Von der Ostfront nach Spaichingen - Feldpost subjektive, entmythologisierende Zeugnisse eines Krieges

Hintergrund

Bedeutung


 

Die einzige Möglichkeit die Verbindung in die Heimat aufrecht zu erhalten waren Briefe, deshalb schrieb jeder Wehrmachtssoldat, auch wenn er zuvor vielleicht keine Feder anrührte. Briefe boten kurzzeitig eine andere Normalität, außerhalb des Kriegsalltages. Unglaubliche Mengen an Briefen und Päckchen wurden während des Zweiten Weltkrieges zwischen Front und Heimat befördert.

 

Einige Wehrmachtssoldaten entladen mit Briefen und Päckchen beladene Postbeutel.

B 5 Wehrmachtssoldaten beim Entladen von Postbeutel

 

Karl Bühler war sicher kein ungeübter Schreiber, die Sehnsucht nach dem Alltag fern der Front spricht auch aus seinen Briefen. Es sind immer dieselben Themen, die den Briefschreiber Karl Bühler beschäftigen, Dank für erhaltene Post oder auch das Ausbleiben der Post, stets zeigt er Interesse an Vorgängen zuhause, ein überaus dominierendes Thema ist die schlechte Versorgungs- bzw. Ernährungslage, das Hoffen auf Urlaub und immer wieder macht er deutlich, dass er Glück hatte, bislang nicht verletzt zu werden.

Die Analyse der Briefe zeigt einen Briefschreiber, der versucht, sich an Vorgaben (Zensur) zu halten, diese jedoch immer mehr missachtet, je extremer die Situation wird. Man lernt einen Menschen kennen, der in einer existentiell bedrohlichen Lage nach Überlebensstrategien sucht und die Situation mit einem für die Lage äußerst erstaunlichen Optimismus erlebt, wobei hier auch die Verdrängung des Äußersten sichtbar wird. Er versucht sich selbst und die Anverwandten in der Heimat zu beruhigen. Aus seinen Briefen wird die Trostlosigkeit der Situation spürbar. Die Briefe zeigen einen Menschen in schwerster Not, mit der Ahnung des Todes fertig zu werden, in einem sinnlosen, für ein verbrecherisches System geführten Krieg.

Die Wirklichkeit des Kriegsalltags zeigt sich bei genauer Analyse der Briefe Karl Bühlers. Sie steht im Kontrast zu einer konstruierten Propaganda, die aus dem Niedergang der 6. Armee ein heldenhaftes Opfer inszenierte.

"Es war eben nicht so, dass unter den Augen des deutschen Volkes die 6. Armee heroisch und männlich den Opfertod für Deutschland auf sich genommen hat." (Zitat aus: Papadopoulos-Kilius, R., Die Verarbeitung von Todesahnungen, in: Wette, W., Ueberschär, G. R., Stalingrad. Mythos und Wirklichkeit einer Schlacht, Frankfurt a. M. 1992, S. 158)

Feldpostbriefe eignen sich als Quelle, um einen Mythos zu dekonstruieren. Briefschreiber sind als Individuen zu sehen, das steht diametral zum Kriegsgeschehen, indem der einzelne Soldat in der Truppe aufgeht. Die Beschäftigung mit Feldpostbriefen im Unterricht trägt deshalb zur Demokratriebildung bei, da dem Individuum Beachtung geschenkt wird.

Gerade das lokale Beispiel rückt ins Bewusstsein, dass der Vernichtungskrieg nichts Entferntes war, sondern Menschen aus der Region beteiligt waren.

Ausgehend von Feldpostbriefen lässt sich thematisieren, dass historische Einschätzungen nie eindimensional vorgenommen werden können. Das Geschehen um die Schlacht von Stalingrad benötigt sowohl Mikro- als auch Makrohistorie.

Nach der Lektüre von Karl Bühlers Briefen ist man verleitet, ihn ganz unkritisch als Opfer des Krieges zu sehen. Das Thema bietet gerade deshalb die Möglichkeit, einen kritischen Diskurs über die Opfer- und Täter-Rolle eines Infanteristen zu führen.


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte an der ZSL-Regionalstelle Freiburg -


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