Hintergrundinformationen

1. Bedeutung

Die Unterrichtsrelevanz des Themas, das Heinrich Schickhardt als führenden Städteplaner des Herzogtums Württemberg vorstellt, lässt sich im Wesentlichen unter zwei Aspekten bündeln: Konkretisierung und Transfer:

  • Konkretisierung der Rolle des Landesherren als Landesvater - sowohl aus der Sicht von unten als auch von oben: Die von der Brandkatastrophe betroffenen Untertanen erwarteten vom Herzog Hilfe, und er setzte sich für sie mit "landesväterlicher Fürsorge", wie es im Sprachgebrauch der Zeit hieß, ein. Waren jedoch bei den Wiederaufbaumaßnahmen politische oder wirtschaftliche Interessen des Landesherrn betroffen, mussten sich die Untertanen seinen Wünschen beugen.
  • Konkretisierung des Entstehens eines neuen Stadtbildes, mit dem sich mancher Ort bis heute präsentiert. Selten wurde ein völlig neuer Grundriss angelegt, häufig spiegelt ein Ort nicht oder kaum veränderbare Übernahmen aus der Zeit vor dem Brand, kombiniert mit Neuem.
  • Erarbeiten und Trainieren des Transfers. Die Häufigkeit der Brände, das beinahe identische Verhalten des Landesherrn in den Katastrophenfällen sowie die Ähnlichkeit der Wiederaufbaumaßnahmen machen es möglich, inhaltlich und methodisch an einem Beispiel Erarbeitetes in einem Raster zusammenzustellen und auf verwandte Fälle zu übertragen. Dieses Vorgehen fördert nicht nur die Einsicht in das Wesentliche, sondern dient auch der Effizienz der Arbeit (vgl. III. Transfer).


2. Geschichte

Grundsätzlich gilt, dass über Jahrhunderte die offizielle Reaktion auf Stadtbrände, vor allem wenn es sich um bedeutendere Orte handelte, ähnlich war: Der Landesherr zeigte aus seinem Selbstverständnis als Landesvater Anteilnahme durch seine Anwesenheit, tröstende Worte und Hilfsversprechen sowie Soforthilfe vor allem mit Nahrung. Sobald der Wiederaufbau begann, schenkte er meist Bauholz aus seinen Wäldern. Er rief die Untertanen landesweit zu Spenden auf und schrieb in besonders schweren Fällen eine Brandsteuer aus.

Der Wiederaufbau unterlag Reglementierungen vorrangig feuerpolizeilicher Art. Diese waren teils allgemein verbindlich in der Landesbauordnung festgeschrieben, teils individuell in den jeweiligen Wiederaufbauplänen enthalten, die der Landbaumeister im Auftrag des Herzogs erstellte.

Schickhardt war mit der Aufarbeitung mehrerer Brände bedeutender Städte befasst. Besondere Aufmerksamkeit widmete er im Inventarium denen von Schiltach (25./26.8.1590), Clerval (Oktober 1590), Oppenau (21.8.1615), Vaihingen/Enz (1.11.1617 und 9.10.1618) sowie Freudenstadt (24.5.1632). Von diesen wiederum dürfte ihn der Brand von Schiltach - der erste, an dessen Aufarbeitung er mitwirkte - besonders stark beeindruckt haben, obwohl er den Schauplatz erst einige Zeit nach der Katastrophe betrat.

Herzog Ludwig (1568-1593) Herzog Johann Friedrich (1608-1628)

Die Herzöge und die Brandkatastrophen:
Links: Herzog Ludwig (1568-1593) (
B 4a ) - Rechts: Herzog Johann Friedrich (1608-1628) ( B 4b )
Obwohl Brände und Wiederaufbau unter verschiedenen Herzögen erfolgten und 25 Jahre zwischen den Katastrophen von Schiltach und Oppenau lagen, waren doch die Maßnahmen zum Wiederaufbau, die vom Landesherrn angeordnet wurden, nahezu dieselben.
© LMZ-BW (Bothner)

In Schiltach waren 32 Wohnhäuser mit Nebengebäuden, die Metzig, das Rathaus, die drei Tortürme und das Zollhaus vernichtet worden. Übrig geblieben waren die Stadtmauer, die Keller, Fundamente und steinernen Türstöcke der zerstörten Häuser und die Brunnen. Der Stadt kam als Sitz einer herzoglichen Zollstätte und als Durchgangsort für den Fuhrverkehr über den Schwarzwald große Bedeutung zu. Dies erklärt die besonders starke Anteilnahme Herzog Ludwigs, vor allem die Schnelligkeit, mit der die Hilfsmaßnahmen vom fernen Stuttgart aus angeordnet wurden. Spätestens am zweiten Tag nach dem Brand war der Herzog im Besitz eines genauen Berichtes, den der Obervogt aus der zuständigen Amtstadt Hornberg noch in der Brandnacht verfasst hatte. Eine halbe Woche später ordnete Herzog Ludwig bereits die Erhebung einer Brandsteuer an. Gleichzeitig beauftragte er den äußerst kompetenten Rentkammerrat Isaac Schwarz mit der Erfassung der Schäden und der notwendigen Aufbaumaßnahmen sowie mit der Erstellung eines Kostenvoranschlags. Der Herzog nahm an den Verhandlungen teil, in denen die wichtigsten Maßnahmen entschieden wurden, die bestätigen, dass sein Interesse vorrangig an der wirtschaftlichen Bedeutung der Stadt orientiert war:

  • Wiederaufbau an der alten, verkehrstechnisch wichtigen Stelle - dies gegen den Wunsch der Bürger, die an einem anderen Platz neu anfangen wollten;
  • Vorrang für die Errichtung von drei Gasthöfen mit Stallungen, einer Schmiede und Wagnerei, um möglichst rasch den Durchgangsverkehr wieder zu ermöglichen;
  • Verteilung von Bauholz aus den herzoglichen Wäldern;
  • Baumaßnahmen zur Minderung der Brandgefahr (Steinsockel der Häuser, Brandmauern, Ziegeldächer);
  • Leitung des Wiederaufbaus durch den Landbaumeister Georg Beer und seinen Werkmeister Heinrich Schickhardt.

Über den herzoglichen Auftrag vermerkte Schickhardt später in seinem Inventarium: "... das wir die gassen abstekhen und ordnung geben sollen, wie zu bauwen" (fol. 171r). Bei einem Besuch zwei Jahre später stellte er dann "wolgeordnete gassen und heiser" (fol. 171r) als das Ergebnis ihrer Bemühungen fest.

Auch Oppenau war eine für das Herzogtum bedeutende Stadt. Seit 1604 unterstand sie mit dem Amt Oberkirch württembergischer Pfandherrschaft, und Herzog Friedrich hatte sie sofort in seine merkantilistischen Maßnahmen einbezogen.

Neben der Vermarktung von Harz und Holz sowie dem Weinhandel galt sein besonderes Interesse dem Bergbau und der Eisenverhüttung im Oppenauer Tal. Das dort gewonnene Eisen wurde als ein "guett geschmeidig eysin" bezeichnet. Es sollte den gestiegenen Bedarf für ein Messingwerk decken helfen, das Friedrich 1606 im Raum Freudenstadt - Christophstal eingerichtet hatte. Auch sein Sohn und Nachfolger Johann Friedrich zeigte an der Nutzung der Bodenschätze des Oppenauer Tals Interesse; so z. B. erwarb er dort 1615 - im Jahr des Stadtbrandes - Anteile an Eisen- und Hammerschmieden und Holznutzungsrechte.

Von den im Oppenauer Tal gelegenen und von den Herzögen überwachten und geförderten Bädern (württembergische Badeordnungen von 1605 und 1617) profitierte die Stadt wirtschaftlich durch die Ansiedlung von Dienstleistungsbetrieben für den Bedarf der Badegäste; so ließen sich Lebzelter, Pastetenbäcker, Haarkräusler, Chirurgen und Bader in Oppenau nieder.

Über den Stadtbrand von 1615 hat sich außer dem kurzen Bericht von Schickhardt ( T 2 ) noch eine Nachricht auf einer Wappenscheibe erhalten, die 1617 im Rückblick die Vorgänge zusammenfasst ( T 4 ).

Nur drei Häuser außerhalb der Stadtmauer hatten den Brand überstanden, der vom Amtshaus ausgegangen war und durch ungünstige Windverhältnisse schnell eskalierte. Als erste umfassendere Hilfsmaßnahme ordnete Herzog Johann Friedrich Spendensammlungen an. Die erhalten gebliebene Spendenliste zeigt ein beachtliches Maß an Hilfsbereitschaft anderer Städte. Es folgte die Erhebung einer Brandsteuer. Außerdem schickte der Herzog seinen Landbaumeister Schickhardt nach Oppenau, der das Ausmaß der Schäden festzustellen und Pläne für den Wiederaufbau zu entwerfen hatte.


3. Anlage

Trotz der weitgehenden Zerstörung von Schiltach waren einer Neuplanung Grenzen gesetzt; denn aus Ersparnisgründen sollten die Neubauten auf den erhalten gebliebenen Fundamenten und Kellern der zerstörten Häuser errichtet werden. Damit blieb die überlieferte Form der Anlage im Wesentlichen bis heute erhalten. Zwei Handelswege bestimmen den Grundriss: die Rottweiler Straße, die die ganze Stadt durchquert, und die am Marktplatz abzweigende Straße ins Kinzigtal. Die Ordnung, die Beer und Schickhardt zu schaffen hatten, konnte nur in funktionalen und ästhetischen Veränderungen realisiert werden:

  • Vergrößerung des Marktplatzes;
  • Einbeziehung des Rathauses, das bisher etwas abseits gestanden hatte, in den Marktplatz;
  • Bau dreier Gasthöfe am Marktplatz, um dem Durchgangsverkehr Rechnung zu tragen;
  • optisch ansprechende Staffelung der Giebelhäuser entlang der beiden leicht gekrümmten Straßen;
  • Festlegung der Mindestbreite der Straßen und Gassen von 25 Fuß (7,5 m).

Zeichnungen Schickhardts zu den Planungen des Wiederaufbaus von Schiltach sind nicht vorhanden, vermutlich weil er damals noch als Werkmeister unter dem Landbaumeister Beer arbeitete.


Das weitestgehend zerstörte Oppenau war ähnlich wie Schiltach Durchgangsort einer Handelsstraße gewesen: ein Teilstück der Kniebisstraße bildete das Rückgrat in der Längserstreckung zwischen zwei Toren. Dieses Grundmuster sollte erhalten bleiben, um die Funktion der Stadt nicht zu beeinträchtigen. Damit war auch in Oppenau der Spielraum für eine Stadtplanung nach dem Brand eng. Trotzdem wurde ein exakter Plan von Schickhardt vorgelegt.

Er ging bei seinen Überlegungen von der vorgegebenen Hauptstraße aus und legte auf jeder Seite eine Parallelstraße an. Diese beiden wurden ihrerseits von quer verlaufenden Brandgassen geschnitten. Dadurch entstanden viereckige Baublöcke. Sie wurden mit giebelständigen Häusern gefüllt: 96 Gebäude für 655 Einwohner.


Schickhardts Plan für den Wiederaufbau von Oppenau

Schickhardts Plan für den Wiederaufbau von Oppenau ( B 2 )
Von den Entwürfen Schickhardts zum Wiederaufbau hat sich von seiner Hand außer zwei Bleistiftskizzen, in die er Maßangaben eingetragen hatte, nur dieser Stadtplanentwurf erhalten, eine sehr genaue Tintenskizze. Sie zeigt das Untere oder Straßburger Tor (links), das Obere oder Schwabentor (rechts), den Bauplatz für das Rathaus (im zweiten Geviert von links), für das Amtshaus (im 4. Geviert von links) und für die Kirche (oberer Rand, über eine Treppe erreichbar). Mehr dazu in den Erläuterungen zu Arbeitsmaterial B 2.
© HStA Stuttgart N 220 A04402

Wer heute aufmerksam die Stadt durchwandert, kann noch immer die Spuren von Schickhardts Wiederaufbauplan entdecken - nicht nur das Straßensystem hat sich erhalten, sondern auch ein beachtlicher Teil der damals errichteten Häuser (vgl. II. Lernorterschließung).

Blick durch das Straßensystem von Oppenau

Blick durch das Straßensystem von Oppenau
Der Betrachter steht in der Parallelstraße (Waldstraße) nordwestlich der Hauptstraße und schaut durch eine Brandgasse auf die Hauptstraße (Standort des Autos). Von da geht der Blick durch eine weitere Brandgasse in die südöstlich gelegene Parallelstraße (Bachstraße), an der sich das quer stehende Haus im Hintergrund befindet.
© Wolfram Brümmer, Oppenau (2009)


letzte Änderung: 2013-08-05