Die Studentenbewegung 1968/69 in Tübingen:
„Revolutionärer Kampf“ oder „pseudorevolutionäres Treiben“?

Hintergrund

Zeittafel


30. Januar 1967
Flugblatt-Verbot für die Mensa, Geschwister-Scholl-Platz und das Clubhaus durch das Rektorat. Nach großer Empörung und Protesten in der Studentenschaft wird das Verbot zurückgezogen. Flugblätter dürfen nach vorheriger Genehmigung durch den AStA verteilt werden.

2. Juni 1967
Tod Benno Ohnesorgs. Politische Stellungnahmen und Proteste durch AStA und SDS. Die Reaktion offizieller Stellen führt zu einer deutlichen Mobilisierung und Politisierung der Tübinger Studentenschaft.


B 2: Trauerkundgebung für Benno Ohnesorg vor der Neuen Aula am 3. Juni 1967

 

B 3: Dieselbe Trauerkundgebung

 

9. Juni 1967
Schweigemarsch vom Geschwister-Scholl-Platz zum Schloss. Der Rektor der Universität sagt seine Teilnahme kurzfristig ab, weil der unpolitische Charakter der Veranstaltung nicht gewährleistet sei.

16. Oktober 1967
Kundgebung gegen das Schah-Regime im Iran

6. November 1967
Abbruch einer Vorlesung zum Vietnam-Krieg, weil der SDS eine halbstündige Diskussion im Anschluss an jede Vorlesung verlangt.

17. Januar 1968
Erster Tübinger Go-in in eine Vorlesung des Tübinger Soziologieprofessors Friedrich Tenbruck. Protest gegen zu große Macht der Professoren im Rahmen des geplanten Hochschulgesetzes („Ordinarienuniversität“).

8. Februar 1968
Sit-in: Bei einer Demonstration gegen den Vietnam-Krieg vor dem Amerika-Haus wird der Straßenverkehr blockiert. Es folgen mehrere Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg.

 


B 4: Demonstration gegen den Vietnam-Krieg, ohne Datum

 

9. Februar 1968
Teach-in im Festsaal der Neuen Aula gegen das geplante Landeshochschulgesetz, das als Reaktion auf die Studentenproteste gewertet wird, um die Autonomie der Hochschulen einzuschränken. Das geplante Hochschulgesetz mobilisiert die Tübinger Studenten.

11. April 1968
Anschlag auf Rudi Dutschke. Auch in Tübingen machen Studenten die Springer-Presse für den Anschlag mitverantwortlich.

12. April 1968
Kundgebung auf dem Marktplatz zum Attentat auf Rudi Dutschke.

12. und 15. April 1968
Im Rahmen der „Osterunruhen“ beteiligen sich Tübinger Studenten an der Blockade gegen die Auslieferung der Bild-Zeitung durch den Bechtle-Verlag in Esslingen. Schwere Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Wasserwerfer einsetzt.

25. April 1968
Go-in im Rathaus aus Protest gegen die Notstandsgesetze. 50 Polizisten im Einsatz.

28. April 1968
Landtagswahlen in Baden-Württemberg. CDU und SPD bilden eine Große Koalition. Die NPD erhält 9,8% der Stimmen.

25. Mai 1968
Go-in im Rathaus: 300 Studenten dringen in das Rathaus ein, um von Oberbürgermeister Hans Gmelin die Genehmigung zum Einsatz eines Lautsprecherwagens zu erreichen.

27. Mai 1968
Kundgebung gegen die Notstandsgesetzgebung auf dem Marktplatz.
Eine Vollversammlung beschließt für den 28. bis 30. Mai 1968 einen Vorlesungsstreik gegen die Notstandsgesetzgebung. An der Versammlung nehmen ca. 3000 Studenten teil (ca. ein Viertel der Studentenschaft). Höchster Mobilisierungsgrad während der Proteste. Die AStA erklärt, man habe den Studienbetrieb weitgehend lahmgelegt.

28. bis 30. Mai 1968
Vorlesungsboykott gegen die Notstandsgesetze („Hochschulstreik“).

30. Mai 1968
Verabschiedung der Notstandsgesetze im Bundestag mit der Mehrheit der Großen Koalition. Kundgebung gegen die Notstandsgesetze auf dem Tübinger Marktplatz.

 


B 5: Besetzung der Räumlichkeiten des Luftschutzamtes in der Wilhelmstraße. Der SDS übernimmt die Regie.

 
21. bis 22. Juni 1968
Psychologiestudenten besetzen die Räumlichkeiten des Luftschutzhilfsdienstes (LSHD) in der Wilhelmstraße, um gegen schlechte Studienbedingungen zu protestieren. Räumung des Gebäudes in den frühen Morgenstunden des 22. Juni durch 652 Polizeibeamte.

21. August 1968
Schweigemarsch anlässlich der Niederschlagung des „Prager Frühling“

9. Oktober 1968
Beginn des „Vietnam-Prozesses“ vor dem Amtsgericht gegen drei Beteiligte der Blockade-Aktion vor dem Amerika-Haus. Die Angeklagten ziehen mit der Vietcong-Fahne ins Justizgebäude ein. 241 Polizisten im Einsatz.

17. Oktober 1968
Beginn der „LSHD-Prozesse“ wegen der Besetzung der Luftschutzhilfsdienststelle mit über 124 Angeklagten. Bei beiden Prozessen kommt es wegen Störungen wiederholt zur gewaltsamen Räumung des Saales. Während der Prozesse sind Hunderte von Polizisten im Einsatz. In der Tübinger Innenstadt kommt es zu Protestdemonstrationen, bei denen teilweise auch der Verkehr lahmgelegt wird.

25. Oktober 1968
Im „Vietnam-Prozess“ werden die drei angeklagten SDS-Mitglieder wegen gemeinschaftlicher Nötigung zu drei Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. AStA und SDS sprechen von einem „Terror-Urteil“. Aufhebung des Urteils im Juni 1969.

14. November 1968
Einige Tübinger Professoren und wissenschaftliche Assistenten bezeichnen in einem Offenen Brief an den Justizminister die Urteile im „Vietnam-Prozess“ als „politische Justiz“.

2. Dezember 1968
Erste Urteile im LSHD-Prozess: Geldstrafen.
 

 


B 6: Studenten besetzen am 13. Januar 1969 das Büro von Universitätsrektor Ludwig Raiser.

 

13. Januar 1969
Etwa 150 Studenten besetzten das Rektorat und verlangen von Universitätsrektor Ludwig Raiser eine Stellungnahme zur Verhaftung von fünf Studenten in Heidelberg. Nach dem Zugeständnis eines Teach-ins im Festsaal ziehen sie drei Stunden später wieder ab.

25. Juni 1969
Höhepunkt der aktivistischen Phase in Tübingen: Die Vollversammlung der Tübinger Studenten beschließt einen zunächst unbefristeten Vorlesungsstreik gegen die Regierungsvorlage zum Landeshochschulgesetz, gegen die Einführung eines neuen Ordnungsrechts an den Hochschulen und die geplante Auflösung der ASten. Mit den Regierungsvorlagen solle die studentische Opposition unterdrückt und der Industrie größeren Einfluss auf die Hochschulen verschafft werden. Beschlossen wird der Aufbau eigener universitärer Bereiche, die der Kontrolle des Staates entzogen sein sollten (autonome Bereiche der universitären „Selbstorganisation“). Der Streik dauert bis zum Semesterende (Mitte Juli). Nach den Semesterferien allmählicher Rückgang der Protestaktionen.

30. Juli 1969
Das Kultusministerium erlässt eine Grundordnung für die Universität.

1976
Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes. Im Zuge der Anpassung des baden-württembergischen Hochschulgesetzes verliert der AStA jedes politische Mitspracherecht.

Dezember 1977
Der AStA räumt seine Büros im Clubhaus in der Wilhelmstraße, nachdem die Landesregierung die Verfasste Studierendenschaft abgeschafft hat (2012 wieder eingeführt)


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte an der ZSL-Regionalstelle Tübingen -


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