Lokales Inflationsgeld und soziale Lage 1923 in Esslingen

Hintergrundinformationen

1. Bedeutung

Die hier bereitgestellten Unterrichtsmaterialien richten sich an
- verschiedene Lerntypen (z.B. analytisch, visuell, kreativ) und an
- verschiedene Niveaustufen (1-3).

Dabei ist das Ziel, mit den Materialien einen Unterricht zu ermöglichen, der verschiedene Lernvoraussetzungen berücksichtigt, individualisiertes Lernen und differenzierende Lernbedingungen ermöglicht und somit den Schüler als lernendes Subjekt ernst nimmt.

Schlangestehen beim Einkaufen

B 2 Schlangestehen beim Einkaufen (© Stadtarchiv Esslingen)

Am Beispiel der Stadt Esslingen wird dargestellt, zu welchen geldpolitischen Maßnahmen die Hyperinflation des Jahres 1923 auch auf der lokalen Ebene führte. Zugleich werden die Auswirkungen der rapide steigenden Geldentwertung auf die Lebensumstände insbesondere der lohnabhängigen Bevölkerung anhand ausgewählter Beispiele aufgezeigt.

Die Verarmung der Arbeiterschaft, wozu auch der Verlust aller Sparguthaben gehörte, führte zu einer ersten großen Unzufriedenheit mit der Politik der jungen deutschen Republik. Als sich mit der Weltwirtschaftskrise ab 1929 die soziale Lage der Arbeiter erneut katastrophal entwickelte, erhielten politische Extremisten verstärkt Zulauf.

Die Situation des Jahres 1923 in Esslingen ist repräsentativ für viele Städte im deutschen Reich. Im Zuge der Industrialisierung war auch hier seit Gründung des Kaiserreichs der Anteil der Arbeiterschaft enorm angestiegen (Maschinen, Werkzeuge, Textilien) und damit die Wirkung der Hyperinflation besonders gravierend.


2. Geschichte

Obwohl im Herbst 1923 mehr als hundert Fremdfirmen Tag und Nacht für die Reichsbank Geldscheine druckten, kamen die Druckmaschinen dem durch den galoppierenden Wertverlust rapide steigenden Bedarf an Banknoten nicht mehr nach. Deshalb gingen Städte, Gebietskörperschaften (z. B. Banken) und große Firmen dazu über, selbst Notgeld zu drucken und in Umlauf zu bringen. Insgesamt wurden im Deutschen Reich von rund 5 800 Städten, Gemeinden und Firmen eigene Notgeldscheine herausgegeben.

In Esslingen gab es städtisches Notgeld seit dem Beschluss der „Inneren Abteilung des Gemeinderats“ vom 27.08.1923. Zunächst holte die Stadt dafür noch eine Genehmigung der Reichsregierung ein; ab Oktober wurde darauf verzichtet.

sslinger Notgeld

B 3 Esslinger Notgeld (© Stadtarchiv Esslingen)

Das Notgeld wurde in Esslinger Druckereien hergestellt. Anfangs waren die Scheine nummeriert; dann aber wurde der Bedarf so schnell größer, dass man teilweise auf die Kontrollnummern für neue Scheine verzichtete und alte Scheine einfach mit neuen Wertangaben überdruckte. Die Nachbarstädte Stuttgart und Esslingen erkannten ihr Notgeld gegenseitig an. Die „Stadtgemeinde Esslingen“ brachte insgesamt 10 Ausgaben mit verschiedenen Nennwerten heraus, zuletzt am 7. November 1923 einen Geldschein im Wert von 1 Billion Mark.

Aufgrund des Mangels an Geldscheinen sah sich eine Reihe größerer Esslinger Firmen bereits ab Anfang August veranlasst, die Löhne in Form von Gutscheinen oder Schecks auszuzahlen. Mit dieser Art Notgeld konnte dann in den Esslinger Geschäften bezahlt werden. „Von Handel, Gewerbe, Banken und Industrie, 16 an der Zahl, sind insgesamt 63 Notgeldscheine mit verschiedenen Werten bekannt“ (Heinz Schilling). Von diesem Notgeld der Firmen sind heute nur noch wenige Scheine erhalten.

Die soziale Lage insbesondere der Arbeiterschaft verschlimmerte sich auch in Esslingen im Lauf des Jahres immer mehr; zur galoppierenden Inflation und zur steigenden Arbeitslosigkeit kamen zunehmende Versorgungsengpässe bei Lebensmitteln. Um auch der ärmeren Bevölkerung wenigstens ein Versorgungsminimum zu garantieren, mussten Mehl und Brot rationiert und im Preis festgelegt werden. Für Kinderreiche wurden Brotbeihilfen gewährt. Markenfreies Brot war teuer.

Die miserable wirtschaftliche Lage von Teilen der Bevölkerung wird im Übrigen auch durch eine Aktion der Kinderhilfsmission „der Religiösen Gesellschaft der Freunde (Quäker) von Amerika“ verdeutlicht. Diese Organisation führte (wie in vielen deutschen Städten) von Februar 1921 bis Ende 1923 in Esslingen eine Speisung für etliche hundert „unterernährte Kinder und für erwartende und stillende Mütter“ durch. Die Teilnehmer wurden von Ärzten ausgewählt, die Lebensmittel von den Quäkern bereitgestellt, während die Stadt Esslingen die Zubereitung der Mahlzeiten zu organisieren hatte (Vertrag zwischen den Quäkern und der Stadt vom 29.01.1921). Hilfe kam auch aus der Schweiz: Der Kanton Aargau unterhielt 1923 eine Suppenküche in Esslingen.

Eine politische Auswirkung der Hyperinflation war der Hitler-Putsch, der auch in der Esslinger Presse Widerhall fand – ebenso wie dessen schnelle Niederschlagung.

Wie im gesamten Reich wurde die Inflation durch die Währungsreform im November 1923 beendet. Zwar normalisierte sich die Versorgungslage, doch verteuerten sich die Preise für Lebensmittel im Vergleich zur Zeit vor der Inflation deutlich, obwohl die Löhne teilweise gesunken waren.

 

- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Stuttgart -