Kulturlandschaft Schönbuch (Waldgebiet des Jahres 2014) - Leben und Arbeiten in vergangener Zeit

Methodenvorschlag

Lernorterkundung

„Das frühe historische Lernen ist und sollte sein das Paradiesgärtlein des Geschichtsunterrichts. Unbekümmert um inhaltliche Auflagen von historischen Stoffen können Kinder hier ihrer historischen Neugier und ihren Fragen an die Geschichte nachgehen, andere Lebens- und Denkformen erschließen, historische Erklärungen für Vorhandenes finden und Merkwürdiges zur Kenntnis nehmen.“
(Klaus Bergmann: „Papa, erklär‘ mit doch mal, wozu dient eigentlich Geschichte?“ Frühes Historisches Lernen in Grundschule und Sekundarstufe I. In: Klaus Bergmann, Rita Rohrbach (Hrsg.): Kinder entdecken Geschichte. Schwalbach/Ts. 22005. S. 19.)

Diesem Postulat folgt ein einwöchiges Projekt, in dem Grundschülerinnen und -schüler der 4. Klasse Kulturlandschaftselemente am Schönbuchrand aufspüren, diese auf ihre Funktion in früherer Zeit hin untersuchen, ihre Ergebnisse in Form einer Ausstellung aufbereiten und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Dabei reicht das Spektrum von Elementen, die von der Versorgung der Menschen mit Essen und Trinken zeugen (Streuobstwiesen, Alt-Weinberge, Mergelbruch), über technische Zeugnisse aus vorindustrieller Zeit wie Lehmgruben und ein Schilfsandsteinbruch bis hin zum bis ins 20. Jahrhundert hinein betriebenen industriellen Abbau von Stubensandstein und Gips. Darüber hinaus werden Relikte des Transport- und Verkehrswesens in den Blick genommen.

Das Projekt soll eine Anregung sein, wie historisches Lernen in der Grundschule durchgeführt werden kann. Die Unterrichtsvorschläge und Materialien können abgeändert und den jeweiligen Gegebenheiten des Ortes bzw. der Region und der Schulklasse angepasst werden, an dem und mit der das Projekt durchgeführt wird.

1. Zielsetzungen und zu erwerbende Kompetenzen
Die Schülerinnen und Schüler erfahren die Umgebung, in der sie wohnen, als gewachsene, nicht natürlich entstandene, sondern durch den Menschen geformte Kulturlandschaft. Sie erkennen menschliche Eingriffe und können sie in ihrer historischen Bedeutung erklären. Die Schülerinnen und Schüler erwerben die Fähigkeit in einfacher Form historisch zu denken, Fragen an die Vergangenheit zu stellen und darauf durch eigenes Erforschen Antworten zu finden. Die Schülerinnen und Schüler können ihre Forschungsergebnisse schriftlich festhalten, mündlich präsentieren und hinsichtlich ihrer Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung diskutieren.

2. Bildungsplanbezüge
Aus den Leitgedanken zum Kompetenzerwerb für Mensch, Natur, Kultur: „Durch systematisches Aufspüren, Erkunden, Beschreiben und Dokumentieren der natürlichen Gegebenheiten und der kulturellen Wurzeln der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler wird eine Auseinandersetzung mit Heimat im weiteren historischen und geografischen Kontext ermöglicht.“ (S. 96)
„Der Unterricht im Fächerverbund zielt auf die forschende Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit ihrer Lebenswirklichkeit.“ (S. 98)
„Neugierde und Staunen werden geweckt und erhalten. Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern werden Wege des Erkennens gesucht. Unmittelbares Erleben und distanziertes Erkennen, Verstehen und Versachlichen sind gleichberechtigte Zielsetzungen.“ (S. 98)

BPE 4. Raum und Zeit erleben und gestalten
Die Schülerinnen und Schüler können

  • Natur- und Kulturräume bewusst wahrnehmen, für sich erschließen und sich in ihnen orientieren; (…)
  • sich in größeren Zeiträumen orientieren und Ereignisse und Erlebnisse zeitlich einordnen; (…)
  • Ereignisse und Erlebnisse als geschichtliche Phänomene begreifen;
  • erkennen, dass gegenwärtige Phänomene und Prozesse Bedeutung für die Lebenswirklichkeit der Zukunft haben

BPE 5: Heimatliche Spuren suchen, entdecken, gestalten, verändern

BPE 6: Mensch, Tier und Pflanze: staunen, schützen, erhalten und darstellen
Die Schülerinnen und Schüler können

  • an Beispielen aufzeigen, wie Menschen seit jeher Naturräume und Landschaften gestalten, nutzen und verändern

BPE 9: Energie, Materialien, Verkehrswege: vergleichen und bewusst nutzen
Die Schülerinnen und Schüler

  • wissen um die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen, um die Dauer ihrer Regeneration und gehen sparsam und bewusst mit ihnen um

3. „Historisches Lernen“ – theoretische Grundlagen
Vgl. hierzu Peter Gautschi, Jan Hodel, Hans Utz: Kompetenzmodell für „Historisches Lernen“ – eine Orientierungshilfe für Lehrerinnen und Lehrer (Fassung August 2009).

Beim „Historischen Lernen“ setzen sich Individuen mit Ausschnitten aus dem Universum des Historischen auseinander. Dies kann bereits im Grundschulalter geschehen und läuft in unterschiedlichen, aufeinander aufbauenden Schritten ab.

An erster Stelle steht die Begegnung mit einem historischen Zeugnis und dessen aktive Wahrnehmung als Überrest aus der Vergangenheit (in unserem Fall: das jeweilige Kulturlandschaftselement). Auf Basis der Wahrnehmungkompetenz für Veränderungen in der Zeit entstehen Fragen an und Vermutungen über die Vergangenheit. Diese verlangen beantwortet bzw. überprüft zu werden.

Dies ist der Beginn einer eigenen „Forschertätigkeit“ der Schülerinnen und Schüler. Um das historische Zeugnis zu erschließen, müssen die Schülerinnen und Schüler Material (Quellen, Darstellungen, Filme etc.) durchforsten, im Internet recherchieren, Zeitzeugen befragen... Sie schulen dadurch ihre Erschließungskompetenz (d.h. sie erkennen in unserem Fall, warum diese Veränderung in der Landschaft entstanden ist und welchem Zweck das jeweilige Relikt in der Vergangenheit gedient hat).

Der nächste Schritt ist die Einbettung des erforschten Phänomens in einen größeren Zusammenhang. Die Schülerinnen und Schüler interpretieren ihren lokalen Befund, indem sie ihm einen historischen Rahmen geben, ihre Erkenntnisse ordnen, vergleichen, mit anderen Ergebnissen in Beziehung setzen etc. (in unserem Fall z.B.: Gab es diese Abbaumethoden nur bei uns? Wohin wurde das Material geliefert? War der Abbau ein lukrativer Zuverdienst für die Bauern?).

Der Interpretationskompetenz folgt die Orientierungskompetenz, wenn sich die Schülerinnen und Schüler bewusst machen, inwiefern die erarbeiteten Ergebnisse Bedeutung bis heute haben (in unserem Fall z.B.: Wie lange bestanden die Steinbrüche? Ab wann „lohnte“ sich der Abbau nicht mehr? Sollte man die Relikte erhalten? Warum wurde der Schönbuch-Westhang unter Naturschutz gestellt? Wie sieht es mit der Ausbeutung natürlicher Ressourcen in anderen Regionen/in anderen Ländern aus?)

Der Erfolg des historischen Lernens äußert sich in sinnvollem, verständlichen „historischen Erzählen“. Sind die Schülerinnen und Schüler also zum Abschluss des Projektes in der Lage, ihre Ergebnisse verständlich, logisch und (auf Grundschulniveau) reflektiert zu präsentieren, zeigt sich, dass die narrative Kompetenz als Kern des Geschichtsunterrichts erfolgreich geschult werde konnte.

„Lernen im Geschichtsraum“ – praktische Umsetzung
Vgl. hierzu Rita Rohrbach: Lernen im Geschichtsraum – Ein Überblick zu Lehr- und Lernwegen zu Beginn des Historischen Lernens. In: Klaus Bergmann, Rita Rohrbach (Hrsg.): Kinder entdecken Geschichte. Schwalbach/Ts. 22005. S. 71ff.

1. Die Öffnung des Geschichtsraums (Konfrontationen. Einfindung in eine vergangene Welt. Stellen der Historischen Frage. Planungen)
1. Tag: Anfangsexkursion

Unter dem Motto „Augen auf! Wem fällt was auf? Spurensuche in Wald und Wiese“ beginnt der erste Tag des Projekts mit einer Flurbegehung. Nach einem kurzen Brainstorming zum Thema Wald, bzw. Schönbuch, das in die Erkenntnis mündet, dass im Wald sowohl „Natürliches“ als auch „vom Menschen Gemachtes“ zu finden ist (Gegensatz Natur – Kultur), laufen die Schüler in zwei Gruppen verschiedene Routen und sollen „in der Natur“ Phänomene entdecken, die nicht natürlich entstanden, sondern durch Menschen angelegt worden sind.

Die Tour beginnt bei der Grundschule in Ammerbuch-Entringen. Route 1 führt südöstlich von Entringen am Schönbuchrand an folgenden Relikten vorbei:
1) Tübinger Weg: Warenverkehr in früherer Zeit
2) Waldwiesenhalde: Lehmgrube
3) Schwarzenburg: Steinbruch im Schilfsandstein
4) Herdsteig: Mergelabbau

Route 2 geht in nordöstliche Richtung. Auf ihrem Weg liegen folgende Kulturlandschaftselemente:
1) Steinbruchweg/Härensloch: Gipsbruch
2) Bogenacker-Hohlweg: Eintrieb zur Waldweide
3) Pfaffenberg: Weinanbau
4) Martinsweg: Stubensandsteinbruch
5) Pfaffenberg: Streuobstwiesen

Die Kinder sind aufgefordert, ihre Beobachtungen und Erkenntnisse in einem Forscherheft festzuhalten (AB 1). Die Exkursion mündet in die Leitfrage: Wie kam es zu den auf der Flurbegehung festgestellten Veränderungen der Landschaft und warum griff der Mensch in die Natur ein?

Die Kinder halten ihre Beobachtungen im Forscherheft fest.

Die Kinder halten ihre Beobachtungen im Forscherheft fest.
© Kerstin Arnold

Behandlung des Themas in der Schule

2. Handlungen im Geschichtsraum
(Orientierung. Ansätze von Heuristik. Entscheidung/Ansätze von Kritik. Bearbeitung/Ansätze von Interpretation. Erste narra�tive Antworten)


2. Tag: Methodentraining
Die Schülerinnen und Schüler werden auf zwei Wege an die historische Recherche herangeführt. Zunächst findet ein Methodentraining statt, das sie mit verschiedenen Formen der Texterschließung und –strukturierung vertraut macht. Die Themen können hier frei gewählt und dem Inhalt des vorangegangenen Unterrichts angepasst werden (AB 2). Im Anschluss daran sind sie aufgefordert, eine Definition von „Geschichte“ zu formulieren, indem sie den Satz „Geschichte ist für mich...“ vollenden. Dabei zeigt sich bereits ein sehr differenziertes Geschichtsbild, das sich vom Verständnis der „Geschichte“ als das, „was früher war“, über „eine Anzahl von Kapiteln, wo etwas Spannendes vorkommt“ bis hin zu „eine Erzählung von alten Zeiten“ erstreckt. An dieser Stelle muss besprochen werden, welche Definition für das, was in der Projektwoche gemacht werden soll, am ehesten zutrifft.

Das Methodentraining vermittelt Techniken zur Texterschließung.

Das Methodentraining vermittelt Techniken zur Texterschließung.
© Kerstin Arnold


3. Tag: Recherche
In Gruppen erforschen die Lernenden nun jeweils eines der neun Kulturlandschaftselemente. In ihrer Recherchearbeit sollen sie die im Methodentraining erworbenen Techniken einsetzen. Für ihre Arbeit stehen ihnen folgende Stationen zur Verfügung ( AB 3 ):
Station 1: Spurenpuzzle ( AB 4 , AB 5 , B 1-9):
Sucht euer Phänomen, indem ihr Überschrift, Beschreibung und Foto richtig kombiniert.

Station 2: Quellentexte (diese können über das Internet-Portal www.leo-bw.de unter der Eingabe des Ortsnamens recherchiert werden):
Findet heraus, ob in den alten Schriften etwas über euer Phänomen geschrieben steht.
Fertigt einen Stichwortzettel an.


Station 3: Bücher und Artikel der Sekundärliteratur durch Lesezeichen vorstrukturiert (vgl. Literaturliste):
Findet heraus, ob in den Büchern und Zeitungsartikeln etwas über euer Phänomen geschrieben steht oder Bilder vorhanden sind. Teilt euch die Arbeit auf.
Führt eure Erkenntnisse in einem Table Set oder einer Mind Map zusammen.


Station 4: Verortung in historischen und aktuellen Landkarten (vgl. Literaturliste):
Sucht in den Landkarten, ob euer Phänomen eingezeichnet ist. Notiert, welche Landkarte für euer Thema wichtig ist.

Station 5: Film „Schönbuch Westrand“ (vgl. Medienliste):
Schaut euch den Film unter eurer Forschungsfrage an. Findet ihr hilfreiche Informationen?
Schreibt Stichwörter mit.


Station 6: Internetrecherche:
Gebt euer Phänomen in einer Suchmaschine im Internet ein und druckt Informationen / Bilder nach Absprache mit einer Lehrerin aus. Markiert anschließend die wichtigsten Informationen.

Im Vordergrund ist die Station „Spurenpuzzle“ zu sehen.

Im Vordergrund ist die Station „Spurenpuzzle“ zu sehen.
© Kerstin Arnold


4. Tag: Zeitzeugenbefragung
Nach der Recherche anhand der Materialien sind manche Fragen offen geblieben oder es haben sich neue ergeben. Daher werden an diesem Tag Zeitzeugen aus Entringen eingeladen, die den Schülerinnen und Schülern Auskunft über Leben und Arbeiten in früherer Zeit geben können. Zur Vorbereitung der Interviews stellen die Lernenden in ihren Gruppen Fragen zusammen, die sie den Zeitzeugen stellen. Die Befragung mündet in die Erkenntnis, dass viele Fragen an die Vergangenheit mittels unterschiedlicher Materialien und Forschungsweisen geklärt werden können, manches aber auch offen bleiben muss.

Die Schülerinnen und Schüler befragen Alteingesessene als Zeitzeugen.

Die Schülerinnen und Schüler befragen Alteingesessene als Zeitzeugen.
© Kerstin Arnold


5. Tag: Ausstellungskonzeption, Integration der Ergebnisse
Nun verfügen die Schülerinnen und Schüler über genügend Informationen und Materialien, um ihren Ausstellungsteil zu konzipieren. Verlangt ist die Erstellung eines Plakates, das die wichtigsten Informationen zum einzelnen Kulturlandschaftselement beinhaltet.

Plakat

© Kerstin Arnold

Des Weiteren gibt es die Anregung, Modelle mit vor Ort gesammeltem Material zu erstellen sowie historische Gerätschaften bei Großeltern und Eltern zusammenzusammeln. Diese Arbeiten nehmen einige Zeit in Anspruch und werden im Anschluss an die Projektphase im MeNuK-Unterricht durchgeführt, daher wird die Ausstellungseröffnung erst zwei Wochen nach der Projektwoche terminiert.

Lehmgrube

Schwarzenburg

Mergel

Einige Beispiele der durch Schüler gefertigten Modelle und gesammelten Exponate
© Kerstin Arnold

Der letzte Projekttag endet mit einer Abschlussdiskussion über die erworbenen Erkenntnisse zur Nutzbarmachen der Natur durch den Menschen, zu den Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Menschen in unserer Region zu früherer Zeiten und zur heutigen Bedeutung der erforschten Gewerbe bzw. der Landschaftsnutzung.

TA Ergebnisse

© Kerstin Arnold

Folgende inhaltliche Impulse sollen dazu Denkanstöße sein: Was passiert mit der „Natur“, wenn der Mensch eingreift? Darf der Mensch überhaupt in die Natur eingreifen? Besteht die Gefahr der Ausbeutung der Natur? Welchen Wert hat die Kulturlandschaft des Schönbuchs heute? Sollten die Relikte für die Zukunft erhalten bleiben/erhalten werden?

Über die historische Methode soll anhand folgender Fragen reflektiert werden: Was bringt mir die Beschäftigung mit der Vergangenheit? Ist es wichtig zu wissen, wie Menschen früher gelebt haben? Wie geht man vor, um Geschichte zu „re-konstruieren“?


3. Schließen des Geschichtsraums (Zusammenstellen der Ergebnisse, Narrative Antwort. Präsentation. Fest)

Die Ausstellung wird eröffnet. In Form von Darstellungstexten, Bildern, Modellen und Exponaten werden die bei der Flurbegehung entdeckten Phänomene und ihre Funktion in der Vergangenheit durch die Schülerinnen und Schüler selbst nun einer breiten Öffentlichkeit präsentiert.

Auf diese Weise schulen die Lernenden ihre narrative Kompetenz und tragen die eigene Erfahrung weiter, die mit Wilfried Setzler so formuliert werden kann: „Wer offenen Auges durch die Städte und Dörfer, durch die Wälder, Wiesen und Felder, geht, (kann) noch vieles aus der Vergangenheit, manches Zeugnis der Geschichte, entdecken.“
(Wilfried Setzler: Die geschichtliche Entwicklung. In: Schönbuch – Tübingen – Rammert. Hrsg. v. Schwäbischen Albverein. Stuttgart 1985. S. 68.)

Ausstellungseröffnung

Stolz präsentieren die Grundschüler ihre Ergebnisse in der Ausstellung.
© Kerstin Arnold

 

- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Stuttgart -

 


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Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de

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