Globalisierung und europäische Einigung

Als Problempunkte im Zusammenhang mit der Globalisierung werden gelegentlich die weltweite Niedriglohnkonkurrenz und die Erosion des Sozialstaats genannt. Im Folgenden wird erörtert, inwiefern die europäische Einigung in der Lage ist, einen Ausweg aus dieser Gefahr zu eröffnen.

Es kann dabei von der Annahme ausgegangen werden, dass der Prozess der europäischen Einigung in gewisser Weise tatsächlich in der Lage ist, den Druck der Globalisierung aufzufangen.

Mit den Schlagworten Globalisierung, Liberalisierung und Deregulierung verbinden sich Forderungen nach Senkung von ökologischen und sozialen Standards, die von Kreisen der Wirtschaft als kostentreibend und den Standort Europa benachteiligend angesehen werden.

Dem steht allerdings entgegen, dass auf der einen Seite die wirtschaftliche und politische Einigung Europas Wachstumsimpulse bringt, die die ökonomische Basis der Einzelstaaten stärken. Dazu gehören allen voran die gemeinsame Währung und die gemeinsame Währungspolitik als Stabilitätsfaktor. Der Fortfall des Wechselkursrisikos hat für die Mitgliedsländer klare wirtschaftliche Vorteile geschaffen.

Zum anderen hat Europa mit seiner gemeinsamen Außenhandelspolitik eine wesentlich stärkere Stellung im Weltmarkt, der weiter wachsende Binnenmarkt hat mit seinem einheitlichen Zolltarifsystem und seinen für alle geltenden Handelsbestimmungen und Verwaltungsverfahren wesentliche Vorteile auf seiner Seite.

Diese ökonomischen Vorteile setzen auch beiden Einzelstaaten Mittel frei, die seine soziale Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit verbessern.

Damit kann freilich die weltweite Niedriglohnkonkurrenz in ihrem Gefährdungspotenzial letztlich nicht ausgeschaltet werden, da die Produktion in China oder Thailand immer wesentlich billiger sein wird.

Die wirtschaftliche Stärkung Europas eröffnet jedoch gesamt-europäische Handlungsmöglichkeiten, die jenseits nationalstaatlicher Einzelinteressen liegen. Durch die Wachstumsimpulse stehen Mittel zur Verfügung, die in Struktur-, Sozial- oder Entwicklungsfonds zum Ausgleich regionaler Ungleichheiten und Benachteiligungen eingesetzt werden können. Das ersetzt unmittelbar die vom Autor geforderte Handlungsfähigkeit des Einzelstaates.

Wenn er darüber hinaus eine Wanderungsbewegung hin zu "großzügigeren" Sozialsystemen drohen sieht, muss dem entgegengehalten werden, dass eine solche Wanderungsbewegung eher aus Nicht-EU-Ländern in die EU, kaum aber aus EU-Ländern in Nicht-EU-Länder besteht. Auch innerhalb der EU wird diese Wanderung eher aus den klassischen Regionen mit niedrigeren Sozialstandards nach West- und Mitteleuropa gehen. Dieser Wanderung innerhalb der EU kann aber sowohl durch eine einheitliche Sozialpolitik und die Verpflichtung auf gemeinsame Sozialstandards als auch durch gezielte Maßnahmen der wirtschaftlichen Entwicklung gegengesteuert werden.

Hinzuzufügen wäre allerdings noch eine Kritik an der Aussage des Autors: Er macht die Globalisierung u.a. für die Arbeitslosigkeit ("Nettoempfänger staatlicher Leistungen") verantwortlich. Das entspricht jedoch nicht den Tatsachen, da weiterhin mehr als zwei Drittel des deutschen Außenhandels mit den westeuropäischen Industrieländern abgewickelt werden. Und selbst wenn man Globalisierung als Drohung weltweit operierender Konzerne versteht, bleiben doch traditionelle europäische Werte wie Gesundheit und Bildung Produktionsfaktoren, die nicht nur Kosten verursachen sondern auch hohe Produktivität versprechen. Und das Basler Institut Prognos bescheinigt in seinem "Deutschland Report 2002-2020" der deutschen Wirtschaft eine ungebrochene Konkurrenzfähigkeit und die Aussicht, langfristig gestärkt aus der Krise hervorzugehen - allerdings unter Einsatz weiterer Rationalisierungseffekte.

Das Thema war Abituraufgabe im Leistungskurs 2003.