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Brexit: Das Ringen um einen Deal

Von einer Krise zur nächsten

Am 14. November 2018 präsentierte Theresa May ihrem Kabinett den Text eines in den Tagen zuvor ausgehandelten Brexit-Abkommens. Ein kurzer Abriss der

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Regelungen findet sich hier (BBC News). Zwar stimmte das Kabinett mehrheitlich dem Entwurf zu, jedoch traten aus Protest gegen das Abkommen gleich mehrere Minister und Staatssekretäre zurück, u.a. auch der bisherige Brexit-Minister Dominic Raab. Eine Fragestunde im Unterhaus am folgenden Tag konfrontierte Theresa May mit massiven Protesten und Bedenken der Abgeordneten. Die Zustimmung des Parlaments zum Brexit-Abkommen erscheint so mehr als fraglich. Aus diesem Grund zog Theresa May die ursprünglich für den 11.12.2018 vorgesehene Abstimmung im Unterhaus zurück und verlegte den Termin auf den 15.01.2019. Den kurz darauf folgenden Versuch einiger Brexit-Hardliner aus der Tory-Fraktion, sie mit einem Misstrauensvotum als Parteivorsitzende zu stürzen, überstand May mit 200 zu 117 Stimmen.

Der Deal fällt durch

Die Abstimmung im Unterhaus am 15. Januar 2019 geriet für Theresa May zur Katastrophe. Mit 432 zu 202 Stimmen lehnte das Unterhaus Mays Brexit-Deal ab -- die höchste Niederlage, die ein Premierminister je im Unterhaus einstecken musste! Ein von Labour-Chef Corbyn angestrengtes Misstrauensvotum gegen die Regierung wurde am Tag darauf mit 306 zu 325 Stimmen denkbar knapp abgeschmettert. Corbyns Plan, Neuwahlen zu erreichen, ist damit gescheitert.

May hat nun noch Zeit, bis Montag, den 21. Januar 2019, einen "Plan B" zur Abstimmung vorzulegen. Wie immer dieser auch ausfallen mag -- die Optionen eines "No Deal Brexit" oder aber eines zweiten Referendums werden immer wahrscheinlicher.

In der Unterhausabstimmung am 29. Januar wurden zwei Anträge (sog. amendments) erfolgreich verabschiedet -- der erste bildet eine Empfehlung (!) an die Regierung, einen "No Deal Brexit" möglichst zu vermeiden. Der zweite, eingebracht vom konservativen Abgeordneten Sir Graham Brady, verlangt eine Alternative zum sog. "Backstop", also der in Mays Entwurf ausgehandelten Grenzregelung zwischen dem UK und der Republik Irland. Dieser Antrag, mit 16 Stimmen Mehrheit verabschiedet, bedeutet einen Handlungsauftrag an die Premierministerin, in Brüssel neu zu verhandeln. Von Seiten der EU kam sofort eine klare Absage: Der Vertrag stehe und werde nicht neu verhandelt. Am Vorabend der Neuabstimmung am 12. März verkündete Theresa May überraschend "neue Zugeständnisse" der EU, auch wenn diese bei näherem Hinsehen vielmehr rechtliche Klarstellungen ausmachen. Das Rechtsgutachten  dazu von Attorney General Geoffrey Cox fiel eher nüchtern aus. Möglicherweise trug seine Stellungnahme auch dazu bei, dass Mays Vorschlag mit einer Mehrheit von 149 Stimmen abgeschmettert wurde.

The plot thickens

Am darauffolgenden Tag lehnte das Parlament mit vier Stimmen Mehrheit einen "no-deal Brexit" jeglicher Art ab -- sehr zu Mays Missfallen, die versucht hatte, ihr eigenes Lager zur Annahme zu bewegen, um die Fraktion der Brexiteers milde zu stimmen. Allerdings ändert auch dieses Votum nichts an der Tatsache, dass ohne eine Verlängerung des Austrittsdatums durch die EU am 29.3. ein "hard Brexit" erfolgen würde. Aus diesem Grund wurde am 14.3. über ein Ersuchen an die EU zur Verlängerung der Austrittsfrist abgestimmt, das mit 413 zu 202 glatt durchging.

Theresa Mays Plan, ihren Brexit-Deal zum dritten Mal dem Parlament zur Abstimmung vorzulegen, wurde am 18.3. vom Speaker John Bercow jäh zunichte gemacht, als er die dritte Abstimmung einer in der Sache unveränderten Vorlage nicht zuließ. Dass diese Entscheidung im Regierungslager für viel Bluthochdruck und böse Worte sorgte, versteht sich von selbst.

Die EU hat nun vorläufig einer Verlängerung des Brexit bis zum 12. April zugestimmt. Stimmt das Parlament bis dorthin Theresa Mays Deal zu, könnte das UK zum 22. Mai die EU verlassen. Fällt Mays Deal jedoch erneut durch, bleibt grundsätzlich die Möglichkeit eines harten Brexit. Für die kommende Woche sind jedoch eine Reihe von indicative votes im Parlament geplant, um Handlungsoptionen auszuloten.

Einen ganz neuen Schwung erhält die Debatte aus der Öffentlichkeit: eine Online-Petition, die die Rücknahme von Artikel 50 fordert, hat bis zum 25.03. über 5 Millionen (!) Unterzeichner gefunden. Am 24.03. demonstrierten in London über eine Million Menschen gegen den Brexit. Es wird für May schwer werden, diese Bewegung zu ignorieren.

May selbst sieht sich mit hartnäckigen Gerüchten um eine Verschwörung innerhalb ihrer eigenen Partei konfrontiert, die angeblich ihren Sturz betreiben -- auch wenn sofort Dementis folgten.

'Who can look on ’t, sir, and fairly tell a man ’tis not a muddle?' (Ch. Dickens, Hard Times)

Am 27. März stimmte das Unterhaus über insgesamt acht Vorschläge zum Brexit ab, deren Bandbreite vom ungeregelten hard Brexit bis zu einem zweiten Referendum ging. Sämtliche acht motions wurden abgelehnt. Am meisten Unterstützung (mit 268 Stimmen dafür) fand jedoch der Vorschlag eines zweiten Referendums. Eine Zollunion mit der EU wurde nur knapp mit 264 zu 272 abgelehnt. Theresa May versuchte zusätzlich, ihren Deal verknüpft mit der Ankündigung ihres Rücktritts erneut durchzubringen. Zwar gelang es ihr, damit einige Brexiteers, u.a. Boris Johnson, für ihren Deal zu gewinnen -- die DUP, auf deren Stimmen May angewiesen ist, verweigerte trotzdem die Zustimmung. Wie geht es nun weiter? May stellte ihr Withdrawal Agreement (d.h. die rechtlichen Regelungen des Austritts, nicht aber die politische Erklärung zum künftigen Verhältnis der beiden Partner) am 29.3. erneut zur Abstimmung. Es kam so, wie es zu erahnen war: Auch die dritte Abstimmung verlor May, diesmal mit 344 Gegenstimmen zu 286 Stimmen dafür. Theresa May hat indes signalisiert, dass sie ihren Deal auch noch ein viertes Mal zur Abstimmung stellen würde.

Im Westen nichts Neues

Am 1. April stimmte das Unterhaus erneut vier mögliche Alternativlösungen für den Brexit ab, darunter auch die eines neues Referendums. Alle vier motions

wurden abgeschmettert, wenn auch teilweise sehr knapp. So wurde Kenneth Clarkes Vorschlag einer Zollunion mit lediglich drei Stimmen Mehrheit abgelehnt. Einem neuen Referendum fehlten nur 12 Stimmen.

Verhandlungen zwischen May und Labour-Chef Corbyn zeigten bisher keine Ergebnisse.

Am 3. April votierte das Unterhaus mit nur einer Stimme Mehrheit (313 zu 312) für eine Vorlage der Labour-Politikerin Yvette Cooper und des Konservativen Sir Oliver Letwin, die der Regierung den Auftrag gibt, einen No Deal Brexit zu verhindern und eine Verlängerung des Austrittsdatum nach Artikel 50 zu erreichen. In Verhandlungen mit der EU stimmte Theresa May schließlich einer Verlängerung des Austrittsprozesses bis zum 31. Oktober zu. Dies bedeutet freilich, dass Großbritannien auch an den Europawahlen teilnehmen muss -- sehr zum Ärger der Brexit-Hardliner.

Die zwischenzeitlich erfolgten Kommunalwahlen in England brachten den etablierten Parteien sowie der UKIP herbe Verluste. Die Tories verloren 1330 Ratsmandate, UKIP 145 und Labour 84. Die großen Gewinner waren dagegen die europafreundlichen Liberal Democrats (plus 704) und die Green Party mit 194 Ratssitzen mehr (Quelle: BBC). Von vielen Kommentatoren wird dies als klares Votum über die bisherige Brexit-Politik der Regierung und von Labour gewertet.

Noch nicht angetreten waren zwei neue Parteien, die dann aber bei den Europawahlen dabeisein werden: die EU-freundliche Change UK (gebildet aus ausgetretenen Labour- bzw. Tory-Mitgliedern) sowie Nigel Farages Neugründung Brexit Party. Man darf erwarten, dass beide Neugründungen Wählerstimmen bei den etablierten Parteien abziehen werden. Ersten Umfragen zufolge würden die Tories bei der Europawahl abstürzen, während Farages Brexit-Partei mit über 30% am besten abschneiden würde. Zweitstärkste Kraft würden die Liberal Democrats werden, gefolgt von Labour und den Grünen.

"If there be nothing new, but that which is / Hath been before, how are our brains beguil'd..." (Shakespeare, Sonnet 59)

Währenddessen wurden die Gespräche zwischen Theresa May und Labour-Chef Corbyn wieder aufgenommen werden, um doch noch zu einer Kompromisslösung zu gelangen -- und zwischenzeitlich von Seiten der Labour Party aufgrund unüberbrückbarer Differenzen abgebrochen. Nun plant May, ihren Deal Anfang Juni mit einigen neuen Inhalten erneut im Unterhaus zur Abstimmung zu stellen. Woraus diese neuen Inhalte bestehen, ist zur Zeit unklar. Möglich wären z.B. erweiterte Arbeitnehmerschutzrechte, um Labour zur Zustimmung zu bewegen. Ob das aber reichen wird, um die Commons zur Zustimmung zu bewegen, erscheint nach wie vor fraglich. Am 21. Mai ließ die Premierministerin überraschend ankündigen, dass sie Anfang Juni das Parlament vor dem Votum über ihren Deal auch über ein zweites Brexit-Referendum abstimmen lassen will. Allerdings relativierte sie ihr Angebot sofort: Selbst wenn das Parlament für ein zweites Referendum stimme, würde dies nicht automatisch bedeuten, dass ein solches dann tatsächlich auch durchgeführt werde. Es bleibt abzuwarten, wie dies ankommt. Mehrere Labour-MPs haben bereits vehemente Kritik abgegeben (“It’s like the PM really does think we are all daft”, sagte die Labour-Abgeordnete Stella Creasy auf Twitter). Getrieben von den Brexit-Hardlinern in ihrer Partei kündigte Theresa May schließlich ihren Rücktritt für den 7. Juni an. Unter den hoffnungsvollen Kandidaten für ihren Job befinden sich Brexit-Hardliner wie Boris Johnson oder Michael Gove, aber auch Gemäßigte wie Außenminister Jeremy Hunt.

Like a ton of bricks....

Die Europawahl (Großbritannien stimmte am 23.5. ab) wurde zu einer schallenden Ohrfeige für die beiden großen Parteien -- quasi die Quittung der Wählerschaft für ihre Brexit-Politik bisher. Nigel Farages Brexit Party schaffte aus dem Stand 31,6% und wurde damit eindeutiger Wahlsieger. Zweiter wurden die Liberal Democrats mit 20,3%, Labour Dritter mit 14,1%, die Green Party Vierter mit 12,09%. Erst dann folgen die Tories mit 9,09%. Change UK und UKIP landeten abgeschlagen bei 3,4% bzw. 3,3% (alle Angaben BBC).

Was die Nachfolge der am 7. Juni zurückgetretenen May betraf, wurde in einem parteiinternen Verfahren ein(e) neue(r) Vorsitzende(r) ermittelt. Nachdem die konservativen MPs einige Kandidaten in mehreren Wahlgängen aus dem Rennen warfen (u.a. Boris Johnsons schärfsten Rivalen Michael Gove oder den momentanen Innenminister Sajid Javid), blieben vor der Abstimmung der Parteimitglieder nur noch Boris Johnson und Außenminister Jeremy Hunt übrig. Im Verlauf dieser Wahlgänge wurden gegen Johnsons Wahlkampfteam Vorwürfe laut, durch taktisches Wahlverhalten seiner Anhänger die Abstimmungen so manipuliert zu haben, dass unliebsame Kandidaten (z.B. Gove) schnell aus dem Rennen fallen (nachzulesen z.B. hier bei BBC, dem Independent und inews).

Johnson, der bei den konservativen MPs im Rennen klar in Führung lag und mit vollmundigen Brexit-Versprechungen um Zustimmung warb, musste schnell wieder einige Rückzieher vornehmen (Independent, BBC, 25.6.19). Einen weiteren Dämpfer erfuhr Johnson, als bekannt wurde, dass die Polizei zu einem häuslichen Streit zwischen ihm und seiner Partnerin gerufen worden war.

 

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