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Wie Erinnerungen gemacht werden

Die Legende von Marathon begann, als der erste Hoplit auf der Agora in Athen eintraf. Ein fremdländischer Aggressor war besiegt worden, und dessen konnten sich die Athener nicht nur im eigenen Land rühmen. Die Schlachten des weit größeren Peloponnesischen Krieges blieben ohne längeren Nachhall: Griechen kämpften hier gegen Griechen. Dagegen überlebte die Erinnerung an die Perserkriege auch den Niedergang der griechischen Staatenwelt, weil sie nicht auf einzelne Poleis begrenzt war und in lokalen Kulten erstarrte. Jede Stadt des Hellenischen Bundes konnte sich auf ihre eigene Leistung besinnen und gleichzeitig die gemeinsame im Auge haben. Zwar galt dies genaugenommen für Marathon nicht, denn die Spartaner waren zu spät gekommen. Nach 479 aber wurde Marathon in den Kanon der großen Schlachten aufgenommen und zählte zu den vier Erinnerungsorten, die solche nicht nur im übertragenen Sinne waren. Athener und Spartaner teilten den Nachruhm großenteils unter sich auf: Die Athener reklamierten die Siege von Marathon und Salamis für sich, die Spartaner beanspruchten die Thermopylen und Plataiai als ihre Schlachten, beide Seiten empfanden sich als Retter von Griechenland. Keine Rolle spielte bei der Auswahl der Orte, daß der Sieger an den Thermopylen Xerxes hieß. Es zählte das Endergebnis. [...]

Nach den Perserkriegen erweiterte sich der lokale Anspruch zu einem "nationalen". Miltiades' Sohn Kimon verstand es, das Andenken seines Vaters in Ehren zu halten, um damit seine Stellung in Athen zu festigen und seine antipersische Politik zu legitimieren. In der Stoa Poikile feierte ein großes Gemälde aus den sechziger Jahren die Helden von Marathon und brachte die Schlacht in einen Zusammenhang mit den mythischen Kämpfen gegen die Amazonen und Trojaner. Die Athener begannen, den Angriff auf ihre Stadt als einen Angriff auf Griechenland auszulegen und sich als dessen Verteidiger zu gerieren. Sie stilisierten sich als Vorkämpfer des Griechentums und verliehen in einer Phase, in der sich der athenisch-spartanische Dualismus bereits stärker abzeichnete, dem Gedenken einen antispartanischen Anstrich, indem sie betonten, sich ganz allein gegen eine feindliche, persisch dominierte Welt, behauptet zu haben. Die Veteranen des Kampfes, die Marathonomachai, zogen jahrzehntelang durch Athen und wurden nicht müde, ihre Verdienste zu preisen, bis sie in den zwanziger Jahren den ihnen mittlerweile gebührenden Platz in den Komödien des Aristophanes fanden.

Die Seeschlacht von Salamis (Wilhelm von Kaulbach, 1868)

Wie Marathon reklamierten die Athener auch Salamis als ureigenen Sieg, obwohl die Spartaner dort nicht zu spät gekommen waren. Schon Aristophanes sah in den Athenern ein Werkzeug, das von den Göttern ausersehen war, die persische Hybris zu strafen. Der Sieg über die Perser und die in ihm implizierte Rettung Griechenlands dienten im Athen des Perikles dazu, den hegemonialen Anspruch der Stadt zu rechtfertigen, die Freiheitsrhetorik sollte das Herrschaftsstreben vertuschen. Noch als sich die Athener anschickten, mitten im Frieden die Insel Melos zu erobern, begründeten sie das mit ihren Verdiensten in den Perserkriegen.

Innenpolitisch konkurrierten Salamis und Marathon um den ersten Platz der athenischen Geschichte. Die aristokratisch Gesinnten bevorzugten Marathon, wo unter der Führung ihresgleichen die Hoplitenphalanx triumphiert hatte, der Demos besann sich auf Salamis, wo die gemeinsam geruderten Schiffe die persische Armada besiegt hatten.

Marmorstatue eines Hopliten mit Helm
Beginn des 5.Jhs.v.Chr. (Archäologisches Museum Sparti/Griechenland)

Plataiai war das Ereignis, mit dem sich die meisten Poleis jenseits der beiden Großmächte identifizierten. Jede beteiligte Stadt bewahrte ihre eigene Erinnerung, doch waren schon bald auch gemeinsame Feiern beschlossen worden. Alle vier Jahre fanden sogenannte Freiheitsspiele (Eleutherien) statt, und alljährlich richteten die Plataier für die auf ihrem Boden bestatteten Griechen eine Totenfeier aus. Der Biograph Plutarch, aus dem nahen Chaironeia stammend, hat sie über ein halbes Jahrtausend nach dem Anlass besucht und beschrieben. Die Spartaner hatten die Hauptmacht des Gegners geschlagen und begründeten mit diesem, ihnen vom Dichter Simonides und auch von Herodot bestätigten Verdienst ebenso ihre hegemonialen Ansprüche, wie die Athener die ihren mit Salamis. In den Zeiten des Peloponnesischen Krieges entspann sich ein Propagandakampf, in dem die Athener den Lakedaimoniern den Bruch der damals geschworenen Eide vorwarfen, welche die Unverletzlichkeit Plataiais garantierten, während die Spartaner ihrerseits das athenische Vormachtstreben mit demjenigen der Perser gleichsetzten und ihren Kampf gegen Athen zum Kampf um die Freiheit von Hellas erhöhten. Erst als die griechischen Städte am Ende des 4. Jahrhunderts in die politische und militärische Bedeutungslosigkeit herabsanken, erinnerten sie sich wieder verstärkt der panhellenischen Aspekte des Kampfes von Plataiai und feierten das Ereignis nun mit Blick auf die makedonische Vorherrschaft als Sieg eines auf Gleichheit, Autonomie und Freiheit ausgerichteten Bündnisses.

Die Schlangensäule war eine Weihegabe der Griechen, die sie nach ihren Siegen über die persischen Invasoren dem Gott Apollon widmeten.

Die Erinnerung an die Thermopylen machte den Spartanern offenbar niemand streitig. Zunächst war es eben eine Niederlage. Sie wurde aber schon bald, als die wahren Gründe für das Scheitern des Leonidas nebulös zu werden begannen, in einen Akt des Durchhaltewillens umgedeutet, der den Spartanern den Nimbus verlieh, keinen Kampf verloren zu geben und bis zum letzten Mann auszuharren. [...]


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