Erinnerungskultur im monarchischen Deutschland und ihre Bedeutung für das nationale Selbstverständnis: Die Karlsruher Feierlichkeiten anlässlich des Sedantags in den Jahren 1877 und 1895

Hintergrund

Zeittafel


 

01.09./02.09.1870

Deutscher Sieg in der Schlacht bei Sedan

1870/71

In den Karlsruher Lazaretten versterben als Folge des Deutsch-Französischen Krieges 266 deutsche und etwa 50 französische Soldaten. Die Toten werden auf dem Alten Friedhof bestattet. (Der heutige Karlsruher Hauptfriedhof war seit 1871 in Planung und wurde 1874 eröffnet.)

03.09.1870

Die Nachricht vom deutschen Sieg bei Sedan verbreitet sich in Deutschland, es kommt an vielen Orten zu spontanen Siegesfeiern.

 

B 2 Der französische General Reille übergibt am 01.09.1870 bei Sedan Wilhelm I. einen Brief Napoleons III., in dem dieser dem preußischen König seinen Degen anbietet.

 

Februar/März 1871

Der Deutsche Protestantenverein fordert anlässlich der Gründung des Deutschen Kaiserreichs die Stiftung eines „allgemeinen deutschen Kirchen- und Volksfestes“. Kaiser Wilhelm I. reagiert in einer Erklärung vom 04.04.1871 reserviert auf diesen Wunsch: Er lehne entsprechende „obrigkeitliche Anordnungen“ ab und bevorzuge alljährliche patriotische Feiern „aus freiem Antriebe“ nach dem Vorbild der Feiern zum Gedenken an die Leipziger Völkerschlacht.

10.05.1871

Friede von Frankfurt zwischen dem Deutschen Kaiserreich und der Republik Frankreich

Mai/Juni 1871

Abhaltung zahlreicher örtlicher Friedens- und Siegesfeste in Deutschland

27.06.1871

Im Rheinisch-Westfälischen Provinzialausschuss für Innere Mission plädiert Pastor Friedrich v. Bodelschwingh unter Bezugnahme auf die  kaiserliche Verlautbarung vom 04.04.1871 für die Wiedereinrichtung patriotischer Feste, wie sie nach den Freiheitskriegen abgehalten worden seien. Auf derselben Versammlung wird der 2. September als Gedenktag vorgeschlagen und bereits Vorstellungen für dessen Abhaltung entwickelt.

1871-1873

Jeweils im August erlassene Verfügungen der preußischen Regierung rufen die Schulen zur Beteiligung an Sedanfeiern auf. Beamten wird die Teilnahme an solchen Feierlichkeiten ausdrücklich gestattet.

10.05.1872

Ein in ganz Deutschland publizierter Aufruf bürgerlich-protestantischer Kreise aus dem gesamten Reichsgebiet plädiert für den 2. September als nationalen Gedenktag. Daneben werden der 18. Januar und der 10. Mai als Termine für einen nationalen Gedenktag diskutiert. Die Karlsruher Kommunalbehörden bevorzugen einen dieser beiden Tage gegenüber dem 2. September. Der badische Großherzog Friedrich I. spricht sich für den 18. Januar als nationalen Gedenktag aus.

12.01.1872

Im „Karlsruher Tagblatt“ erscheint ein Aufruf des lokalen Niederwald-Denkmal-Komitees an die Karlsruher Bürgerschaft, mit Spenden zur Errichtung des Niederwald-Denkmals bei Rüdesheim beizutragen. Die geplante Errichtung des Niederwald-Denkmals wirkt wohl vorbildhaft für die Errichtung des Karlsruher Kriegerdenkmals.

14.01.1872

In Karlsruhe wird des Sieges des weitgehend aus badischen Truppen zusammengesetzten XIV. Armeekorps bei Belfort (15.-17.01.1870) über die französische Ost-Armee unter Bourbaki gedacht. In diesem Zusammenhang erscheint im „Karlsruher Tagblatt“ ein vom Karlsruher Oberbürgermeister Lauter unterzeichneter Aufruf für den durch Spenden zu finanzierenden „Aufbau eines Grabmals für die auf unserem Friedhofe ruhenden und zum Opfer gefallenen Helden“.

Um 1872

Errichtung eines von französischer Seite finanzierten Hochkreuzes am Rande des Gräberfelds der französischen Soldaten auf dem Karlsruher Alten Friedhof

02.09.1873

Einweihung der Berliner Siegessäule in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm I. und Reichskanzler Bismarck. Die Feier des Sedantags erhält hierdurch einen halboffiziellen Charakter und beginnt sich in Deutschland zu etablieren. Die Sedanfeier bleibt jedoch stets eine „je nach örtlichen Verhältnissen organisierte Veranstaltung“ (Fritz Schellack).

18.08.1874

Der Mainzer Bischof Wilhelm Emanuel Ketteler verbietet wegen des Kulturkampfs den Geistlichen seiner Diözese, am Sedantag  Festgottesdienste abzuhalten und die Glocken zu läuten.

02.09.1874

In Karlsruhe, der Hauptstadt des Großherzogtums Baden, wird erstmals der Sedantag in großem Stil gefeiert.

B 4 Karlsruher Festprogramm anlässlich des Sedantags 1874 im „Karlsruher Tagblatt“

 

29.08.1877

Errichtung eines Hochkreuzes inmitten des Gräberfeldes der deutschen Soldaten auf dem Karlsruher Alten Friedhof

02.09.1877

Am Sedantag erfolgt die Einweihung des Karlsruher Kriegerdenkmals auf dem Ettlinger-Tor-Platz

28.09.1883

Noch im Sedantag-Monat Einweihung des Niederwalddenkmals bei Rüdesheim „ZUM ANDENKEN AN DIE EINMUETHIGE SIEGREICHE ERHEBUNG DES DEUTSCHEN VOLKES UND AN DIE WIEDERAUFRICHTUNG DES DEUTSCHEN REICHES 1870-1871"

02.09.1895

Aufwendige Feier des 25. Jahrestags der Schlacht bei Sedan im ganzen Reich. In Karlsruhe findet die Feier des Sedantags am 09.09.1895 ihre Fortsetzung in den Feierlichkeiten zum 69. Geburtstag von Großherzog Friedrich I., der bei der Kaiserproklamation am 18.01.1871 das erste Hoch auf Kaiser Wilhelm I. ausgebracht hatte.

B 5 Karlsruher Festprogramm anlässlich des Sedantags 1895 im „Karlsruher Tagblatt“

 

1900

Vor dem Hintergrund des Boxeraufstandes, bei dessen Niederschlagung Deutschland an der Seite Frankreichs agiert, wird in weiten Teilen Deutschlands auf Sedan-Feierlichkeiten verzichtet.

Um 1900

Veränderung der Aufschrift auf dem ehemals nur dem Andenken an die deutschen Soldaten gewidmeten Hochkreuzes auf dem Alten Friedhof. Die neue Widmung erinnert nun gleichermaßen an die deutschen und die französischen Soldaten.

27.08.1919

Das Reichinnenministerium hebt die „früher geltende Verfügung“ auf, am Sedantag die öffentlichen Gebäude zu beflaggen, da dies „nicht mehr den Zeitverhältnissen“ entspreche.

1954

Entfernung der Soldatengrabsteine auf dem Karlsruher Alten Friedhof

1963

Versetzung des Karlsruher Kriegerdenkmals vom Ettlinger-Tor-Platz auf den Karlsruher Alten Friedhof

B 13 Das Karlsruher Kriegerdenkmal auf dem Karlsruher Alten Friedhof (2018)

 

1971 bzw. 1983

Versetzung des Hochkreuzes für die deutschen Soldaten bzw. des noch erhalten gebliebenen Sockels des Hochkreuzes für die französischen Soldaten an ihren heutigen Standort

B 14 Die Hochkreuze für die deutschen und die französischen Soldaten auf dem Karlsruher Alten Friedhof (2018). Vom Hochkreuz für die französischen Soldaten von 1872 ist lediglich noch der Sockel erhalten.


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Karlsruhe -


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