Aufsatz zu Lernzirkeln

Lernzirkel im Mathematikunterricht

Von Wolfgang Stindl, Lehrbeauftragter für Mathematik am Staatlichen Seminar für schulpraktische Ausbildung (Realschulen) Schwäbisch Gmünd.

Wieder so etwas neumodisches vom Seminar, das nur den Unterrichtsalltag stört? Um es vorweg zu sagen: Der Lernzirkel ist lediglich eine von vielen Vorgehensweisen, um mit den Schülern die Ziele des Bildungsplans zu erreichen und kann das breite Spektrum des Unterrichtens bereichern. Weshalb es sinnvoll sein kann, einen Lernzirkel einzusetzen, ergibt sich aus der folgenden Gegenüberstellung von traditionellem Unterricht und dem indirekten Unterrichten mit Hilfe eines Lernzirkels, entnommen aus “Freiarbeit und Lernzirkel im Mathematikunterricht der Sekundarstufe” von Jörg Potthoff / Willy Potthoff.

Traditioneller Unterricht

Die Inhalte werden in mehrere Lernschritte gegliedert. Die Gliederungsmöglichkeit richtet sich nach dem Stoff und der vermuteten durchschnittlichen Aufnahmefähigkeit der Schüler. Dazwischen werden Pausen im Voranschreiten eingelegt (Tafelanschrieb, Lehrerfragen, ...), um den langsameren Schülern Gelegenheit zum Aufschließen zu geben.
Die Schüler
- vollziehen den Gedankengang aus Interesse oder wegen der Noten mit.
- beteiligen sich oft nicht, da andere Interessen gerade wichtiger sind oder sind aufgrund von vorangegangenen Frustrationserlebnissen unwillig.
Der Lehrer
- motiviert durch ein lebenspraktisches Beispiel, eine interessante Problemstellung, eine kleine Provokation, ... und erreicht doch nur einen Teil der Klasse.
Das Unterrichtsgespräch ist so angelegt, als ob sich alle gedanklich auf derselben Stufe befinden würden. Schwache Schüler bleiben auf irgend einer Stufe zurück (Tempo zu schnell, Defizite aus früheren Stunden), tragen das Endergebnis ins Heft, notieren sich die fertige Formel und können damit die Hausaufgaben und die Klassenarbeit mit Anstand überstehen. Schüler, Lehrer und Eltern sind zufrieden, wirklich verstanden hat der Schüler nichts.

Lernzirkel:

Der Lernzirkel geht, wie der traditionelle Unterricht, von den Vorgaben des Bildungsplans aus. Es geht um das Lernen an Stationen, welches den Schülern bei einer thematischen Festlegung Wahlfreiräume in Bezug auf die Aufgaben, ihrer Reihenfolge, der Sozialform und des Lerntempos bzw. der Verweildauer an einer Station eröffnet.

Didaktischer Ort:
Einführung: Vorerfahrungen der Schüler können an verschiedenen Stationen eingebracht werden; Fragen werden aufgeworfen, die im lehrergeführten Unterricht geklärt werden, wobei dann das Interesse der Schüler groß sein dürfte.
Erarbeitung (Auseinandersetzung mit dem Neuen): Der Lernzirkel wird logisch - systematisch aufgebaut, die Reihenfolge des Durcharbeitens der Stationen ist also festgelegt.
Übungsphase: (Übungszirkel) vgl. Lernzirkel “Dezimalzahlen”

An einer Lernstation ist der Schüler oder die Schülergruppe ist auf sich gestellt, das Arbeitsmaterial muss also - klar strukturiert und übersichtlich sein
- Aufforderungscharakter haben (Ästhetik)
- Möglichkeiten zur Selbstkontrolle bieten
- knappe und verständliche Arbeitsanweisungen haben
- verschieden Sozialformen ermöglichen
- differenziertes Arbeiten ermöglichen
- eine handelnde Auseinandersetzung erlauben
- verschiedene Sinne ansprechen (Lernkanäle)
- an jeder Station Erfolgserlebnisse ermöglichen (Prinzip der Passung)

Beispiel des Aufbaus eines Lernzirkels zur Berücksichtigung der unterschiedlichen Leistungsvermögen der Schüler:

Einstieg möglich bei
Station 1: Bekanntes wird wiederholt
oder
Station 2: Einfache Fragestellungen des Neuen
oder
Station 3
Station 3, 4
und 5 sind Pflicht
Ausstieg möglich ab
Station 5
Station 6
und 7: Schwierigere Aufgaben

Parallelstationen:

Werden eingerichtet, um dasselbe Lernziel auf unterschiedliche Art (Lernkanäle) zu erreichen.

Bsp.: a) Stellen einer Aufgabe über ein Partnerspiel oder eine Tonbandkassette (vgl. Station 10 a und 10 b des Lernzirkels “Dezimalzahlen”).
b) Eine Aufgabe wird in Partnerarbeit oder mit Hilfe einer Lernkarte bearbeitet.

Doppelzirkel:

In einem inneren Kreis werden die Stationen aufgebaut, in denen der Pflichtlehrstoff gelernt und geübt wird. Ein äußerer Kreis bietet Stationen mit interessanten Anwendungsmöglichkeiten und Erweiterungen.

Durchführung:

Um Chaos zu vermeiden, sollten die Schüler wissen, was sie erwartet. Die Struktur sollte also erläutert werden, die Arbeitsverfahren angesprochen und ein Laufzettel ausgehändigt werden.

Kriterien für die Erstellung von Lernzirkeln

- Lern- und Übungsaufgaben werden in einzelne Lernschritte aufgegliedert.
- Für jeden Lernschritt gibt es eine eigene Station.
- Bei logisch - systematischem Aufbau der Lernstationen müssen die Schüler eine bestimmte Reihenfolge einhalten.
- Beinhalten die Lernstationen verschiedene Aspekte der Lernsache, ist die Reihenfolge von den Schülern beliebig wählbar.
- übersichtliche Struktur
- Unterscheidung zwischen einem verbindlichen Mindeststoff und einem Additum.
- Der gewählte Schwierigkeitsgrad muss jedem Schüler Erfolgserlebnisse ermöglichen.
- Der Schüler erkennt die Aufgabenstellung selbst.
- Der Schüler überprüft die Ergebnisse selbst.
- Das Lernen ist mit vielen Sinnen möglich (Parallelstationen).
- Einzel- Partner- und Kleingruppenarbeit ist möglich.
- Die Schüler dokumentieren, welche Stationen sie bearbeitet haben (Laufzettel).

Rollen der Lehrperson bei der Lernzirkelarbeit

- Didaktiker wählt Lerninhalte aus, gliedert und verteilt sie auf die Stationen.
- Organisator baut auf, sorgt für Kontrollmöglichkeiten.
- Helfer gibt Anstöße, wenn der Lernprozess ins Stocken gerät.
- Berater für Fragen einzelner Schüler, macht Vorschläge.
- Beobachter lernt Eigenart, Begabung, Neigung und Arbeitstempo des Schülers und die Effektivität des Materials kennen.
- Lehrer für neue Arbeitstechniken und dem Umgang mit dem Selbstbildungsmaterial.
- Verantwortlicher vertraut der eigenständigen Arbeit und Selbstkontrolle der Schüler, hat aber Überblick über den Lernstand der einzelnen Schüler und hilft erforderlichenfalls.

Weitere Anregungen

1. Service - Station
Station, an der die Schüler sich mit Wissen versorgen können (Buch, Hilfskarten, ...), welches sie zum selbständigen Bearbeiten einer Station brauchen, aber nicht präsent haben.

2. Außenstation
Zur Verbindung von Schule und Leben.
Bsp.: Messen von Körpern oder Figuren auf dem Schulhof zur Volumen- und Flächenberechnung.

3. Kontrollstation
Wenn die Selbstkontrolle am Material oder durch den Partner oder die Gruppe nicht möglich ist, sind Kontrollvorlagen nötig.
Um zu vermeiden, dass Schüler vom Kontrollblatt abschreiben, kann man die Ergebnisse an einer eigenen Station bereithalten. Die erforderlichen Bewegungsphasen sind auch für die Konzentration günstig.

4. Tastbox
Das Ertasten von Körpern regt zu einer intensiveren Befassung mit dem Körper an.

5. Teamwork
Die Zusammenarbeit mehrerer Kolleginnen und Kollegen ist dringend anzuraten, wenn noch nicht genügend Basismaterial vorhanden ist, da der Zeitaufwand zur Erstellung eines Lernzirkels enorm ist.

Reine “Papier - Lernzirkel” sprechen nicht alle Schüler an, praktische Betätigungen, die Aufnahme über verschiedene Lernkanäle und unterschiedliche Lernwege sind einzuplanen.

Der Lernzirkel im Bildungsplan

Den Begriff “Lernzirkel” (oder vielleicht doch besser “Lernstraße”?) konnte ich im Bildungsplan nicht entdecken, doch weisen folgende Zitate in diese Richtung.
“...schafft die Realschule die Grundlage für Berufe mit erhöhten theoretischen Anforderungen, in denen Aufgaben mit gehobenen Ansprüchen an Leistungsbereitschaft, Selbständigkeit, Verantwortung und Menschenführung gestellt werden.”
“Den Aufgaben und Zielen der Realschule entspricht methodische Vielfalt im Unterricht. .... Schülerinnen und Schüler erlernen eine Vielzahl von Arbeitsweisen, die ein hohes Maß an Leistungsbereitschaft, Selbständigkeit, Kooperationsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein fördern. Dazu eignen sich insbesondere Formen der freien Arbeit, der Gruppenarbeit und der Projektmethode.” (Bildungsplan S. 11)
“Übungen sollten handlungsorientiertes Arbeiten und mehrkanaliges Lernen begünstigen; dazu eignen sich Spiele in besonderem Maße.” (Bildungsplan S. 24)

Ein praktisches Beispiel

Der Lernzirkel, der im folgenden vorgestellt wird, erhebt nicht den Anspruch, alle obengenannten Bedingungen eines Lernzirkels zu erfüllen. Er ist ein Übungszirkel, einzusetzen zur abschließenden Festigung des Umgangs mit Dezimalzahlen in Klasse 6. Entworfen wurde der Lernzirkel “Dezimalzahlen” von meiner Fachdidaktikgruppe Mathematik am Seminar in Schwäbisch Gmünd (Mathias Bächle, Regina Fritz, Melanie Hägele, Roswitha Hartmann, Elke Hauser, Jürgen Schweikert, Gudrun Segelbacher, Beate Silcher, Wolfgang Staib, Jochen Tobler, Jürgen Vatter). Da sich Schwächen und Verbesserungsmöglichkeiten erst nach mehrmaliger Erprobung zeigen, wären wir für weitere Anregungen dankbar. Dies ist kein Lernzirkel, der kopiert und dann an die Schüler weitergereicht werden kann. Dies kann er auch nicht sein, wenn man den oben genannten Kriterien gerecht werden will. Die Anweisungen zu den einzelnen Stationen wurden auf farbigem Karton gedruckt und foliert. Die Materialien, welche die Schüler bearbeiten, sind der Haltbarkeit wegen oft auch foliert und mit einem Farbdrucker (putzt ungemein) ausgedruckt worden. Unser Angebot: Wenn Sie den Lernzirkel einsetzen wollen, senden wir Ihnen das Material gerne zu, auch auf Disketten (WinWord 6.0) ist er erhältlich. Einen “innigeren” Bezug zum Material erhält man jedoch, wenn man es selbst herstellt, oder die Schüler ihren eigenen Lernzirkel gestalten lässt.