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Die Bedeutung der Reichsautobahn: wirtschaftliche Dimension

Einer der haltbarsten Mythen ist, dass die Autobahn für Arbeitsplätze gesorgt habe. Obwohl die Nationalsozialisten mit bis zu 600.000 Arbeitsplätzen gerechnet haben, überstieg die Zahl der tatsächlich im Autobahnbau angestellten Arbeiter nie die Zahl von 125.000 (ungefähr ähnlich viele kann man nochmals für die Zuliefererindustrien veranschlagen). Zum Vergleich: zum Bau des Westwalls, der ebenfalls von Fritz Todt geleitet wurde, wurden im Laufe des Jahres 1938 knapp 350.000 Arbeiter eingesetzt. Im Dezember 1933 waren es gerade magere 3.900, die nach der feierlichen Übergabe der Arbeitsgeräte an die ersten Arbeiter eine Anstellung gefunden hatten. Unter bewusstem Verzicht auf schweres Gerät setzte man vor allem auf die reine Körperkraft der Arbeiter, denn der beschäftigungspolitische Effekt sollte ja möglichst hoch sein. Dies führte natürlich zu zeitlichen Verzögerungen; daneben entstand aber auch die sog. „Schipperkrankheit“, eine eindeutig auf die kraftzehrende Tätigkeit am Autobahnbau zurückzuführende Berufskrankheit der Autobahnarbeiter: Ermüdungsbrüche am Dornfortsatz der Wirbelsäule an der Hals- u nd Brustgrenze. Die Arbeit an der Autobahn war alles andere als beliebt bei den Werktätigen: meist fernab der Zivilisation hausten sie in primitivsten Unterkünften direkt neben der Baustelle; die Versorgung mit Nahrungsmitteln und anderen Gütern war schlecht, ebenso die Arbeitsbedingungen: schlechte Bezahlung, bis zu 16 Stunden Arbeit am Tag, davon oft mehrere Stunden Anmarsch zur Baustelle – kein Wunder, dass sich viele vor allem der gelernten Kräfte bald nach einer besseren Arbeit im Rüstungssektor umschauten. So entstand ein Zielkonflikt zwischen der Ausbildung der Arbeiter und der Bauqualität der Autobahnen. Auch Streiks blieben nicht aus – diese nahmen 1934 sogar so stark zu, dass SA-Truppen zur Überwachung der Arbeiter eingesetzt wurden. Ab 1936 ging man schließlich dazu über, verstärkt Baumaschinen einzusetzen. Mit dem Kriegsbeginn schließlich wurden die Arbeitskräfte für den Straßenbau so knapp, dass Fremdarbeiter und Kriegsgefangene eingesetzt wurden. Den Einsatz von Juden lehnte Todt mit der Begründung ab, dass dies „mit dem Ansehen, das den Reichsautobahnen als ‚Straßen des Führers‘ zukommt, nicht in Einklang zu bringen“ sei.

Übersicht über die direkt am Reichsautobahnbau beteiligten Arbeiter (Ende 1933 bis Ende 1936)

 

Auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten wurde nicht immer rational entschieden: So wurde als eine der ersten Strecken die aufwändige, aber ökonomisch sekundäre Strecke von München nach Salzburg gebaut – ein publikumswirksamer Abschnitt vor Alpenpanorama und eine Hommage an die persönlichen Ausflugsinteressen des Führers. Ein weiteres Grunddilemma entstand dadurch, dass man an unterschiedlichsten Stellen im Reich begann zu bauen – die Idee des Gesamtnetzes musste unter den vielen unverbundenen Teilstücken leiden – so wurde der Propaganda auf Kosten der Nutzbarkeit Rechnung getragen.

Arbeitsbedingungen

»Die Unterkunftsräume für die Arbeiter bestehen aus Baubuden und sind daher als Schlafgelegenheit kaum geeignet [...]. In einem Raum von ca. 13 qm schlafen 10 Mann [...], Sanitätseinrichtungen fehlen ganz. Das Essen müssen die Arbeiter vom 2 km entfernt liegenden Friedrichshagen holen, ebenso Trinkwasser. Auf der Arbeitsstelle Friedrichshagen sieht es bei der Unterkunft noch schlechter aus. In einem Raum von 28 qm liegen 20 Mann. Dort wird in 2 Schichten gearbeitet, so daß [...] hier die nötige Ruhe fehlt. [...] Da in den Baracken eine derartige Hitze herrscht, kann keiner Lebensmittel halten. « (zitiert nach: BArch 46.01/1513, Bl. 32-44)

Bau einer Reichsautobahn um Berlin, April 1936

 

Unterbringung der Arbeiter

»Lager der Fa. Carl Rose, Berlin in Friedrichsfelde [... ] Die aufgestellten Holzbaracken sind für die kalte Jahreszeit als unbewohnbar zu bezeichnen, da man z. B. an gewissen Stellen der Decke mit der Hand ins Freie gelangen kann. Die Stimmung unter den Gefolgschaftsmitgliedern ist geradezu trostlos. [ ... ] In Colbitzow bei Stettin [wohnen] ca. 80 [ ... ] auswärtige Arbeiter [ ... ] in einem früheren Speicher oder Stallgebäude, im Erdgeschoß und in den oberen Räumen. Alles macht den Eindruck einer nur notdürftig hergerichteten, behelfsmäßigen Unterkunft für einige Nächte. Die Räumlichkeiten sind keineswegs als gesundheitlich einwandfrei anzusprechen. « (zitiert nach: BArch 46.01/1513 ,Bl. 32-44)

 

Streik

»[A]m 13. Oktober 1934 [sind] die Arbeiter der Firma Siemens-Bauunion im Lager Gyhum in den Streik getreten; Arbeitsdienstwillige [!] wurden durch Streikposten an der Arbeitsaufnahme gehindert.[ ...] Unter den Arbeitern [bestand] Unzufriedenheit wegen der Einbehaltung eines Teiles ihres Lohnes zugunsten ihrer Familie. Als sie sodann am folgenden Morgen die Arbeit nicht aufnahmen, hat ihnen der Bauleiter eine Frist von ½ Std gestellt und nach fruchtlosem Ablauf die Bauleitung der Reichsautobahnen, die Arbeitsämter, die politische n Stellen und die Gendarmerie benachrichtigt. Gegen Mittag hat dann an Ort und Stelle eine Besprechung stattgefunden [ ... ]. Es herrschte Übereinstimmung darüber, daß ein Streik im nationalsozialistischen Staate unmöglich sei und daß im Interesse der Arbeitsdisziplin energisch durch-gegriffen werden müsse. [ ... ] Die Arbeitswilligen sollten sich in eine Liste eintragen, die um 18 Uhr abgeschlossen werden würde. In diese Liste haben sich 239 Mann eingetragen, 141 lehnten die Auf¬ahme der Arbeit ab. Daraufhin wurde auf Anregung des Treuhänders beschlossen, die 141 Arbeitsverweigerer sofort nach Berlin abzuschieben, wo sie [... ] von der Geheimen Staatspolizei in Schutzhaft genommen werden sollten, um die kommunistischen Unruhestifter herauszufinden. « (zitiert nach: BArch 46.01/1513, Bl. 49-53)

Reichsautobahnbau, Wohnraum im Lager, das von Autobahnarbeitern bewohnt wurde

 

Streckenlänge der Reichsautobahnen

            Ende 1935: 108 km

            Ende 1936: 1087 km

            Ende 1937: 2010 km

            Ende 1938: 3046 km

            Ende 1939: 3301 km

            Ende 1940: 3737 km

            Ende 1941: 3827 km

            Ende 1942: 3861 km

            Ende 1943: 3896 km


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