Jüdische Geschichte im Geschichtsunterricht

I. Mittelalter (Klasse 7)


Die vom Bildungsplan Geschichte geforderte Beschreibung und Charakterisierung des städtischen Lebens im Mittelalter kann ohne eine Berücksichtigung des jüdischen Beitrags dazu nicht auskommen. Unter Einbezug der oben genannten didaktischen Fragen sollte sich diese Betrachtung aber nicht in den Formen der Judenverfolgungen, von den Kreuzzügen über die „Rintfleisch-Verfolgung“ bis zu den Pestpogromen, die das Bild einer „permanenten Verfolgungssituation“ (Martin Liepach) erzeugen könnten, erschöpfen. Vielmehr sollte, was der Bildungsplan mit dem Begriff "Schutzprivileg" (Bildungsplan 2016 Geschichte 3.2.1.3) nahelegt, auch der Beitrag der Juden zur Entwicklung städtischen Lebens betrachtet werden.  

Beispiele aus der Stadt- und Siedlungsgeschichte legen nämlich zunächst ein Wachstum der jüdischen Gemeinden unter herrschaftlichem Schutz ab dem 9.Jahrhundert nahe und bezeugen über weite Strecken ein Miteinander bzw. Nebeneinander von Juden und Christen. Der Bischof Agobard von Lyon (769-840) berichtet zum Beispiel, der wöchentliche Markt in Lyon sei aus Rücksicht auf den Schabbat auf einen anderen Wochentag verlegt worden. Allgemein geht man davon aus, dass das Aufblühen von Städten als Handelsumschlagplätzen und die gleichzeitige Schutzpolitik der Stauferkaiser gegenüber den Juden ein Wachstum jüdischer Gemeinden entlang der großen Handelsstraßen nach sich zog. In der Steuerliste des Reiches von 1241 sind solche Gemeinden im Südwesten für Schwäbisch Hall, Schwäbisch Gmünd, Esslingen, Bopfingen, Ulm, Konstanz, und Überlingen bestätigt, daneben scheint es noch weitere Gemeinden gegeben zu haben. Die Gesamtzahl jüdischer Siedlungen im deutschen Sprachgebiet stieg im 13.Jahrhundert von weniger als 100 auf über 1000.

Im Hochmittelalter waren Juden in die Bürgerbücher der Städte eingetragen und nicht wenige trugen als Ärzte oder Großhändler zu Handels- und Wissenstransfer aus anderen Gebieten der Mittelmeerwelt bei. Aus der genannten Steuerliste von 1241 weiß man, dass die Juden etwa 20% der städtischen Steuern aufbrachten, ein deutlich höherer Anteil als ihr Anteil an der Bevölkerung. Es wäre allerdings falsch, die Juden bereits im Mittelalter auf den Beruf der Geldhändler zu reduzieren, wie es schon damals die Anstifter von Pogromen wie der fränkische Adlige Rintfleisch taten. Es sind vielmehr auch Juden als Bauern, als Handwerker, als Münzmeister oder als Salzsieder nachgewiesen. Den Juden war der Schutz des Lebens zugesichert, ebenso der ihrer Ehre, der Religionsausübung und des Eigentums. Sie genossen uneingeschränkte Handelsfreiheit und durften außer an kirchlichen Feiertagen christliche Lohnarbeiter beschäftigen; sie regelten ihre zivilen Streitigkeiten untereinander und nach jüdischem Recht.

 

Jüdischer Arzt bei der Behandlung eines Christen


Jüdischer Arzt bei der Behandlung eines Christen. Aus: Hans Schobser (Drucker), Plenarium, Augsburg 1487. Seit dem IV. Laterankonzil von 1214 war den Juden das Tragen des sogenannten „Judenhutes“ vorgeschrieben

 

Der Spruchdichter Süßkind von Trimberg, ein jüdischer Minnesänger in der Heidelberger Liederhandschrift (1300-1340), vor einem christlichen Amsträger

 

Auch der Blick in die Gemeinden bestätigt, sofern es die Quellen erlauben, ein reges Leben. Der Südwesten stand dabei besonders unter dem Einfluss der großen „Schum“-Gemeinden (so wurden die drei aschkenasischen Gemeinden von Speyer, Worms und Mainz nach ihren hebräischen Anfangsbuchstaben bezeichnet), von wo aus sich Gelehrtenschulen und jüdische Schriftkultur verbreiteten. Die jüdische Gemeinde von Speyer ist auch wegen ihres, im übrigen in zahlreichen Schulbüchern abgedruckten, Schutzprivilegs von 1084 bekannt. In diesem wurden den Juden der Stadt Rechtssicherheit, Eigentumsrechte, Handelsrechte, eine eigene Jurisdiktion und auch religiöse Rechte garantiert.

Der kaiserlich garantierte Schutz von Leib und Leben seit dem Mainzer Reichslandfrieden 1103 sowie die Übernahme der Juden in die Kammerknechtschaft durch Kaiser Friedrich II. 1236 brachten zwar der kaiserlichen Kammer erhebliche Schutzgeldzahlungen, verloren aber mit der Schwäche der Kaisergewalt nach dem Ende der Staufer zunehmend ihre Wirkung.  Anschuldigungen von Seiten des Klerus (Christusmord, Hostienfrevel, Blasphemie) vermengten sich mit gezielten Diffamierungen (z.B. Brunnenvergiftung) und Sozialneid. Gerade im Südwesten kam es immer wieder zu Verfolgungswellen, bei denen mehrere Tausend Juden ermordet wurden:

1298 "Rintfleisch-Pogrom": Angeführt von dem fränkischen Ritter Rintfleisch verübten bewaffnete Bauern Massaker in den jüdischen Gemeinden Frankens, teilweise wurden alle Mitglieder auf dem Marktplatz öffentlich verbrannt. Die Zahl der Ermordeten wird auf 4000 - 5000 geschätzt.

1336-38 "Armleder-Pogrom": Angeführt von dem fränkischen Adligen Arnold von UIssigheim verübten bewaffnete Bauern Massaker an den Juden in Franken, Schwaben und dem Elsaß.

1348 - 1351 "Pestpogrom": Die Schuld an der über Europa hereinbrechenden Pestwelle wurde vor allem von den Bürgern und Zünften der Städte den Juden gegeben. Ausgehend von Frankreich und Italien kam es ab 1348 zu Judenpogromen in allen größeren und kleineren Judengemeinden Mitteleuropas. Auch im Südwesten wurden die jüdischen Gemeinden von Freiburg, Ulm, Esslingen, Heilbronn, Schwäbisch Hall oder Ravensburg, um nur die größten zu nennen, ausgelöscht. Besitz und Immobilien wurden entweder anderen Bürgern oder der Kirche übertragen.

Die ab den 1350er Jahren von Fürsten und Königen wieder unternommene Ansiedlung von Juden blieb nicht von langer Dauer. Im 15.Jahrhundert mussten die Juden, oft auf Druck der städtischen Handwerkerzünfte, in eigenen Vierteln (Judengassen) leben, gegen Ende des 15.Jahrhunderts wurden sie dann vor allem aus den Reichsstädten und größeren landesherrlichen Territorien vertrieben. 


Das Beispiel Heilbronn
Das Zusammenleben von christlicher Mehrheitsgesellschaft und jüdischer Minderheit in der mittelalterlichen Stadt kann in seiner Komplexität und Dynamik besonders gut am Beispiel der Reichsstadt Heilbronn (Unterrichtsmodul zum jüdischen Leben in Heilbronn)analysiert werden. Seit dem 11. Jahrhundert hat es dort eine jüdische Gemeinde gegeben, für deren Vorsteher Nathan ein Gedenkstein aus dieser Zeit überliefert ist.

Gedenkstein für Nathan, den Gemeindevorsteher aus dem Kellergewölbe der zweiten Synagoge in Heilbronn aus dem 11. Jahrhundert

 

Es ist sicher, dass Heilbronn 1050 bereits über Markt und Münze sowie einen Portus (Hafen) verfügte und ziemlich stark in den Ost-West-Handel eingebettet war. In diesem Zusammenhang dürften auch die ersten Juden nach Heilbronn gekommen sein, die den Warenverkehr mit dem Orient vermittelten.

In den folgenden Jahrhunderten oszillierte das jüdische Leben in der Stadt zwischen Duldung und Verfolgung, großen steuerlichen und baulichen Beiträgen und wirtschaftlichem Ruin und steht somit exemplarisch für das Schicksal vieler jüdischen Gemeinden im Spätmittelalter. Die Ansiedlung der Juden an zentralen Plätzen der Stadt legt zunächst nahe, dass hier Christen und Juden nebeneinander gelebt haben, zumindest bis zu dem schweren Rintfleisch-Pogrom 1298, dem viele der 200 Heilbronner Juden und auch die Synagoge zum Opfer gefallen sind. Weitere Verfolgungswellen im 14. und 15. Jahrhundert wechselten sich mit Phasen der Duldung durch kaiserliches Privileg und wirtschaftlicher Blüte ab (Arbeitsblatt dazu). Mit der Ausweisung durch die Bürgergemeinde der Stadt – gegen den Willen des Kaisers – 1476 erfolgte in Heilbronn wie auch anderswo die mit Gewalt herbeigeführte Vertreibung aus der Stadt – und nebenbei auch die Entledigung aller Schulden bei den Juden – und damit der Übergang vom Stadt- zum Landjudentum. In der Folgezeit ließen sich die Juden als sogenannte Schutzjuden bei  kleineren Herrschaften im Umkreis der Städte nieder.

Die Lage der mittelalterlichen Judensiedlung in Heilbronn

 

Am Beispiel Heilbronn kann so das jüdische Leben als integraler Bestandteil der Lebenswelt Stadt erfahren werden, zu der die baulichen, kommerziellen und steuerlichen Beiträge der Juden, ein gewisses christlich-jüdisches Miteinander genauso gehören wie ein christlich fundierter, mit typischen Ausgrenzungsmotiven arbeitender gewaltbereiter Antijudaismus („Brunnenvergifter“), der in engem Zusammenhang mit der aufkommenden Partizipation der Bürgergemeinde steht. Die im Bildungsplan vorgegebenen Stichworte „Juden:Schutzprivileg“ können so in einem organischen Zusammenhang thematisiert werden. 


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