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"Nicht an die Affaire erinnert" werden: Das Entschädigungsverfahren von Adolf Spanier

Seine Meisterprüfung bestand der damals 30-jährige Adolf Spanier 1910 mit Bravour: In der Arbeitsprobe erzielte er ein "gut bis sehr gut", in der theoretischen Fachprüfung schnitt er gar mit "sehr gut" ab. 1913 eröffnete der Metzgermeister eine eigene Metzgerei. Dabei lief die Metzgerei offenbar nicht schlecht, denn bis Anfang der 1930er Jahre lag Adolf Spaniers Jahresverdienst bei 7.000 bis 8.000 RM. Direkt hinter der Metzgerei lag die mit dem Laden verbundene Wohnung der Spaniers. Hier lebte der Metzger zusammen mit seiner Frau Rosa und den Anfang der 1920er Jahre geborenen Kindern Flora und Helmut.
Wie so viele andere jüdische Ladenbesitzer bekam auch Adolf Spanier die Auswirkungen der nationalsozialistischen Machtergreifung noch im Jahr 1933 zu spüren. So wurde er bei der Verteilung des Fleischs auf dem Großmarkt benachteiligt und musste, wie er sich später erinnerte, "um meiner Kundschaft etwas bieten zu koennen, [...] sehr haeufig Fleisch von christlichen Metzgern kaufen und dafuer den Ladenpreis zahlen". Freilich konnte er "fast nichts mehr daran verdienen", und so ging sein Gewinn ab 1933 auf 3.000 RM pro Jahr zurück. Dennoch hielt sich Spanier als einer von zwei letzten jüdischen Metzgern in Mannheim bis Mitte 1938. Nachdem jedoch der Marktbeauftragte Marx im Schlachthof Spanier angedroht hatte, er werde dafür sorgen, dass auch dessen Metzgerei aufgeben müsse, wurde, auf Initiative der DAF, sein Laden Anfang Juni 1938 untersucht. Dabei fand die Gewerbepolizei, wie das Hakenkreuzbanner seinen Lesern in den schillerndsten Farben ausmalte, angeblich einen wahren "Saustall" vor, überall nämlich "stinkende[s] und verweste [s] Fleisch" und von Mäusen angenagte Würste, angesichts derer selbst die Gewerbepolizisten mit "Ekel" zu kämpfen hatten. Keine Frage: Selbst wenn Adolf Spanier danach seinen Laden noch einmal hätte öffnen können, hätte wohl kaum noch jemand bei ihm eingekauft. Doch sollte es dazu ohnehin nicht kommen, denn das Geschäft wurde geschlossen und der Metzger wurde wegen eines Verstoßes gegen das Lebensmittelgesetz zu einer zehnwöchigen Gefängnisstrafe verurteilt. Vom 13.7. bis zum 21.9.1938 war Spanier also im Zuchthaus in Bruchsal inhaftiert - und wurde, nur wenige Wochen nach seiner Freilassung, am 10.11.1938 nach der Reichspogromnacht für einige Wochen ins KZ Dachau verschleppt.

Schaufenster der Metzgerei Adolf Spanier, 1932
Schaufenster der Metzgerei Adolf Spanier, 1932
Quelle: Stadtarchiv Mannheim MA-ISG 2723x3982 Pixel

Derweil bemühte sich Rosa Spanier, noch während ihr Mann seine Haft wegen des Verstoßes gegen das Lebensmittelgesetz verbüßte, die Metzgereieinrichtung zu Geld zu machen. Denn mit der Schließung des Ladens war die Einnahmequelle der Familie versiegt, und größere Rücklagen, um nun den Lebensunterhalt bestreiten zu können, werden Spaniers kaum gehabt haben. Zudem war Adolf Spanier neben der Haftstrafe zur Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 100 RM verurteilt worden, dazu kamen die Kosten für die Strafvollstreckung in Höhe von 300 RM. Die Familie versuchte nun verzweifelt, Deutschland verlassen zu können - und brauchte Geld für Schiffspassagen sowie für all die Abgaben und Steuern, die das Deutsche Reich von emigrierenden Juden verlangte. Freilich bekam Rosa Spanier für die komplette Ladeneinrichtung ihres Mannes, die Arbeitstische, Maschinen, die Rauchkammer und die Messer, nur 100 RM. Auch von einem Teil der Wohnungseinrichtung trennte sich die Familie, darunter von einem Büffet, einem Eichenschrank und einem Klavier, und erhielt dafür etwa 1.000 RM.
Die Vorbereitung für die Auswanderung lag derweil ganz in den Händen des inzwischen 18-jährigen Sohns Helmut. Er reiste mehrfach nach Stuttgart, um dort beim amerikanischen Konsulat Visa zu beantragen. Tatsächlich erhielt die Familie Spanier 1939 endlich die Papiere für die USA. Was von ihrem Hausstand noch übrig war, wurde nun also verpackt. Fünf Kisten und zwei Koffer, summa summarum 907 Kilo, wurden der Spedition Carl Lassen und später der Transatlantica übergeben, einer Rotterdamer Speditionsfirma, die das Umzugsgut in die USA verschiffen sollte. Helmut Spanier emigrierte im September 1939 über Rotterdam nach New York und erreichte dort, dass eine jüdische Organisation die Kosten für die Auswanderung seiner Familie vorstreckte. Im Winter 1939 folgten Adolf, Rosa und Flora Spanier.
Dort angekommen, suchte Adolf Spanier lange vergeblich nach Arbeit. Erst 1941 konnte der inzwischen 60-Jährige einen Job finden, verdiente dabei aber anfangs kaum mehr als 600 $ pro Jahr. Die Familie war ganz auf Helmut angewiesen, der fortan den Lebensunterhalt für sich, seine Schwester und die Eltern bestritt. Denn Flora Spanier war, so betonte nach dem Krieg der Anwalt der Familie, "wegen der Misshandlungen durch die Nazis an einem schweren Nervenleiden erkrankt" und konnte nur sporadisch arbeiten. Ein Vertrauensarzt des bundesdeutschen Generalkonsulats sollte sie später zu 60 Prozent arbeitsunfähig erklären. Dazu kam, dass das Umzugsgut der Spaniers nie in den USA eintraf. Offenbar beschlagnahmte die Gestapo nach dem deutschen Einmarsch in den Niederlanden die Habseligkeiten der Familie, die nun in Amerika alles neu anschaffen musste.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Erlass der Entschädigungsgesetze stellte Adolf Spanier im September 1950 einen Antrag auf Wiedergutmachung - und hörte ganze vier Jahre lang nichts von den Behörden in Deutschland. Im Sommer 1954 schaltete er einen Anwalt ein, den in New York lebenden Jacob Sondheimer. Dieser erkundigte sich beim Landesamt für Wiedergutmachung nach dem Stand der Dinge und verwies auf das hohe Alter seines Mandanten - Spanier war inzwischen 74 Jahre alt - sowie auf die miserable finanzielle Lage der Familie. Tatsächlich erhielt Adolf Spanier Mitte der 1950er Jahre eine kaum mehr als symbolische Rente von der Social Security Butcher Union in Höhe von 56,50 $ pro Monat sowie Krankengeld in Höhe von 28,00 $. Erschwerend kam hinzu, dass Rosa Spanier an grauem Star litt und ihr rechtes Auge "dringend" operiert werden musste, wie ihr ein New Yorker Arzt bescheinigte. Doch der Eingriff kostete Geld, und genau das war im Hause Spanier ohnehin mehr als knapp. Kein Wunder also, dass angesichts dieser dramatischen Umstände das bundesdeutsche Generalkonsulat in New York ohne Zögern den Spaniers bestätigte, dass sie sich in einer wirtschaftlichen Notlage befanden und dass daher die "bevorzugte Behandlung der Wiedergutmachungsangelegenheit sowie die Gewährung von Vorschussleistungen" zu befürworten sei.
Tatsächlich wurde Spaniers Antrag nun in Karlsruhe bearbeitet - ein erster Anspruch jedoch abgelehnt. Am 11.10.1954 versagte das Landesamt für Wiedergutmachung Spanier eine Haftentschädigung. Die KZ-Haft in Dachau lag mit 21 Tagen unter der Mindestgrenze von einem Monat, und die Haft in Bruchsal galt nicht als entschädigungsfähig. Schließlich war Spanier, so das Landesamt für Wiedergutmachung in seiner Begründung, wegen eines Verstoßes gegen das Lebensmittelgesetz verhaftet worden und nicht aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen. Freilich hätte man diesen Bescheid anfechten können, und mit großer Wahrscheinlichkeit wäre Spanier schon in der ersten Instanz von der Entschädigungskammer, wie in vergleichbaren Fällen, eine Entschädigung für die durchaus politisch bzw. rassisch motivierte Verurteilung zugesprochen worden. Doch Adolf Spanier hatte dazu keine Kraft. Sein Anwalt betonte später, er, Spanier, habe "infolge seines schweren Herzleidens nicht an die Affaire erinnert sein" und "weitere Aufregungen [...] vermeiden" wollen. Also nahm Adolf Spanier den Ablehnungsbescheid hin.

Rosa und Adolf Spanier, Foto um 1920
Rosa und Adolf Spanier, Foto um 1920
Quelle: Stadtarchiv Mannheim MA-ISG 3928x2816 Pixel

Nach seinem Tod im Januar 1955 bemühte sich seine Witwe um die übrigen Ansprüche. Tatsächlich wurden ihr im Sommer 1956 wegen des Schadens im beruflichen Fortkommen ihres Mannes eine Entschädigung in Höhe von 6.318 DM sowie eine monatliche Rente von 162 DM zugesprochen. Im Laufe der nächsten Jahre wurde die Rente entsprechend angepasst; der letzte Bescheid von 1981 sprach Rosa Spanier eine Rente von 634 DM zu. Daneben erhielt Adolf Spaniers Witwe 2.123,32 DM als Entschädigung für die Auswanderungskosten sowie 2.340 DM als Entschädigung. Weitere 680 DM bekam sie als Entschädigung für die 1938/39 zu billig verkauften Möbel ihrer Wohnung.
Unter dem Strich erhielt Rosa Spanier als Erbin ihres Mannes im Wiedergutmachungsverfahren also zusätzlich zur Rente gerade einmal 11.461,32 DM.


Zitiert nach: Christiane Fritsche, Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt - Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim, Ubstadt-Weiher 2013, S. 782-87 (mit Auslassungen).


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