Das KZ-Außenlager Bisingen – Entgrenzung und Erinnerung

Methodenvorschlag

Verlaufsplanung mit Materialien

Zeit/
Phase
Inhalte/
methodische Hinweise
Material
G M E (G8/G9)
1. Doppelstunde: Entgrenzung des KZ-Systems in der Endphase des Krieges: das KZ-Außenlager im „Unternehmen Wüste“
1.1. Einstieg/ Motivation: Luftbild Bisingen 1945 Mithilfe des sehr hoch aufgelösten Luftbildes der amerikanischen Luftwaffe vom 16. April 1945 (AB 1) lernen die Schüler das Gelände von KZ-Außenlager und Wüste-Werk 2 kennen. Als Forscher versuchen sie einzelne Bauwerke zu erkennen (Lager, Umzäunung, Wachtürme, Industriegelände, Bombenkrater, Zuglinie, Dorf) und entwickeln auf dieser Basis Fragen an das Bild.

Die Lehrkraft informiert über die Umstände: Bisingen als Dorf am Fuß der Schwäbischen Alb; ab August 1944 Konzentrationslager mit durchschnittlich 1500 Häftlingen (bei ca. 2000 Einwohnern im Dorf); Bombenkrater aufgrund von Bombenabwürfen amerikanischer Bomber auf dem Rückflug.

Mögliche Fragen:
Warum ein KZ in einem Dorf an der Schwäbischen Alb? 
Unter welchen Bedingungen wurde hier gelebt/gearbeitet?
Wer war dafür verantwortlich? Wie wurde man Täter?
Was haben die Dorfbewohner bemerkt? Wie haben sie reagiert?

AB 1 (Folie)
1.2 Erarbeitung I und Auswertung I: Das Unternehmen Wüste und das KZ-Außenlager Bisingen – Opfer/Täter/By-Stander

Die Schüler forschen selbstständig über das auf dem Luftbild Abgebildete: zum sog. „Unternehmen Wüste“ (AB 2), zur Situation der Häftlinge (AB 3), zum Hintergrund der Täter (AB 4) und zum Verhältnis zwischen Dorf und KZ (AB 5).

Dabei ist wichtig, dass jeder Schüler von den Inhalten aller Teilthemen erfährt, auch wenn er nicht unbedingt alle bearbeiten muss. Bei homogenen Lerngruppen ist es denkbar, dass jeder Schüler alle 4 Stationen (AB 2-5) durchläuft. Bei stärker heterogenen Lerngruppen reicht es, wenn nur ein Teil der ABs bearbeitet wird. Dann sollte es innerhalb von Gruppen von mindestens vier eine Austauschphase geben, bevor die Ergebnisse im Plenum gesammelt werden. Zu beachten ist aber, dass jeder Schüler AB 3 (Häftlinge) und AB 4 (Täter) bearbeitet hat.

Die Ergebnisse sollten in jedem Fall im Plenum präsentiert werden (als Gruppenplakat bei heterogenen oder als gemeinsam erarbeiteter Tafelanschrieb bei homogenen Lerngruppen).

AB 3

AB 4

AB 3

AB 4

AB 5

AB 2

AB 3

AB 4

AB 5

1.3 Vertiefung/ Reflexion/ Urteilskompetenz: „Entgrenztes KZ-System“ in der Endphase des Krieges Anhand der zentralen These von Christine Glauning (AB 6 als Folie) lernen die Schüler das Konzept der „Entgrenzung“ kennen und diskutieren, ob sie sich dadurch die Öffnung der Lager in der radikalisierten Phase des Krieges und das enge Nebeneinander zwischen Dorf und KZ erklären können.
Als weiteren Impuls kann man hier den Audiomitschnitt eines Bisingers (Jg. 1936; Aufnahme aus dem Jahr 2000; A 1-4) einsetzen, der im hohen Alter von Kindheitserlebnissen und Erfahrungen mit dem Lager berichtet. Dabei lassen sich die Audios differenzieren nach den Anfängen des Lagers (Audio 1; 4'), dem Häftlingsmissbrauch (Audio 2; 4'), dem Kontakt der Bevölkerung mit den Häftlingen (Audio 3; 6') und Fluchtversuchen und Bestrafung (Audio 4; 3').

AB 6 (Folie)

Audio 1

Audio 2

Audio 3

Audio 4

1.4 Hausaufgabe/ Überleitung zur DS 2: Wie erinnern? Als Hausaufgabe und als Scharnier zwischen beiden Doppelstunden sollen sich die Schüler überlegen, wie die Bisinger mit diesem historischen Erbe umgehen können.
Sollte ein Lerngang nach Bisingen geplant sein (Gedenklehrpfad und Museum, vgl. Kontakt; Erweiterungsmöglichkeiten), wäre der didaktisch sinnvolle Zeitpunkt zwischen den beiden Doppelstunden.
   

Zwischen den beiden Doppelstunden bietet sich ein Besuch des Lernortes in Bisingen an. Vor Ort ist es möglich, das Museum Bisingen zu besuchen, das sich ausschließlich der Geschichte des KZs widmet, sowie  Relikte der Industrieanlagen auf dem Gedenklehrpfad zu besichtigen. Hierbei unterstützen die ehrenamtlichen Helfer des örtlichen Vereins "Gedenkstätten KZ Bisingen" e.V.  gerne. 

2. Doppelstunde: Der lange Weg zur Verantwortung: Erinnerungsgeschichte und -kultur in Bisingen
2.1 Einstieg: Luftbild 1945 und heute  Mit Wiederkennungseffekt an die erste Doppelstunde (und bei einem Lerngang auch an die Exkursion) ist der Einstieg mit den beiden Luftbildern für die zweite Doppelstunde gedacht. Dadurch dass die Perspektive annähernd gleich ist, lässt sich vergleichen, was aus dem Lager heute geworden ist: Die Schülerinnen und Schüler werden viele wichtige Kontinuitäten (Zuglinie, Straßenführung, Appellplatz als Wiese) und Diskontinuitäten erkennen (Wald, KZ-Friedhof, Fußballfelder anstelle des Industriegeländes, Dorfbebauung) und sehen so den Gegenwartsbezug und dass die Vergangenheit der Gegenwart eingeschrieben ist. AB 7 (Folie)  
2.2 Erarbeitung I und Auswertung I: Auflösung und Besatzung Speziell für lernstärkere Gruppen, die schnell arbeiten, kann in einem ersten Schritt erarbeitet werden, wie das Lager aufgelöst wurde und wie die französische Besatzungsmacht auf das KZ in Bisingen reagiert hat (AB 8). Bei Zeitmangel kann dies auch von der Lehrkraft in direkter Instruktion übernommen werden.
Ob dieses Element ausführlich unterrichtet wird, mag auch daran liegen, ob man das Unterrichtsmodul mit einer Exkursion erweitert hat: Dann sollten die Eindrücke vor Ort stärker besprochen werden.
  AB 8 
2.3 Auswertung der HA: Wie erinnern? Ausgehend von der Frage der Hausaufgabe, wie mit dem schweren Erbe umzugehen ist, sollen die Schüler ins Gespräch kommen: Inwiefern steht ein ehemaliger KZ-Ort in der Pflicht, sich dieses Erbes dauerhaft zu erinnern, sich gegenüber Opfern und Hinterbliebenen verantwortlich zu zeigen und das Bewusstsein für die Verbrechen des NS-Regimes zu bilden?    
2.4 Erarbeitung II und Auswertung II: Geschichte der Erinnerung Die „zweite“ Geschichte des KZ-Außenlagers Bisingen ist die seines Verschweigens, seines (vergeblich versuchten) Vergessens und seiner Wiederentdeckung. Deshalb ist es zentral, sich mit der NS-Geschichte in der Bundesrepublik auseinanderzusetzen. In drei differenziert gestuften Zusammenfassungen (AB 9a, AB 9b, AB 9c) lernen die Schüler die unterschiedlichen Phasen des Umgangs mit der Vergangenheit kennen. Die Auswertung sollte in einem Tafelanschrieb bestehen, bei dem die einzelnen Phasen voneinander abgegrenzt werden. AB 9a AB 9b AB 9c
2.5. Vertiefung: Erinnerungskultur exemplarisch Eine weitere Vertiefungsebene soll mit einem Rückgriff auf steinerne „Zeugen“ der Erinnerung in den Blick genommen werden: Der von den Franzosen sog. „Ehrenfriedhof“ im Wandel der Zeit (AB 10) ist genauso eine aussagekräftige Quelle wie der Gedenkstein am ehemaligen Meilerfeld (AB 11) oder das Museum direkt neben der katholischen Kirche im Zentrum des Ortes (AB 12) sowie die Homepage des rührigen Gedenkstättenvereins vor Ort. Der Wandel in der Haltung, was die Verantwortung gegenüber der deutschen Vergangenheit angeht, ist in Bisingen auch dreidimensional erfahrbar. Je nach Lerngruppe lassen sich eine Vertiefung oder mehrere differenziert durchführen oder alle drei Beispiele diskutieren, denn sie ergänzen den vorigen Tafelanschrieb perfekt. AB 10 AB 11 AB 12
2.6 Reflexion/ Orientierungskompetenz: Warum heute an NS-Verbrechen erinnern? Abschließend sollen sich die Schüler, ausgehend vom Beispiel Bisingen, Gedanken machen, was ein angemessenes Gedenken bzw. ein angemessener Umgang mit der NS-Vergangenheit heute ist. Als Anknüpfungspunkte kann der Vergleich der beiden Luftbilder (AB 7) dienen oder auch die Frage, ob man als Besucher zurecht enttäuscht ist, wenn man das KZ Bisingen besuchen möchte und statt vor dem Lager vor einer grünen Wiese, statt vor dem Meilerfeld vor einem Fußballplatz und einem Betonklotz steht, der ein Gedenkstein sein soll (ein häufig von Schülern vorgebrachter Kommentar).    

 


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Tübingen -

 


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