Den Holocaust „erzählen“ – Geschichtserzählungen für die Grundschule auf Basis von Zeitzeugenberichten

Methodenvorschlag

Verlaufsplanung mit Materialien

Inhalte/
methodische Hinweise
Material
Die Reihenfolge des Einsatzes der einzelnen Erzählungen ist aufeinander abgestimmt. Es ist aber auch denkbar und möglich, nur einzelne Erzählungen mit den Lernenden zu besprechen bzw. diese anders aneinanderzureihen.  

Die Erzählung „Über das Glück ein Grieche zu sein“ von Joachim Schönball stellt ein Bindeglied zwischen der im Deutschunterricht behandelten Lektüre „Der überaus starke Willibald“ und dem historischen Kontext dar.

In einem ersten Schritt sollen die Schüler über das Füllen von Textlücken den inhaltlichen Bezug zum Kinderbuch herstellen und sich die Situation von Lillimaus noch einmal bewusst machen.

Mögliche Lösungen:

Die Schülerinnen und Schüler könnten die ersten Lücken mit Willibald oder Hermannmaus füllen. Beide Lösungen sind denkbar. Den Kopf abreißen sollte man Lillimaus wegen ihrer roten Augen und ihres weißen Fells. Die letzte Lücke sollte die Erkenntnis beinhalten, dass sich daran aber nichts ändern lässt, da Lillimaus so geboren wurde. Evtl. wird hier auch die Ungerechtigkeit genannt, die an dieser Ausgrenzung von Lillimaus sichtbar wird, und ihre Angst, die dazu führen könnte, dass der Schluckauf die Wörter verschluckt.

 AB 1

In einem nächsten Schritt sollen die Schülerinnen und Schülern den Originaltext, aus dem der Textausschnitt übernommen wurde, lesen und zur Überprüfung des Textverständnisses den einzelnen Abschnitten Überschriften geben.
Mittels Standbilder soll den Lernenden klar werden, dass es auch unterhalb der Gefangenen eine Rangfolge gibt. Im Folgenden sollen sie darüber reflektieren, warum „der Grieche“ mehr Wert zu sein scheint als „der Jude“. An dieser Stelle sollten die Schülerinnen und Schüler auf die Situation der jüdischen Bevölkerung Bezug nehmen, die sie in der Erarbeitung des historischen Kontextes kennengelernt haben.

Im Anschluss kann über die provokative Frage: „Wärt Ihr lieber griechischer Zwangsarbeiter als jüdischer Gefangener gewesen?“ über Ausgrenzung generell diskutiert werden.

Als weiterführende Arbeitsaufträge könnten sich folgende Aufgaben anbieten:

Versetze Dich in den jüdischen Gefangenen hinein und schreibe auf, was er sich in dieser Situation denken könnte.

oder

Stelle Dir vor, der griechische und der jüdische Häftling treffen sich am Abend zufällig vor der Latrine.
Als sie merken, dass sie unbeobachtet sind, beginnen sie miteinander zu reden. Schreibe dieses Gespräch auf.

AB 2 

Mittels der nächsten Geschichtserzählung soll nun die Lebenssituation der jüdischen Gefangenen im Lager genauer betrachtet werden. Dafür bietet sich „Mein Freund Abram“ von Lukas Weerth an.

Die Schülerinnen und Schüler sollen mittels des produktionsorientierten Arbeitsauftrags herausarbeiten, dass Hunger das prägende Gefühl der jüdischen Häftlinge war.
Denn – so erzählt es die auf der Aussage des ehemaligen Häftlings Ajzyk Bajnermann beruhende Geschichte von Lukas Weerth im weiteren Verlauf – Abrams Absicht beim Ausscheren aus der Kolonne war, eine Steckrübe aufzuheben, die er in seinem Schuh versteckt ins Lager transportierte.

 AB 3
Die Vermutungen der Schülerinnen und Schüler werden im Anschluss anhand von Zeitzeugenaussagen überprüft bzw. verifiziert. AB 4 
In einem weiteren Schritt wäre denkbar, sich mit den Konsequenzen für die Häftlinge auseinanderzusetzen, wurden sie bei der Beschaffung von Nahrungsmitteln erwischt.
Im Sinne des Konzepts der „Erziehung nach Auschwitz ohne Auschwitz“ sollte die Lehrkraft aber abwägen, was sie der Klasse zumuten kann und will.
AB 5 

Das Thema des Hungerns der Häftlinge kann anhand eines Ausschnitts aus einer weiteren Geschichtserzählung von Oskar Schmiedel vertieft werden. Zudem kommt hier mit der Vater-Sohn-Beziehung ein weiterer Aspekt zum Tragen, der die Grundschüler emotional berührt.
Für die Aufgabenstellung kann man eine Kalorientabelle aus dem Internet zur Verfügung stellen. Ebenso gibt es Online-Kalorien-Rechner.

Im Transfer würde es sich anbieten, über „Hunger heute“ zu sprechen.

Für Grundschülerinnen und - schüler angemessenes Material gibt es über die Homepage der Welthungerhilfe (letzter Zugriff am 6.10.2017)

AB 6 

In der Erzählung „Vater und Sohn“ ist davon die Rede, dass die Gefangenen „schlechter als Hunde“ behandelt worden seien.
Diese Behauptung soll nun anhand einer weiteren Geschichtserzählung vertieft werden. „Barry, der Hund“ von Hilarion Garidis bezieht sich zwar auf Geschehnisse im Vernichtungslager Treblinka und nicht auf Berichte aus dem KZ Hailfingen/Tailfingen. Aufgrund des thematischen Bezugs kann sie aber dennoch mit aufgenommen werden. Zudem gibt es Zeitzeugenberichte, die Parallelen erkennen lassen. So sagt z.B. Wolf Gimpel über einen Wärter in Hailfingen/Tailfingen: "Der Mann war sehr brutal und hetzte oft seinen Schäferhund auf die Häftlinge. Der Hund war so abgerichtet, dass er den Häftlingen das Fleisch von den Knochen riss ... Er kam auch öfters nachts in die Baracke und suchte sich sogenannte Opfer aus. Was er mit diesen Leuten gemacht hat, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass diese Häftlinge am nächsten Tag dann auf einem Haufen bei den Toten lagen."
Grundschülerinnen und - schüler sind in der Regel mit dem Verfassen von Elfchen vertraut. Mittels dieser Methode sollen sie individuell den Unterschied zwischen Mensch und Hund reflektieren. Im Folgenden mögliche Lösungen:

Gehorsam:
Der Hund
Folgt seinem Herrn
Ich weiß, er wird
Böse


Klug:
Der Mensch
denkt nach, doch
Ich weiß, er macht
Fehler

Es sollte sich ein Unterrichtsgespräch darüber anschließen, was der Ruf des Kommandanten zu bedeuten hat, welches Bild von Juden sich darin erkennen lässt.
Durch die Frage „Wer ist denn jetzt eigentlich ein Hund – Barry, die jüdischen Häftlinge oder der Kommandant?“ kann eine Diskussion initiiert werden, die sich damit auseinandersetzt, was den Mensch zum Menschen macht bzw. was den Menschen vom Tier unterscheidet.

AB 7
 

Die Frage, die sich nicht nur Schüler immer wieder stellen, ist, ob denn niemand etwas gegen die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten unternommen hat bzw. ob es keine Möglichkeiten gab, Juden vor der Deportation in Konzentrations- und Vernichtungslager zu bewahren.

Anhand der letzten Erzählung „Jüdischer Widerstand in Nizza“ von Joachim Schönball soll den Schülern gezeigt werden, dass Widerstand bzw. Rettungsaktionen durchaus möglich waren.

Das Vorlesen der Geschichte in verteilten Rollen trägt zum einen bei dieser relativ langen Erzählung zum Textverständnis bei, zum anderen kann es die Dramatik der Situation verdeutlichen und damit auch die Frage aufwerfen: Ist es richtig, trotz der eigentlich „guten Absicht“ mit Waffengewalt zu drohen und die Gegenüber in Angst und Schrecken zu versetzten? Also eigentlich: Heiligt der Zweck die Mittel?

Mit dieser Frage sollten sich die Schüler dann auch in ihrem fiktiven Brief auseinandersetzen.
Die Reflexion über das Verschwimmen der Grenzen zwischen „Gut“ und „Böse“ in dieser Situation fördert Urteils- und Orientierungskompetenz und kann auch im Grundschulalter schon dazu herausfordern ein Sach- und ein Werturteil zu bilden.

 AB 8
Im Anschluss könnte dann wieder der Bogen geschlagen werden zum Jugendbuch „Der überaus starken Willibald“ und zur Frage „Hat auch Lillimaus Widerstand geleistet und hat ihr Widerstand Erfolg gehabt?“, was schlussendlich in die Abschlussdiskussion mündet, wie man auf jegliche Art von Gewaltherrschaft und Ausgrenzung reagieren bzw. dagegen vorgehen sollte.
Insofern leistet diese Unterrichtssequenz auch einen Beitrag zur Förderung der Resilienz.
AB 9 

 


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Freiburg Karlsruhe Stuttgart Tübingen -

 


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Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de

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