Heimat und Migration – am Beispiel des 19. Jh. im Schwarzwald

Hintergrund

Zeittafel

Die Auswanderung ist eine generelle Erscheinung des 18. und 19. Jahrhunderts. Zu Beginn führten meist religiöse Gründe zu Auswanderungsbestrebungen, während später zunehmend wirtschaftliche Gründe an Bedeutung gewannen. Überall dort, wo die Erträge der Landwirtschaft nicht ausreichten, um die vorhandene Bevölkerung zu ernähren, führte das Missverhältnis zwischen Menschen und Nahrung zu mehr oder weniger starken Auswanderungsbewegungen.
Verstärkt wurde diese Entwicklung noch durch das Bevölkerungswachstum, das vor allem im Schwarzwald mit seinen kargen, steinigen und steilen Böden zu Armut führte. Der Druck der Überbevölkerung in den Bergen - zusammen mit den politischen Entwicklungen, wie beispielsweise den Kolonisationsbestrebungen Maria Theresias im südwestlichen Ungarn, brachten viele Schwarzwälder dazu, ihr Glück in der Auswanderung zu suchen. Neben Ungarn gehörten Polen, Russland und die Balkanstaaten zu den bevorzugten Zielen möglicher Auswanderer.
Waren die Ansiedlungsmöglichkeiten in der neuen Heimat erschöpft oder der Nahrungsspielraum in der alten Heimat erweitert, versiegten diese Auswanderungswellen meist wieder. Zudem wurden viele Auswanderungswillige nur unter erschwerten Bedingungen von ihren Herrschaften freigelassen, die gar nicht begeistert vom Wegzug der Untertanen waren.

Im 19. Jahrhundert änderte sich diese politische Einstellung. Nun wurde die Auswandererförderung – insbesondere im Gefolge einer Hungersnot – als legitimes Mittel zur Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse betrachtet, was vor allem auf dem Land galt. Zeitgleich wurden die Vereinigten Staaten von Nordamerika zum bevorzugten Ziel für viele deutsche Auswanderer. Für den Schwarzwald kam im 19. Jahrhundert dazu, dass aufgrund der Heimarbeit die Bevölkerung weiter wuchs, da diese eine Alternative bzw. Ergänzung zur landwirtschaftlichen Tätigkeit darstellte und einen Zuwachs an Einkommen bedeutete.
Brach die Hausindustrie jedoch weg, wie beispielsweise die Textilindustrie infolge eines Einfuhrverbots ausländischer Baumwollerzeugnisse durch Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts oder die Zerstörung des Baumwollimports aufgrund der Kontinentalsperre Napoleons Anfang des 19. Jh., so kam es zu massiven Problemen. Der Nahrungsmittelbedarf konnte durch den reinen Bodenertrag nicht mehr gedeckt werden. Zwar setzte sich in etwa zeitgleich die Kartoffel im Anbau durch und erlangte so schnell eine große Bedeutung als „Volksnahrung“. Dennoch kam es 1817 zu einer großen Hungersnot. Die Folge davon war eine erste große Auswanderungswelle in die USA.
Dabei schnellte die Zahl der Verkaufs- und Zwangsversteigerungen in die Höhe. 20.000 Personen, d.h. der dreißigste Teil der badischen Bevölkerung, reichten 1817 Auswanderungsgesuche ein. (siehe Klaus Hoggenmüller / Wolfgang Hug; Die Leute auf dem Wald, Stuttgart 1987, S.187)

Als sich danach die Hausindustrie wieder erholte, kam es zu einem erneuten Bevölkerungswachstum im Schwarzwald. 1846/1847 gab es jedoch eine weitere Missernte, noch verstärkt durch eine weitgehende Zerstörung der Kartoffelernte durch eine Kartoffelkrankheit. Die Kartoffel stellte in vielen Heimarbeiterfamilien neben der Milch der eigenen Kühe das wichtigste Grundnahrungsmittel dar. Als dieses wegfiel, kam es zu großen Hungerproblemen. Folglich suchten viele Familien ihr Überleben durch den Verkauf von Tieren, Hab und Gut – letztendlich auch des Landes zu sichern. Es kam zu hohen Verschuldungen und ein besitzloses Landproletariat entstand. Die Unter- und Mangelernährung führte zu Krankheiten – und einem Verfall der Moral. So stieg beispielsweise der Anteil der unehelichen Kinder in diesen Jahren extrem an – auch weil die land- und verdienstlosen Männer aufgrund ihrer Armut nicht heiraten konnten.

Die Hilfsmaßnahmen vieler Gemeinden wie Suppenküchen, Geldzuschüsse, Verteilung von Saatgut und Lebensmitteln oder auch durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wie Wegebau oder Waldarbeiten erreichten den gewünschten Erfolg oft nicht. So sah man die einzige Rettung in der Aufforderung zur Auswanderung, um der Probleme Herr zu werden. Häufig wurden die Armen noch mit dem Versprechen gelockt, dass die Staatskasse die Kosten der Auswanderung übernehmen würde. Insbesondere ledige Frauen mit mehreren Kindern („Alleinerziehende“) und Menschen, die nicht arbeiten konnten, versuchte man auf diese Weise „los zu werden“. Insgesamt sind im 19. Jh. eine halbe Million Menschen allein aus Baden ausgewandert.

 

- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Freiburg -