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Die Erinnerung an die Thermopylen

Wenn die Schlacht an den Thermopylen Bedeutung über die Antike hinaus gewann, so liegt das vornehmlich an dem berühmten Epigramm des Simonides, das schon Herodot am Ort des Geschehens las. Es wandelte eine verlorene Schlacht in eine gewonnene um, indem sie zum Triumph des (Durchhalte-)Willens deklariert wurde. [...]

Luftbild der Thermopylen

Im 18. Jahrhundert wurden die Ruinen Griechenlands wiederentdeckt, die Aufklärung diskutierte das spartanische Gesellschaftsmodell, die Erinnerungskultur orientierte sich an antiken Kulten, die Antike stand im Blickpunkt eines neu erwachten politischen Interesses. Es beförderte die Rezeption der Thermopylenschlacht, daß das heroische Exemplum allen Seiten dienen konnte. Leonidas durfte in Frankreich als konstitutioneller Monarch auftreten oder auch als Führer von Bürgern, die sich für die Republik opferten, an der sie Anteil hatten. In Deutschland stritten die Thermopylenkämpfer für demokratische Reformen oder verteidigten die bestehende Kleinstaaterei. Schillers einprägsame Übersetzung und die Präsenz in Schul- und Geschichtsbüchern machten im 19. Jahrhundert Simonides' Epigramm zur Inschrift, die unabhängig von Zeit, Ort, Anlaß und Grund vom sinnvollen Tod für das Vaterland "kündete". Auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges, in Frankreich und Flandern, forderten Steindenkmäler alle nur möglichen Wanderer auf, in der Heimat zu melden, was sie gar nicht gesehen hatten. Auch Angriffskriege galten nun als Verteidigung der Heimat, die im 20. Jahrhundert von einer nationalen zu einer europäischen und schließlich zu einer abendländischen wurde. Der Geist des Leonidas wurde jetzt beschworen, um die Welt vor der asiatischen Despotie zu retten. 1943 lagen die Thermopylen in Stalingrad. Am 10. Jahrestag der "Machtergreifung" sprach Göring im Rundfunk vom "größten Heroenkampf" der deutschen Geschichte: "Und es wird auch einmal heißen: kommst du nach Deutschland, so berichte, du habest uns in Stalingrad liegen sehen wie das Gesetz, das heißt, das Gesetz der Sicherheit unseres Volkes, es befohlen hat."

Leonidas an den Thermopylen (Jacques-Louis David, 1814, Louvre, Paris)

Die "Thermopylen" überlebten das "Dritte Reich", sie überlebten erstaunlicherweise auch das Ende des Kalten Krieges und retteten sich in die Bush-Ära. Der vom Regisseur OchranaZack Snyder nach einer Comic-Vorlage gedrehte Film "Dreihundert" gilt als Allegorie des Irakkrieges, doch bleibt die transportierte Ideologie, im Gegensatz zu dem 1962 in Hollywood entstandenen Film "The 300 Spartans" von Rudolf Maté eher dunkel. Die einzige Freiheit, welche die "300" gegen einen wehrkraftzersetzenden spartanischen Senat und die angreifenden Barbaren verteidigen, ist die des schlechten Geschmacks. Im Nachkriegsdeutschland hatte sich die Thermopylen-Rezeption dagegen differenzierter entwickelt. Es gab eine Linie der Kontinuität, in der die Abwehr der orientalischen Perser weiterhin als Modell für die Verteidigung vor dem Bolschewismus verstanden wurde. [...]

Heinrich Böll (1917-85), bei einer Pressekonferenz 1981

Für Heinrich Böll dagegen hat die humanistische Bildung [...] augenscheinlich versagt. Die Verfälschung antiker Bildungsinhalte ist ihm am Beispiel des Simonides-Epigramms ein Thema, das er in dramatischen Versuchen ("... wie das Gesetz es befahl"), Kurzgeschichten und Artikeln vom Kriegsende bis in die siebziger Jahre verfolgt. Am bekanntesten wurde die 1949/50 geschriebene Erzählung"Wanderer, kommst du nach Spa...", die auch seiner zweiten Buchveröffentlichung den Titel gab. Ein in den letzten Kriegstagen an die nahe Front geschickter Abiturient wird nach kurzem Einsatz schwerverwundet in sein Gymnasium zurückgebracht, das mittlerweile als Lazarett fungiert. Dass es seine alte Schule ist, erkennt er erst, als er kurz vor der (vergeblichen) Operation an der Tafel des Zeichensaals den mit eigener Hand geschriebenen Anfang des Thermopylen-Epigramms liest, mit dem er in einen, wie er inzwischen begreift, sinnlosen Tod geschickt wurde. Bölls Auflehnung gegen die Mißdeutung und Verzerrung antiker Überlieferung auch und gerade durch die, die sie vermitteln sollen, blieb aber singulär.


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