Unruhige Zeiten in der Schuhstadt Tuttlingen - August Springer, ein Arbeiter erzählt über Arbeiteralltag und Industrie um 1900

Hintergrund

Bedeutung


 

Tuttlingen ist noch heute eine Industriestadt, mit Konzernen von Weltrang im Bereich der Medizintechnik. Bereits vor über hundert Jahren war Tuttlingen ein wichtiger Industriestandort, doch neben den chirurgischen Instrumenten war die Schuhindustrie sehr bedeutsam. Tuttlingen galt als Schuhstadt. Diesen Status hat die württembergische Kleinstadt jedoch schon lange eingebüßt. Um 1900 prägten 21 Schuhfabriken das Bild der Stadt. In der  Kleinstadt war man stolz auf die industriellen Betriebe und drängte sie nicht an den Rand. Arbeiter hat man keinesfalls abwertend beäugt, es war nichts Verwerfliches sein Auskommen als Industriearbeiter zu verdienen. Diesen Charakter hat die Stadt durchaus beibehalten. August Springer beschreibt in seiner Autobiografie mit Erstaunen, dass die industrielle Produktion in Tuttlingen ein hohes Ansehen genoss, er vergleicht dies mit Kempten, dort habe man, so Springer, die Industrie an den Rand der Stadt verbannt, und das Bürgertum rümpfte eher die Nase über die Fabrikarbeiter.

B 6 Schuhfabrik Gebrüder Henke auf dem Marktplatz in Tuttlingen

Der Industrialisierungsprozess setzte in Tuttlingen zwar erst spät ein, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, entwickelt sich dann aber äußerst rasant und hat Auswirkungen bis in die Gegenwart. Deshalb ist die Kleinstadt durchaus ein Beispiel mit exemplarischer Wirkung für den Industrialisierungsprozess im 19.Jahrhundert.
August Springers Autobiografie ist eine sehr besondere Quelle für den Geschichtsunterricht. Insbesondre die Perspektive ist einzigartig, Springer, der selbst Arbeiter mit überaus intellektueller Begabung ist, nimmt den Charakter der Industriestadt in den Blick. Er macht die Umbrüche vom Handwerk zum Industriebetrieb deutlich, großen Raum nimmt der Arbeiteralltag und die Lebenssituation der Fabrikarbeiter ein. In diesem Zusammenhang wird der Streik und die nachfolgende Aussperrung der Schuhfabrikarbeiter im Jahr 1900 thematisiert. Die Zwicker können keine ihrer Forderungen durchsetzen und kehren, so Springer, als Geschlagene zurück an ihren Arbeitsplatz. Auch wenn faktisch keine Veränderung der Situation herbei geführt werden konnte, so haben sich Arbeiter zusammengeschlossen und haben ihre gemeinsame Stärke gezeigt, der Streik ist durchaus als Beginn einer Arbeiterbewegung zu sehen und aus heutiger Perspektive keinesfalls nur als Niederlage zu werten. Ohne diese mutigen Arbeitskämpfe wäre die Situation der Arbeitnehmer heute vermutlich nicht so, wie wir es gewohnt sind. Deshalb ist auch der Tuttlinger Streik der Schuhfabrikarbeiter ein Teil einer großen Arbeiterbewegung.

 

 

B 5 August Springer

 

August Springers Werk ist für Leser des 21. Jahrhunderts immer noch aktuell. Kritisch nimmt er die zunehmende Maschinisierung in den Blick. Der Mensch wird durch die Maschine ersetzt. Dieser Prozess ist keinesfalls abgeschlossen, sondern  ist heute, in einer Welt der fortschreitenden Digitalisierung, äußerst gegenwärtig.


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Freiburg -


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