„Hitlers Krampf“: Widerstand gegen die NS-Propaganda am Beispiel von Tagebuchaufzeichnungen eines Textilarbeiters aus Ostwürttemberg

Autor: Dr. Michael Hoffmann

Kompetenzzentrum für Geschichtliche Landeskunde im Unterricht


Handschriftliche Aufzeichnungen von Karl Maier

Kurzbeschreibung des Moduls:

Das Unterrichtsmodul behandelt auf der Basis von Tagebuchaufzeichnungen eines einfachen Arbeiters und Landwirts, Karl Maier aus Steinheim am Albuch, die Wirksamkeit von Propaganda während der NS-Herrschaft. Maiers Aufzeichnungen sind ein fast einmaliger Beleg für die Gedankengänge und die NS-kritische Auseinandersetzung eines einfachen Arbeiters mit den Machthabern zwischen 1933 und 1945. Die einzelnen Materialien können die üblicherweise durchgeführten Unterrichtsstunden zum Scheitern von Weimar, zur „Machtergreifung und Gleichschaltung“, zu Propaganda und Verfolgung sowie zum Zweiten Weltkrieg perspektivisch ergänzen.


1. Hintergrund

a) Historische Einordnung

Der 1881 geborene Karl Maier aus Steinheim am Albuch repräsentiert exemplarisch den in Württemberg typischen Fall eines vom Protestantismus geprägten, mit eigener Nebenerwerbslandwirtschaft ausgestatteten Arbeiters, der im Laufe der Hochindustrialisierung vom Heimweber zum Fabrikarbeiter in der Textilindustrie wurde. Sein Leben ist zunächst von der Gleichzeitigkeit moderner und vormoderner Phänomene geprägt: Der Alltag ist noch ganz von der Landwirtschaft und dem Kirchenjahr in der pietistischen Gemeinde dominiert, und die 9 km Entfernung zu seiner Arbeit in Heidenheim an der Brenz legte Maier zu Fuß zurück. Andererseits führte ihn der Erste Weltkrieg 1916 – 1918 an die Front nach Frankreich, wo er die Schattenseiten der Modernisierung in den Materialschlachten kennenlernte. Auch seine Arbeitsstätte, die mit modernsten Maschinen ausgestattete und über 1000 Arbeitern beschäftigende Württembergische Cattunmanufaktur, zeigt neben anderen Industrien den Einzug der Hochmoderne in die noch kleinen Amtsstadt Heidenheim an. Maier stand spätestens seit Kriegsende 1918 der Sozialdemokratie nahe, wie nicht wenige Frauen und Männer seiner damals kleinen Heimatgemeinde mit 3000 Einwohnern. Als einer der wenigen hat er Hitlers „Mein Kampf“ 1934 ganz gelesen und sich intensiv mit dessen Thesen auseinandergesetzt – und ist zu einem vernichtenden Urteil über „Hitlers Krampf“ gekommen. Auch nach der Niederlage von Stalingrad, als Maier seine Tagebuchaufzeichnungen wieder aufnahm, bleibt er ein zynischer und bissiger Kritiker der NS-Propaganda und des Krieges, aus dem zwei seiner vier Söhne nicht mehr zurückkamen. Seine Tagebuchaufzeichnungen, die die Jahre 1933-1937 sowie 1943-1945 umfassen, sind periodisch verfasst, also nicht tagweise, und lesen sich wie eine Art innerer Monolog des Autors.

b) Historische Bedeutung

Die Tagebücher eines von harter körperlicher Arbeit, Entbehrung und wenig Schulbildung geprägten Arbeiters vom Lande aus der Zeit des Nationalsozialismus sind historisch eine „Sensation“ (Wolfgang Benz). Im Falle von Karl Maier belegen sie deutlich die oppositionelle Haltung auch einfacher Leute trotz Propaganda und „Volksgemeinschaft“. Maier ist bereits 1933 als Christ und Sozialdemokrat ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus und bleibt dies bis zum bitteren Ende. Seine Resistenz bleibt jedoch, soweit erkennbar, ganz privat und nur in der Niederschrift seiner Gedanken, öffentlich tritt er nicht gegen den NS-Staat in Erscheinung. Damit unterscheidet er sich deutlich von dem aus dem Nachbardorf Königsbronn stammenden, 22 Jahre jüngeren Georg Elser, der seinen Widerstand gegen das NS-Regime durch ein Attentat auf Adolf Hitler 1939 zum Ausdruck brachte.


2. Das Thema im Unterricht

a) Impulse und Material für den Unterricht mit didaktischen Hinweisen

Zeit/Phase Inhalte/methodische Hinweise
Unterrichtsthema Das Ende der Weimarer Republik 
Einstieg „Warum scheiterte die Weimarer Republik?“ oder „Seit Beginn belastet oder ab 1930 gezielt zerstört? Das Scheitern der Weimarer Republik“
Die Leitfrage kann mit Hilfe der Schulbücher und verschiedener Karikaturen, z.B. The Source von 1930, erarbeitet werden.
Erarbeitung 1 mit dem Schulbuch
Die Schülerinnen und Schüler erarbeiten eine Zusammenstellung der wesentlichen längerfristigen und kurzfristigen Faktoren des Scheiterns aus dem Schulbuch, z.B: Kriegsniederlage, Spaltung der Arbeiterbewegung, Kontinuität der alten Eliten, Dolchstoßlegende, Versailler Vertrag und Revisionspolitik, Inflation und Hitler-Putsch, Weltwirtschaftskrise, Präsidialkabinette und Verfassungsbruch, Aufstieg der NSDAP, Gewalt als Mittel der Politik, Rolle Hindenburgs  
Erarbeitung 2 Vertiefung durch Vergleich dieser Faktoren mit der Einschätzung von Karl Maier aus dem Sommer 1934
Vorstellung der Biografie von Karl Maier (d1 [pdf, 63 KB]). Analyse des Kommentars von Karl Maier, Vergleich mit den Ergebnissen der ersten Phase und Sicherung. (d1_maier [pdf, 63 KB], AB 1 [pdf, 84 KB], AB 1_Lösung [pdf, 71 KB])
Auswertung/Transfer Beantwortung der Leitfrage durch Abwägung der damaligen und heutigen Perspektiven und Gewichtung der genannten Faktoren. 
Unterrichtsthema
Propaganda im NS-Staat
Einstieg Die Schüler informieren sich im Schulbuch oder im Einleitungstext AB 2 [pdf, 42 KB] über die Propaganda im NS-Staat und entwickeln Reflexionsfragen dazu. Diese können z.B. auf die Erklärung eines Sachverhaltes zielen (warum/wie…?) oder antithetisch sein (… oder …?)
 Erarbeitung 1

Die Schülerinnen und Schüler erarbeiten sich in Tandems Grundzüge der NS-Außenpolitik und der Rolle der Hitlerjugend und halten die Einschätzungen von Karl Maier dazu fest. (AB 3 [pdf, 83 KB], AB 4 [pdf, 86 KB])
Die Schülerinnen und Schüler beurteilen in einem Zwischenfazit die Wirksamkeit von Propaganda im NS-Staat.

 Vertiefung Karl Maier und die Judenverfolgung
Die Schülerinnen und Schüler haben im ersten Teil der Doppelstunde erkannt, dass Karl Maier ein dezidierter Gegner des NS-Regimes ist, der Hitlers Pläne früh durchschaut hat. Im zweiten Teil setzen sie sich nun mit den Kommentaren Maiers zur Verfolgung der Juden in Deutschland und nach 1939 in den besetzten Gebieten auseinander. Sie erkennen dabei, dass auch Maier, obwohl er die Judenverfolgung als solche ablehnt, nicht frei ist von etablierten antisemitischen Vorurteilen. (AB 5 [pdf, 87 KB])
Auswertung/Transfer Beurteilung der Wirksamkeit der NS-Propaganda und etablierten Vorurteilen in der deutschen Gesellschaft 
Unterrichtsthema Der Zweite Weltkrieg und die deutsche Bevölkerung
Einstieg Die Schülerinnen und Schüler entwickeln auf der Basis von Kapiteln ihres Schulbuchs Fragen zum Verhalten der deutschen Bevölkerung im Angesicht der totalen Kriegspropaganda. Mögliche Fragen könnten sein:
Wie sehr glaubten die Deutschen der NS-Propaganda? Auch noch nach Niederlagen?
Wie wurde die Kriegsentwicklung wahrgenommen?
Welche Rolle spielte die persönliche Erfahrung von Tod und Leid?
Erarbeitung 1 Die Schülerinnen und Schüler erarbeiten sich mit Hilfe ihres Schulbuchs einen Überblick über den Kriegsverlauf 1943 – 1945. Dabei sollten die Niederlagen in der UdSSR (Stalingrad) und Nordafrika ebenso angesprochen werden wie die Ausrufung des totalen Krieges durch Goebbels 1943 und das Attentat des 20. Juli 1944.
Erarbeitung 2 Die Schülerinnen und Schüler analysieren die Einstellung Maiers zum Zweiten Weltkrieg, indem sie seine Haltung zum NS-Regime, seine Werte, seine Ängste und Sorgen sowie seine Hoffnungen herausarbeiten und festhalten (AB 9 [pdf, 114 KB]). Sie bearbeiten zunächst AB 6 zur Propaganda von Goebbels in Einzelarbeit und vergleichen es. Dann lesen sie Maiers Bericht über seine Söhne in Russland (AB 7 [pdf, 79 KB]) und seine Kommentare zum Attentat vom 20. Juli (AB 8 [pdf, 79 KB]).
Problematisierung

Mit Hilfe z.B. des Schulbuchs diskutieren die SuS, inwiefern Karl Maier typisch bzw. untypisch für die deutsche Bevölkerung in der zweiten Hälfte des Krieges ist.

Download aller Materialien (zip, 3,2 MB)

b) Bildungsplanbezug

Inhaltbezogene Kompetenzen:

3.3.1.Na­tio­nal­so­zia­lis­mus und Zwei­ter Welt­krieg – Zer­stö­rung der De­mo­kra­tie und Ver­bre­chen ge­gen die Men­sch­lich­keit

(2) Mittel der Machtübernahme

(3) Alltagsleben in der NS-Diktatur

Inhalt:

Propaganda, Dik­ta­tur, Mas­sen­or­ga­ni­sa­ti­on: HJ, BdM; Ter­ror, Ver­fol­gung, Ju­den, Wi­der­stand


Prozessbezogene Kompetenzen:

2.1 Fragekompetenz:

Die Schülerinnen und Schüler stellen gezielt Fragen an die Wirksamkeit von Propaganda.

nachvollziehe2.2 2.2 Methodenkompetenz:

Die Schülerinnen und Schüler analysieren die Tagebuchaufzeichnungen von Karl Maier und stellen diese in den Kontext der NS-Diktatur.


Literatur

  • Karl Maier, "Sie lügen und betrügen". Gedanken und Tagebuchaufzeichnungen eines einfachen Mannes 1934 - 1945. Mit einer Einführung von Wolfgang Benz. Herausgegeben von Karl-Hein Kocka, Königsbronn 2024.

Links

Das Original der Tagebuchaufzeichnungen mit Transkript ist online als pdf bei der württembergischen Landesbibliothek abrufbar (Link aufgerufen am 02.06.2025)


- Kompetenzzentrum für Geschichtliche Landeskunde im Unterricht  -


Der Text dieser Seite ist verfügbar unter der Lizenz CC BY 4.0 International
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de

Bitte beachten Sie eventuell abweichende Lizenzangaben bei den eingebundenen Bildern und anderen Dateien.