich bis auf
einen Vorfaktor. Der konstante Faktor im Exponenten kommt dabei vor die
Funktion. (Erinnerung: f' wäre eine Ableitung nach einer Ortskoordinate. Mit f-Punkt bezeichnen die Physiker die Ableitung nach der Zeit) |
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Für t = 0 s hat die Exponentialfunktion den Wert 1. (Das ist wie 100 = 1). |
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Für t -> ∞ wird die Exponentialfunktion 0. (Das ist auch wie 10-große Zahl = 0). |
Wie lautet nun die richtige Lösungsfunktion?
Mit ein wenig Überlegen kommt man eigentlich leicht auf die richtige
Idee:
Für t = 0 s hat die Exponentialfunktion den Wert 1, der
zweite Summand wird also so groß wie der erste, damit ist
Q(t = 0 s) = 0.
Für t -> ∞ wird die Exponentialfunktion 0, der zweite
Summand fällt weg und es ergibt sich die Maximalladung Q = C *
Uq.
4.3.) Wie lautet der Exponent?
Welchen Wert hat der Faktor a im Exponenten?
Dazu Überlegen wir uns, dass der Exponent insgesamt
dimensionslos sein muss.
Da die Zeit t die Dimension "s" hat, muss a also die Dimension
"1/s" erhalten. Außerdem solte der Widerstand R und die Kapazität C
darin vorkommen.
Probieren wir es zunächst mit dem Produkt aus R und C und betrachten die Einheiten
(Die nötigen Rechengleichungen für die Umformungen sind darüber
gelistet):
Fast richtig! Der Kehrwert davon ist unser Vorfaktor a!
Also ist die Lösungsfunktion nun:
4.4.) Die Lösungsprobe.
Wir leiten zunächst die Funktion ab:
... und setzen sie nun in die Differentialgleichung ein:
Offenbar löst unser Ansatz die Differentialgleichung. Wir haben die
richtigen Lösungsfunktionen gefunden.
Sie lauten also:
5.) Die Halbwertszeit.
Der Ladevorgang geht zunächst schnell. Bis ein Kondensator jedoch 100%
geladen ist, dauert es unendlich lange. Daher macht es keinen
Sinn die Ladezeit anzugeben.
Man verwendet stattdessen die Halbwertszeit
th, das ist die Zeit, zu der der Kondensator gerade
halb geladen ist, d.h. die Zeit, die vergeht, bis
Uc = Uq / 2 ist. Es gilt:
Ein Beispiel:
Wie groß ist die Halbwertszeit, wenn die Kapazität 220
Mikrofarad und der Ladewiderstand 100 kOhm beträgt?
Dass das Produkt von R und C die Dimension Sekunde hat, wurde ja schon in 4.3.
gezeigt.
Beträgt also die Spannung der Quelle z.B. 4,0 V, so ist die Spannung
Uc also nach 15,25 s gerade 2,0 V, nach zwei Halbwertszeiten (30,5
s) ist sie 3,0 V, nach drei Halbwertszeiten (45,75 s) beträgt sie 3,5 V
usw.
Die endgültige Spannung von 4,0 V wird - streng genommen - nie erreicht.
6. Zusammenfassung.
Kurvenverläufe und Funktionen für den Ladevorgangbeim Kondensator zusammengefasst:
Ladung Q(t) | Spannung Uc(t) | Stromstärke I(t) |
Grüninger, Landesbildungsserver 2016