Nationalsozialismus in Konstanz: Der Fall Willi Hermann - darf man seine Lieder heute noch singen?

Hintergrund

Zeittafel


 

Entscheidung der Spruchkammer Freiburg zum Fall Willi Hermann von 1949.

B 2 Entscheidung der Spruchkammer Freiburg zu Willi Hermann 1949.

Die Quellenlage

Der Konstanzer Stadtarchivar Prof. Dr. Jürgen Klöckler fand im Zuge seiner Recherchen zu Willi Hermann in mehreren Archiven einschlägige Dokumente zu dessen NS-Vergangenheit. Zu den Archiven zählen unter anderem das Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde, das Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg, das Archiv des französischen Außenministeriums in Paris-Courneuve und die Stadtarchive Konstanz und Stockach. Auf Grundlage der vorliegenden Dokumente rekonstruierte Klöckler die Biographie Hermanns, insbesondere seine Verstrickungen in den Nationalsozialismus. In seinem Aufsatz „Eine Ikone der Fasnacht am Bodensee. Auf  Zur NS-Vergangenheit des Konstanzer und Stockacher Fasnachters Willi Hermann“ sind Klöcklers Forschungsergebnisse nachzulesen (D 2). Eine komprimierte Darstellung seiner Ergbnisse findet sich auf D 1. Ein 5minütiges Interview mit Jürgen Klöckler zum Fall Hermann finden Sie hier.

 

 

Video 1 Interview mit dem Leiter des Stadtarchivs Konstanz, Prof. Dr. Jürgen Klöckler

 

1907 - 1933: Hermanns Kindheit, Jugend und schulische Ausbildung

Wilhelm Hermann wurde am 23.11.1907 als Sohn des Stadtrechners August Hermann in Stockach geboren. Er besuchte dort die Volks- und Bürgerschule, dann die Realschule in Meßkirch und im Anschluss die Oberrealschule in Freiburg. Nach dem Erwerb des Abiturs begann er 1926 ein Lehramtsstudium der Fächer Deutsch, Englisch, Geschichte und Französisch an der Universität in Freiburg im Breisgau. Er scheiterte dreimal an der Staatsexamensprüfung und blieb als Arbeitsloser finanziell von seinen Eltern abhängig.

 

1933 - 1940: Karriere im NS-Regime

Hermann trat 1931 in die NSDAP ein und galt als „glühender Nationalsozialist“. Zwei Jahre später wurde er Mitglied der allgemeinen SS und war im Dienstrang eines SS-Scharführers im Stockacher SS-Sturm aktiv. Nach einem Wechsel zur Stockacher NSDAP-Kreisleitung arbeitete er für die NS-Organsiation Kraft durch Freude als NS-Schulungs- und Propagandaredner. Weiterhin engagierte sich Hermann in der Stockacher Fasnacht und betrieb die völkische Neuausrichtung der Stockacher Fasnacht.

Auf eigene Initiative bekam Hermann eine Stelle im Gauschulungsamt - einer der wichtigsten Abteilungen der Karlsruher Gauleitung zur Schulung der badischen NS-Funktionäre. Hier war er maßgeblich an der Erstellung des Arbeitsplans für weltanschaulich-politische Schulung beteiligt. Als verbindliche Leitlinie für NS-Funktionäre war er die Grundlage für die Ideologisierung der Bevölkerung Badens. Im Mai 1939 zum kommissarischen Gaustellenleiter auf.

1940 - 45: Wehrmachteinsatz

Im September 1940 wurde Willi Hermann in die Wehrmacht einberufen und zwei Jahre später zum Unteroffizier befördert. Während seines Einsatzes in Frankreich wurde er straffällig. Im Mai 1943 erfolgte seine Strafversetzung in ein Festungs-Grenadierbataillon auf der griechischen Insel Kefalonia, auf der auch italienische Truppen stationiert waren. Nach der Vereinbarung des Waffenstillstands zwischen Italien und den Alliierten kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen auf Kefalonia. Dabei erschossen deutsche Soldaten kriegsvölkerrechtswidrig mindestens 2.500 italienische Soldaten, die sich bereits ergeben hatten. Hermann konnte keine Beteiligung an den Kriegsverbrechen nachgewiesen werden, aber sein Bataillon war mit Sicherheit an den Erschießungen beteiligt.

1945 - 1948: Kriegsgefangenschaft und neues Leben in Konstanz

Im April 1945 geriet Hermann in amerikanische Kriegsgefangenschaft. In seinem Entnazifizierungsverfahren wurde er als „minderbelastet“ eingestuft, wobei der Spruchkammer weder Informationen zu seinem Einsatz auf Kefalonia noch zu dem von ihm verfassten Arbeitsplan für weltanschaulich-politische Schulung vorlagen.

Nachdem Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft zog Hermann nach Konstanz, wo er später als einfacher Angestellter bei der Textilfirma Herosé arbeitete. Er entdeckte seine Leidenschaft für die Fastnacht wieder und war  als Büttenredner und Komponist in der Saalfastnacht aktiv, ebenso war er Vizepräsident der Großen Konstanzer Narrengesellschaft Niederburg. Von 1961-1977 war er Mitglied im Kollegium des Stockacher Hohen Grobgünstigen Narrengerichts. Im Bodenseeraum genoss er als „Ikone der Fastnacht“ ein großes Ansehen; seine Lieder wurden auf privaten und öffentlichen Veranstaltungen, auch in der vom SWR übertragenen Konstanzer Fernsehfasnacht, gespielt und gesungen.

Hermann starb 1977 unerwartet an einem Herzinfarkt in Konstanz.

 


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte ZSL Regionalstelle Freiburg  -


Der Text dieser Seite ist verfügbar unter der Lizenz CC BY 4.0 International
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de

Bitte beachten Sie eventuell abweichende Lizenzangaben bei den eingebundenen Bildern und anderen Dateien.