Die KZ-Gedenkstätte Hailfingen-Tailfingen (Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof)

Hintergrundinformationen

1.2. Geschichte - Teil 2:

2. Das KZ-Außenlager auf dem Flugplatz Hailfingen-Tailfingen

Am 13.9.1944 beantragte die OT-Bauleitung Tübingen, Baustelle Hailfingen, über die Kommandantur Natzweiler beim SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt (WVHA) in Oranienburg die "Gestellung" von 600 KZ-Häftlingen. Angefordert wurden 150 "Häftlings-Facharbeiter" (40 Maurer, 20 Schreiner, 70 Zimmerer, 20 Schlosser und Mechaniker) und 450 "Häftlings-Hilfsarbeiter".

Am 25.9.1944 wurde das Häftlingskommando genehmigt, der Flugplatz Hailfingen wurde am folgenden Tag in einem Sonderbefehl des KZ Natzweiler der 7. Wachkompanie des I. Wachsturmbanns zugeteilt. Lagerführer für das KZ-Außenlager Hailfingen wurde der SS-Unterscharführer Eugen Witzig, der seit April 1944 dem Kommandanturstab des KZ Natzweiler angehörte.

Am 17.11.1944 stellte die SS im KZ Stutthof bei Danzig einen Transport mit 600 als arbeitsfähig klassifizierten jüdischen Häftlingen zusammen. Die meisten von ihnen hatten Auschwitz mit einem Transport am 26.10.1944 verlassen und waren am 28.10.1944 in Stutthof angekommen. Die Namen der Häftlinge wurden von der Verwaltung des KZ Natzweiler zentral im Nummernbuch Nr. 6 mit den Nummern 40.448 bis 41.049 eingetragen. Noch bis Mitte März 1945, als das Lager bereits aufgelöst war, wurden in diesem Nummernbuch Sterbedaten von Häftlingen festgehalten.
Dem Nummernbuch zufolge kamen die Juden aus 16 Ländern: 260 Polen, 128 Ungarn, 47 Franzosen, 33 Letten, 27 Holländer, 24 "Reichsdeutsche", 20 Griechen, 19 Italiener, zwölf Litauer, sieben Belgier, je drei Tschechen, Slowaken und Rumänen, zwei Türken, ein Bulgare und acht Staatenlose. Bei drei Personen ist die Nationalität unleserlich. Die Häftlinge waren unter anderem über folgende Sammellager nach Auschwitz gekommen: Fossoli (Italien), Drancy (Frankreich), Mechelen (Belgien) und Westerbork (Niederlande). Sie waren nach den Angaben im Nummernbuch zwischen 15 und 60 Jahre alt. Einige hatten allerdings aus Angst vor ihrer sofortigen Ermordung ein falsches Alter angegeben. So unterschiedlich die Nationalitäten, so verschieden waren die soziale Herkunft und die Biographien: Ein Spanienkämpfer, ein Mitglied des britischen Expeditionskorps, Mitglieder der Résistance, des holländischen Widerstands ... . Einige hatten schon fünf Jahre Ghetto, Arbeits- und Konzentrationslager hinter sich, bevor sie nach Hailfingen kamen.

Am 19.11.1944 kam die Gruppe in Güterwaggons auf dem Bahnhof von Nebringen an und ging von dort zu Fuß zum Flugplatz.

Die Namen der Häftlinge

Die Namen der Häftlinge
Zentrale Erfassung im Nummernbuch Nr. 6 des KZ Natzweiler (Auszug)
© KZ-Gedenkstätte Hailfingen-Tailfingen

Die Häftlinge wurden täglich nach dem Zählappell in Arbeitskommandos eingeteilt. Vorarbeiter der OT und der ausführenden Baufirmen beaufsichtigten die Kommandos. Die Wachen des KZ Hailfingen setzten sich überwiegend aus frontuntauglich gewordenen Angehörigen der Luftwaffe zusammen, die die Häftlinge sehr unterschiedlich behandelten.
Gearbeitet wurde in Steinbrüchen, die zum Teil für den Bau des Flugplatzes eingerichtet worden waren. Mit den gebrochenen Steinen und dem Schotter wurde die Startbahn aus- und an den beiden Rollwegen weitergebaut. Für den Rollweg in westlicher Richtung musste ein Waldstück gerodet werden. Für den Bau der Hangars wurden Bäume gefällt. Außerdem mussten die Häftlinge Blindgänger beseitigen.

Ehemaliger Steinbruch in Reusten,

Ehemaliger Steinbruch in Reusten,
in dem eine Häftlingskolonne arbeitete
© Harald Roth

Die Häftlinge schliefen im Hangar anfangs auf dem mit Stroh ausgestreuten Boden. Weitere 60 bis 70 Schlafstellen befanden sich auf einer Zwischendecke. Sanitäre Einrichtungen gab es praktisch keine. Als Toilette diente eine Latrinen-Grube nördlich des Hangars, der voller Ungeziefer war. Die Ernährung war völlig unzureichend und es gab keinerlei ärztliche Versorgung. Kranke und nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge wurden misshandelt, einige zu Tode geprügelt. Mehrere Gefangene wurden erschossen. Der zuständige Stabsarzt Dr. Rothe nannte in den Totenmeldungen meist fiktive Todesursachen wie Lungenentzündung oder Kreislaufschwäche; dreimal allerdings stellte er Schussverletzungen fest. Die meisten Opfer starben aber an den Folgen der schweren Arbeit, der Unterernährung, der Kälte und an Krankheiten. Das erste Todesopfer war Max Steinhardt, der am 21.11.1944 starb.
Manchmal erhielten die Häftlinge von den Bewohnern der Orte, durch die sie auf dem Weg zur Arbeit kamen (Öschelbronn, Bondorf, Reusten), etwas Essbares.

Im Krematorium im Friedhof "Unter den Linden" in Reutlingen wurden zwischen dem 21.11.1944 und dem 5.1.1945, als es seinen Betrieb einstellte, 99 Tote des Hailfinger Lagers verbrannt. Im Nummernbuch sind darüber hinaus zwischen dem 4.12.1944 und dem 9.12.1944 die Sterbedaten für 15 weitere Häftlinge registriert. Sie wurden im Krematorium auf dem Esslinger "Ebershaldenfriedhof" eingeäschert. In dem Massengrab, das am 2.6.1945 entdeckt wurde, fand man die Überreste von 73 Toten. Bei drei von ihnen war die Auschwitznummer noch lesbar.

Krematorium �Unter den Linden� in Reutlingen

Krematorium "Unter den Linden" in Reutlingen
© Johannes Kuhn

Mitte Februar 1945 wurden, als die Alliierten näher rückten, die Bauarbeiten abgebrochen und der Platz geräumt.
Ein Transport ging zum KZ Vaihingen/Enz. Mindestens 48 der 111 Häftlingen, die am 13.2.1945 dorthin transportiert wurden, starben in den Wochen bis zum 6.4.1945. Die SS schaffte die Häftlinge, die sie für transportfähig hielt, wenige Tage vor der Befreiung vom Vaihingen/Enz nach Dachau-Allach. Von dort wurden viele Häftlinge noch auf Todesmärsche geschickt.
Ein letzter Transport verließ Hailfingen am 14.2.1945. Die bis dahin in Hailfingen gebliebenen 296 Häftlinge wurden nach Dautmergen deportiert; von ihnen starben dort nachweislich neun. Wenn diese von Eric Breuer genannten Zahlen stimmen, was anzunehmen ist, weil er Lagerschreiber war und seinen Bericht bereits 1945 verfertigt hat, kamen ungefähr 190 Häftlinge in Hailfingen ums Leben. Bis zur Befreiung starben in den nachfolgenden Lagern nachweislich 84 Gefangene. Von 267 Häftlingen ist inzwischen das Todesdatum und der Todesort bekannt. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die tatsächliche Zahl der Opfer weit höher liegt. Das Schicksal von über 200 Häftlingen ist bis heute ungeklärt. Von 120 jüdischen Häftlingen wissen wir, dass sie überlebt haben. Man muss davon ausgehen, dass weniger als die Hälfte, möglicherweise sogar nur ein Viertel der 600 KZ-Häftlinge die Befreiung durch die Alliierten erlebt haben.
So forderten die Todesmärsche von Dautmergen bzw. Dachau-Allach aus in den letzten Kriegstagen noch zahlreiche Todesopfer, die am Straßenrand zurückgelassen und nirgends registriert wurden.
Von Dautmergen aus wurde im März 1945 eine unbekannte Zahl von Häftlingen in das Sterbelager Bergen-Belsen verlegt.
Dort blieben sie weitgehend sich selbst überlassen. Die Todesrate in Bergen-Belsen war so hoch, dass die Kapazitäten nicht ausreichten, um die Toten zu beseitigen. Befreit wurden die Überlebenden an verschiedenen Orten, so z.B. in Ostrach bei Saulgau, in Landsberg, in Sigmaringen, in Altshausen und in Staltach.


Text: Volker Mall und Harald Roth

Teil 1 - Der Nachtjägerflugplatz Hailfingen-Tailfingen

Teil 3 - Selektive Erinnerung

Druckversion aller 3 Teile

- Arbeitskreis für Landeskunde/Landesgeschichte RP Stuttgart / KZ-Gedenkstätte Hailfingen-Tailfingen -