Zeuge der Reformation: Der Turm der Heilbronner Kilianskirche und die Durchführung der Reformation in Heilbronn

Hintergrund

Bedeutung

Bausymbolik am Turm: Der Adler als Wappentier der Reichsstadt, rechts und links von Ungeheuern bedroht

B 3 Bausymbolik am Turm: Der Adler als Wappentier der Reichsstadt, rechts und links von Ungeheuern bedroht
(Foto: Ulrich Maier)

Die 1520-Jahre in der Reichsstadt Heilbronn waren bestimmt von der Auseinandersetzung um die Durchführung der Reformation, die 1529 bis 1531 hier ihren Abschluss fand. An der Seite von dreizehn weiteren Reichsstädten und sechs Territorialherrschaften sagte sich auch Heilbronn in der "Speyrer Protestation" von 1529 vom kaiserlichen Wort los. 1531 wurde mit einer Befragung der Heilbronner Bürgerschaft die Reformation gegen den erklärten Willen des Kaisers in der Stadt mit einem fast modern anmutenden Akt der Bürgerbeteiligung offiziell eingeführt.

In eben diesem Jahrzehnt baute Hans Schweiner den reich verzierten, ca. 28 Meter hohen achteckigen, mit reichhaltiger Bauskulptur versehenen Turmaufsatz, der im Jahr der "Speyrer Protestation" seinen Abschluss fand - mit Aufstellung eines 2,35 Meter großen steinernen Stadtsoldaten auf seiner Spitze. In der Kunstgeschichte wird diese Plastik als eigenwilliges Symbol einer selbstbewussten, wehrhaften Bürgerschaft verstanden, die ihren Willen auch gegen kaiserliches Verbot durchzusetzen bereit war.

Am Bauschmuck des gesamten Turmaufsatzes ist keine einzige Heiligenfigur zu finden, außer den vier Evangelisten, die das reine Wort Gottes in alle vier Himmelsrichtungen verkünden. Der Kunsthistoriker Karl Halbauer deutete das so: "Ungewöhnlich in der Funktion als Wasserspeier sind die biblischen Themen Adam und Eva und die vier Evangelistensymbole, deren Aussage hier lauten könnte: In alle Welt, in alle vier Himmelsrichtungen, wird das Evangelium von der Menschwerdung Christi verkündet, der am Kreuz starb, um uns Menschen von der Erbsünde zu erlösen, die durch das erste Menschenpaar Adam und Eva in die Welt gekommen ist." (Halbauer S. 73, s. Literaturliste)

Dagegen erscheint die überwiegende Bauplastik am Turm als provokantes antiklerikales Programm, gegen die herrschenden Missstände der Amtskirche gerichtet: so z.B. ein Mönch mit gespaltener Zunge, ein Kleriker mit Narrenkappe, ein Bischof mit Vogelschnabel oder ein Affe im Nonnengewand.

Zwar lässt sich eine persönliche Beziehung zwischen dem in diesen Jahren in der Stadt wirkenden Heilbronner Reformator Johann Lachmann und Hans Schweiner nicht eindeutig nachweisen, Kunsthistoriker gehen aber von einer engen Zusammenarbeit zwischen beiden aus. Dritter im Bunde war der mit Lachmann verschwägerte erste protestantische Bürgermeister Hans Rießer, der 1528 vom Rat gewählt wurde. Er vertrat die Reichsstadt Heilbronn auf den Reichstagen von Speyer (1529) und Augsburg (1530) auf Seiten der protestantischen Stände gegen den Kaiser.

Als "Bösewicht bis an den Himmel" bezeichneten zeitgenössische Kleriker den Turm, der heutigen Betrachtern aufgrund seiner auffälligen Bausymbolik oft Rätsel aufgibt. Der in Heilbronn aufgewachsene erste Bundespräsident Theodor Heuss nannte ihn - vierhundert Jahre später - einen "Novellenkranz in Stein, kühn, stolz, lustig".

In Bezug auf die den Turm krönende Figur schrieb der Kunsthistoriker Andreas Pfeiffer: "Heilbronn hat auf dem Gebiet der Stadtbaukunst in Europa eine Besonderheit zu bieten, die um 1529 einzigartig ist: eine weltliche Figur auf einem kirchlichen Bauwerk, die 2,35 Meter große Skulptur auf der Spitze des Kilianskirchturms. Diese Skulptur wird im Volksmund bis heute das "Männle" genannt. [...] Meine Interpretation gründet sich auf die Hypothese, dass mit dieser Skulptur nicht ein Landsknecht, sondern der gewappnete Heilbronner Bürger gemeint ist, der das Selbstbewusstsein der Reichsstadt Heilbronn zur Zeit der Reformation repräsentiert." (Pfeiffer S. 107, s. Literaturliste)

Der Turm der Heilbronner Kilianskirche ist ein eindrucksvoller Zeuge der Reformation. An seiner Bauskulptur und an seiner Entstehungsgeschichte können Schülerinnen und Schülern auf anschauliche Weise zahlreiche relevante Aspekte der Reformation entdecken.

Ein Stadtsoldat auf der Kirchturmspitze: Aufnahme von 1886 (Stadtarchiv Heilbronn/L. Hartmann)

B 4 Ein Stadtsoldat auf der Kirchturmspitze: Aufnahme von 1886
(Stadtarchiv Heilbronn/L. Hartmann)

 

- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Stuttgart -

letzte Änderung: 2016-08-03