Das Wort braucht das Bild – brauchte das Wort das Bild?
– Die Reformation als Medienereignis

Hintergrund

Zeittafel

Mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg konnten Bücher billiger und schneller hergestellt werden. Das hatte zur Folge, dass sich Schriften rascher und massenhaft verbreiten konnten. Die Zahl der veröffentlichten Titel stieg zwischen 1450 und 1600 von 30.000 auf 150.000 bis 200.000 an.

Diese Entwicklung nahm auch Einfluss auf den Verlauf der Reformation. Zwar ist davon auszugehen, dass die erste theologische Verständigung Luthers mit Kollegen und Studenten an der Wittenberger Universität zunächst nur mündlich bzw. handschriftlich erfolgte. Allerdings bewirkte der unautorisierte Nachdruck der 95 Ablassthesen einen Wechsel der Publikationsstrategie Luthers. 1518 veröffentlichte er erste Predigten als Flugschriften in deutscher Sprache. In der Folge setzte eine Flut von Publikationen der „Wortführer der Reformation“ (z.B. Karlstadt, Philipp Melanchthon) ein. Zwischen 1518 und 1525 kam es zu einer reformatorische Medienflut und „Öffentlichkeitsarbeit“ in ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen, von denen die wichtigsten im Folgenden aufgezählt und erläutert werden sollen:

1. Flugschrift:

Diese 15-20 bis maximal 70-90 Druckseiten umfassenden, in deutscher Sprache abgefassten Schriften wurde in der Regel anonym publiziert, waren als Dialog, Traktat, Brief abgefasst und meist mit Titelholzschnitt versehen. Verbreitete Inhalte waren die Botschaft von der Gnade Gottes, Kritik an Kirche und Klerus sowie Vorgänge um Martin Luther. Häufig wurden auch Inhalte der Heiligen Schrift auf diese Weise zugänglich gemacht. Die Rezipienten waren Lesekundige, die nicht nur im Privaten lasen, sondern die Inhalte auch durch Vorlesen verbreiteten, um so eine Überzeugungsgemeinschaft herzustellen.

2. Illustrierte Flugblätter:

Einen geringeren Umfang wie die Flugschriften weisen Flugblätter auf, die meist nur aus einem Blatt bestanden. Durch die Entwicklung des Holz-und Kupferstichs war es zu einer Entfaltung der Graphik gekommen, da Bilder unkompliziert vervielfältigt werden konnten. Dies machten sich die anonymen Autoren der Flugblätter zunutze. In hoher Auflage verbreiteten sich Text-Bild-Kombinationen in deutscher Sprache, in denen alte und neue Lehre gegenübergestellt und dabei Klerus und Ordensangehörige verspottet wurden. Ein weiteres beliebtes Motiv waren Luther-Porträts. Sie gaben der Reformation ein Gesicht. Wandernde Händler verkauften diese Druckerzeugnisse, für die ein großer Absatzmarkt vorhanden war, wie die Auflagestärke belegt.

Ego sum papa

B 2 Antipäpstliches Flugblatt aus der Reformationszeit
© gemeinfrei (Wikipedia)

3. Bibelübersetzung:

Luthers Verdienst der Übertragung des Bibeltextes in die deutsche Sprache mit dem Ziel, den Menschen eine dem Urtext möglichst nahestehende, gut verständliche Übersetzung des göttlichen Wortes nahe zu bringen, spiegelt sich in der großen Anzahl der Nachdrucke wider. So erschienen 1522 bis1525 42 Neuauflagen von Luthers „Septembertestament“ (NT).

4. Predigten:

Neben den Druckerzeugnissen bleibt jedoch die Mündlichkeit die traditionelle Form kommunikativer Vermittlung. Allerdings führte ein verstärktes Verlangen nach volkssprachlicher Verkündigung dazu, dass die reformierten Pfarrer auf Deutsch predigten. Dadurch erzielten ihre Worte eine große Breitenwirkung und die Predigt wurde neben Taufe und Abendmahl zum Medium der Heilsvermittlung.

5. Einzelbilder:

In einer kaum lesekundigen Gesellschaft entfalten Bilder eine besonders große Wirkung. So wurden auch reformatorische Ideen in didaktischer Absicht als Bilder verbreitet. Die neuen Themen führten zu neuen Bildmotiven. Z. B. wurde hauptsächlich von Lukas Cranach und seiner Werkstatt das Motiv vom Weg des Menschen aus Tod, Sünde und Gesetz zu Leben, Glaube und Gnade in Lehrbildern dargestellt. Ein weiteres populäres Thema war die Kindersegnung.

Lukas Cranach. Christus segnet die Kinder

B 4 Lukas Cranach. Christus segnet die Kinder
© gemeinfrei (Wikipedia)

Die Bilder wurden wohl öffentlich gezeigt, z.B. im Rathaus, und kollektiv rezipiert, d.h. durch Vor-Lesen erklärt. In Privathäusern von Anhängern der neuen Lehre fanden sich häufig Luther-Bildnisse als Bekenntnis zur Reformation.

6. Altarbilder:

Besondere Breitenwirkung konnten Altarbilder entfalten. Als Bildkomposition oder Bild-Text-Ensemble präsentierten sie Zeitkritik (vgl. Unterrichtsmodul zum Herrenberger Altar) oder illustrierten Grundlagen des neuen evangelischen Glaubens wie z.B. der um 1540 vom Herrenberger Künstler Heinrich Füllmaurer geschaffene Mömpelgarder Altar. Auf diese Weise konnten Bibelinhalte auch an Nicht-Lesekundige vermittelt werden.

Versuchung Christi

B 3 In einzelnen Bildtafeln illustriert der Mömpelgarder Altar Kapitel aus dem Neuen Testament.
© gemeinfrei (Wikipedia)

7. Medaillen:

Als neues Medium entwickelten sich seit Mitte 15. Jhs. von Italien kommend Medaillen, die in kleinen Stückzahlen im fürstlichem oder privatem Auftrag entstanden und als Geschenk für andere Fürsten, Diplomaten oder Freunde dienten. Durch ihre leichte Reproduzierbarkeit, die Dauerhaftigkeit des Materials, ihre Handlichkeit sowie die Möglichkeit einer gezielten Verbreitung in Kreisen des Adels und gebildeten Bürgertums wurden sie neben großformatigen Werken zur führenden bildlichen Propagandakunst der Reformation.

8. Aktionen:

In öffentlichkeitswirksamen Aktionen inszenierten Anhänger der Reformation ihre Kirchenkritik, so z.B. im Wittenberger „Bildersturm“ 1522, in Predigtstörungen, Zehntverweigerungen, Fastenbrüchen, Klosteraustritten sowie der Desakralisierung von Altären und Reliquien.

9. Gemeindegesang:

Ähnlich wie bei den Predigten wurde das volkssprachliche geistliches Lied zum Mittel der Einbindung der Gemeinde in den Gottesdienst und in seiner Mischung von Literalität und Oralität zum Medium der Vermittlung neuer Glaubensgrundsätze. Dieses Potential erkannte auch Luther: Er schrieb allein von 1523 bis Mitte 1524 24 Lieder.

 

- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Stuttgart -