Industrialisierung und Soziale Frage

3. Landesgeschichtliche Einordnung

Autor: Thomas Forst (Arbeitskreis RP Freiburg)

Wie in den anderen deutschen Staaten setzt die Industrialisierung in Baden und Württemberg im Vergleich zu den westeuropäischen Vorbildern erst spät ein. Bis Mitte des Jahrhunderts bleibt die Vorstellung von einem Agrarstaat und einem Gewerbe kleinhandwerklicher Wirtschaft mit vielen selbstständigen Meistern prägend. Erst mit der Revolution 1848/49, den vorangegangenen Hungersnöten, verursacht durch Kartoffelfäule, und der Wirtschaftskrise der 40er Jahre setzt ein Umdenken ein. Im Zuge der Revolution wird 1848 in Baden und Württemberg die Ablösung der Feudallasten endgültig gesetzlich geregelt mit entsprechender Auswirkung auf die Mobilität der verarmten Landbevölkerung.

 

FA. Otto Sick, Fabrikation von Reb- und Baumspritzen
FA. Otto Sick, Fabrikation von Reb- und Baumspritzen
© Fotomuseum Hirsmüller, Sonderausstellung WerkStadt

 

Dennoch: Nur etwa 20% der Einnahmen aus den Ablösungen werden in die Industrie, und hier besonders in den Eisenbahnbau, investiert. Die Gewerbeförderung bleibt trotz der Einrichtung entsprechender Institutionen, wie der „Centralstelle für Handel und Gewerbe“ in Württemberg (1848) und der „Landesgewerbehalle“ in Baden (1865), bis 1911 unter 1% der Landesetats und wird hauptsächlich für die Förderung der beruflichen Bildung in Fachschulen und Fachoberschulen verwendet. Auch die Aufhebung der Zunftordnungen geschieht nur zögerlich erst in den 60er Jahren.

Der Mangel an natürlichen Ressourcen verhindert den Aufbau einer Schwerindustrie wie in anderen deutschen Staaten. Andere Branchen, wie etwa die Textilindustrie prägen noch stärker die Entwicklung. So liegt Baden hier 1857/58 in Deutschland auf Platz vier hinter den sehr viel größeren Ländern Preußen, Sachsen und Bayern, Württemberg liegt auf Platz fünf.

 

Einzylinder-Dampfmaschine, Fa. Wehrle/Emmendingen
Einzylinder-Dampfmaschine, Fa. Wehrle/Emmendingen
© Stadtarchiv Emmendingen

 

Wichtigste Energiequelle für die industrielle Produktion bleibt lange die Wasserkraft. Die Verwendung von Dampfmaschinen und deren Herstellung kann sich erst mit der Erschließung des Landes durch die weitgehend staatliche Eisenbahn (Baden ab 1840, Württemberg ab 1845) durchsetzen. So wurde um 1900 ca. 80-90% des gesamten Energiebedarfes importiert, hauptsächlich in Form von Steinkohle. Die Verwendung von elektrischem Strom spielt erst im 20. Jahrhundert eine Rolle, die ersten größeren Kraftwerke gehen erst 1898 in Württemberg und 1899 in Baden (Rheinfelden) in Betrieb.
Kreditmangel behindert bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts den Ausbau der Industrie, es fehlt zunächst an risikobereiten Kreditgebern und einem ausgebauten Bankensystem.

   
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Freiburg -