Die Ott-Pauser'sche Fabrik in Schwäbisch Gmünd - vom Goldschmiedebetrieb zur Silberwarenfabrik

Hintergrundinformationen

Bedeutung

Die Ott-Pauser'sche Fabrik - heute ein Silberwaren- und Bijouteriemuseum - ist ein Paradebeispiel für Industriegeschichte.

Ihre Geschichte begann im Jahr 1829. Damals steckte die Gold- und Silberwarenproduktion in einer schweren Krise. Die Nachfrage nach Modeschmuck und vergoldetem unechtem Schmuck stagnierte.
In Schwäbisch Gmünd gab es fast 300 selbstständige Meister, die mit durchschnittlich 2 oder 3 Gesellen arbeiteten. Unternehmerisches Denken und Handeln wurde durch die Zunft behindert, zudem fehlte es an Kapital. Das Vermögen der Gold- und Silberarbeiterzunft lag im Jahre 1824 bei lediglich 91 Gulden - allein für die Anschaffung einer Prägemaschine wären 1400 Gulden nötig gewesen.

Nikolaus Ott, der eine Werkstätte für Bijouteriewaren in Gold betrieb, erkannte die Schwachstellen dieser Produktionsweise und bewies unternehmerische Fähigkeiten.

  1. Er trat 1842 aus der Zunft aus.
  2. Er beantragte bei der Regierung die Genehmigung zur Gründung einer Gold- und Silberwarenfabrik.
  3. Er fand Teilhaber, mit deren Kapital die benötigten Maschinen gekauft werden konnten.

Durch die Errichtung eines Gaswerks und die Installation einer Dampfmaschine wurde die Produktion noch effektiver. 1860 war die Firma Ott der größte Steuerzahler Gmünds. Dieser Aufwärtstrend hielt jedoch nicht an und die Weltwirtschaftskrise 1929 führte zur schlimmsten Absatzkrise der Gmünder Edelmetallindustrie. Emil Pauser, der damalige und letzte Besitzer, versuchte, die Krise durch äußerste Sparsamkeit zu meistern, anstatt in neue Produktionsverfahren zu investieren. So versank die Fabrik in eine Art Dornröschenschlaf. Schließlich arbeitete Pauser in den Sechziger Jahren nur noch mit 3 bis 4 Arbeitern - auf Bestellung oder zur Reparatur, bis die Produktion Ende der 70iger Jahre endgültig eingestellt werden musste. 1984 starb Emil Pauser, und das Gebäude sollte eigentlich abgerissen werden.



Geschichte

Zur Chronologie der Ott-Pauser'schen Fabrik und ihrer Besitzer

1820
Nikolaus Ott eröffnet im Judenhof (heute: Imhofstr.) eine Werkstätte für Bijouteriewaren in Gold und beschäftigt 1835 etwa 12 Gesellen, für damalige Gmünder Verhältnisse recht viel.

1842
Ott beantragt bei der Regierung des Jagstkreises die "Gründung einer Gold- und Silberwarenfabrik". Damit scheidet er aus dem Zunftverband aus.

1844
Bau der Fabrik der Firma Ott

1845
Nikolaus Ott und sein Schwiegersohn und Teilhaber Carl Reisser leiten den technischen Bereich, Compagnon Napoleon Spranger ist kaufmännischer Leiter der Fabrik.

1848
Die Fabrik ist etwa 48.000 Gulden wert. N. Ott bittet seinen Neffen Johann Baptist Ott (geb. 1816), als Teilhaber in die Firma einzutreten, er selbst geht in den Ruhestand.

1855
Errichtung eines Gaswerkes auf dem Fabrikgelände, dem ersten in Gmünd, das auch einige andere Fabriken (Erhard & Söhne, Deyhle, Foster), etliche Gastwirtschaften und sogar das Rathaus mit Gaslicht versorgt. Die Fabrikräume von Ott werden besser beleuchtet, in der Produktion wird das Löten und Schmelzen von Metallen erleichtert.

1857
Ott lässt eine 4 PS starke Dampfmaschine installieren.

1860
Die Firma Ott ist der größte Steuerzahler Gmünds, Johann B. Ott baut seine Villa am Kaffeeberg.

1861
Gmünd wird an das Eisenbahnnetz angeschlossen, was zur Einstellung des Gaswerks führt.

1864
"Es geht allen Geschäften schlecht", schreibt der Gmünder Silberwarenfabrikant Hermann Erhard. Ott erstellt ein ansehnliches Wohnhaus beim Bockstor.

1866
Die Firma Ott liefert für 200.000 Gulden jährlich Bijouteriewaren nach Cuba.

1869
Wilhelm Ott tritt als Teilhaber in die Firma seines Vaters ein.

1900
Einbau eines Hammerwerkes

1906
Einbau eines Gasmotors in die Fabrik in den seitherigen Pferdestall; erst in den Zwanziger Jahren wird der Gasmotor durch Elektromotoren ersetzt.

1923
Inflation

1925
Vereinigung der Firmen Ott und Pauser, Emil Pauser wird Mitgesellschafter von Alexander Ott, dem Sohn Wilhelm Otts.

1929
Schwarzer Freitag an der New Yorker Börse, die Gmünder Edelmetallindustrie gerät in ihre schlimmste Absatzkrise.

1934
Gmünd wird Notstandsgebiet. Emil Pauser, der letzte Besitzer, übernimmt die Geschäftsleitung. Die Firma arbeitet nur noch mit wenigen Arbeitern.

1960
Emil Pauser arbeitet mit 3-4 Arbeitern nur noch auf Bestellung oder zur Reparatur, bis schließlich Ende der Siebziger Jahre die Produktion von Silberwaren völlig eingestellt wird.

1984
Emil Pauser stirbt, die Fabrik soll zu einem Industriemuseum werden.

1992
Eröffnung des Museums

Eine ausführliche Zeittafel siehe unter D 1


Anlage

Zur Fabrikanlage

Im Mai 1983 wurde die Ott-Pausersche Fabrik von zwei Studenten der Universität Tübingen "entdeckt". Wie im Dornröschenschlaf hatte hier eine Fabrikanlage samt Interieur die Zeiten überdauert. Maschinen und Einrichtungen waren seit 1845 nahezu unverändert. Werkzeuge lagen wie nach getaner Arbeit an ihrem Platz. Als technisches Kulturdenkmal erlaubt es daher anschauliche Einblicke in die industrielle Arbeitswelt des 19. Jahrhunderts:

  • Die klassische Fabrikanlage ist mit Werkhalle, Kontor, Maschinenhalle, Wohnung und Ausstellungsräumen erhalten geblieben.
  • Die Maschinen zeigen die industrielle Produktionsweise, wie z. B. Transmissionssysteme, die von einem Gasmotor angetrieben werden oder Friktionsspindelpressen.
  • An den Arbeitsplätzen von Graveuren, Ziseleuren und Goldschmieden finden sich vielfältige Werkzeuge, die belegen, wie maschinell angefertigte Teile weiterbearbeitet wurden.
  • Der Raum, in dem die Polisseusen arbeiteten, zeigt die Problematik der Frauenarbeit in der industriellen Arbeitswelt.
  • Die Raumaufteilung innerhalb der Fabrik spiegelt die strenge Hierarchisierung in der Belegschaft wider.
  • Die Fabrikanlage selbst lässt die damaligen Arbeitsbedingungen wie Lärm und Staub im gesamten Gebäude, mangelnde Schutzvorkehrungen an Maschinen, die fehlende hygienische Grundausstattung (Waschbecken) und damit auch fehlende Erste-Hilfe-Maßnahmen usw. anschaulich werden.

Grundriss der Fabrik
Grundriss der Fabrik
© Museum im Prediger Stadt Schwäbisch Gmünd


Vergrößerung des Grundrisses in AB 9 .

- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Stuttgart -