Das Innere Team

Karl von Moors innere Mitspieler

Die Schülerinnen und Schüler sollen nun zunächst die Gefühle benennen, die auf der Bühne als Figuren dargestellt werden sollen. Je nach Lerngruppe wird es sicherlich unterschiedliche Schwerpunkte geben. Sie werden dann angehalten, die Figuren möglichst deutlich sprechen zu lassen, wobei sie auf den Text rekurrieren sollen (Textarbeit). Meine Lerngruppe nannte folgende Mitspieler:

- Der Enttäuschte: Gerade fühlte ich mich noch als der glücklichste Mensch unter der Sonne. Ich hatte mich so auf zu Hause gefreut. Alles habe ich mir wunderbar ausgemalt: wie Vater mich vielleicht etwas zähneknirschend, aber doch freundlich empfängt. Ich habe Vater so rührend gebeten, mich wieder aufzunehmen; ich habe mein Elend hier und meine Reue so bildhaft geschildert. Jede Bestie wäre in Mitleid zerschmolzen! Ist das Vatertreue? Mein Vater zeigt sich nicht als Mensch, obwohl ich an seine Menschlichkeit appellierte. Ich dachte immer, Vater sei gerecht! Da habe ich mich wohl deutlich in ihm getäuscht. Auch Franz, dachte ich, sei nun freundlich zu mir. Er hatte ja schließlich den Vater lange genug alleine . . . etc.

- Der Heimwehkranke: Ich sehne mich so nach zu Hause, nach allem Vertrauten, nach Amalia. Ich stelle mir vor, wie ich Amalia in meine Arme nehme; meine geliebte Amalia, ich will sie doch so gerne drücken. Alles habe ich mir so schön ausgemalt. Vaters Lächeln, die Landschaft, die Diener, die von Kindheit an vertrauten Gesichter, selbst nach dem hässlichen Franz sehne ich mich. Ich will doch Geborgenheit haben, Ordnung, ein normales Leben ... etc.

- Der Wütende: Nun habe ich diese Absage bekommen, natürlich mit der Schrift von Franz. Das ist unglaublich; ich kann es gar nicht fassen! Was glauben die zu Hause eigentlich. Was hab ich denn angestellt, dass sie mich nicht mehr aufnehmen wollen? Die paar Narrenstreiche. So schlimm habe ich mich doch gar nicht benommen. Halten die sich für etwas Besseres? Was haben die denn geleistet? Mein Vater, dieser empfindsame Kerl und der hässliche Franz, der nie eigene Ideen hat, sondern so folgsam ist – zumindest früher immer war -, dass mir vor Langeweile schlecht wird . . . etc.

- Der Hasserfüllte: Die ganze Menschheit ist doch falsch. Vater und Franz haben mir nur etwas vorgeheuchelt. Vater ist wie ein Rachegott. Ich will keine Gelassenheit; ich will sein wie ein Tiger; jede Faser in mir soll Grimm und Verderben werden . . . etc.

- Der Held: Ich bin doch der, der denken kann. Ich habe Plutarch gelesen, die antiken Heldensagen; ich kenne Alexander den Großen, habe Hannibal zum Vorbild; ich kenne Scipio. Diese bewundere ich. Das sind meine Leitbilder; so will ich sein – keine greinende Memme. Ich bin stark und tapfer. Ich bin ein Kämpfer. Ich bin ein Held – voll Tatendrang. ... etc.

- Der trotzige Freiheitsliebende: Ich will gar nicht nach Hause. Das ist doch nur ein Käfig! Dieses Eingesperrtsein ging mir doch schon früher gegen mein Innerstes! Sonntags in die Kirche, diese Aufgaben, jene Pflichten! Mein Geist dürstet nach Taten, mein Atem nach Freiheit! Was soll ich denn zu Hause! Ich bin doch ein Anführer, ein Macher, ein Stratege wie Hannibal, wie Alexander, wie Scipio. Ich werde mit meinen Männern um Freiheit kämpfen. ... etc.

Es wurden noch weitere aufgezählt, z.B. ein Leichtlebiger, auch bereits ein Lebensmüder, allgemein ein sehr Emotionaler. Wegen der Übersichtlichkeit sollte man sich mit den Schülerinnen und Schülern auf die an dieser Stelle wichtigsten Spieler einigen. Deutlich wird, dass hinter jedem Gefühl ein Wert steckt: Liebe zur Familie, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Geborgenheit, Ordnung, Freiheit, Gleichheit etc.

Bild

Der Enttäuschte schien ihnen am wichtigsten. Er stand ganz vorn in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Heimwehkranken. Der Wütende und der Stolze standen etwas weiter hinten und der Hasserfüllte war zusammen mit dem trotzigen Freiheitskämpfer noch recht klein am hinteren Rand der Bühne. Man kann diesem speziellen "Bühnenstück" auch noch einen Titel geben, z.B. "Der Aufruhr in Karls Seele".

Nun werden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, sich aus der Gefühlslage Karls heraus zu begeben, einmal aufzustehen, durchzuatmen und als Regisseure wieder Platz zu nehmen. Jetzt verkörpern sie die Ich-Instanz Karls, denjenigen, der diese aufgestellten Figuren distanziert betrachten und dann bewusst entscheiden kann, wer an welcher Stelle mitspielen soll. Wichtig dabei ist, dass kein Spieler von der Bühne verbannt werden kann. Alle haben einen langfristigen Vertrag, denn Gefühle kann man nicht einfach verscheuchen. Allerdings hat jeder Mensch auch noch andere Ressourcen, andere Spieler, die gerade nicht aktiv beteiligt sind, die "Pause haben und in der Cafeteria sitzen". Diese können durchaus aktiviert und zu Hilfe geholt werden.

Die Frage lautet nun, was will Karl, was ist für ihn sinnvoll? Und: Welche Mitspieler müssten wo und wie aktiv sein, damit das Theaterstück so weitergeht, dass ich/Karl es richtig und sinnvoll finde/t. Wenn das Ich/die Regie und nicht einer oder mehrere der Schauspieler/der Gefühle entscheiden, dann werden Ich-Instanz und Persönlichkeit gestärkt.


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