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Modernität oder Scheinmodernität der Autobahnen?

Die Autobahn vereinigte die Wünsche nach dem Grandiosen mit dem Willen zur Monumentalität, sie konnte die Allgegenwart des Regimes an vielen Punkten zugleich demonstrieren und stellte gleichzeitig das Versprechen der individuellen Fortbewegung dar. Sie war Ausdruck menschlich veredelter Landschaft in ihrer Ästhetisierung von Straße und Natur und optimistischer Blick in eine bessere Zukunft. Sie war ein Großprojekt, das viele Wünsche und Hoffnungen integrieren konnte – ein allseits sichtbares Identifikationsangebot mit dem Regime.

Tatsächlich herrschte meist gähnende Leere auf den Autobahnen, Verkehrszählungen hatten vernichtende Ergebnisse erbracht. Auf manchen Autobahnabschnitten kamen am Tag zwischen 1 und 3 Fahrzeuge vorbei.

Reichsautobahn mit Tankstelle. Anschlussstelle Kassel-Nord, Blick in nördliche Richtung (Grenze zwischen Kassel und Niestetal). 1938/39

 

Auch die erhoffte Verlagerung des Güterverkehrs von der Schiene auf die Straße trat nicht ein – während 1936 der Anteil des Güterverkehrs auf allen Straßen noch unter 10% lag, konnte er durch die Autobahn, zumal ab Kriegsbeginn, nicht merklich erhöht werden – obwohl das Regime diese Entwicklung gezielt förderte. Der Motorisierungsgrad im Deutschen Reich lag 1935 noch bei einem Auto je 75 Einwohner (zum Vergleich: In Großbritannien war er dreimal, in den USA 15mal höher) – der KdF-Wagen, der für die gesamte Bevölkerung gedacht war, wurde gerade ca. 650mal hergestellt (im Gegensatz zu 50.000 Kübelwagen), wohingegen über 300.000 Volksgenossen auf ihn sparten – von einer Massenautomobilität in der Bevölkerung kann also nicht die Rede sein.

Reichsautobahn-Reiseruf.- Tafel auf Mittelstreifen einer Reichsautobahn

 

So haftet dem nationalsozialistischen Projekt „Reichsautobahn“ oder „Straßen des Führers“ in vielfacher Hinsicht eine mythische Dimension an: Weder wurden die Autobahnen kriegswichtig noch haben sie merklich zur Beschäftigung beigetragen. Benutzt wurden sie weniger als Verkehrs- denn als Propagandaträger, als Podium zur Inszenierung der NS-Ideologie und als greifbar verbindendes Element der Volksgemeinschaft. Die Autobahn war mehr Symbol als Produkt rationaler Überlegungen, sie hatte weniger Gebrauchs- als vielmehr systemstabilisierende Funktion – von ihr ging eine Faszination aus, die sich noch weit jenseits von 1945 feststellen lässt.


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