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Verdrängung von jüdischen Ärzten und Rechtsanwälten aus ihren Berufen: Das Beispiel Martin Friedmann

Noch im Frühjahr 1933 ging die NS-Regierung gegen Juden in bestimmten Berufsgruppen vor, und so gab es Berufsverbote unter anderem für jüdische Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Die beiden größten Gruppen unter den jüdischen Freiberuflern waren Ärzte und Rechtsanwälte. So gab es in Deutschland 1933 etwas 9.000 jüdische Ärzte und rund 4.600 jüdische Rechtsanwälte, in Mannheim waren 116 nichtarische Ärzte und 78 nichtarische Anwälte. Die jüdischen Ärzte und Anwälte waren unmittelbar nach der "Machtergreifung" zahllosen Schikanen und Repressalien ausgesetzt, so wurden in Mannheim jüdische Ärzte seit März 1933 bei der Ausstellung von Arztscheinen beim Fürsorge- und Jugendamt nicht mehr berücksichtigt, und in den Mannheimer Gerichten erschienen im Februar 1933 eines Tages SA-Männer und vertrieben die jüdischen Anwälte. Doch das war nur der Auftakt. Denn mit dem Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft am 7.4.1933 verloren jüdische Rechtsanwälte ihre Zulassung – zunächst noch mit Ausnahmen. So durfte weiterhin als Rechtsanwalt tätig sein, wer Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg gewesen war oder wer bereits vor 1914 zugelassen worden war. Am 22.4.1933 folgte mit der Verordnung über die Zulassung von Ärzten eine ähnliche Regelung für Mediziner. Jüdische Ärzte verloren, so sie nicht Weltkriegsteilnehmer gewesen waren oder vor 1914 zugelassen worden waren, ihre Approbation.

Die jüdischen Anwälte und Ärzte, die ihren Beruf nicht im Frühjahr 1933 verloren, sollten, so offizielle Stellungnahmen der NS-Regierung, unbehelligt weiter tätig sein dürfen. Davon konnte in der Realität freilich keine Rede sein. Denn faktisch lösten immer mehr arische Ärzte ihre Praxisgemeinschaften mit jüdischen Kollegen auf; arische Patienten suchten sich einen neuen nicht-jüdischen Doktor. Auch die Arbeitgeber übten zum Teil massiven Druck auf ihre Angestellten aus, so verlor in Mannheim beispielsweise die 16-jährige Friedl Gäng ihre Stellung, weil sie wiederholt zum "Judenarzt" gegangen war. Ähnlich sah es für die jüdischen Rechtsanwälte aus. Arische Kollegen zogen sich aus den Sozietäten zurück, und immer mehr arische Mandanten vertrauten sich in einem Rechtsstreit lieber einem arischen Anwalt an. Außerdem trat 1934 reichsweit anstelle der traditionsreichen Anwaltsvereine der BNSDJ, der Bund nationalsozialistischer Deutscher Juristen, dem nur Arier angehören durften. Anwälte, die nicht Mitglied des BNSDJ waren, durften das Zeichen der Organisation nicht auf Briefbögen und Klingelschildern führen und waren damit für potenzielle Klienten auf einen Blick als nichtarisch zu erkennen.

Jüdische Ärzte und Rechtsanwälte litten also seit 1933 unter massiven Beschränkungen, aber immerhin konnten viele noch weiter arbeiten. Das änderte sich 1938. Am 25.7.1938 legte die 4. Verordnung zum Reichsbürgergesetz fest, dass die Approbationen aller jüdischen Ärzte bis zum 30.9.1938 erloschen. Einigen wenigen jüdischen Medizinern erlaubte das Reichsinnenministerium, weiter tätig zu sein, allerdings durften sie nur jüdische Patienten pflegen und sie duften sich fortan nicht mehr "Ärzte" nennen, sondern wurden zu "Behandlern" degradiert. In Mannheim gab es fünf dieser jüdischen "Behandler", sie waren allesamt im Jüdischen Krankenhaus, das von der jüdischen Gemeinde getragen wurde, tätig. Ähnlich erging es den jüdischen Rechtsanwälten: Mit der 5. Verordnung zum Reichsbürgergesetz wurde ihnen am 27.9.1938 die Berufstätigkeit untersagt. Zur rechtlichen Beratung von Juden waren einige wenige jüdische Anwälte weiterhin zugelassen, in Mannheim waren es fünf. Freilich durften auch sie sich nun nicht mehr Anwalt nennen, sondern mussten sich auf Schildern, Briefpapieren und Stempeln als "Konsulenten" bezeichnen. Auch durften sie vor Gericht keine Robe mehr tragen. Regelungen wie diese machen deutlich, dass es dem NS-Regime nicht nur darum ging, jüdischen Anwälten und Ärzten die berufliche Existenz zu nehmen, sondern auch darum, sie zu demütigen.

Martin Friedmann, 1929

Vor dem Aus stand im Herbst 1938 auch Martin Friedmann, ein Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten aus Mannheim. Schon 1933 hatten Martin Friedmanns Einnahmen spürbar nachgelassen. Während er 1932 noch knapp 24.000 RM verdient hatte, waren es nach der "Machtergreifung" pro Jahr nicht mehr als 10.000 RM, und 1938 sank sein Einkommen auf rund 3.000 RM. Nun, im Herbst 1938, entzog das NS-Regime Martin Friedmann die Approbation. Nach Kräften bemühte er sich nun, mit seiner Familie Deutschland zu verlassen. Ein Kollege von Martin Friedmann hatte ihn nach Indien eingeladen, und so trug er die notwendigen Papiere für die Emigration zusammen. Am 10. November 1938 wurde er, wie reichsweit Tausende andere jüdische Männer, verhaftet und ins KZ Dachau verschleppt. Derweil verwüsteten in Mannheim SA-Männer seine Wohnung und seine Praxis. Seine Fachbücher wurden zerrissen, seine Instrumente verbogen, sein Mikroskop zerstört. All die Gegenstände, die Martin Friedmann in der Emigration als Arzt dringend hätte brauchen können, waren nun also kaputt. Anfang Dezember 1938 wurde er 1938 aus dem KZ entlassen und emigrierte ins indische Madras. Seine Familie folgte ihm wenige Wochen später. In Indien war Martin Friedmann zwar wieder als Arzt tätig; allerdings behandelte er nun hauptsächlich die "Ärmsten der Armen", wie seine Frau es einmal nannte, meist Arbeiter von den Kaffeeplantagen, die den Doktor nur mit Naturalien bezahlen konnten. 1953 starb Martin Friedmann in Indien an Amöbenruhr, einer in tropischen Gebieten auftretenden Darminfektion. Seine Familie war bis zur Auszahlung der Wiedergutmachungsgelder auf die finanzielle Unterstützung durch das bundesdeutsche Generalkonsulat in Bombay angewiesen.

Wie es der Familie Friedmann in Indien erging und wie Lili Friedmann nach 1945 um Wiedergutmachung kämpfte, erfahren Sie im Modul "Wiedergutmachung".



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